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Krimi Roman

Donna Leon – Sanft entschlafen

Bridge Of Love, Helsinki

Wenn es ein in Rätsel gehülltes Geheimnis gab, dann Opera Pia. Brunetti wusste nicht mehr darüber, als dass es eine religiöse Organisation war, halb geistlich, halb weltlich, die sich dem Papst zu absolutem Gehorsam verpflichtet fühlte und nach einer irgendwie gearteten Erneuerung der Macht oder Autorität der Kirche strebte.

Erst war ich geneigt, dies als „weiteres Brunetti-Buch“ abzutun, man sollte einfach nicht zu viele hintereinander lesen, damit sich eine Brunetti-Müdigkeit nicht einschleichen kann. Auf der einen Seite sollte es tröstlich sein, dass dieser Commissario ein normaler Mann ist, ohne nennenswerte Probleme in seinem eigenen Leben und seiner eigenen Familie, aber für den Roman würde vielleicht ein anderes familiäres Setting mehr Würze verleihen. Aber lassen wir sie leben, sterben muss ohnehin immer jemand.

Beinahe die ersten beiden Drittel des Romans müssen vergehen, bevor Brunetti wirklich eine ernsthafte Spur hat, worum es bei den Todesfällen, die offiziell als natürlicher Tod durch Krankheit geführt werden, geht. Bis zum Schluss gibt es keine offizielle Ermittlung und Brunetti muss sich wiederum gegen seinen eigensinnigen Chef durchsetzen. Zumindest für einen Teil der Opfer geht die Geschichte gut aus. Oder eigentlich nicht gut, denn was tatsächlich weiter mit ihnen passiert, bleibt offen.

Das Thema der Vorgänge unter dem Deckmantel der Kirche ist nach wie vor aktuell. So gesehen ist das vermutlich einer der zeitloseren Brunetti-Geschichten.

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Roman

Ann Patchett – Bel Canto

Gaensebluemchen

When the lights went off the accompanist kissed her.

Schon bei diesem ersten wunderbar poetischen Satz entfaltet sich ein Hauch der Stimmung, die später ein charakteristisches Element dieser Erzählung darstellen wird. Der Grund fürs Ausgehen des Lichts ist die feindliche Übernahme einer Gruppe von Terroristen, die in die Abendgesellschaft zu Ehren von Mr. Hosokawa platzen, auf der die Sopranistin Roxane Coss gerade ihren Auftritt absolviert. Die Geiselnahme wird sich über Monate hinziehen und Menschenleben fordern. Sowohl auf Seiten der Geiseln als auch auf Seiten der Geiselnehmer.

Kato closed his eyes so that he could imagine he was home, playing his own piano. His wife was asleep. His children, two unmarried sons still living with them, were asleep. For them the notes of Kato’s playing had become like air, what they depended on and had long since stopped noticing.

In weiterer Folge entspinnt sich eine Liebeserklärung an das Leben und an all die Facetten, die das Leben so lebenswert machen. In erster Linie steht hier natürlich die Musik als verbindendes Element. Die Opfer der Geiselnahme stammen aus verschiedensten Ländern und können sich teilweise nur mit Hilfe des Dolmetschers Gen verständigen. Er vermittelt auch zwischen den Kidnappern und dem Verhandler aus der Außenwelt. Nicht nur aus diesem Grund wird Gen zur zentralen Figur in dieser Oper.

In fate there was reward, in turning over one’s heart to God there was a magnificence that lay beyond description. At the moment one is sure all is lost, look at what is gained!

Wenn man in einer Extremsituation gefangen ist, wird plötzlich vieles unwichtig und anderes tritt in den Vordergrund. Die gefangen genommenen Menschen müssen sich mit ihrer neuen Lebenswelt arrangieren und gewinnen dabei allerhand Erkenntnisse. Natürlich erkennen sie den Wert der Familie und wie unwichtig die Arbeit ist, mit der viele von ihnen bis vor dem Ereignis soviel Zeit verbrachten. Aber auch der Wert der einfachen Dinge im Leben, die Freude an Musik, an Sonnenlicht und schließlich dem Gefühl der nackten Fußsohlen auf frischem Gras entfaltet sich Tag für Tag und Wort für Wort.

It was the interpretation of their lives in the very moment they were being lived.

