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Roman

A. L. Kennedy – Das blaue Buch

Doch euer jeweiliges Selbst ist verschmolzen, verwischt, verbunden. Er hat ein vereintes Begehren aus dir gemacht, ein Stück Verzweiflung, nur durchs Dasein und Existieren – mühelos.

Da liest man den Klappentext. Man meint sich an ein anderes Werk der Autorin zu erinnern (mein Blog spuckt nichts aus und auch die Titel laut Wikipedia sagen mir nichts) und erwartet sich eine Lovestory, etwas Entspannendes für zwischendurch. Und wird enttäuscht. Aber auch nicht.

Das mag dir hässlich und unangenehm vorkommen, fremd – denn du besitzt Integrität, Unehrlichkeit passt einfach nicht zu dir, wie könnte sie auch? Aber kein Mensch nimmt es immer ganz genau, ist unablässig tapfer: Du kannst dich von diesem oder jenem Rand der Wahrheit abschrecken lassen – so wie jeder.

Anstatt einer entspannenden Kreuzfahrt-Liebesgeschichte bekomme ich also ein komplexes Psychogramm inkl. Rückblick in die Kindheit zwecks Ergründung der Entstehung der Persönlichkeitszüge der beteiligten Erwachsenen. Nicht erwartungsgemäß. Bis zum Schluss bleibt unklar, wem die Geschichte im blauen Buch erzählt wird. Es scheint stets ein Außenstehender zu sein. Der in der Geschichte noch nicht vorkam. Ein Irrtum.

Ich versuche nicht bloß, von ihnen wegzukommen, weg von der Hilfe, die sie womöglich anbieten, die mir nicht wirklich helfen kann und die ich nicht ertragen kann, weil mir nicht mehr zu helfen ist, ich mich aber nur ungern daran erinnern lasse. Ich laufe nicht bloß weg, ich suche. Ich suche ihn. Idiotin.

Die Situation erweist sich als spannend. Eine kluge Idee, die beiden Verschwörer durch Zahlen miteinander kommunizieren lassen. Es erlaubt so viele Zwischentöne, so viel Interpretation. Es erschafft eine eigene Welt, die nur diesem Paar gehört. Und doch sind sie kein Paar. Gehören aber vielleicht doch zusammen. Ohne es mit Sicherheit wissen zu können.

Also nicht mehr Gedanken als nötig. Was gut ist. Eins nach dem anderen, nur über das, was wir denken müssen. Nicht über alles. Alles wäre zuviel.

Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, dass je nach Lebenslage bestimmte Bücher „zu mir kommen“. Dass ich unwillkürlich zu einem Buch greife, das mir etwas sagt, das zur aktuellen Situation passt. Die kritische Stimme denkt natürlich anders: viel wahrscheinlicher ist es, dass man unbewusst diese Bücher auswählt oder dass man Inhalte anders interpretiert, so dass sie zur eigenen Lebenssituation passen. Im Prinzip könnte man auch das Horoskop lesen … das stellt sich jedoch selten so aufwühlend und am Ende überraschend heraus wie diese Geschichte.

Die lächerlichen, nackten, lächerlichen Dinge, die wir sagen.

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Roman

Mario Vargas Llosa – Das böse Mädchen

Ich verliebte mich wie ein Mondkalb in Lily, was die romantischste Form des Verliebtseins ist – man sagte auch: sich total verknallen–, und erklärte mich ihr dreimal in jenem unvergesslichen Sommer.

Mit diesen Worten beginnt eine lebenslange Liebe für Ricardo. Das einzige Ziel des jungen Peruaners ist es, nach Frankreich auszuwandern und in Paris zu leben. Das geliebte Mädchen hingegen verlangt nach mehr: nach Geld, Glamour, Lebensart, Stil, Erfolg. Sie wird Ricardo später mangelnden Ehrgeiz vorwerfen. Und obwohl sie (vielleicht?) nach den falschen Sternen greift, hat sie recht, wenn sie ihm später sagen wird, dass sie nie mit dem zufrieden sein wird, was sie hat und immer mehr wollen wird.

Ich winkte ihr zu, und sie hob die Hand, in der sie den geblümten Sonnenschirm trug. Ich brauchte sie nur zu sehen, um zu begreifen, dass ich sie in all diesen Jahren nicht einen einzigen Augenblick vergessen hatte und dass ich genauso verliebt in sie war wie am ersten Tag.

