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Graphic Novel

Alison Bechdel – Are You My Mother?

Das Buch hätte definitiv einen längeren Eintrag verdient, aber dazu würde es 2017 nicht mehr kommen, daher besser kurz als viel zu spät.

In ihrem ersten Buch Fun Home erzählte die Autorin von der Beziehung zu ihrem Vater, von seiner lange unterdrückten Homosexualität, die letztendlich mutmaßlich zu seinem Selbstmord führte und der Entdeckung ihrer eigenen sexuellen Identität. In dieser Fortsetzung (?) beschreibt sie großteils Träume, Therapiesitzungen und Ergebnisse ihrer psychologischen Recherchen, in denen sie sich intensiv mit dem Verhältnis zu ihrer Mutter auseinandersetzt. Sie vertiefte sich intensiv in die Schriften Donald Winnicotts, der wichtige Beiträge auf dem Gebiet der Mutter-Kind-Beziehung geleistet hat.

Immer wieder hatte ich beim Lesen das Gefühl, das ich ohne eigene vertiefte Recherche zu diesen psychologischen Themen die erzählte Geschichte nicht vollständig erfassen kann. Gleichzeitig fehlt mir aber nicht nur die Zeit, sondern auch noch die Geduld, diesen Theorien hinterherzurennen, bei der jeder zweite Link auf der Wikipedia zu einem völlig anderen Gebiet führt. Anstatt der Genrebezeichnung a comic drama könnte auch eine laienpsychologische Beziehungsanalyse auf dem Titel stehen. Vielleicht steht das tatsächlich bald auf dem Titel der deutschen Übersetzung … nein, steht es nicht. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet übrigens Wer ist hier die Mutter? Was meines Erachtens nach eine vollkommen andere Aussage tätigt als der Originaltitel.

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Roman

Glennon Doyle Melton – Love Warrior

As I took on these roles, I kept waiting for that day when I could stop acting like a grown-up because I’d finally be one. But that day never came. My roles hung on the outside of me like costumes.

Diese Parnassus-Empfehlung ist nicht mehr ganz taufrisch und daher inzwischen auch in der Bücherei Wien angekommen. Die Lektüre hat mich zuerst etwas ratlos zurück gelassen. Viele Teile waren mir schlicht zu esoterisch (durch Yoga endlich ein Körpergefühl gefunden), manche zu hysterisch (Pornografie ist der Teufel), gleichzeitig steht es mir nicht zu, die Erfahrungen und Emotionen anderer Personen zu bewerten. Dass die Autorin ihren persönlichen Entwicklungsprozess in die Öffentlichkeit trägt, zeugt von großem Mut.

In vieler Hinsicht kann dieses Buch als Zeugnis dafür herhalten, dass ein Mensch es schaffen kann, aus einer scheinbar unlösbaren Katastrophe gestärkt hervorzugehen und daraus zu lernen. Viele Menschen dürften sich in einzelnen Situationen wiederfinden und können daraus möglicherweise etwas für den eigenen Lebensweg und den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen mitnehmen. Am Ende war auch für mich eine Erkenntnis dabei, die ich auf meine persönliche Situation anwenden konnte, wenn auch nicht ganz so plakativ wie die Tatsache, dass Yoga beim Atmen hilft.

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Memoir

Heather Harpham – Happiness: The Crooked Little Road to Semi-Ever After

She was an older woman with cobalt eyes, and no children, who gave her maternal love to all. Could I be that?

In den Parnassus Books Empfehlungen tauchen immer wieder Beispiele aus dem Memoir-Genre auf. Mir ist das erst letztes Jahr bewusst aufgefallen, es erscheint mir aber noch immer, als sei das eher ein Element amerikanischer Kultur und im deutschsprachigen Raum kaum präsent. Oder suche ich nur an den falschen Stellen? Hat jemand Empfehlungen für original deutschsprachige Beispiele aus dem Memoir-Genre?

