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English Memoir Sachbuch

Anna Sale – Let’s Talk About Hard Things

CN dieses Buch: Tod, Krankheit, sexuelle Handlungen
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Die letzten Wochen hatte der Wahnsinn wieder mal ziemliche Saison. Mein Lebensrhythmus wurde mehrere Wochen am Stück völlig durcheinander gewirbelt. Wieder mal hätte ich woanders sein sollen und musste kurzfristig umplanen. Diesmal hatte ich selbst Covid. Milder Verlauf, freitesten nach 5 Tagen Absonderung. Diskussion mit der Stornoversicherung noch im Gange. Gleichzeitig scheint in diesen Wochen der Rest des Winters vergangen zu sein. Endlich beginnt der Frühling, auf den ich schon so lange warte.

Obwohl ich nicht schlimm krank war, konnte ich die Absonderung praktisch für gar nichts nützen. Halbherzige Versuche, in der Wohnung Dinge zu erledigen, die kaum zu irgendwas führten. Wie im ersten Lockdown. Plötzlich unendlich Zeit im eigenen Zuhause und trotzdem irgendwie wie gelähmt. Als die Absonderung dann vorbei war, folgten noch einige Tage bleierne Müdigkeit. Für immer mit dieser Zeit verbunden: die TV-Mini-Serien Little Fires Everywhere (gelesen vor etwas mehr als einem Jahr, TV-Umsetzung ausgezeichnet) und Nine Perfect Strangers (gelesen letzten Sommer, TV-Umsetzung in Ordnung).


Den Podcast Death, Sex & Money bekam ich vor einigen Jahren empfohlen und verfolge ihn seitdem kontinuierlich. Jetzt hat Podcast-Host Anna Sale ein Buch geschrieben und da ich mir vorstellen kann, dieses Buch auch anderen Personen weiter zu reichen, habe ich das Hardcover bestellt.

Wie der Podcast dreht sich auch das Buch um existentielle Themen: wie leben wir unser Leben, wie treffen wir Entscheidungen, wie verhandeln wir unterschiedliche Wünsche und Ziele mit den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen? Die im Titel angedeuteten schwierigen Konversationen drehen sich neben den auch im Titel des Podcasts bereits aufgezählten Themen zusätzlich um Familie und Identität. Gerade beim Thema Identität reflektiert sie intensiv über ihre eigenen Privilegien, die ihr eine bestimmte Weltsicht nahelegen. Es geht dabei darum, dass etwa Menschen, die von sich selbst behaupten, sie würden keine Hautfarben sehen, damit gleichzeitig negieren, dass es überhaupt Unterschiede gibt. Sie leugnen dadurch, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft unterschiedlich behandelt werden. Der folgende Absatz erläutert kurz diese Dissonanz zwischen dem eigenen Selbstbild und dem, wie Menschen von der Gesellschaft wahrgenommen werden:

For people who are used to fitting in – like, say, a straight, white, financially stable, married mom, albeit one from West Virginia – how you identify and how you are identified can feel one and the same. That is, you are missing a dimension of consciousness, so that when you do feel yourself profiled or categorized or summed up in a way that doesn’t feel authentic to your own self-concept, it feels wrong and unfamiliar. What it really is, though, is a way the world works that you haven’t been forced to notice.

Eine interessante Wiederbegegnung gab es für mich auch mit dem Konzept „radical acceptance“. Dabei geht es eben nicht darum, alles einfach mit uns geschehen zu lassen, sondern zu erkennen, dass wir manche Situationen einfach nicht ändern können. Anstatt sich am Ärger oder der Frustration über diese Situation festzuklammern, können wir diese Gefühle stattdessen loslassen und uns praktisch mit der Situation auseinandersetzen.

The radical part of radical acceptance is key, because it’s not just acceptance. Danielle is not telling studends to just concede or surrender. Instead, it’s learning to say, Even if I don’t like this, or I think it is unjust, I have to deal with this reality.

Zum Abschluss des Buchs relativiert die Autorin die Bedeutung von Gesprächen über schwierige Themen und gibt ihnen gleichzeitig eine klare Aufgabe. Gespräche allein lösen noch keine Probleme. Sie können zu mehr Verständnis und Verbindung zwischen den Menschen führen, sie können Klarheit schaffen. Durch Gespräche können wir versuchen, einander näher zu kommen und die essentiellen Gefühle des Lebens mit anderen Menschen aufzuarbeiten. Diese Gefühle gehen durch die Gespräche vielleicht nicht weg. Aber Gefühle auszusprechen, ihnen einen Namen zu geben und sie zuzulassen kann ein erster Schritt zum Frieden mit diesen Gefühlen sein.