Als Rahmen gibt der Autor seiner Geschichte die Geschichte Europas, immer wieder mit Blicken nach Peru, dem Heimatland des Erzählers Ricardo. Die Jahre vergehen, Europa verändert sich, während Ricardo stets derselbe zu bleiben scheint. Es ist schwer zu beschreiben. Während man bei Freunden und Bekannten Veränderungen in ihren Einstellungen oft deutlich wahrnimmt, erkennt man sie im eigenen Leben nicht immer sofort, weil sie schleichend Einzug halten. Ähnlich ist es mit den veränderten Stimmungen von Ricardo, der sich und seiner Liebe zum bösen Mädchen treu bleibt, auch wenn er in Hippiekreise gerät …

Es war etwas Sympathisches an ihrem Pazifismus, ihrer Naturliebe, ihrem Vegetarismus, ihrer emsigen Suche nach einem spirituellen Leben, das ihrer Ablehnung der materialistischen Welt mit ihren gesellschaftlichen und sexuellen Vorurteilen Transzendenz verleihen sollte. Doch all das war anarchisch, spontan, ohne Zentrum oder Führung, selbst ohne Ideen, denn die Hippies – zumindest diejenigen, die ich näher kannte – behaupteten zwar, sie würden sich mit der Dichtung der Beatniks identifizieren – Allen Ginsberg trug auf dem Trafalgar Square vor Tausenden junger Leute seine Gedichte vor und sang und tanzte Hindu-Tänze –, aber in Wahrheit lasen sie sehr wenig oder überhaupt nicht. Ihre Lebensanschauung beruhte nicht auf Denken und Vernunft, sondern auf den Gefühlen: auf dem feeling.

Jedes Mal, wenn Ricardo erneut vom bösen Mädchen verlassen wird, jedes Mal, wenn sie sich erneut auf die Suche nach etwas anderem, etwas scheinbar Besserem begibt, schilt er sich selbst, dass er sich wieder auf sie eingelassen hat und noch, wenn er sie wiederfindet, weiß er, dass es eine Dummheit ist, sich nochmal auf sie einzulassen. Doch er ist verliebt wie ein Mondkalb. Seine Gefühle wechseln intensiv zwischen Höhen und Tiefen.

Ich lag Stunden so da, mit leerem Kopf, schlaflos, fühlte mich wie der letzte Dreck, voll stupider Einfalt, naiver Dummheit. … Selbst das Kino, die Konzerte, das Lesen, die Schallplatten waren eher Formen, die Zeit auszufüllen, als Dinge, die mich wie früher begeisterten. Auch deshalb grollte ich Kuriko. … Durch ihre Schuld waren die Freuden, die aus dem Leben etwas mehr als eine Summe routinemäßiger Verrichtungen machen, in mir erloschen. Bisweilen fühlte ich mich wie ein alter Mann.

Natürlich nimmt er sich nach einem besonders schlimmen Verrat vor, nie mehr mit ihr zu sprechen, sie endgültig aus seinem Leben zu verbannen. Natürlich scheitert er daran.

Ich besänftigte meine Schuldgefühle, indem ich mir sagte, dass dies in keinem Fall ein Rückfall wäre. Ich würde wie ein entfernter Freund mit ihr sprechen; meine Kälte wäre der beste Beweis dafür, dass ich mich wirklich von ihr befreit hatte. … Es gab keinen Grund, überrascht zu sein: es war genau das passiert, von dem du immer wusstest, dass es passieren würde.

Ich würde wirklich gerne die Geschichte aus der Sicht des Mädchens lesen. Sie selbst hat in ihrem Leben einiges mitgemacht, einiges ertragen. Nur durch den Einsatz ihres Körpers kann sie sich durchs Leben schlagen. Schließlich landet sie selbst in einer Beziehung mit einem Mann, dem sie unterlegen ist, dem sie sich sogar soweit unterwirft, dass sie damit ihre Beziehung zu Ricardo aufs Spiel setzt. Der sie schließlich psychisch krank und verletzt zurück lässt.

Jetzt, da diese Geschichte endlich abgeschlossen war.

Ricardo hat nie die Gelegenheit herauszufinden, ob ihre Liebe im Alltag Bestand haben kann, denn das böse Mädchen verlässt ihn immer wieder lange bevor er ihrer überdrüssig werden kann.

