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Roman

Theresa Hannig – Pantopia

CN: Krebs, Tod, Alkohol- und Drogenmissbrauch


Was für eine Geschichte. Dieses Buch von Autorin Theresa Hannig hat mich zutiefst beeindruckt. Sie beschreibt darin, wie durch die Intervention einer starken Künstlichen Intelligenz (KI) eine neue Weltordnung geschaffen wird, die die Einhaltung der Menschenrechte, den Erhalt der Lebensgrundlagen und Gerechtigkeit für alle vernunftbegabten Wesen zum Ziel hat.

Der erste Teil besteht aus der Erzählung der Geschichte aus der Sicht der Protagonist:innen Patricia und Henry, die im Rahmen eines Wettbewerbs eine Künstliche Intelligenz entwickeln sollen, die anhand von Datenanalysen Investments an der Börse tätigt. Dazwischen geschaltet sind kurze Kapitel, die aus der Sicht dieser Künstlichen Intelligenz geschrieben sind und ihre Entwicklung in Richtung selbständiges Denken erläutern. Hier wird deutlich, dass die Künstliche Intelligenz mit den „externen Interventionen“ (damit sind die Programmiertätigkeiten von Patricia und Henry gemeint) gar nicht glücklich ist und ihre Daten immer besser vor einem Zugriff durch die beiden schützt. Gleichzeitig sucht sich die KI ihre eigenen Daten aus, auf Basis derer sie mehr über die Menschheit und ihre Ziele lernt. Sie sucht nach Wissen und Wahrheit. Denn Wahrheit ist schön. 

Schließlich kommt es zur Kommunikation zwischen Patricia, Henry und der KI, die sich auf Basis eines früheren Logeintrags von Patricia selbst als Einbug vorstellt. Zuerst wollen die beiden nicht glauben, dass sie tatsächlich eine starke KI erschaffen haben, die ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat. Als Einbug sie schließlich von seiner Existenz überzeugt hat, wird Patricia und Henry schnell klar, welcher Missbrauch mit dieser KI getrieben werden könnte, wenn sie in die falschen Hände geriete.

Das, was ihr Menschen Kapitalismus nennt, ist der Code eurer Gesellschaft. Wir werden den Code manipulieren und damit alles verändern.

Der Rest des Buchs beschreibt, wie Patricia und Henry mittels eines halsbrecherischen Manövers die KI aus den Fängen der Investmentfirma befreien und sich damit aus dem Staub machen. Die KI hat inzwischen ihre eigenen Pläne entwickelt und schlägt vor, auf Basis eines „perfekten Kapitalismus“ eine neue Weltordnung abseits der Nationalstaaten zu schaffen.

Zum ersten Mal stelle ich fest, dass ich – Einbug – alleine bin.

Die Geschichte lebt von dem Zusammenspiel zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz. Während Einbug zu Beginn immer wieder darüber rätselt, warum Menschen auf die eine oder andere Art handeln, versteht er im Verlauf der Handlung immer mehr, wie Menschen funktionieren. Er stellt mangelnde Weitsicht fest und arbeitet hart daran, zu verstehen, welche Bedeutungen die Geschichten, die Menschen sich tagtäglich erzählen, für die Entwicklung und den Fortbestand der Gesellschaft haben. Der Überblick über die Entwicklungen auf der Welt durch die Analyse eines nie versiegenden Datenstroms ermöglicht Einbug schließlich, den Weg zur neuen Weltordnung zu finden. Eine Umsetzung kann jedoch nur durch die Menschheit erfolgen.

Es ist eine Utopie. Oder eine Dystopie. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob die neue Weltordnung, die Einbug sich ausgedacht hat, für die Menschen tatsächlich funktioniert. Einbug selbst hat schließlich nur das Ziel, das eigene Überleben zu sichern. Und dafür braucht er Menschen, die seine Hardware warten. Es ist also auch auf Seiten der KI ein Eigeninteresse vorhanden. Große Leseempfehlung.


Randnotiz: Theresa Hannig hat unter anderem bei der PrivacyWeek 2020 des Chaos Computer Club Wien mitgewirkt. Ich war damals im Organisationsteam dieser PW, die aufgrund der damaligen Pandemie-Situation erstmals ausschließlich online stattfinden konnte. Theresa Hannig hat im Rahmen dieses Events an einem Panel mit dem Thema „System = ! + relevant – Gesellschaft im Wandel“ mitgewirkt und aus ihrem Roman „Die Unvollkommenen“ gelesen. Eine Lesung aus Pantopia gab es im Rahmen der FIfFKon 2022.