Erzählt wird eine Geiselnahme, aber in Wirklichkeit geht es nur um Liebe. Verschiedene Arten von Liebe, unerwiderte Liebe, wie Liebe beginnt und vielleicht sogar wie sie endet. Aber manchmal verwandelt sich Liebe auch in etwas anderes. Liebe kann Leben zusammenhalten aber auch in Stücke schlagen.

That is larger than life. Everything is sort of worse than you can imagine and better than you can imagine.

Anschließen möchte ich hier noch eine Lobeshymne an das iPad und die Kindle App. Zu Ende gelesen habe ich dieses Buch in den heißesten Tagen des Jahres, Ende August, nachts draußen in der abkühlenden Luft ohne zusätzliches Licht, was mit dem klassischen Papierbuch so nicht möglich gewesen wäre.
Absolute Leseempfehlung. Bisher das Highlight meines Lesesommers.

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Roman

Ildikó von Kürthy – Endlich!

Hafenpromenade Helsinki

Ob ich es jemals bereut habe? Ja, selbstverständlich. So, wie ich jede Entscheidung, die ich jemals getroffen habe, bereut habe. Ich bin einfach nicht der Typ, der sich gerne entscheidet und dann auch noch seinen Frieden macht mit der einmal getroffenen Entscheidung.

Ja, wer sich für Sommerunterhaltung auf niedrigem Niveau entscheidet (zum Ausgleich für andere Strapazen), der könnte wohl genau das bekommen. Allerdings hatte ich es mir so dann doch nicht vorgestellt. Jammern kann ich nämlich selber ganz gut.

Aber mir persönlich sind keine Frauen bekannt, die sich behaglich zurücklehnen. Frauen sind stetig vor sich hin sprudelnde Nölquellen, immer unzufrieden, immer damit beschäftigt, irgendwas zu optimieren, meistens ihren Partner oder ihre Figur.

Gerade im ersten Teil des Buches kann man sich schon mal etwas verwirren lassen, wenn man zwischendurch eventuell auch mal was anderes zu tun hat. Die Protagonistin Vera erzählt in Rückblenden nicht nur ihre eigene, sondern auch nahezu die gesamte Lebensgeschichte ihrer Freunde. Das geht dann ein Stückchen zu weit. Von einem Moment auf den anderen ist die Rede von Marcus (Veras Mann), dem Betrüger, und ich musste zurückblättern, wo ich jedoch nicht fündig wurde. Erst 10 Seiten später wird die ganze Geschichte aufgelöst, das grenzt dann fast schon an Anstrengung. Wenigstens haben die Freunde Johanna und Erdal etwas spritzigere Lebensansichten zu bieten:

„Frisch und ausgeruht, wenn ich das schon höre! Du hast keine Illusionen mehr, kaufst einen Luftbefeuchter und trinkst zu jedem Glas Wein ein Glas Wasser. Schnarch.“

Vera selbst jammert leider nur großräumig rum. Schon als ihre heile Welt noch in Ordnung ist, kann man ihr kaum was recht machen, aber als der Betruf ihres Mannes erstmal aufgedeckt ist, gibt’s außer Gejammer über die Männer noch jede Menge Gejammer über gesellschaftliche Konventionen, die Frauen auferlegt werden (Karrierefrauen, Rabenmütter, muss ich mehr sagen?) und die Probleme, diesen zu entsprechen. Und auch zum Schluss entscheidet das Schicksal über das Leben von Vera. Und nicht Vera selbst.

Ich könnte jetzt tatsächlich ganz einfach mal so sein, wie ich bin – oder so, wie ich immer schon mal sein wollte.

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Roman Thriller

Anthony Burgess – A Clockwork Orange

Burning Skies / „Brennende“ Wolkenberge

The millicents now got down to making this long statement for me to sign, and I thought to myself, Hell and blast you all, if all you bastards are on the side of the Good then I’m glad I belong to the other shop.

Während ich das Buch mit mir herumtrug, hörte ich unter anderem den Kommentar: „Was lest’n du für einen abgedrehten Dreck?“ (oder so ähnlich) Ich war erst etwa 20 Seiten drin und hab den Film nie gesehen, daher wusste ich weder, was mich erwartete noch worauf sich dieser explizite Kommentar bezog. Es wurde relativ schnell klar und dann wollte ich das Buch nur mehr schnellstmöglich loswerden und den Film niemals sehen.