Wann weiß man, dass eine Liebe abgeschlossen ist? Kann man sich jemals sicher sein? Wenn man jemanden wirklich geliebt hat, kann die größte Verletzung ein Leben lang halten? Ist eine derart intensive Abhängigkeit die wahre Liebe? Oder ist es wahre Liebe, wenn man auch den gemeinsamen Alltag über längere Zeit aushält? Fragen ohne Antwort.

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Roman

Haruki Murakami – 1Q84

Wir begreifen die Zeit als eine sich endlos fortsetzende Linie und agieren auf der Grundlage dieser fundamentalen Erkenntnis. Und da bisher keine besonderen Mängel oder Widersprüche daran zu entdecken waren, gilt sie wohl als empirisch erwiesen.

Hach, was für ein schöner Roman, ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll, ohne etwas zu verraten … aus den Weihnachtsgeschenken 2011 von Amazon war das hier auf jeden Fall das Highlight, Buch 3 hab ich mir dann sofort gekauft, als ich mit Buch 1+2 durch war und ich bin froh, dass ich so lange gewartet hab und dann alles in einem lesen konnte …

Der Grund dafür ist klar: um Tango weiterzusehen. Aus diesem Grund bin ich auf dieser Welt. Oder von der anderen Seite betrachtet: Aus diesem Grund ist diese Welt in mir. Wahrscheinlich handelt es sich um ein sich endlos spiegelndes Paradox. Ich bin ein Teil dieser Welt, und diese Welt ist ein Teil von mir.

Murakami war mir ja in manchen Fällen zu abgehoben, in meiner Erinnerung konnte ich mit Kafka am Strand nicht recht was anfangen, der Blick zurück auf meinen damaligen Blog-Beitrag belehrt mich nun eines Besseren. Auch in 1Q84 geht es um eine Parallelwelt, hier ist sie sogar titelgebend. Erst spät erschließt sich Stück für Stück, dass die zwei Monde nur in der neuen Welt existieren, dass nicht jeder sie sehen kann und manche Dinge werden gar nicht aufgelöst. Doch in diesem Fall hat mich das nicht gestört, da die Gesamtkomposition einfach so gut ist. Ein Volltreffer. In jeder Hinsicht.

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Roman

Schulamit Meixner – ohnegrund

Ich müsste mir echt mal Notizen machen, warum ich ein bestimmtes Buch auf die Leseliste setze. Bei diesem weiß ich noch, dass ich kürzlich eine Rezension darüber gelesen habe, aber mehr schon nicht mehr. Weder in welchem Medium, noch was den Ausschlag gab. In der Onlinebücherei stolperte ich dann (zufällig?) darüber?

Der Roman beschreibt eine Familiengeschichte. Amy geht auf Betreiben ihrer lieblosen Eltern nach Tel Aviv, wo ihr Vater ihr einen Platz an der Kunstuni verschafft hat. Da ihr Cousin sie nicht vom Flughafen abholen kann, landet sie zufällig in den Armen von Nimrod, der sie bei sich aufnimmt und schließlich ihr Ehemann wird. Die Ehe bleibt nicht unbelastet, Nimrod verfolgt weiterhin seine eigenen Ziele, während Amy sich nur schwer im Leben zurechtfindet.

Um nicht die ganze Geschichte preiszugeben, sei nun abgekürzt gesagt, dass der Roman mit einem herrlich altklugen Kommentar von Amys und Nimrods Tochter Sharona endet. Jedem Kapitel ist ein Wetterbericht vorangestellt, der tiefere Sinn dahinter hat sich mir nicht erschlossen. Mitfühlend geschrieben, das Glanzlicht bleibt der Schluss. Ein wirklich guter Schluss und wie oft kann man das schon sagen?

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Klassiker Roman

Charles Dickens – David Copperfield

And now I fell into a state of neglect, which I cannot look back upon without compassion. I fell at once into a solitary condition,– apart from all friendly notice, apart from the society of all other boys of my own age, apart from all companionship but my own spiritless thoughts,– which seems to cast its gloom upon this paper as I write.

