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Krimi Roman

Donna Leon – Nobilta

Venedig (c) robe68/SXC

Das altrömische Thema fand drinnen seine Fortsetzung, denn Patta saß im Profil und präsentierte seine wahrhaft römische Imperator-Nase. Als er den Kopf zu Brunetti umwandte, wich das Kaiserliche etwas eher Schweinsähnlichem, was daher kam, dass Pattas Augen mit der Zeit immer tiefer in dem ewig gebräunten Gesicht verschwanden.

Wie man auch meinen vorherigen Posts zu den Brunetti-Krimis entnehmen kann, fällt mir meistens nicht viel ein. Würde man das beschriebene Verbrechen nacherzählen, wäre der ganze Spaß verdorben. Wie so oft ergibt sich die Auflösung erst auf den letzten Seiten, während vorher Kapitel über Kapitel nichts zu passieren scheint. Es bleibt ein ums andere Mal nur dies zu sagen: wer diese Art von Krimis schätzt, wird daran nichts auszusetzen haben. Ich selbst zähle mich bedingt zu dieser Gruppe. Für mich ist ein Brunetti-Krimi eine willkommene Abwechslung, wo nicht allzuviel Denkarbeit nötig ist, denn das Tempo, indem Brunetti die Kriminalfälle löst, reicht im Allgemeinen aus, um den Leser gerade beim Thema zu halten, aber nicht zu sehr zu beschäftigen. So kann man auch mal eine Woche Pause machen und hat keine schlaflosen Nächte, weil man den Mörder noch nicht kennt. Schließlich entfaltet sich auch hier eine Ebene unter dem offensichtlichen Mord, Motive, die mit dem Opfer nur bedingt zu tun haben. Ein geschickt getarnter, manchmal etwas langatmig aufgedeckter Kriminalfall für Kommissar Brunetti.

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Roman

Jonathan Safran Foer – Extrem laut und unglaublich nah

Rote Blätter in der untergehenden Herbstsonne / made with Cam+

Inzwischen ist es anders, aber früher war ich Atheist, und das bedeutet, dass ich nur an Dinge gelglaubt habe, die ich auch sehen konnte. Ich habe geglaubt, wenn man tot ist, ist man tot und fühlt nichts mehr und träumt auch nichts mehr. Es ist auch nicht so, dass ich jetzt an etwas glauben würde, das ich nicht sehen kann, bestimmt nicht. Inzwischen glaube ich eher, dass alles unglaublich kompliziert ist.

Während Jonathan Safran Foer im Jahr 2011 hauptsächlich mit seinem Sachbuch Eating Animals Schlagzeilen machte, griff ich zu seinem bereits 2005 veröffentlichten Roman Extrem laut und unglaublich nah. Protagonist der Geschichte ist Oskar Schell, dessen Vater Thomas bei den Terroranschlägen des 11. September 2001 umgekommen ist. Oskar selbst spricht in diesem Zusammenhang nur vom „schlimmsten Tag“. Ein zweiter Erzählstrang beschäftigt sich mit einer anderen Ebene des Familienstammbaums der Schells. Seinen Großvater hat Oskar nie kennengelernt, denn dieser verließ seine Frau bereits vor der Geburt von Oskars Vater. Oskars Großvater hat also seinen nun verstorbenen Sohn nie kennengelernt. Erst die Katastrophe führt die Familie näher zusammen.

Oskar selbst erinnert mich an eines der Winterbücher des Vorjahres: Die Karte meiner Träume. Oskar ist ein hochintelligenter Junge, der sich mit vielen Themen ernsthaft auseinandersetzt. Er schreibt regelmäßig Briefe an Stephen Hawking mit der Bitte, sein Assistent werden zu dürfen, enthält jedoch immer nur Formbriefe als Antwort. Seine Erlebnisse sammelt er in Bildern, die er mit der Kamera seines Großvaters (!) erstellt oder aus dem Internet ausdruckt, in einem Album. Als er im Schrank eine Vase findet, in der sein Vater ihm die scheinbare Nachricht Black zusammen mit einem Schlüssel hinterlassen hat, macht sich Oskar auf die Suche nach dem dazugehörigen Schloss. Sein Ansatz: alle Menschen namens Black abzuklappern und nach der Herkunft des Schlüssels zu befragen.