Das obige Zitat stammt aus den ersten Kapiteln, in denen die Autorin Heather noch damit ringt, wie sie mit der überraschenden Schwangerschaft umgehen soll. Der Kindsvater kann sich ein Leben mit Familie nicht vorstellen. Heather entscheidet sich für das Kind und die Trennung. Nach der Geburt wird eine undefinierbare Krankheit festgestellt. Lange Zeit ist nicht klar, wie dem Baby zu helfen ist, ob es überleben wird. Eine Unsicherheit, mit der die Eltern für Jahre werden leben müssen.

It wasn’t that he didn’t want to be there; it was that he had to be there als who he was.

Die Autorin beschreibt also ihren eigenen Weg und teilt ihre Erfahrungen als Mutter, die schon während der Schwangerschaft allein ist, als Mutter eines kranken Kindes, als Mutter, die dem Vater erst wieder Platz einräumen muss. Später als Mutter eines schwer kranken Kindes, das mit dem Tod ringt, und auch als Mutter, deren Kind überlebt hat, während andere Mütter ihre Kinder verloren haben. Sie beschreibt, wie die Sorge um das kranke Kind alle anderen Gefühle verdrängt, wie darunter die Beziehung zum Geschwisterkind und zum Kindsvater leiden.

Any kind of life, if you live it long enough, becomes routine.

Es sind persönliche Erfahrungen, die die Autorin teilt, vielleicht macht diese Tatsache das Buch so mitreißend und gleichzeitig beängstigend. Es erlaubt dem Leser einen Blick in die Gefühlswelt einer Situation, die die meisten Menschen selbst nicht erleben (müssen). Es erinnerte mich an die vielen anderen Leben, die für jeden von uns möglich gewesen wären, für die wir uns jedoch nicht entschieden haben. Manche davon sind verloren, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Viele andere sind jedoch immer noch möglich.

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Roman

Jojo Moyes – Ein ganz neues Leben

Lange bin ich um die Fortsetzung von Ein ganzes halbes Jahr herumgeschlichen. Einerseits wollte ich natürlich wissen, wie es mit Louisa weitergeht, wie sie nach dieser Erfahrung und den Möglichkeiten, die sich ihr nach Wills Tod eröffnen, ihr Leben neu erfindet. Auf der anderen Seite stand die Befürchtung, dass eine Fortsetzung keinesfalls die hoch gesteckten Erwartungen erfüllen könnte.

Schon im ersten Teil kann sich der Leser fragen, warum die Autorin für ihre Heldin so viel Pech, so viele Schwierigkeiten erfindet, dass man sich des Mitleids kaum noch erwehren kann. Im zweiten Teil wird klar: Schwierigkeiten sind das, was uns wachsen lässt. So lange wir uns in unserem sicheren Job, unserem sicheren Familienleben, unserer eigenen Seifenblase aufhalten, bleiben wir stehen und entwickeln uns nur sehr wenig weiter. Erst der Sprung aus der Sicherheit hinaus (oder der Fall von einem Dach) zwingen uns, unsere bisherigen Vorstellungen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen.

Einen neuen Weg finden muss nicht nur Louisa, sondern sowohl die bereits aus dem ersten Buch bekannten Personen (Louisas sowie Wills Familie) als auch die neu in Louisas Leben tretenden Akteure. Die Fortsetzung stellt somit ein umfassendes Panorama menschlicher Entwicklung dar und inspiriert hoffentlich alle Altersklassen dazu, die eingefahrenen Pfade zu überdenken und aus der eigenen Seifenblase zu entfliehen.

It’s the challenges we face, that make us who we are, that make us what we are (A Loss for Words – Distance)

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Kurzgeschichten

Etgar Keret – Die sieben guten Jahre

Wenn ich versuche, die Gutenachtgeschichten zu rekonstruieren, die mir mein Vater vor Jahren erzählt hat, wird mir klar, dass sie mir über ihre faszinierenden Handlungsverläufe hinaus etwas haben beibringen sollen. Etwas über das fast schon verzweifelte menschliche Bedürfnis, das Gute auch noch an den unwahrscheinlichsten Orten zu finden. Etwas über die Sehnsucht, nicht etwa die Wirklichkeit schöner zu machen, sondern nicht darin nachzulassen, nach einer Perspektive zu suchen, die die Hässlichkeit in besserem Licht erscheinen lässt und Zuneigung und Mitleid weckt für jede Warze und Falte auf ihrem vernarbten Gesicht.