Charles Dickens also. Nachdem ich hiermit endlich durch bin, kann ich wohl sagen, er ist einfach nichts für mich. Weltliteratur – ja, vielleicht. So viele Vorleser können schließlich nicht irren. Und retrospektiv betrachtet, verstehe ich jetzt auch, warum John Irving in Gottes Werk und Teufels Beitrag seinen Dr. Larch den Waisenbuben daraus vorlesen lässt (der aktuelle Anlass für mich, diesen Wälzer endlich aus dem Regal zu nehmen). Aber für mich scheint der einfach nicht zu passen. Charles Dickens als Autor, meine ich. Das zeigte sich schon mit Große Erwartungen. Vor langer Zeit gelesen, Film gesehen, Theaterstück gesehen (im Renessaincetheater, erinnere mich nicht mehr genau, wann) und doch mit der Geschichte niemals warm geworden. Ähnlich ging es mir mit Oliver Twist.

But the agony of the mind, the remorse, and shame I felt, when I became conscious next day! My horror of having committed a thousand offenses I had forgotten, and which nothing could ever expiate – my recollection of that indelible look which Agnes had given me – the torturing impossibility of communicating with her, not knowing, beast that I was, how she came to be in London, or where she stayed – my disgust of the very sight of the room where the revel had been held – my racking head – the smell of smoke, the sight of glasses, the impossibility of going out, or even getting up! Oh, what a day it was!

Aber nun zu David Copperfield. Schon als Junge lernt er die Härten des Lebens kennen, sein Vater verstorben, seine Mutter erliegt einem Tyrannen, der sie psychisch schließlich bis in den Tod foltert und den jungen David dann schnellstmöglich los wird. So landet er auf sich selbst gestellt in London und arbeitet sich Stück für Stück hoch zum bekannten Autor. Dabei kann er immer wieder auf die Hilfe des bis zuletzt glücklosen Mr. Micawber zählen. Sein ehemaliger Schulkollege Steerforth führt David auf Abwege und entführt schließlich das Mädchen Emily, die David wie eine Schwester nahesteht. Der Schrecken seiner Jugend, Uriah Heep, verfolgt Copperfield lange Zeit, doch letztendlich findet er seine gerechte Strafe. Seine Jugendfreundin Agnes steht ihm stets zur Seite, auch, als er sich in Dora verliebt, ein pink aufgerüscheltes, dummes Blondchen, das sich nach der Heirat als äußerst unfähige Hausfrau erweist.

I had always felt my weakness, in comparison with her constancy and fortitude; and now I felt it more and more. Whatever I might have been to her, or she to me, if I had been more worthy of her long ago, I was not now, and she was not. The time was past. I had let it go by, and had deservedly lost her.

Was ich gerade so kurz zusammenfasse, zieht sich über viele 100 Seiten, oft steht die altmodische englische Sprache einem einfachen Verständnis des Geschehens im Weg (jaja, mein eigenes Problem, ich weiß), oft bringen auch die altmodischen Gesellschaftsdiktate der damaligen Zeit durcheinander. Ich will mich nicht aufschwingen, zu behaupten, Dickens wäre nicht mehr zeitgeistig, aber für mich war es das mit ihm. Die Plage, diese 716 Seiten im englischen Original zu lesen, war lang und oft wollte ich es bleiben lassen. So sollte Lesen eigentlich nicht sein, daher wende ich mich in nächster Zeit erfreulicherer Literatur zu. Mein Kindle-Archiv ist bis Auf 1Q84 leer und daher müssen dringend Bücher gekauft werden. Und der Büchereiausweis verlängert … für mehr Lesespaß 2013!

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Roman

T.C. Boyle – Die Frauen

Olgivanna erkannte die Mopsnase, das feste Kinn, den zusammengekniffenen, unersättlichen Mund und den überdimensionalen Turban, der ihr über die Augenbrauen gerutscht war – und dann die Augen selbst, schreckhaft geweitet, als würde sie schon ihr Leben lang wieder und wieder mit einer Nadel gestochen.