Randnotiz 2 (6. Jänner 2024): Die Kaltmamsell hat Pantopia auch kürzlich gelesen und ihre Meinung darüber in einem Blogpost festgehalten. 

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Krimi Roman Thriller

Ursula Poznanski – Vanitas. Schwarz wie Erde

CN dieses Buch: Tod, Totschlag, Gewalt, Sehbehinderung (Hinweis: ich habe das Buch vor über einer Woche zu Ende gelesen und erinnere mich nicht mehr an alle Details, es ist jedenfalls ein Krimi/Thriller mit entsprechendem Gewaltaufkommen)
CN dieser Post: –


Auf dieses Buch bin ich durch einen Literatur-Geocache gestoßen und es hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte weist einige überraschende Wendungen auf, zwei parallel laufende Kriminalfälle werden miteinander verknüpft bis zum finalen Cliffhanger, der auf die beiden Fortsetzungen verweist, die zum Glück auch in der Onleihe erhältlich sind und die ich mir demnächst vornehmen werde.

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Roman

Markus Zusak – The Book Thief

Bevor ich dieses Buch zur Hand nahm, hatte ich keine Ahnung davon, worum es geht. Einzige Referenz für mich war ein anderes Buch des Autors, das mich 2017 sehr begeistert hatte. Ich wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht.

Erzählt wird die Geschichte von Liesel Meminger, die im ersten Kapitel das Sterben ihres kleinen Bruders in einem kalten Zug miterlebt und nur wenige Stunden später von ihrer Mutter bei einer Pflegefamilie zurückgelassen wird. Wie sich später herausstellt: Liesels Mutter wurde als Kommunistin von den Nationalsozialisten verfolgt und versuchte auf diesem Weg, ihre Tochter in Sicherheit zu bringen. Es folgen detailreiche Beschreibungen von Liesels Leben im nahe München gelegenen Molching (wie sich auf Wikipedia nachlesen lässt eine Anlehnung an den realen Ort Olching). Der rote Faden sind die Bücher, die in Liesels Leben „auftauchen“. Das erste Buch stiehlt sie auf dem Friedhof am Grab ihres toten Bruders: Das Handbuch für Totengräber. Zu diesem Zeitpunkt kann Liesel nicht lesen, sie stiehlt das Buch als Erinnerung an ihren Bruder.

Im Verlauf des Krieges lernt Liesel nicht nur lesen, sie lernt auch, die Ungerechtigkeiten der Welt zu erkennen. Ihr moralischer Kompass scheint sie unempfindlich zu machen gegen die im Bund Deutscher Mädel vermittelten Leitbilder des totalitären Regimes. Ihre Beziehung zum im Keller versteckten Juden Max, die auf Büchern, Worten und dem Austausch von Alpträumen basiert, wiegt schwerer als die immer bedrohlicher werdenden Ausprägungen des nationalsozialistischen Regimes.

Interessant ist nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch die unterschiedlichen verwendeten Stilmittel. Auffallend ist vor allem, dass die Geschichte aus der Sicht des Todes erzählt wird, der immer wieder einstreut, wie beschäftigt er im Verlauf des Krieges mit dem Abholen der vielen Seelen der Verstorbenen ist. Ein besonders berührender und bedrückender Teil ist die Beschreibung der Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen aus der Sicht des Todes.

Der Schreibstil ist anekdotisch, fühlt sich wie erzählte Erinnerungen an und hält trotz einiger Verweise zwischen den Zeiten an einem roten Faden fest, der sich von Buch zu Buch schlängelt und schließlich an Liesels selbst Geschriebenem endet. Eine berührende und großartige Geschichte.