Etgar Keret wurde mir damals empfohlen und seine absurden Geschichten haben mir großen Spaß gemacht. In seinem aktuellen Buch sind die Geschichten (teilweise) weniger absurd, aber dafür umso persönlicher. Er schreibt über seine Beziehungen zu seiner Frau, zu seinem Vater, zu seinem Sohn, zu anderen Familienmitgliedern. Auch Taxifahrer spielen immer wieder eine Rolle. Er lässt seine durchwegs positive Lebenseinstellung durchblicken und gibt zwischen den Zeilen Tipps, wie man im Leben besser (oder schlechter) zurecht kommt, wie man Menschen begegnen kann, die anders sind als man selbst, wie man tolerant durchs Leben gehen kann, ohne sich selbst zu verleugnen. Lebenshilfe in einer Form, wie wir sie alle brauchen können.

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Sachbuch

Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim – Fernliebe

Die Beiträge zur Gesellschaftstheorie, die heute international die größte Aufmerksamkeit finden, folgen einem anderen Muster. Ihr Ziel ist es, angesichts eines Chaos sozialer Ereignisse und Phänomene, die uns überrollen, einen konzeptionellen Orientierungsrahmen zu schaffen mit den Mitteln einer generalisierten Diagnose der sich rapide verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Ulrich Becks Risikogesellschaft ist mir dann auch dieses Buch in die Hände gesprungen, das zum Glück deutlich einfacher zu lesen war. Die Autoren entwerfen hier das soziologische Konzept der Weltfamilien und erläutern in unzähligen Variationen, wie solche Weltfamilien entstehen, was sie von traditionellen Familien unterscheidet und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben. Dabei werden auch viele gesellschaftliche Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte gestreift, deren Zusammenhänge für den Nicht-Soziologen oft nicht auf der Hand liegen.

…, den verschiedenen Varianten von Weltfamilien ist eines gemeinsam, eine Irritation: Sie passen nicht zusammen mit unseren bisherigen Vorstellungen von dem, was den Charakter der Familie ausmacht, was zur „Natur der Familie“ gehört, immer und überall. Sie stellen einige unserer vertrauten, als selbstverständlich vorausgesetzten Grundannahmen von Familie in Frage.

Die Themen sind fast ausschließlich solche, die sehr polarisierende Gefühle hervorrufen. Zum Beispiel Heiratsmigration gibt es etwa sehr reißerische Medienberichte, die das schlimme Schicksal von Frauen ausschlachten, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben als Katalogbräute in ein westliches Land verschachert werden. Selten wird jedoch hinterfragt, welches Leben diese Frauen führen würden, wären sie in ihrem Herkunftsland geblieben.

Eine andere Art der Weltfamilie bilden Familien, in denen ein oder sogar beide Elternteile im (reicheren) Ausland arbeiten, um die zurück gelassenen Kinder zu ernähren. Ihren eigenen Kindern entfremdete Mütter kümmern sich als Kindermädchen um die Kinder reicher Eltern, damit diese ihrem Beruf nachgehen können. Diese reichen Familien können sich dabei noch der Illusion hingeben, einen Beitrag zur Entwicklungshilfe zu leisten.

„Appetit wird geweckt von der Möglichkeit“, hat der Technikphilosoph Hans Jonas schon vor Jahrzehnten gesagt. Dies belegt die gegenwärtige Expansion des Kinderwunsches. Mit der Pluralisierung der Lebensformen erweitert sich die Klientel der Reproduktionsmedizin.

Die Möglichkeiten und Folgen der Reproduktionsmedizin hat Ulrich Beck schon in Risikogesellschaft besprochen. Hier werden noch detaillierter die Entwicklungen im Bereich Familie beleuchtet. Die Tatsache, dass Menschen heutzutage auch noch in höherem Alter Kinder bekommen können, verändert die Gesellschaft auf vielfältige Weise. Die Entscheidung für eine Familie wird oft verschoben bis zu dem Zeitpunkt, an dem es auf natürlichem Wege nicht mehr klappt.