But let me remind you that you are not starting a hard conversation to immediately resolve the intractable. Hard conversations offer you solace and pull you out of isolation. They let you voice truths you’d only half known, and listen to stories that you’d otherwise miss. They deepen connection and understanding. But they do not fix hard things. […] Rather, the goal is to try. When you start the conversation, you are taking responsibility to create more clarity than there was before. Healing and resolution may follow, but they only happen well after initial words have been aired and heard.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Jan Grue – I Live a Life Like Yours

CN dieses Buch: Krankheit
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At some point or another I stopped thinking about myself as someone who needed repairing.

In diesem extrem persönlichen Memoir erzählt der Autor aus seinem Leben mit einer körperlichen Behinderung. In seiner Kindheit wurde er mit einer Art Myopathie diagnostiziert, eine progressive Erkrankung, die ihm kein normales Leben ermöglichen soll. Entgegen der Erwartungen der Ärzt:innen entwickelt er sich gut und wird von seinen Eltern in jeder Hinsicht gefördert. Die Teile, in denen er vom Kampf seiner Eltern mit dem Sozialamt um Unterstützungsleistungen berichtet, zeigen deutlich, dass selbst in einem reichen und fortschrittlichen Land wie Norwegen die Bürokratie oft über die Menschlichkeit siegt.

It required more hours of hard work, more effort, than I could have anticipated, but I continued banging my head against the wall until the wall finally gave way. On the inside was another wall. This is how labyrinths are built, after all.

Weiters erinnerte mich seine Beschreibung von den ausführlichen Planungen für eine Reise mit einem Rollstuhl daran, wie ich einmal am Berliner Hauptbahnhof etwa 20 Minuten eine Tür blockierte, damit der Zug nicht abfahren konnte, bis für die Dame im Elektrorollstuhl der (vorab bestellte) Rollstuhllift herangeschafft wurde. Sie hatte das sehr gelassen hingenommen. Obwohl sie ihre Reisepläne im Voraus bekannt geben müsse, passiere sowas häufig. Da ich ja selbst gerne möglichst detailliert plane, macht mich allein die Vorstellung, ich hätte alles im Voraus geplant und dann würden sich die Verkehrsbetriebe einfach nicht kümmern, ziemlich wütend.

We don’t notice it until we are made aware of it, but then shame enters the picture. Shame over not being like the others. The shame of standing out, the shame of being a nuisance.

Richtig schmerzhaft wird seine Geschichte, wenn er von den überraschten Gesichtern erzählt, die er erntet, wenn er von seinem Job, seiner Frau, seinem Kind spricht. Dass Menschen nicht mal in Betracht ziehen, dass er ein derart normales Leben führen könnte. Als Mensch, der aufgrund einer Muskelschwäche nur wenige Schritte gehen kann und daher einen Rollstuhl benötigt. Dass die Menschen automatisch davon ausgehen, sein Leben müsste durch seine Behinderung so eingeschränkt sein, dass ein Job und eine Familie außerhalb des Möglichen liegen.

But it’s good to say it, to say to yourself, I don’t have to do this, I don’t have to try to push in where there’s no way in, to try carving out a space where there is none.

Seine Reflexionen reichen vom Schamgefühl, anders zu sein, selbst eine Behinderung für andere Menschen darzustellen, Unterstützung zu brauchen, bis zur Erkenntnis, dass es sich nicht immer lohnt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Wenn du bereits als Kind lernst, dass deine Eltern ständig kämpfen müssen, um dir ein normales Leben zu ermöglichen, dann willst du dich auch selbst nicht einschränken lassen. Alles muss möglich gemacht werden. Bei manchen Hürden lohnt sich der Kampf aber einfach nicht. Letztendlich muss sich jede:r von uns selbst entscheiden, wofür wir kämpfen wollen. Manche müssen mehr kämpfen als andere.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Ruth Reichl – Save Me the Plums