Das Buch dauerhaft weglegen, kam leider nicht in Frage, daher hab ichs ausgelesen und war dann doch beinahe enttäuscht, ob des Endes. Anthony Burgess verleiht dem Buch damit viel Interpretationsspielraum, man kann es als Anklage an den Staats- und Polizeiapparat sehen, gerade im Hinblick auf die aktuellen (August 2010) Ereignisse (riots) in London lässt sich aber auch trefflich über die Verrohung der Jugend schimpfen, die offenbar den Unterschied zwischen Recht und Unrecht nicht kennt und vor Gewalt nicht zurückschreckt.

Immer wieder drängt sich beim Lesen der Gedanke auf, was Stanley Kubrick wohl für ein seltsamer Mensch gewesen sein muss, dass er gerade dieses Buch verfilmen wollte. All diese Gewalt ist schon schlimm zu ertragen, wenn man den seltsamen englischen Dialekt, den der Protagonist Alex als Erzähler verwendet, nicht in allen seinen Facetten versteht. Aber diese zwangsläufig im Kopf entstehenden Bilder auch noch festhalten zu wollen, geht über mein Verständnis. Anthony Burgess selbst hält A Clockwork Orange übrigens nicht für sein bestes Werk, er schreibt dessen Popularität nur dem kontroversiellen Kubrick-Film zu. Der dämonische Blick von Malcolm McDowell in der Rolle des Alex kann einen sogar verfolgen, wenn man den Film nicht mal gesehen hat …

Eine Empfehlung kann ich aufgrund der Gewaltexzesse nicht aussprechen, weder dafür noch dagegen. Ich kann nicht ausschließen, dass mich die Beschreibungen der „Heldentaten“ des Protagonisten nicht so abstoßen, dass ich den künstlerischen Wert einfach nicht erkennen kann. Spaß machte mir das Lesen jedenfalls nicht.

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Klassiker Roman

Bram Stoker – Dracula

Muddas Rosen made with Cam+

The dark man kept his eyes fixed on her, and when the carriage moved up Piccadilly he followed in the same direction, and hailed a hansom. Jonathan kept looking after him, and said, as if to himself …

Vampirgeschichten kennt heutzutage jeder. Schon Volksschulkinder werden durch Geschichten von kleinen Vampiren in den Mythos der Blutsauger eingeweiht, sei es nun durch Bücher oder Fernsehserien. So kommt es, dass der heutige Leser natürlich bereits alles über Vampire weiß. Zähne, Knoblauch, Kreuz, etc. Alles, was Van Helsing und seine treuen Mitstreiter erst Schritt für Schritt herausfinden müssen, weiß der heutige Leser bereits. Tatsächlich ist mir erst während der Lektüre aufgefallen, dass ich nicht weiß, wie die Geschichte ausgeht.

Die Geschichte wird aus den Tagebüchern und Briefwechseln der handelnden Personen erzählt, in der Hauptsache von Jonathan Harker, seiner Frau Mina Harker, dem bekannten Professor Van Helsing, der selbst schon Filmheld wurde (die Spezialeffekte waren durchaus beeindruckend), sowie Dr. Seward. Nachdem die von nahezu allen Beteiligten heiß geliebte Lucy Westenra ihrer seltsamen „Krankheit“ erliegt und davon schließlich nur durch einen Pflock durchs Herz erlöst werden kann, machen sich die wackeren Freunde auf die Jagd nach dem Grafen, der dieses Unglück zu verschulden hat.

With the dawn we saw the body of Szgany before us dashing away from the river with their leiter wagon. They surrounded it in a cluster, and hurried along as though beset. The snow is falling lightly and there is a strange excitement in the air. It may be our own feelings, but the depression is strange. Far off I hear the howling of wolves.

Die beteiligten Personen drücken sich dabei durchaus episch aus, auch Landschaften werden geschildert, als ob es sich um eine Synchronisierung einer Universum-Dokumentation handelte. Eine ausgesuchte Höflichkeit zieht sich durch alle Konversationen, es ist unvorstellbar, dass einer dieser edlen Herren je mal ausfällig würde. Die wenigen Konversationen mit niedrigen Menschen geraten für den Leser mit nicht-englischer Muttersprache zum Ratespiel, den diesen verleiht der Autor eine Sprache, die im geschriebenen nicht mehr viel mit Englisch gemein hat.