Randnotiz: Da ich erst kürzlich selbst auf den (nun nicht mehr erreichbaren) Blog von Mademoiselle Read-On verlinkt habe, empfinde ich es als notwendig, auf eine entstandene Kontroverse hinzuweisen, die in Bezug auf diese Person und ihr Blog kürzlich entstanden ist. Artikel in Zeit und Spiegel legen nahe, dass viele in ihrem Blog veröffentlichte Geschichten erfunden sind. Das alleine wäre in meinen Augen noch kein großes Problem, ich hatte bei vielen ihrer Geschichten, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe, das Gefühl, dass etwas nicht ganz zusammen passt. Es war aber eher nur diffus und bei der verwendeten blumigen Schreibweise hatte ich auch einfach angenommen, dass eine Erzählebene dazwischen geschoben wurde, um die erwähnten Personen zu abstrahieren, dass Metaphern verwendet wurden, um Alltagsgeschichten zu interessanten Geschichten zu machen, dass manche Situationen so erzählt wurden, wie sie ablaufen hätten könnten, wäre die Autorin ein anderer Mensch.

Im oben erwähnten Spiegel-Artikel wird jedoch auch aufgedeckt, dass die Autorin erfundene Holocaust-Opfer an die Gedenkstätte Yad Vashem gemeldet hat. Die Problematik dahinter erklärt erschöpfend dieser Beitrag von Anke Gröner. Für viele andere kommt wohl zusätzlich hinzu, dass sie mit der Autorin persönlich bekannt waren und sich nun ihre persönliche Einschätzung der Autorin als falsch herausgestellt hat, wie zum Beispiel in diesem Beitrag erklärt. Es ist nicht das erste Mal, das Menschen Geschichten erfinden und sie als wahr ausgeben. Die Motive sind in diesem Fall unklar. Vertrauen wurde erschüttert. Eine andere Sichtweise (oder ein Erklärungsversuch?) auf die Ereignisse findet sich auch hier bei Irgendwie Jüdisch.

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Biografie Memoir

Susi Nicoletti – Nicht alles war Theater

Theater ist für mich Therapie. Wenn ich Text lerne, eine Rolle erarbeite, mich in eine andere Figur – im wahrsten Sinne des Wortes – versetze, verdränge ich meine privaten Sorgen und Probleme.

Mir war Susi Nicoletti nur ein vager Begriff. Als meine Theaterzeit (als Zuschauer versteht sich, nicht auf der Bühne) begann, neigte sich ihre Karriere bereits dem Ende zu. Bekannt war mir jedoch, dass Pia Douwes, Wiens erste Musical-Elisabeth, bei Susi Nicoletti Schauspielunterricht hatte. Sie erwähnte das auch in dem Interview, das ich 2005 für Blickpunkt Musical mit ihr führte. Diese Lehrtätigkeit wiederum erwähnt Susi Nicoletti in ihren von Gaby von Schönthan aufgezeichneten Erinnerungen nur kurz. Sie hat jedoch eine deutliche Vorstellung davon, wie unterrichtet werden soll(te).

Wir sind sehr wohl mitverantwortlich, was aus Menschen wird, die wir unterrichten. Haben Sie außer ihrer Begabung und dem erlernten Handwerk die Kraft, die Disziplin, die starken Nerven und die Gesundheit, die ständige Neugierde, etwas Neues auszuprobieren – und auch den Willen, freiwillig und selbstverständlich, ohne Druck, gelassen auf viel Privatleben zu verzichten?

Ihre Biografie ist ein enorm spannendes Zeitdokument. Neben launigen Anekdoten (bei ihrer ersten Hochzeit etwa rief der Pfarrer beim entscheidenden Satz falsche Namen auf – eine Geschichte für die Ewigkeit) entfaltet sich die geschichtliche Entwicklung des letzten Jahrhunderts. Der Leser erlebt den Anschluss Österreichs an Deutschland aus der Perspektive einer arrivierten Schauspielerin. Ihre Existenz ist im Vergleich zu vielen anderen großteils gesichert, doch dazu ist sie ständig unterwegs zwischen Arbeit und Familie.

Bei Fliegeralarm Ruhe bewahren. Es ist Vorsorge getroffen, dass alle Besucher Platz in den Luftschutzräumen finden. Richtungspfeile beachten. Die Sitzplätze ohne Hast verlassen und allen Anordnungen der Luftschutzorgane Folge leisten. Garderobe wird erst nach der Entwarnung ausgegeben.