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Die Autorin Ruth Reichl war von 1999 bis 2009 Chefredakteurin des Magazins Gourmet, das vom bekannten Verlag Condé Nast herausgegeben wurde. In diesem Buch schreibt sie über ihren Aufstieg von ihrer Rolle als Restaurantkritikerin zur Gestalterin eines renommierten Food-Magazins. Sie gibt Einblicke in die Prozesse, die hinter der Produktion eines solchen Magazins ablaufen, sie lässt die Leserin in die Testküche schauen und erklärt die komplexen Bezüge zwischen den verschiedenen Abteilungen. Die Dominanz der Anzeigenkundschaften, die wiederum von Herausgeberseite an die Chefredaktion und von dort an die anderen Abteilungen weitergegeben wird, war mir nicht vollständig neu. In einem amerikanischen Verlag wie Condé Nast steht für die Beteiligten jedoch immer noch mehr auf dem Spiel.

Ruth Reichl erzählt von ihrer eigenen Faszination mit dem Magazin in ihrer Kindheit und Jugend, es wird deutlich, wieviel es ihr bedeutet, jetzt die Geschicke dieses Traums in der Hand zu haben. Sie beschreibt den Kampf zwischen Tradition und Fortschritt, wie schwierig es ist, neue Ideen durchzusetzen, ohne die langjährigen Leser*innen und Anzeigenkundschaften zu vergrämen. Jeder kontroverse Artikel kann ein Dealbreaker sein, und selbst eine Ausgabe mit einem Cupcake auf der Titelseite kann eine Revolution inklusive Gegenrevolution auslösen:

The battle raged for more than a year, and while I’ll admit I stirred the pot and printed the letters, I never really understood what the fuss was all about. Now, looking back, it is very clear. Gourmet cried, “Let them eat cupcakes!” and our readers got the message. The exclusive little world of food was growing both larger and more inclusive, and those who’d thought they’d owned it didn’t like it one bit.

Es ist ein Einblick in eine interessante Welt, deren Ende wie vieles in der Magazinbranche von der zunehmenden Verbreitung des Internets eingeläutet wurde. Auch diesen Übergang hat Ruth Reichl noch in ihrer Rolle als Chefredakteurin miterlebt. Sie beschreibt hier ihre fassungslose Reaktion auf das Unverständnis der Entscheidungsebenen des Verlags. Überlebt hat daher nur die ausgelagerte Rezeptsammlung Epicurious. Das Printmagazin Gourmet wurde 2009 eingestellt.

Ruth Reichl erzählt auch von vielen Begegnungen mit Menschen, die wir üblicherweise nur aus den Medien kennen. Das folgende Zitat beschreibt eine Begegnung mit der Schauspielerin Frances McDormand, die auf die Bitte einer unbekannten Person um ein Autogramm folgendermaßen reagiert haben soll:

Fran frowned down at the paper for so long I thought she was going to refuse. At last she accepted the pen. “I’m just an actor, and no more interesting than you are.” She scribbled her name. “Probably not as interesting, actually. You should pay more attention to yourself and less to people like me. You’ll be better off that way.”

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English Erfahrungsbericht Memoir

Maggie Downs – Braver Than You Think

CN dieses Buch: Krankheit, Demenz, Sterben, Tod, Alkoholmissbrauch
CN dieser Post: Demenz


This is my mom’s narrative. She still exists, but her stories are lost forever. Her death is the kind that she is forced to live every day, paused somewhere between earth and what exists beyond. She is my inaccessible town.

Das „Genre“ Travel Memoir hat mich irgendwie gepackt, das hat seit Travelling With Ghosts nicht mehr so richtig aufgehört. Diesem Werk liegt eine besondere Ausgangslage zugrunde: Die Autorin macht sich auf den Weg, um ein Jahr lang um die Welt zu reisen und die Orte, Länder und Kontinente zu besuchen, von denen ihre Mutter immer geträumt hat. Ihre Mutter selbst versinkt leider zusehends in Alzheimer-Demenz und wird diese Reisen nicht mehr machen können.

Wie schon im letzten Post angemerkt, ist mir auch hier schnell klar geworden, dass diese Art zu reisen, nicht die Art ist, wie ich reisen wollen würde.