„Die Welt ist nicht schrecklich“, sagte er und setzte sich eine Maske aus Kambodscha auf, „aber sie wimmelt von schrecklichen Menschen!“

Wenn man solche Geschichten liest, wo ein kleiner Junge nur nette Leute kennenlernt, indem er einfach bei Leuten mit dem Namen Black anlautet, wünscht man sich doch selbst mehr Offenheit im Leben. Nur leider begegnet man in der Realität kaum Menschen, die sich so verhalten würden wie die Blacks in diesem Roman. Und dann scheint es wieder so, als würde der Autor selbst nicht an so nette Menschen glauben.

Weißt du noch, wie wir vor ein paar Wochen Eislaufen waren und wie ich mich abwandte, nachdem ich dir gesagt hatte, ich würde Kopfschmerzen davon bekommen, den Leuten beim Eislaufen zuzuschauen? Unter dem Eis sah ich aufgereiht die Toten liegen.

Selten wurde eine fehlende Person in einer Familie so anwesend gemacht. Das Zusammentreffen von Oskar und seinem Großvater sowie die anschließend ausgeheckte gemeinsame Unternehmung scheinen beiden bei der Überwindung ihrer Traumata zu helfen. Erst als Oskar sich auf diese Weise mit dem Tod seines Vaters auseinandersetzt, kann er auch die Trauer seiner Mutter verstehen.

EDIT: Hier die andere Meinung der Kaltmamsell

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Roman

Luanne Rice – Was allein das Herz erkennt

Rose In Madrid, Rosengarten im Parque de Retiro

May blickte auf das Eis, bemüht, sich auf die letzten Minuten des Spiels zu konzentrieren, aber ihre Augen kehrten immer wieder zu den Lippenabdrücken ihres Mannes auf der alten, zerkratzten Plexiglasscheibe zurück. Sie wünschte sich, dass alles, was sie in diesem Augenblick besaß – das Vertraute und das Neue – für immer andauern möge.

Es fällt mir immer schwer, die Liebesromane zu beschreiben, die ich zur Unterhaltung zwischendurch lese. Bei diesem ist das nicht anders, obwohl er sich vom allzu bekannten Schema – Mädchen trifft Junge, sie können sich erst nicht leiden und verlieben sich dann – deutlich abhebt. Die Kerngeschichte in diesem Liebesroman ist mehr, wie sich zwei Menschen, die beide schlechte Erfahrungen in ihrem vergangenen Leben durchgemacht haben, zusammenraufen. Zwischen ihnen steht ein lebendes und ein totes Kind. Das lebende Kind stellt die Verbindung her, die es den beiden überhaupt erst ermöglicht, sich kennenzulernen. Das tote Kind ermöglicht schließlich, dass beide über sich hinauswachsen. Erst als eine Katastrophe über die Familie hereinbricht, gibt dies den Ausschlag, die Wunden zu heilen. Auf diese Art und Weise verbreitet der Roman ein wärmendes Gefühl – wie Kerzenlicht an einem düsteren Winterabend.

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Roman

Shalom Auslander – Eine Vorhaut klagt an

Solewasserbehälter BadHall

Ich blickte auf Avrumis leeren Stuhl. Avrumi war ein pummeliger Junge mit schwerer Kieferfehlstellung und üblem Mundgeruch, aber jetzt hatte ich plötzlich großen Respekt vor ihm. Ich überlegte, was er wohl getan hatte, um den Tod seines Vaters zu verursachen. Was es auch war, es musste ziemlich schlimm gewesen sein.

Schon nach den ersten Seiten drängt sich die Frage auf: warum betrachten vom Glauben (im strengen Sinn verstanden) abgefallene Juden ihre Religion mit soviel mehr Humor als „Abtrünnige“ anderer Religionen? Ist der schwarze Humor genauso tief verwurzelt wie die strengen Traditionen, oder entwickelt er sich durch die koschere Ernährung? Oder muss ich mich wirklich mal mit diesem David Safier (Jesus liebt mich) beschäftigen, der ja angelich ganz lustig schreiben soll? Und hat das überhaupt etwas mit Religion zu tun?