Anders betrachtet entspringen aus den Möglichkeiten der Samenspender und Leihmütter Kinder, die sich später nach den Grundlagen ihrer Identität fragen. Die genetischen Anlagen können nicht außer Acht gelassen werden. Auch wenn ein Kind zwei vollwertige „soziale“ Elternteile hat, wird irgendwann die Frage nach den biologischen Eltern ein Thema. Die Reproduktionsmedizin wird kritisch beleuchtet: Unterschiedliche gesetzliche Regelungen erlauben ein beinahe unkontrolliertes Ausnutzen der medizinischen Möglichkeiten. Die in westlichen Gesellschaften verbotene Leihmutterschaft etwa ist in Indien erlaubt und hat sich zu einem regelrechten Wirtschaftszweig entwickelt. Die psychologischen Folgen für die Leihmütter, die die Kinder, die sie 9 Monate in ihrem Körper wachsen lassen, oft nicht mal zu Gesicht bekommen, werden von der anderen Seite, den Wunsch-Eltern scheinbar nicht bedacht.

Was im Verständnis der Mehrheitsgesellschaft „Integration“ heißt, bedeutet im Verständnis der Minderheit: Wieviel Vergessen der eigenen Sprache und Herkunft ist notwendig, um dazuzugehören? Wie wird es möglich, sich dem zu widersetzen?

Ein wichtiger Teil der Kategorie Weltfamilien sind Ehegemeinschaften zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer und/oder nationaler Herkunft. Sie sind mit spezifischen Problemen konfrontiert. Neben den tatsächlich bestehenden Konflikten, die sich aus der unterschiedlichen Herkunft und damit der Sozialisation in unterschiedlichen Kulturen ergeben, haben sie auch mit Anfeindungen der Gesellschaft zu rechnen. Der Verdacht der Scheinehe schwebt oft nicht nur angedeutet über ihnen, viele Hürden sind zu überwinden, bevor eine solche Ehe überhaupt geschlossen werden kann. Und eine Ehe ist oft nötig, damit die Partner zusammenleben können. Dies kehrt den Prozess, der sich in westlichen Gesellschaften etabliert hat – kennenlernen, zusammenleben, ausprobieren, wie und ob das gemeinsame Leben funktioniert, dann erst Ehe, Haus, Kinder – um, und macht eine Ehe notwendig, damit das gemeinsame Leben und Ausprobieren überhaupt erst stattfinden kann.

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen in einem größeren Kontext hat mir bis jetzt einige interessante Erkenntnisse gebracht. Dabei stelle ich mir auch die Frage, ob sich so mancher Konflikt vermeiden ließe, wenn mehr Menschen einen Blick über den Tellerrand ihres eigenen Lebens wagen und sich intensiver mit den Schicksalen anderer Menschen auseinander setzen würden. Die modernen Medien liefern uns dazu alle Möglichkeiten, es gibt keine Ausrede mehr dafür, sich zu verstecken und den Kopf in den Sand zu stecken.

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Erzählung

Nick Flynn – Bullshit Nights

Jedes Jahr seines Lebens ist ein Kapitel, das Leben selbst ist ein Buch.

Was tun, wenn der eigene Vater obdachlos wird? Selbst wenn dieser Vater abwesend war, keine Alimente zahlte, sich nicht um seine Kinder kümmerte, bleibt er doch der Vater? Diese Frage stellt sich der Autor Nick Flynn, der in diesem Buch (laut Klappentext) seine eigene Lebensgeschichte in manchmal blumige (ein Theaterstück über betrunkene Weihnachtsmänner und ihre Töchter) und manchmal weniger blumige (die Beschreibungen der Prozeduren im Obdachlosenheim) Worte fasst.

Auch hier zeigt ein Episodencharakter, dass es sich um Erinnerungen handelt und nicht um eine stringente Romanhandlung: Fragmente von Kindheitserinnerungen, Geschichten und Fotos, Momentaufnahmen eines Lebens, an die man sich auch Jahrzehnte später noch erinnert, weil sie sich emotional eingegraben haben. Bei den geradlinig erzählten Kapiteln stellt sich so schnell das Gefühl ein, hier einen erfundenen oder zumindest geschönten Teil vor sich zu haben.