  • Die Familie in einer so schwierigen Situation zurückzulassen – da hätte ich keine ruhige Minute.
  • In abgelegenen Gegenden herumzuziehen, in der arme Menschen nicht mal davon träumen können, die Welt zu bereisen, weil sie oft nicht mal genug zu essen haben, das erscheint mir schlicht falsch. Sicher kann Tourismus auch Gutes bringen, indem er Einkommensquellen für die lokale Bevölkerung schafft. Sicher tut sie auf ihrem Weg Gutes, in dem sie als Freiwillige unterrichtet, Straßen baut oder einen lokalen Radiosender unterstützt. Aber wiegt das die Unmengen an Schäden auf, die es anrichtet, wenn reiche, weiße Menschen, die es sich leisten können, an entlegene Orte reisen, um sich selbst zu finden? (Oder weil sie um die sterbende Mutter trauern?)
  • Über die Unmengen an CO2, die bei so vielen Flugreisen anfallen, muss ich hoffentlich nicht mehr ausführlich schreiben.

Das alles möchte ich nicht explizit als Kritik verstanden wissen. Jedoch finde ich persönlich es aus unterschiedlichen Perspektiven problematisch, so zu handeln und so zu reisen.

Das Buch beschäftigt sich neben den Reisen und Orten natürlich in erster Linie mit der Verarbeitung des Sterbens der Mutter, was für viele Frauen mit der Erkenntnis ihrer eigenen Vergänglichkeit verbunden ist. Dies mag auch ein Auslöser für diese Reise gewesen sein: die Angst, im eigenen Leben später nicht mehr die Zeit zu haben für die Dinge, die wir eigentlich gern tun und sehen würden. Das kann uns allen als Inspiration dienen, auch mal aus dem Alltag auszubrechen. Auch wenn wir nicht sofort los reisen und alle Punkte auf unserer Bucket List in einem Jahr abhaken können (oder wollen).

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English Erfahrungsbericht Memoir

Kristin Newman – What I Was Doing While You Were Breeding

CN dieses Buch: Die Autorin schreibt Comedy und macht in ihrem Buch viele Scherze über Themen, die manchen Leser:innen vielleicht nicht gefallen: Rassismus, Geschlechtsteile, Kolonialismus, Krankheit, Drogenmissbrauch, Vergewaltigung.

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Randnotiz vorab: Ich habe nicht ausreichend recherchiert und dieses Buch mit einer völlig falschen Erwartungshaltung gelesen. Genau genommen habe ich die Autorin mit einer anderen Reiselustigen verwechselt, was zu einer zunehmenden Irritation führte. Das könnte dazu beigetragen haben, dass ich mit dem Buch nicht besonders glücklich war.

I realized they didn’t look at travel the way I looked at it, like medicine, like my chance to right all of the wrongs that might exist in my life.

Was mir gerade klar geworden ist, als ich das obige Zitat, das ich beim Lesen markiert habe, abgeschrieben habe, ist: Diese Sicht auf das Reisen ist wiederum nicht meine Sicht. Irgendwie hatte ich seit Längerem das Gefühl, dass meine Reisen eigentlich gar nicht zählen, weil ich nie ziellos durch irgendein Land oder einen Kontinent unterwegs war oder in Hostel-Schlafsälen geschlafen habe. Der Grund ist dafür ist aber ganz einfach, dass ich das halt nie wollte. Was mich nicht zu einer schlechteren Reisenden macht. Es ist einfach nur ein anderer Weg. Fortsetzung meiner Gedanken zum Reise-Thema im nächsten Post, der sich ebenfalls mit einem Travel Memoir beschäftigen wird.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Maggie O’Farrell – Ich bin, ich bin, ich bin

CN dieses Buch: Tod, Sterben, lebensbedrohliche Krankheit, chronische Krankheit, Gewalt (Überfall)
CN dieser Post: Tod, Krankheit


Die Menschen, von denen wir lernen, nehmen einen besonderen Platz in unserer Erinnerung ein. Ich war keine zehn Minuten Mutter, als der Mann zu mir kam, aber er lehrte mich mit einer einzigen kleinen Geste das fast Wichtigste am Elternsein: Zugewandtheit, Intuition, Berührung, und dass man oft nicht einmal Worte braucht.

Die Autorin reflektiert über den Verlauf ihres Lebens anhand von gefährlichen Begegnungen (der Untertitel im englischen Original: 17 Brushes with Death). Irritierend fand ich dabei, dass die einzelnen Kapitel nicht chronologisch sortiert sind. Mit einer Jahreszahl überschrieben lassen sie sich natürlich einordnen, ich musste jedoch immer mal überlegen, wie alt die Autorin denn nun zum Zeitpunkt dieses Kapitels gewesen sein mag.