Da stocherte ich wieder mal in der Onlinebibliothek der Büchereien Wien um, diesmal mit den Suchkriterien „Bestleiher“ und „verfügbar“. Stieß auf diesen Roman und dachte mir, bei T.C. Boyle kann ja nichts falsch sein. Und lag richtig und auch falsch. Falsch war an dieser Stelle jedoch nur der Zusammenhang von 560 Seiten und nur zwei Wochen Leihfrist, was mich einigermaßen ins Schwitzen brachte …

„Geh doch!“ schrie sie und rannte zur Tür, in der erhobenen Hand den Teller mit dem Bries, den sautierten champignons de laforêt und der Sherrysauce, die sie persönlich zubereitet hatte. „Geh doch, du Scheißkerl!“ Und dann flog der Teller ihm hinterher und beschrieb über dem mondbeschienen Vorgarten eine tropfende Parabel, bis er auf dem Bürgersteig zerschellte und das, was darauf gewesen war, den Vögeln und Eichhörnchen und Kreaturen der Nacht zum Fraß diente.

Als Hauptfigur erwählt T.C. Boyle den amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright und dessen Frauenbeziehungen sind das Thema des Romans. Er erzählt allerdings nicht chronologisch, sondern beginnt mit Wrights dritter Frau Olgivanna. Aus ihrer Sicht können wir auch bereits einen Blick auf ihre Vorgängerin Miriam werfen. Eine Drama Queen vom Feinsten, die wir schließlich noch näher kennenlernen und so etwas besser verstehen können, was Frank an dieser morphiumsüchtigen Verrückten finden konnte.

Ihm stand der Sinn vor allem nach Harmonie, und er war entschlossen, sie diesmal herzustellen und nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, denn er hatte die lange, zermürbende Qual ihrer Abwesenheit ertragen müssen. Wenn er sie verwöhnen musste, wenn er hier und da ein Kissen oder hin und wieder ein französisches Essen ertragen musste – na, wennschon.

Doch der wahre Höhepunkt ist schließlich die Geschichte von Mama. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Ehe lässt Frank seine erste Frau Kitty sitzen (ihre Geschichte erschien dem Autor offenbar nicht interessant genug), um mit seiner Seelenverwandten Mama ein neues Leben zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser bereits, dass diese Liebe in einer Katastrophe enden wird, kennt jedoch nicht die Details.

Und sie versicherte ihnen, dass er zurückkehren werde, sobald es ihm gelungen sei, sich zu bezwingen und die Schlacht zu gewinnen, die er nun heldenhaft schlagen werde, für sie und seine Kinder. Und dass, wenn er erst zurückgekehrt war – und sie glaubte tatsächlich, ganz unabhängig von der Leidenschaft des Augenblicks, an seine Rückkehr –, alles sein werde wie zuvor.

Allen Frauen, die mit Frank Lloyd Wright in Verbindung stehen, ist der Terror der Presse sicher. Die prüden Amerikaner verurteilen ihn wegen seiner Vorstellungen der Liebe, die über der Ehe steht. Sowohl Mama, als auch Miriam und Olgivanna erwarten zuerst, mit ihrer wahren Geschichte Verständnis von Presse und Bevölkerung zu ernten und werden doch nur durch den Schmutz gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein harter Preis, den sie für die Beziehung zu Frank zahlen müssen.

Die Geschichte nicht chronologisch zu erzählen erweist sich nicht nur als zufälliger Glücksgriff, sondern geradezu als eine sich aufdrängende Idee. Was könnte sich für den Schluss besser eignen als das flammende Inferno, das einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des berühmten Architekten darstellt? Der Roman lehnt sich nur lose an die Lebensgeschichte des berühmten Architekten, zu ergründen, welche Teile nun Fakten darstellen, erscheint müßig. Wie so oft hat T.C. Boyle einen packenden Roman geschrieben, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und das Leben an sich in allen seinen Facetten feiert.

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Roman

Molly McCloskey – Wie wir leben

Aber natürlich war genau das ihr Problem. Sie wusste nicht, wie sie sich fühlte. Sie wusste lediglich, dass sie nicht länger beurteilen konnte, wie glücklich oder unglücklich sie war, wie glücklich sie sein sollte oder wie glücklich alle anderen waren.

Alltag in allen seinen Facetten. Dieser Roman beleuchtet das Leben einer irischen Familie, Mutter Gillian, Vater Damien und Tochter Heather. Die Ehe von Gillian und Damien kriselt, Gillian hatte eine Affäre, Damien weiß davon, hat jedoch nichts unternommen. Heather hingegen erkundet mit ihren jugendlichen Bekanntschaften die erste Liebe und Sexualität.