Zwischen den Zeilen findet sich dann die wahre Geschichte: die Ziellosigkeit, die mit Obdachlosigkeit einhergeht. Es gibt keine Zukunft jenseits der Nacht, die der Obdachlose überstehen muss, ohne dass ihm auch noch die letzten Besitztümer geraubt werden. Dieselbe Ziellosigkeit prägt auch die Mitarbeiter des Obdachlosenheims. Nur sehr wenige Obdachlose schaffen es nach einer längeren Zeit auf der Straße wieder zurück in ein geregeltes Leben. Die Arbeit im Obdachlosenheim besteht also auch nur im Erhalten eines unbefriedigenden Status quo. Eine Verbesserung, irgendwelche Möglichkeiten für die Zukunft sind nicht in Sicht. Und doch muss es jeden Tag weiter gehen. Je nach Blickwinkel eine hoffnungslose oder hoffnungsvolle Aussicht. Es kommt immer ein neuer Tag.

Mein Vater, der in einem Pappkarton geschlafen hat, besteht auf zwei Millionen, besteht auf eine Scheune, um das Projekt, das sein ganzes Leben bestimmt, das Buch, an dem er schon vor meiner Geburt schrieb, anfangen oder vollenden zu können.

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Roman

Ornela Vorpsi – Das ewige Leben der Albaner

Auch wenn der Titel anders klingt: Ornela Vorpsi ist eine Meisterin der poetischen Verknappung. Ihre Szenen der albanischen Kindheit der 1980er Jahre leuchten. Erstaunlich, bei der kommunistischen Agonie, von der sie erzählen. (Zeit.de)

Irgendwie bringe ich bei diesem Buch die Beschreibungen von anderen mit der Realität nicht in Einklang. Der obige Absatz aus den Zeit.de-Empfehlungen aus verschiedenen Ländern zu Fußball-EM-2016 bezieht sich hauptsächlich auf den humoristischen Aspekt, den manche der Episoden tatsächlich enthalten. Mir fiel es jedoch schwer, angesichts der vielen harten, kalten und grausamen Details ein Leuchten in den Szenen zu sehen. Auch der Klappentext verspricht Ähnliches (die schreiben doch voneinander ab, oder?).

Ornela Vorpsi erzählt vom Heranwachsen eines aufgeweckten Mädchens in der archaisch-verrückten Welt Albaniens.

Einen roten Faden bildet die Geschichte des abwesenden Vaters, der als politischer Gefangener im Gefängnis sitzt. Nach seiner Entlassung findet er keinen Zugang mehr zu seiner Familie, die Kluft der Erlebnisse, die zwischen ihnen liegt, scheint unüberwindbar.

Was der Klappentext also archaisch-verrückt nennt, klang für mich eher wie die Beschreibung eines grausamen Alltags, in dem weder für Freude noch für jegliches Abweichen vom Althergebrachten Platz ist. Eine Gesellschaft, die mir kein guter Platz für aufgeweckte Mädchen zu sein scheint.

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Roman

Gayle Forman – Just one year

I have wondered: If you could know going in that twenty-five years of love would break you in the end, would you risk it? Because isn’t it inevitable? When you make such a large withdrawal of happiness, somewhere you’ll have to make an equally large deposit. It all goes back to the universal law of equilibrium.

Fortsetzungen können nie so gut sein wie das Original, das trifft auch auf diese Fortsetzung von Just one day zu. Es kann wohl kaum als Spoiler gelten, dass Willem im ersten Teil Allyson natürlich nicht absichtlich sitzen hat lassen. Am Ende des ersten Teils wissen wir bereits, dass er im Krankenhaus war, dass ihn irgendetwas gehindert hat, zurückzukommen. Im zweiten Teil erfahren wir den Rest der Geschichte aus Willems Sicht und seine eigene Entwicklung in diesem Jahr bis zu dem Moment, als Allyson plötzlich vor seiner Wohnungstür steht.