Besonders berührt bzw. empört hat mich die Beschreibung der Geburt des ersten Kindes der Autorin. Durch die Nachwirkungen ihrer Erkrankung an Enzephalitis als Kind weiß sie schon vorab, dass eine natürliche Geburt sie und das Kind in Lebensgefahr bringen wird. Der zuständige Gynäkologe tut ihre Bedenken ab und wirft ihr auch noch vor, sich einen Kaiserschnitt erschleichen zu wollen, um es sich selbst leichter zu machen. Die Geburt endet schließlich mit einem Notkaiserschnitt.

Als Kind dem Tod so nah gewesen zu sein und dann das Leben neu geschenkt zu bekommen hat mich viele Jahre lang verwegen gemacht, nonchalant gegenüber dem Risiko, geradezu tollkühn. […] Das lag nicht etwa daran, dass mein Leben für mich keinen Wert gehabt hätte, im Gegenteil, ich wollte um jeden Preis alles mitnehmen, was es zu bieten hatte.

Natürlich habe ich beim Lesen über meine eigenen Erfahrungen nachgedacht. Und dabei festgestellt, dass ich dem Tod vermutlich noch nie so nah gewesen bin. Gleichzeitig ist mir wiederum aufgefallen, dass ich einfach nicht so risikofreudig bin. Seit diesem einen Fallschirmsprung (der mir ein schmerzhaftes Trommelfellhämatom einbrachte) habe ich allen Extremsportarten entsagt. Noch immer habe ich Europa nicht verlassen, war daher auch noch nie in „gefährlichen Gegenden“. (Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass Wien-Favoriten keine gefährliche Gegend ist, auch wenn manche Menschen das anders sehen.) Vermutlich habe ich einfach ein anderes Risikobewusstsein bzw. plane gern für alle möglichen Eventualitäten voraus. Trotzdem oder gerade deshalb lese ich vermutlich gerne die Erzählungen von risikofreudigeren Frauen, die in ihrem Leben andere Wege gehen (zuletzt: Torre DeRoche – Love with a Chance of Drowning).

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English Erfahrungsbericht Memoir

Lane Moore – How to Be Alone

CN dieses Buch: Erwähnung von Missbrauch, Vergewaltigung, Pädophilie, Trauma, Suizid, Übergriff
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Now, I think of my tired, overdosed little-kid self, who only wanted someone to love her, […] lying there on the floor alone in a little ball, waiting for anyone to care about her, and all I want to do is pick her up and kiss her forehead and tell her I’m so sorry I couldn’t protect her.

Dieses Buch hat mich sehr herausgefordert und beschäftigt. Es muss irgendwann während der Pandemie auf meiner Liste gelandet sein, damals konnte oder wollte ich mich aber nicht wirklich damit befassen, weil ohnehin alles schon so trist war. Als ich dann des Nachts nicht schlafen konnte (und die mitgenommenen Papierbücher nicht lesen konnte, um die andere Person nicht aufzuwecken), schien mir irgendwie der richtige Moment gekommen. Obwohl es für dieses Buch keinen richtigen Moment gibt. Oder jeder Moment der Richtige sein könnte.

Die Autorin erzählt von einer Art des Allein-Seins, die ich persönlich noch nie erlebt habe, ich kenne jedoch zumindest zwei Personen, die da relativ nahe dran sind. Diese persönliche Verbindung hat mir ihren Bericht auch sehr nahe gebracht. Gleichzeitig habe ich in ihrer Beschreibung von verschiedenen ungünstigen Beziehungsmustern auch Verhaltensweisen von mir selbst gesehen. Die Liste der Zitate, die ich aus diesem Buch aufgeschrieben habe, ist selbst schon fast ein Essayfragment. Damit dieser Post nicht zu persönlich wird, werde ich im Aufzählungsstil ein paar Beispiele anbringen:

  • Wenn wir als Kinder nicht ausreichend geliebt werden, dann werden wir irgendwann denken, dass wir selbst das Problem sind. Wir werden nicht darauf kommen, dass es einfach falsch ist, wie uns andere Menschen behandeln. Wir werden denken, dass wir es nicht Wert sind und daher nicht anders verdient haben. Und dieses Gefühl kann sich dann in alle weiteren persönlichen Beziehungen des Lebens weiterziehen.
  • In einer Passage vergleicht sie den Samstagabend mit einem wöchentlichen Silvester. Gerade an diesem Abend solltest du Spaß haben, eine Party feiern, Freunde haben, …

[…] and when it’s anything less, you just feel like you’re six thousand miles away from your best life, and fun, and normalcy.