Wer sich die Spannung für die eigene Lektüre erhalten möchte, hört jetzt auf zu Lesen, denn es folgt zum Abschluss ein Spoilerzitat ;-) Es ist so poetisch, und daher ein wunderbares Beispiel für die romantische Sprache, die diesem Werk zugrunde liegt. Wenn die Damen und Herren sich damals wirklich so blumig ausdrückten, ist es ein Wunder, dass überhaupt Kriege geführt werden konnten, wo man doch fünf Mal so viele Worte wie nötig benutzte, um sich dann erst recht unklar auszudrücken.

I shall be glas as long as I live that even in that moment of final dissolution, there was in the face a look of peace, such as I never could have imagined might have rested there.

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Roman

Sara Gruen – Wasser für die Elefanten

Riesenrad Linnanmäki Helsinki made with Cam+

Ich sag mich nach allen Seiten um. Niemand rührte sich – alle Blicke hingen am Chapiteau. Ein paar Büschel Stroh taumelten träge über die harte Erde.

Ach, wie schön kann es sein, einfach mal nur zum Vergnügen in einem Roman zu versinken. Moment, eigentlich tue ich das doch immer beim Lesen. Aber bei diesem Buch (das ich nicht mal auf Papier sondern am iPad mit der Kindle-App gelesen hab), ist es einfach noch mal ganz anders. Ein alter Mann erinnert sich vom Bett seines Pflegeheims aus an eine wilde Geschichte seiner Jugend. War es nur eine wilde Geschichte? Oder war es der Beginn seines wirklichen Lebens?

Jacob Jankowski steht vor der Abschlussprüfung als Tierarzt an der Universität Cornell, als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall verunglücken. Jacob wusste nichts von den Schulden, die auf dem Familienbesitz lasten. Er wirft alles hin und springt nachts auf einen Zug auf. Er landet – beim Zirkus. Seine Fähigkeiten als Tierarzt sind dort sehr gefragt, obwohl er sich zuerst mühsam durchkämpfen muss. Bald hängen die Elefantendame Rosie und der Affe Bobo an seinem Rockzipfel, doch auch die Artistin Marlena findet Gefallen an ihm. Davon möchte ich nicht zuviel verraten, denn jede vergebene Wendung, die auf der nächsten Seite wartet, würde den Lesespaß verderben …

Zu schade, dass ich dieses Buch jetzt nicht einfach meiner Mutter oder Schwester in die Hand drücken kann, denn die leben noch in der Papierwelt. Nicht, dass ich diese bereits vollständig verlassen hätte, aber dieses Buch ist so großartig, dass ich es sofort einem Menschen weiterschenken möchte. Ich fürchte, ich werde es nochmals auf toten Bäumen erwerben müssen.

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Klassiker Roman

Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandtschaften

Rathausturm Retz Ausblick, made with Cam+

„Das Bewusstsein, mein Liebster“, entgegnete Charlotte, „ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche für den, der sie führt; und aus diesem allen tritt wenigstens soviel hervor, dass wir uns ja nicht übereilen sollen. Gönne mir noch einige Tage; entscheide nicht!“

Obwohl Goethe in diesem Roman ein allgemeingültiges Thema behandelt und das auch noch sehr modern, ist die Staubschicht unmöglich zu ignorieren. Es fühlt sich an, wie etwas, das einem die Deutschlehrerin fürs Referat aufgedrückt hat, weil man frech war. Immerhin zeigen die wechselnden Beziehungsgeschichten, dass schon damals die Liebe nicht immer fürs Leben war.

Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.
Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

Charlotte und Eduard wissen ihre Beziehung zu schätzen, denn die beiden sind nicht direkt zusammen gekommen, sondern mussten erst abwarten, bis die Beziehung tatsächlich funktioniert. Doch als Eduards Freund – der im ganzen Verlauf der Geschichte immer nur „der Major“ genannt wird – und Charlottes Nichte Ottilie ins Leben der beiden treten, wird die gemeinsame Welt auf den Kopf gestellt. Es stellt sich heraus, das Charlotte und Eduard nicht so viel gemeinsam haben, wie sie bisher dachten und Stück für Stück scheinen die vier Personen andere Paare zu bilden. Charlotte bekommt ein Kind, wer tatsächlich dessen Vater ist, bleibt im Verlaufe des Romans stets nur angedeutet. Die junge Ottilie macht sich stets Gedanken über das Leben und bemüht sich nach bestem Gewissen, den Haushalt zu führen und Charlotte auch bei der Sorge fürs Kind zur Seite zu stehen. Erst ein schlimmer Unfall lässt Charlotte das bisherige Leben überdenken.