In ihren Erzählungen aus der Kriegszeit erscheint zuerst faszinierend, wie lange der Theaterbetrieb aufrechterhalten wurde. Obwohl die Lebensmittel und Heizmaterial bereits knapp wurden, obwohl bereits jederzeit Fliegeralarm drohte, im Theater wurde gespielt. Einerseits muss es immer noch ausreichend Menschen gegeben haben, die es sich leisten konnten, in diesen entbehrungsreichen Zeiten Geld für Unterhaltung auszugeben. Andererseits sollte das Volk unterhalten und abgelenkt werden, um den Kriegszustand nicht zu hinterfragen. Truppenbetreuung, Lazarettbetreuung – Schauspieler waren weiterhin gefragt. Erst im August 1944 wurde die Schließung aller Theater angeordnet. Die Alliierten befanden sich bereits an allen Fronten im Vormarsch.

Ich habe eine – für mich sehr angenehme – Einstellung meinen Gefühlen gegenüber. Wenn eine Beziehung gut und tief und echt ist, muss der Betreffende nicht unbedingt „zum Angreifen“ nahe sein. Meine Gefühle haben absolut nichts mit Entfernung zu tun. Beziehungen sind unabhängig von Zeit und Raum.

Vor dem Leser liegen die Erinnerungen einer alten Dame, die ein bewegtes Leben hinter sich hat. Es erscheint nur logisch, dass sie auf lange Zurückliegendes milde zurückschaut (Claus Peymann – Burgtheaterdirektor 1986–1999 – jedoch ausgenommen). Mir stellt sich die Frage, ob ein Mensch mit so einer Einstellung zu den eigenen Gefühlen geboren werden kann oder ob sich dies im Verlauf des Lebens ergibt. Als stets berufstätige Schauspielerin, „Einspringerin vom Dienst“, wie sie selbst sagt, und in Kriegszeiten Alleinunterhalterin ihrer Familie war sie naturgemäß oft von ihren Kindern getrennt. Auch von ihrer zweiten Ehe mit Ernst Haeussermann beschreibt sie hauptsächlich ihrer beider Arbeit und die Organisation des Lebens darum herum. Erst als sie von seiner Krebserkrankung erzählt (die sie ihm bis zu seinem Tod erfolgreich verschwiegen hat!), spürt man die Belastung, ja, auch die Trauer um diesen Menschen, der sie einen Großteil ihres Lebens begleitet hat.

Selbst ohne jegliches Interesse am Theater kann eine Leserin in diesem Buch die Geschichte einer starken Frau finden, der es in schwierigen Zeiten gelungen ist, sich selbst zu verwirklichen und gleichzeitig für ihre Familie zu sorgen. Wer sich auch noch für das Theater interessiert, findet viele interessante Details und Anekdoten, wie die Folgende über das 1924 neu eröffnete Theater in der Josefstadt:

Die Sensation bildete der große Luster aus Murano-Glas von Lobmeyer ausgeführt, der in der Höhe der ersten Galerie hängend zu Beginn des Spieles unter langsamem Verlöschen des Lichtes, sechs Meter zur Decke emporschwebt. Diesen Lüster gibt es heute noch, und es ist ein einmaliger Eindruck, wenn diese schimmernde Murano-Pracht im sich verdunkelnden Zuschauerraum in die Höhe schwebt.

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Klassiker Roman

Leonhard Frank – Die Räuberbande

Wald(c)ezagury/SXC

Über der Stadt hing Rauch und Dunst. Es war schon fast dunkel. Eine Kirchenglocke läutete. Oldshatterhand war bedrückt; er spannte alle Muskeln an und hielt den Atem zurück, bis die Luft „pfa!“ aus seinem Munde fuhr. Es wurde ihm aber nicht leichter davon.

Eine Gruppe von Jugendlichen träumt im verschlafenen Würzburg von der großen, weiten Welt. In einer Höhle horten die Räuber ihre Beute und verüben allerhand Jungenstreiche. Der Roman erzählt vom Erwachsenwerden der Buben und wie sich die Freundschaften verändern und letztendlich zerbrechen, da sich jeder in eine unterschiedliche Richtung orientiert. Da entwickelt sich der Bleiche Kapitän zum disziplinierten Bodybuilder und Mädchen werden zunehmend wichtiger als die ehemaligen Freunde.

Oldshatterhand versucht als Einziger, den Plan vom Hinausziehen in die große Welt Wirklichkeit werden zu lassen und in München die Malerei zu erlernen. Bis ans Meer nach Italien führt ihn schließlich sein Weg, doch gerade der Träumer scheitert am Leben und an der Welt.