  • Nicht vergessen möchte ich die vielen popkulturellen Referenzen, speziell gefreut habe ich mich über die Erwähnung des Films Practical Magic, den ich damals auch sehr gern hatte. (Wollten wir nicht alle irgendwann Hexen sein?)
  • Attachment theory (Bindungstheorie). Irgendwo muss ich das eigentlich schon mal gehört oder gelesen haben, aber in diesem Kontext hat mich dieses Konzept einfach sehr erwischt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gerade darüber nachdachte, ob ich mein Fernstudium fortsetzen soll, dass mich diese wissenschaftliche Betrachtung so angesprochen hat. Es wäre doch schön, wenn sich unsere Beziehungsverhaltensmuster durch Wissenschaft erklären ließen? Oder?
  • Menschen, die schlechte Ratschläge erteilen. Ugh.

Telling people who actively want to find love that they should stop wanting to find love so they can find love is like telling a depressed person they can be happy only once they don’t want to be happy. What the shit is that? It makes zero sense. 

  • Was ich in der Vergangenheit viel gemacht habe (und vermutlich immer noch mache): So sein, wie ich glaube, dass ich gut zu einer bestimmten Gruppe dazu passe. Mich anpassen. Die richtige Sprache lernen. Tatsächlich führt das aber nicht dazu, dass uns Menschen so mögen, wie wir tatsächlich sind.

But stop telling people that they need to actively change who they are in order to find love. Because even if you do find love that way, changing yourself to find it means your partner may not have fallen for the real you anyway. 


Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat aus einem anderen Buch einschieben, dass ich gerade auf die Liste gesetzt habe, weil es einfach so schön dazu passt:

“Allowing myself to be exactly who I’ve always been, not feigning interest in video games or zombie shows,” Hough writes, “means I end up with the sort of friends I once fantasized of having: people who read books, people who’ve been other places, people who tell the truth, people on the edges who’ve never fit in and were way ahead of me in accepting that, but I never noticed them because I was trying so desperately to be normal.” (Lauren Hough, Leaving Isn’t the Hardest Thing: Essays)


Während des Leseprozesses stellt sich irgendwann die Frage: wird sich die Autorin selbst retten können? Wird sie am Ende aussteigen können aus diesem Teufelskreis, der in ihrer Kindheit begonnen hat? Die Antwort bleibt offen, denn ihr Leben ist noch nicht vorbei. Sie beschreibt jedoch viele Strategien, die ihr selbst weitergeholfen haben. Besonders berührend dabei die Geschichte, wie sehr ihr Hund ihr Leben verändert. (Das müsst ihr selbst lesen, ich kann es nicht zusammenfassen, das würde der Bedeutung nicht gerecht.)

Subconsciously, I thought if I couldn’t find the person I’d been waiting my whole life for, I’d be that person for other people. […] Being alone is not a life sentence. I know it feels like it at the time, but I promise you, you will not be alone for the rest of your life […] Being alone is sometimes incredibly painful. Feel how painful it is, know that feeling will pass, and you’ll feel great again.

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Erfahrungsbericht Memoir

Torre DeRoche – Love with a Chance of Drowning

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


You’ll never feel a hundred percent ready. You just have to go.

Wenn mich jetzt mal wieder die Reiselust packt, dann greife ich meistens zu einem der vielen Reisebücher, die ich auf meiner Liste gesammelt habe. In diesem Buch beschreibt die Autorin, wie sie ihren Partner Ivan kennenlernt, der gerade eine ausgedehnte Segeltour im Südpazifik vorbereitet. Obwohl sie mit dem Segeln bisher keine Berührung hatte und auch die Seekrankheit sie sehr plagt, entschließt sie sich schließlich zum Sprung ins kalte Wasser: Sie wird Ivan auf seinem Trip begleiten.

I did it! It seems so hard to believe. All of the pain, discomfort, and torture it took to get here is beginning to face. I faced my greatest fears and I’m still alive. The buzz of this accomplishment brings on a deeply satisfied joy that I’ve never felt before. Even if I never go to sea again, I can keep this sense of empowerment for life.