Doch was sag ich! Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht? Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?

Charlotte resigniert und will dem unglücklichen Eduard, der sich weiterhin nach Ottilie verzehrt, nicht mehr im Wege stehen. Doch beide Frauen gönnen sich das bißchen Glück nicht, das ihnen noch möglich wäre. Man könnte natürlich auch interpretieren, dass die Beteiligten für ihr sündhaftes Verhalten bestraft werden und dieser Roman uns nichts anderes sagen will, als dass die Ehe heilig ist und wer sich diesem Gesetz widersetzt, mit Strafe und Unglück zu rechnen hat. Goethe hatte angeblich im Sinn, „soziale Verhältnisse und die Konflikte derselben symbolisch gefasst darzustellen“. Das dürfte ihm gelungen sein, wenn auch eine derartige Patchwork-Familie heutzutage eher die Regel als die Ausnahme darstellt.

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Roman

Robert Seethaler – Die weiteren Aussichten

Blitz(c)canadakick/SXC

Nur insgesamt zwei Mal hat er das frühe Aufstehen und den Tankstellendienstbeginn versäumt. Einmal war er krank. Und einmal war er verliebt. Aber das ist ja meistens dasselbe.

Zwei Anläufe habe ich für dieses Buch gebraucht, die Umstände des ersten Starts waren denkbar ungeeignet, als „Unterwegs“-Buch eignet es sich auch nicht, dazu ist das Lesen dieser Art Gedankenschreibweise einfach zu mühsam. Auch das ist wieder so ein Buch, das ich nur zur Hand genommen habe, weil es in irgendeiner Rezension hochjubiliert wurde. Aber in diesem Fall kann ich zumindest verstehen, was den Rezensenten zu dieser Jubelarie gebracht hat, wenn ich dessen Meinung auch nicht unbedingt teile.

Das Buch erzählt eine große Veränderung im Leben eines jungen Mannes namens Herbert. Dass Herbert geistig etwas zurückgeblieben ist, versteht man erst im Verlauf der Geschichte, die einfach gehaltene Sprache, die Herberts Blick auf die Welt widerspiegelt, lässt es aber bereits erahnen. Er leidet außerdem an Epilepsie und ist dadurch ein natürlicher Außenseiter in einer Dorfgemeinschaft, die alles Fremde ablehnt. Als eine Frau auf einem blauen Fahrrad vorbeifährt, wirft Herbert sein bisheriges Leben über Bord und sich selbst ohne Zögern in das Leben dieser Frau. Am großen Schlachtsaufest kommt es zum ersten Showdown. Die Beschreibung der Stimmung auf solchen Dorffesten könnte nicht besser getroffen sein.

Und sowas wissen die Leute natürlich zu schätzen. Da brodelt und quirlt es jetzt auf der Tanzfläche. Da fallen einige Hemmungen. Wenn man sich nämlich dem David Hasselhoff erst einmal hingegeben hat, kann einem überhaupt nichts mehr peinlich sein.

Herbert schleppt seine Hilde natürlich mit nach Hause, die Mutter ist – natürlich – nicht einverstanden, für ihren Buben ist natürlich nichts gut genug, schon gar nicht eine dicke Frau mit ausländischen Wurzeln. Doch die Mutter ist krank. Die Ereignisse überschlagen sich, Herberts Aggressionen führen zu einem Roadmovie, das an Action und Tempo ohne Weiteres mit Thelma & Louise oder Knockin’ on Heaven’s Door mithalten kann.

Skurrile Figuren begegnen Herbert, Hilde und dem Goldfisch Georg auf ihrem Weg. Gerade der wie ein Einsiedler lebende Karl Sprnadl dient dem Autor als Werkzeug, um unerwartet auch noch eine saftige Kritik an den österreichischen Medienmachern anzubringen:

Karl Sprnadl hasst das Fernsehen. Das Fernsehen ist nach Karl Sprnadls Meinung der größte Dreck auf Gottes Erden. Noch nie ist irgendetwas Brauchbares oder Gescheites im Fernsehen gewesen. Und wahrscheinlich wird auch nie irgendetwas Brauchbares oder Gescheites kommen. Weil die Fernsehmacher allesamt verbrunzte Vollidioten sind.