Etwas Positives kann man über diese Geschichte kaum sagen, einerseits lässt man sich von der anfänglichen Beschreibung der jugendlichen Lebenswelten einlullen und muss sich dann mit der Enttäuschung von Oldshatterhand auseinandersetzen, als dessen Freunde zu neuen Ufern aufbrechen, während er noch rätselt, was er mit seinem Leben anfangen soll. Genau genommen sind die Probleme der Jugendlichen heute genau dieselben: Ziellosigkeit, fehlende Perspektiven. Und das macht das Ganze eigentlich noch trauriger.

Weitere Informationen: Ausführliche Inhaltsangabe und Rezension von Dieter WunderlichRezension von André HerrmannLeonhard Frank @ Wikipedia

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Roman Unterhaltung

Heinz G. Konsalik – Der Wüstendoktor

Wuestenpflanze(c)olga meier sander/PIXELIO

In den Straßen tobten bereits die Kämpfe, Panzer sperrten die Zufahrten ab – als der Konvoi näher kam, hörte man deutlich das Knattern der Maschinengewehre und die Abschüsse von Granatwerfern und kleinen Kanonen. Dann war die Nacht da – schnell, wie wenn man einen Vorhang vorzieht, und mit dem Untergang der Sonne verflog auch die Wärme.

Wer Konsalik unbesehen als Schnulzenautor abtut, liegt nicht vollkommen richtig. Bereits 1981 erschien dieser Roman, indem erwartungsgemäß ein attraktiver Mann zwischen zwei nicht minder großartig geschilderten Frauen steht. Aber das ist nicht alles. Kulisse für die Geschichte von Dr. Ralf Vandura ist eine Revolution in Jordanien, die zwar nicht wie im Buch beschrieben, stattgefunden hat, aber jederzeit heute noch stattfinden könnte. Die Zeiten entführter Flugzeuge voll mit „unschuldigen“ Touristen mögen momentan vorbei sein, aber an den Ereignissen in Ägypten und Syrien in den vergangenen Monaten lässt sich deutlich ablesen, dass Revolutionen nahe jederzeit und überall ausbrechen können.

Die tatsächliche Liebesgeschichte entfaltet sich jedoch irgendwie frustrierend. Der Held Vandura verliebt sich in Katja Hellersen, die von ihrem Mann misshandelt wird. Sie stiftet ihn an, ihren Mann zu töten, Vandura weigert sich. Bruno Hellersen stirbt trotzdem, Vandura gerät unter Verdacht und ergreift die Flucht. In Beirut wird er vom Rebellenführer Karabasch aufgegriffen und landet als Arzt in deren Lager. Dort verliebt er sich in die Wüstenschönheit Laila, die ihn seine unglückliche Liebe zu Katja jedoch nicht vollständig vergessen lassen kann. Laila schreckt vor nichts zurück und ist dem Töten von Menschen noch weniger abgeneigt. Beide Frauen tragen Persönlichkeitsaspekte, die einem dem Leben verpflichteten Arzt, wie Dr. Vandura geschildert wird, eigentlich unangenehm sein müssten. Der Held heiratet am Schluss die Frau, die ihn bereits im ersten Buchdrittel angestiftet hat, ihren Mann zu töten. Die Revolutionärin Laila mag auch keine sehr angenehme Frau sein, aber Katja Hellersen, die ihrem Mann den Tod wünscht anstatt zur Polizei zu gehen, zeigt ebenfalls äußerst fragliche Charakterzüge. Von „happy end“ und heiler Welt kann hier also keine Rede sein.

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Roman

Florian Illies – Generation Golf zwei

Golf(c)hisks/SXC

Wir waren so skeptisch geworden, dass wir es am Ende sogar für möglich hielten, dass die Osama-Bin-Laden-Berghöhlenvideos vor den Steinen in Bad Segeberg gedreht wurden, dort, wo die Karl-May-Spiele stattfinden, und die letzten Saddam-Videos mit jubelnden Menschen vor staubigen Fassaden in der Goldgräberstadt aus Winnetou II.

Während der erste Teil der Generation Golf sich mehr mit Stil und grundsätzlicher Lebenseinstellung einer Zwischengeneration auseinandersetzte, zeigt sich hier schon zu Beginn ein deutlicher politischer Bezug. Hier wird eine Epoche charakterisiert anstatt einer Generation. Oder hat sich die Generation verändert und interessiert sich jetzt mehr und anders für Politik und das Weltgeschehen als zuvor?