In vieler Hinsicht geht es immer wieder um die Frage, welche Risiken wollen wir im Leben eingehen. Wie gut können oder müssen wir uns vorbereiten? Und wann ist es Zeit, endlich los zu segeln und darauf zu vertrauen, dass sich für alle auftretenden Probleme immer eine Lösung finden wird?

“You’re here for a good time, not for a long time.” I’ve tried to remind myself of this more than once out on the ocean.

Das obige Zitat kann in meinen Augen sowohl ein Argument für eine solche Reise sein als auch dagegen. Wenn ich auf See die ganze Zeit seekrank bin, ist das wohl kaum eine gute Zeit … Da stellt sich dann wieder die Frage, ob die guten Momente – diese Highlights des Ankommens an einem traumhaften Strand – die Strapazen aufwiegen, die notwendig waren, um dorthin zu kommen. Monatelange Abwesenheit von Freund*innen und Familie geht einher mit der ersehnten Abgeschiedenheit von den Katastrophen der Gesellschaft. Abwesenheit von der Zivilisation bedeutet auch Einschränkungen in der Ernährung (mangels Kühlmöglichkeit auf dem Boot können die beiden frisches Obst und Gemüse immer nur vor Anker konsumieren, wenn es überhaupt zu bekommen ist).

Ich frage mich immer wieder, welche Arten von Reisen ich wohl noch machen werde, wenn das die Situation wieder erlaubt. Ein Segeltrip durch den Südpazifik wird eher nicht dabei sein.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Susannah Cahalan – Brain on Fire: My Month of Madness

CN dieses Buch: psychische Erkrankung, lebensbedrohliche Erkrankung
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[… ] my immune system had gone haywire and had begun attacking my brain.

Die Autorin beschreibt in diesem Buch ausführlich ihren Krankheitsverlauf. Ihre Symptome ergeben kein deutliches Krankheitsbild, es braucht mehrere Wochen und viele verschiedene Ärztinnen und Ärzte, bis ihre Krankheit endlich einen Namen (und damit auch eine Therapiemöglichkeit) hat. Als Auslöser für ihre Symptome (Halluzinationen, Anfälle, psychotische Episoden, …) stellt sich schließlich eine seltene Form der Enzephalitis (Gehirnentzündung) heraus.

Will I be as slow, dour, unfunny, and stupid as I now felt for the rest of my life? Will I ever again regain that spark that defines who I am?

Der Diagnoseprozess, den ich hier so verkürzt in einem Absatz wiedergebe, nahm im realen Leben mehrere Wochen Zeit in Anspruch. Der Rehabilitationsprozess danach erforderte einige Monate, in denen sich die Autorin ständig fragte, ob sie jemals zu „ihrem alten Selbst“ zurückfinden würde. (Ich sehe eine interessante Parallele zu der aktuell gängigen Begrifflichkeit „zurück in die Normalität“ zu wollen.) Was dabei auch sehr deutlich wird: der Diagnoseprozess ist erst der Anfang. Selbst nach gefundener und bestätigter Diagnose dauert es noch, bis eine geeignete Therapie gefunden werden kann und dann auch tatsächlich anschlägt. Ein Rehabilitationsprozess ist ein tägliches Greifen nach dem kleinsten Strohhalm, ein ständiges Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten und dem Glauben an die eigene Zukunft.

Now, I think that this shame emerged out of the precarious balancing act between fear of loss and acceptance of loss. Yes, I could once again read and write and make to-do lists, but I had lost confidence and a sense of self. Who am I?

Am Ende kommt die Autorin zum Schluss, dass sie natürlich nicht zu ihrem alten Selbst zurückfinden kann. Weil die Erfahrung dieser beängstigenden und seltenen Krankheit sie verändert hat. Ihre wesentlichen Persönlichkeitsanteile sind jedoch erhalten geblieben. Und die kann sie nun nutzen, um zusammen mit der Erfahrung ihrer Krankheit Bewusstsein zu schaffen, ihre Geschichte öffentlich zu machen und zu teilen, um somit anderen Betroffenen Orientierungsmöglichkeiten zu bieten.