Neben diesen banalen Liebesangelegenheiten werden aber auch schwierigere Lebensabschnitte thematisiert. Gillian hat nicht nur als Kind ihre Eltern bei einem tragischen Unfall verloren, ihre Tante Grace, bei der sie danach aufwuchs, erkrankt an Alzheimer und vergisst sich Stück für Stück selbst. Als sie stirbt, erkennt Gillian ihre eigene Angst vor dem Vergessen und sucht Zuflucht bei einem umstrittenen Medikament, das das Gedächtnis stärken soll.

Damien arbeitet an einem kritisierten Tourismusprojekt. Es beinhaltet die Erhaltung eines „authentischen“ irischen Dorfes durch Bewohnen desselben von Laiendarstellern, die sich teils selbst spielen, teils den „authentischen“ irischen Dorfbewohner darstellen sollen. Daraus ergibt sich für Damien schließlich selbst eine Identitätskrise.

Die drei Protagonisten suchen sich inmitten ihres Alltags selbst und wissen nicht, was sie glücklich macht und wie sie mit ihrem Leben weiter verfahren sollen. Immer wieder stellt sich ein warmes Gefühl des Verständnisses ein, denn wer zweifelt nicht hin und wieder an seinen eigenen Entscheidungen und Lebensrealitäten? Einerseits langweilig, weil man alles aus seinem eigenen Leben zu kennen meint. Aber dann auch wieder tröstlich, weil ein Solidaritätsgefühl in harten Zeiten wärmt. Und schließlich die Erkenntnis: Jeder gestaltet sein Leben selbst.

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Roman

Angelika Hager – Venus im Koma

Die Dienstags-Intensivauseinandersetzung bei der Plätscher-Tante konnte sie jetzt einmal getrost aus dem Wochenplaner streichen. So hatte doch jede Katastrophe irgendeine Form von Bonustrack. Und jetzt?

Die Polly Adler-Kolumne in der Kurier-Freizeit-Beilage lese ich nun schon seit Jahren, konnte mir allerdings nicht vorstellen, wie sich ein Roman in derartiger Wuchteldichte schreiben und vor allem lesen lässt. Beim Stöbern in den verfügbaren Neuzugängen in der Onlinebibliothek der Büchereien Wien fiel es mir dann zum richtigen Zeitpunkt entgegen. Tatsächlich erwies es sich dann als überraschend kurzweiliges Lesevergnügen. Aber …

Innerhalb einer halben Woche hatte ihre Work-Life-Balance eine kopernikanische Wende genommen. Die Chinesen betrachteten den Zustand der Verliebtheit als eine Form der Geisteskrankheit. Und womit? Mit Recht! Sie stand vor einer Bombengeschichte, der sich bei Anatol wieder auf Schiene bringen würde, und wälzte die Probleme eines verwirrten Teenagers.

… wenn ihr zu ihrer Wuchtelschlacht doch nur ein etwas originellerer Plot eingefallen wäre … der abgelebte und widerspenstige Ehemann, der schwule Kollege und Freund, der abgehobene Chef, die nervige Aufsteigerkollegin, der attraktive Polizist. Die Charaktere wirken wie Scherenschnitte, die mit aller Gewalt dem Reißbrett entsprungen sind und langweilen teilweise schon beim ersten Auftritt. Stück für Stück hat man das Gefühl, schon zu wissen, in welche Peinlichkeitskatastrophe die resolute Polly Adler als nächstes stürmen wird.

Und doch entspringen der Geschichte dann doch einige überraschende Wendungen, die die Gesamtstory zwar nicht origineller, aber den Lesefluss immerhin spannender machen. Wenn man als Maßstab herkömmliche Frauenromane von der Carly-Philipps-Stange anlegt (ich habe noch immer die Schwestern-Trilogie im Kopf, die dermaßen vorhersehbar war, dass man nach jeweils 10 Seiten alles weiß), kann man sich mit Polly Adler und ihrem Fortpflanz (deren Rolle zu klein ist) dann doch um einiges besser amüsieren. Dank Lokalkolorit und Wuchtelschlacht ergibt sich ein witziges Leseerlebnis. Zur Entspannung sozusagen perfekt.

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Roman

Fabio Volo – Einfach losfahren

Eibe Macro made with Cam+ & Olloclip

Etwas Außergewöhnliches, das befreit werden musste. Ich, der im Käfig Gefangene, wollte hingehen und die Leute befreien. Vielleicht war es ein Automatismus. Da ich mich nicht selbst befreien konnte, versuchte ich die anderen zu befreien, nur dass mir das geeignete Handwerkszeug dazu fehlte.