Tatsächlich erlebt Willem in seinem Leben eine im Vergleich zu Allyson umgekehrte Veränderung. Während Allyson sich von ihrer Familie (bzw. von ihrer überbehütenden Mutter) ablöst, findet Willem einen neuen Zugang zu seiner Mutter. Der rastlose Reisende wird zum Suchenden und findet schließlich etwas ganz anderes, als er selbst denkt und als der Leser erwartet. Auch das Ende ist gelungen, obwohl ich mir wirklich sehr einen Epilog (oder ein weiteres Buch) gewünscht hätte.

It’s like that moment of pause when I step out of a train station or bus station or airport into a new city and it’s nothing but possibility.

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Jugend Roman

Julya Rabinowich – Dazwischen: Ich

Ich werde nie sein wie die. Sogar wenn ich die tollste Ausrüstung hätte und ein schönes eigenes Zimmer und täglich zum Friseur liefe. Meine Angst wäre noch da. Mein Ducken, wenn sich jemand zu schnell in meiner Nähe bewegt. Ich muss mich daran gewöhnen. Einfach nie so sein zu können wie die anderen mit ihren schönen Sachen. Und ihrem selbstbewussten Lachen. Da kann ich noch so geschickt am Seil klettern.

Die Protagonistin dieses Romans ist die jugendliche Madina. Mit ihrer Familie musste sie aus einem Kriegsgebiet flüchten, ihrem Vater drohte Verfolgung und Tod. Nun lebt sie als Flüchtling in Österreich, ihre Familie wartet angespannt auf den Asylbescheid.

Schon der Titel beschreibt den Zustand, in dem sich Madina, aber auch ihr Bruder und ihre Eltern befinden. Madina ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden und dazuzugehören, und der Erinnerung an ihr altes Leben. Sie denkt an ihre Freundin zurück, sie vermisst ihre Großmutter, die zurückbleiben musste, weil die Reise für sie zu beschwerlich war. Sie klammert sich an ihre Freundin Laura, die ihre einzige Verbindung in ihrem neuen Leben ist. Bei Amtswegen übersetzt sie für ihren Vater und schwankt zwischen der Scham über den Zustand ihrer Familie und der Wut auf das System, auf die immer neuen Sachbearbeiter, denen sie ihre Geschichte immer wieder erzählen muss und die ihr doch nicht weiterhelfen können. Sie will so sein wie ihre Mitschüler und fühlt sich als Außenseiterin.

Auch Madinas Eltern sind zerrissen. Sie haben es schwerer, im neuen Leben anzukommen. Sie sollen sich anpassen, wollen aber ihre Werte nicht verraten. Madinas Vater befürchtet, seine Tochter könnte durch den gesellschaftlichen Umgang verdorben werden. Er versucht, sie einzusperren, ist aber gleichzeitig auf ihre Hilfe angewiesen. Eine unlösbare Spannung, die sich weiter steigert, als Madina mehr über ihre Familiengeschichte erfährt.

Wir wissen zu wenig darüber, was eine Entwurzelung mit der Persönlichkeit von Menschen anstellt. Sozialisation prägt entscheidend unsere Wertvorstellungen und unsere Sicht auf die Gesellschaft. Wird nun ein Mensch aus dem herausgerissen, was er bisher kannte, hat er nicht nur sein Zuhause verloren, sondern auch seine Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert. Von einem Moment auf den anderen gelten andere Regeln und Gesetze. Das Nicht-Beherrschen der Sprache macht das Verstehen der neuen Regeln unmöglich. Die Traumata des Kriegs dürfen auch nicht vergessen werden. Kein Mensch kann seine Vergangenheit vollständig hinter sich lassen. Vor allem nicht, wenn es ihm erschwert oder unmöglich gemacht wird, sich eine Zukunft zu schaffen. Alle Menschen sollten eine Chance bekommen, sich eine Zukunft aufzubauen.

Aber das Gefühl, das kann besser werden. Das, was jetzt ist. Wenn etwas ganz schlimm war, dann kann es manchmal keine Vergangenheit werden, weil es sich zu sehr an der Gegenwart festgebissen hat. Es bricht immer wieder ins Sichere und ins Neue hinein. Es bleibt als ungebetener Gast. Aber dieses Hereinbrechen wird weniger. Mit der Zeit.