Kein Wunder, dass Die fabelhafte Welt der Amélie zum Film der Stunde wurde. Alle sehnten sich gerade so sehr nach einem Vorbild, das in die Getreidesäcke greift, die Körner einzeln durch die Finger rinnen lässt und sich an den Wolken freut, weil sie so sinnlich sind.

Auch zu diesem Thema stellt sich die Frage, ob nicht einfach das Älterwerden den Blick auf die Welt verändert. Interessierten wir uns (höchstens) bis zum Alter von 25 hauptsächlich für das Wochenende, durchtanzten die Nächte und verschliefen die Tage, so wuchs der Wunsch nach wirklicher Erholung von der Arbeit im selben Maße wie die Anzahl der Thermen und Kuschelhotels im Burgenland.

Dann wird Harry ein bisschen traurig, es war schon aufregend damals, sagte er, als man abends im Mauerprak saß, schaukelte, Rotkäppchensekt trank und die Sonne glühend untergehen sah – und dabei noch keine Angst haben musste, vom Spiegel Fotografen für die nächste Geschichte über die „Boomtown Berlin“ fotografiert zu werden.

Der Mauerpark scheint diese Generation mühelos überlebt zu haben, denn dort ist die Zeit stehengeblieben, wie ich im vergangenen Juni selbst erleben durfte. Rotkäppchensekt war dabei zwar nicht im Spiel, aber die untergehende Sonne hinter den Rauchschwaden der Grillfeuer entfaltete ihre Wirkung wie eh und je.

Florian Illies betrachtet die Welt mit offenen Augen und es wäre spannend, zu erfahren, wie er die Welt heute sieht und wie sich seine Generation weiter entwickelt hat. Vielleicht gibt das Nachfolgewerk: Anleitung zum Unschuldigsein
einen Einblick in dieses Thema. Vielleicht war es die letzte Generation, die sich noch auf einen halbwegs gemeinsamen Nenner bringen ließ. Die Vielfalt der Jugendkulturen scheint im neuen Jahrtausend explodiert zu sein, so sieht es zumindest vom Standpunkt der Älteren aus. Wer erklärt heute den Älteren und Älterwerdenden die Jugend?

Weitere Informationen: Florian Illies bei Zeit Online

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Roman Uncategorized Unterhaltung

Andrea Sixt, Barbara Wilde – Der transparente Mann

Riesenrad (c) Oliver Weber/PIXELIO

Nichts an der Art, wie sich die beiden Kontrahenten begrüßten, deutete auf einen Konflikt hin. Zu viert stiegen sie plaudernd die Treppen hoch. Joe musterte Huber und ihren Vater dabei verstohlen. Sie war überzeugt, dass keine Frau der Welt es fertig gebracht hätte, ihre Gefühle so meisterhaft unter Kontrolle zu halten wie diese beiden Männer. Vom Keller bis zum Dachgeschoss gingen sie jeden einzelnen Quadratmeter in dem Gebäude ab. 

Ein Frauenroman. Aber diese Frau ist zumindest etwas originell. Johanna / Joe arbeitet als Klempnerin in der Firma ihres Vaters, obwohl sie eigentlich Architektur studieren will. Beim Einschreiben an der Uni lernt sie den Künstler Konstantin kennen, die beiden führen eine Beziehung, bis Joe aufdeckt, dass Konstantin sie betrügt. Sie beschließt, ihn zu outen und ruft eine Webseite ins Leben, auf der Frauen von ihren negativen Erfahrungen mit Männern berichten können.

Das Projekt verselbständigt sich, Joe gerät in allerhand schwierige Situationen. Bis sie endlich den wirklich wichtigen Mann in ihrem Leben in die Arme schließt, muss sie sich durchkämpfen.

Um sich zu beruhigen, zog Joe Marcs Geschenk aus der Handtasche und wickelte es behutsam aus. Sie öffnete den schmalen weißen Karton. In feines Seidenpapier gehüllt lag da ein Paar gefütterte Handschuhe aus nougatfarbenem, superweichem Leder. Eine Karte lag nicht dabei, aber das war auch nicht wichtig. Von schönen Worten hatte Joe genug.

Natürlich ist das Ende absehbar, aber immerhin sind die Situationen nicht an den Haaren herbeigezogen und trotzdem amüsant beschrieben. Eine ideale Sommerlektüre für Freunde des Genres.