The girl in the video is a reminder about how fragile our hold on sanity and health is and how much we are at the utter whim of our Brutus bodies, which will inevitably, one day, turn on us for good. I am a prisoner, as we all are. And with that realization comes an aching sense of vulnerability.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Anna Wiener – Uncanny Valley

CN dieses Buch: Sexismus
CN dieser Post: Erwähnung von Menstruation und Belästigung (keine grafischen Beschreibungen)


Die Autorin analysiert in diesem Buch ihre Erfahrungen als Frau in der Tech-Branche (in New York und später im Silicon Valley) und setzt sie in Bezug zur Entwicklung der Arbeitskultur in den letzten Jahrzehnten. Viele der angesprochenen Themenbereiche waren mir zumindest vage bekannt, ihr analytischer und auch selbstkritischer Blick wirft jedoch ein neues Licht auf eine Unternehmens- oder sogar Branchenkultur, die einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft prägt. Beispiele dafür, welche Auswirkungen es hat, wenn Technologie hauptsächlich von jungen, weißen, männlichen Personen entwickelt wird, gibt es inzwischen zuhauf (zB bei einer frühen Version der Apple Health App wurde schlicht darauf vergessen, Menstruationstracking einzubauen). Aber selbst dort, wo (zumindest an der Oberfläche) bewusst nach Diversität gestrebt wird, haben Personen unterschiedlichen Geschlechts nach wie vor mit verschiedenen Umständen zu kämpfen. Die Argumente gegen eine Veränderung dieser Arbeitskultur haben wir wohl alle schon in der einen oder anderen Form mal gehört: „Diversitätsinitiativen wirken diskriminierend gegenüber Männern, Männer sind eben einfach talentierter im Technikbereich, wir würden ja gerne mehr Frauen anstellen, aber es bewerben sich ja keine.“

Sexism, misogyny, and objectification did not define the workplace – but they were everywhere. Like wallwaper, like air.

Nahezu gespenstisch distanziert (passend zum Buchtitel) beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen als Mitarbeiterin verschiedener Technologieunternehmen. Es wirkt stellenweise fast so, als müsste sie sich selbst von außen betrachten, um überhaupt erklären zu können, warum sie sich so lange in dieser Lebens- und Arbeitskultur aufgehalten hat. Sie nennt bekannte Unternehmen in Form von kaum verhüllenden Decknamen: „the social network everyone hated, the search engine giant, the home-sharing platform“. Als Mitarbeiterin im Costumer Support eines Unternehmens im Bereich Business Analytics fühlt sie sich selbst manchmal als ein Stück Software:

Some days, helping men solve problems they had created for themselves, I felt like a piece of software myself, a bot: instead of being an artificial intelligence, I was an intelligent artifice, an empathetic text snippet or a warm voice, giving instructions, listening comfortingly. 

Mit entsprechenden Einblicken in die tatsächlichen Verhältnisse im Business Analytics Unternehmen verändert sich schließlich auch ihre Einstellung im Umgang mit den eigenen Daten.

But I found myself newly cautious, leery of giving away too much intimate data. God Mode had made me paranoid. It wasn’t the art of data collection itself, to which I was already resigned. What gave me pause was the people who might see it on the other end – people like me. I never knew with whom I was sharing my information.

Dabei ist anzumerken, dass auch die von Edward Snowden 2013 angestoßene „Globale Überwachungs- und Spionageaffäre“ angesprochen wird. Darauf folgte weltweit eine Auseinandersetzung mit den Folgen der anlasslosen Datensammlung und der Frage, wer eigentlich Zugriff auf welche Daten haben sollen darf.

It was revealed that lower-level employees at the NSA, including contractors, had access to the same databases and queries as their high-level superiors. Agents spied on their family members and love interests, nemeses and friends.

Inmitten dieser eher negativ beschriebenen Arbeitskultur finden sich dann kleine Lichtblicke des globalen Arbeitens mittels Videokonferenzen, die wir aufgrund der aktuellen Situation nun vermutlich auch alle kennen: „the surprise of seeing an animal emerging from under a desk“. Mit Referenzen auf populäre Debatten der Internetkultur (GamerGame), Verschwörungsmythologien (PizzaGate) und Fernsehserien (Game of Thrones-Referenz: „Is winter coming for the tech industry?“) kommt dann doch etwas Auflockerung in die insgesamt eher triste Analyse der Technologiewelt. Insgesamt ein spannender Einblick in eine Arbeitswelt, die über die Gestaltung von Technologie einen großen Einfluss auf uns alle ausübt.