In diesem Roman beschreibt Fabio Volo den Entwicklungsprozess eines jungen Mannes, der seinen Platz im Leben sucht. Scheinbar leichtfüßig hüpft er zuerst wie ein Grashüpfer durchs Leben. Erst durch den Tod seines Freundes Federico, der sein Leben auf den Kopf gestellt und auf Reisen das Glück gefunden hatte, wacht Michele auf und entdeckt die Leere in seinem Leben.

In dieser Zeit war ich Rassist, ich hasste alle, denen es schlechthin. Nur mein Leid war echt und real, glaubte ich, während Leute mit Liebeskummer zum Beispiel nicht das Recht hatten, auch nur den dicken Zeh ins große schwarze Meer des Schmerzes zu tauchen.

Aus den Trümmern seines bisherigen Lebens bricht Michele nun aus, um die Frau kennenzulernen, die Federiges Leben verändert hat. Mehrere Monate hilft er Sophie beim Aufbau ihrer Posada und lernt dadurch ein anderes Leben kennen. Einfache Arbeit, einfaches Leben, Glück in der Natur finden, Gemeinschaft und schließlich Zufriedenheit mit sich selbst. Dabei geht Michele durch unterschiedlichste Phasen der Trauer um Federico, des Zweifelns an den eigenen Werten und an seinen Beziehungen. Einziger Wermutstropfen aus meiner Sicht ist die beinahe zu perfekte Beziehung, die Michele schließlich mit Francesca findet. In meinen Augen kann niemand ständig so ausgeglichen sein und niemals an seinem Leben oder seiner Liebe zweifeln. Aber lassen wir das Happy End einfach mal so stehen und nehmen wir mit, was uns auf unserem eigenen Weg helfen kann: Manchmal muss man aussteigen, um den Durchblick zu bekommen.

If you don’t know where you are going, any road will take you there.

Lewis Carroll (Alice’s Adventures in Wonderland)

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Roman

Alex Capus – Léon und Louise

Melly in der Lammach

Ich liebe Dich und bin in großer Sorge um Dich, mein Léon, das habe ich noch gar nicht gesagt; hoffentlich, hoffentlich tun Dir die Nazis nichts an. Pass auf Dich und die Deinen auf und halt Dich von allen Gefahren fern, sei vorsichtig und so glücklich als möglich, spiel nicht den Helden und bleib gesund und vergiss mich nicht!

Eine Liebesgeschichte zu Zeiten des zweiten Weltkriegs. Erst kürzlich auf meiner Liste gelandet, das Taschenbuch ist gerade erschienen, ich habe stattdessen das Kindle-Buch gekauft. Beim Lesen fiel mir zum ersten Mal eine überraschende Häufung von Weltkriegsgeschichten auf. Nur in meiner Lesewelt oder zeichnet sich da ein allgemeiner Trend ab? Die meisten meiner Bücher sind ja nicht frisch erschienen, also vielleicht doch eine unbewusste Wahl …

Dieser schlingende, grunzende Moloch musste die ganze Zeit in der strengen Wärterin gewartet haben, die Yvonne während der Kriegsjahre gewesen war; diese Wächterin wiederum hatte zuvor in der lasziven Diva gesteckt, jene in der zerquälten Ehefrau und diese schließlich in der koketten Braut; Léon fragte sich, mit welchen Metamorphosen ihn diese Frau in Zukunft noch überraschen würde.

Zwei Frauen gibt es in Léons Leben. Louise hat er bereits als junger Mann kennengelernt, doch gerade als die beiden sich näherkommen, werden sie durch den Krieg auseinandergerissen. Jeder hält den anderen für tot, falsche Auskünfte machen jede Hoffnung zunichte. Erst Jahre später laufen sie sich in Paris zufällig über den Weg und sind beide überrascht, den anderen am Leben zu finden. Doch Léon ist inzwischen verheiratet mit Yvonne, einer starken Frau, die er auf eine andere Art liebt. Das Leben reißt Léon und Louise auseinander und führt sie doch wieder zusammen, auch wenn sie nicht zusammen leben können. Eine Geschichte über eine Liebe, die Jahre, Kriege und Einsamkeit überdauert. Eine Geschichte, die Hoffnung macht.