Und auch der Bürgermeister und die örtliche Polizei geben kein gutes Bild ab. Für das „nicht normale“ Paar Herbert und Hilde ist in dieser Dorfgemeinschaft letztendlich kein Platz. Ein Manifest für mehr Toleranz und gegen Hass und Aggression. Ein Roman, der sich aufgrund seiner originellen Erzählform und des behandelten Themas in dieselbe Schublade wie Felix Mitterers Kein Platz für Idioten einsortieren lassen muss.

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Roman

Franziska Stalmann – Champagner und Kamillentee

Champagner (c) mocbog/SXC

„Sie heißt ,Bleib gesund’“, sagte ich und rang mich dazu durch, schonungslos die Wahrheit zu sagen. „Es ist eines von diesen komischen Blättchen, die man in der Apotheke mitnehmen kann. Aber sie zahlen mir tausend Mark im Monat, und ich kann schreiben, was ich will, wenn es nur spannend ist, und sie haben immerhin eine Auflage von einer Million. Und ich lerne sehr viel dabei“, fügte ich hinzu, in der Hoffnung, Elisabeth würde die Vorteile gegen die Unseriosität abwiegen und mich nicht allzu sehr verachten.

Viel mehr Spezielles oder Erwähnungswertes gibt es leider zu diesem Roman nicht zu sagen. Diese Beschreibung des neuen Arbeitgebers der Protagonistin Ines erinnert mich persönlich an einen vergangenen Arbeitgeber, weshalb ich dieser Sichtweise etwas abgewinnen kann. Das mag jedoch auf die wenigsten zutreffen, daher ist dies wohl ein Frauenroman wie so viele andere.

Eine fest in ihrem gemütlichen Leben stehende Frau wird aus der Bahn geworfen, von ihrem Mann verlassen und muss ihr Leben neu ordnen. Sie landet letztendlich ganz unten und muss sich von dort wieder aufrappeln. Zuerst geht alles schief, dann wendet sich das Blatt und das Schicksal scheint sich („endlich!“ will man ausrufen) auf ihre Seite zu schlagen. Jeder Schritt, den sie vorher nach unten getan hat, klettert sie in weiterer Folge wieder hinauf. Bis zum großen Herzschlagfinale, das ihr Leben wiederum aus der Bahn wirft. Wieder mal ein Beispiel für die sommerliche Strandlektüre.

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Fantasy Roman

Terry Pratchett – Total verhext

Windrad HDR

Sie meinten, eigentlich gäbe es gar keine Realität, über die man mehr herausfinden könnte, und das mit der permanenten Unwirklichkeit sei sehr aufregend. Und wußten Sie, dass überall kleine Universen existieren, die wir nur nicht sehen können, weil sie in sich selbst gekrümmt sind? Übrigens, gefällt Ihnen dieses T-Shirt?

Hach, wieder mal ein Ausflug in die heile Welt der Scheibenwelt. Erstmals hatte ich hier einen Roman aus dem Hexenuniversum, der sich auf die humorvollste Weise mit dem Thema Märchen beschäftigt. Tiere nehmen menschliche Gestalt an, wenn man sie nur intensiv genug glauben lässt, sie wären etwas anderes als ihre Gestalt ihnen vermittelt. Kater werden so zu Zorro-Gestalten und Hexen zu Prinzessinnen.

Wie wir es von Pratchett kennen, nimmt die Geschichte allerlei spaßige Wendungen und Umwege, bevor überhaupt klar wird, worauf es hinausläuft. Oma Wetterwachs gelingt schließlich der Sieg gegen ihre Schwester Lily Wetterwachs, die sich einen Spaß daraus macht, im Märchenuniversum herumzupfuschen und die Geschichten zu neuen Kombinationen zu verweben. Ebenso bleiben immer Fragen offen, die Platz für eigene Interpretation lassen.

Unter dem Tisch hockte Greebo und leckte sich die Pfoten ab. Manchmal rülpste er leise.
Vampire stehen von den Toten auf. Sie kehren aus Gräbern und Grüften zurück, aber nicht aus dem Magen eines Katers.