Der Autor betrachtet seine Kindheit und seine Entwicklung zu einem eigenverantwortlichen Menschen, der sich tagtäglich mit seiner Religion auseinandersetzt, aus einem äußerst amüsanten und schonungslosen Blickwinkel. Allein die Beschreibung kreativer Streitvermeidungstechniken wie spontaner Comedy-Einlagen oder das routinierte Umstoßen von Gläsern, die er sich angewöhnt hat, um den Vater von irgendeinem Ärger abzulenken, unterhält bestens.

Bin ich der Nächste? Meine Lehrer sagten mir, es sei eine Sünde – zu bestrafen mit dem Tod von oben –, wenn ein Jude das jüdische Volk beschäme, was, wie ich fürchte, diese Geschichten tun. Doch ich atme tief durch und rufe mir in Erinnerung, dass es Aaron Spelling ganz gut geht, und wenn er das jüdische Volk nicht beschämt, dann weiß ich auch nicht.

Von Eltern und Lehrern aufgestellte Regeln werden von Jugendlichen immer in Frage gestellt, welcher Religion sie sich nun auch (mehr oder weniger) zugehörig fühlen. Doch unser Autor/der Ich-Erzähler stellt sich auch ständig die Frage, wie Gott ihn für die begangenen Regelverletzungen und Missetaten bestrafen wird. Typisch Gott. Wer wird sterben müssen, um diese Sünde zu sühnen? Eine gute Woche ist vergangen, welche ausgleichenden Negativereignisse sind nun zu erwarten? Doch schließlich scheint eine Befreiung aus der Denkspirale nicht nur möglich sondern lebensnotwendig.

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Roman

Evelyn Grill – Das Antwerpener Testament

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Ein paar Tage später, zu Ulrichs Geburtstag, tranken sie zusammen Sekt, und Onkel Ferdinand las ihm und Tante Nelli ein Kapitel aus Gogols Tote Seelen vor. Das Buch liebte er besonders, weil die in ihm enthaltene Philosophie sich mit der seinen in vielen Punkten berührte. Er liebte es überhaupt, den jeweils im Häschen Versammelten vorzulesen, mit besonderer Vorliebe aus den Abenteuern des braven Soldaten Schwejk, dessen Humor er so kongenial wiederzugeben verstand.

Eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und Familien aus drei Ländern. Nahezu unaufgeregt erzählt die Autorin, wie die Protagonisten vor dem Naziregime aus Deutschland fliehen, wie manche von ihnen es bis nach Amerika schaffen, andere in Amsterdam hängen bleiben, und schließlich wie das titelgebende Antwerpener Testament das Famlienglück nachhaltig torpediert.

Im Zentrum stehen Ann und Ulrich. Die Engländerin Ann verliebt sich in den Deutschen Ulrich. Anns dominante Mutter will es nicht ertragen, dass ihre Kinder ihr eigenes Leben führen und sabotiert die keimende Beziehung zwischen Ann und Ulrich nachhaltig. In Rückblenden erzählt die Autorin, wie die verschiedenen Zweige der Familie sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln: Ulrichs Cousine ist mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert, die Inkarnation der sprichwörtlichen bösen Schwiegermutter – Anns Mutter Henriette Stanley – wurde in jungen Jahren von ihrem Bruder mit dem englischen Reeder Stanley verheiratet und hat diesem nicht verziehen, dass er sie in seinem Testament nicht ausreichend bedacht hat. Dieses Testament beschäftigt sie für den Rest ihres Lebens, erst lange nach ihrem Tod kann der inzwischen vereinsamte und gebrochene Ulrich die Familiengeschichte aufdecken.

Immer wieder überrascht der ruhige Erzählstil, mit dem die Autorin Evelyn Grill in ihren Rückblenden selbst dramatischen Szenen wie tödlichen Unfällen die Dynamik nimmt. Sie erzählt die Geschichte nicht im Entstehen sondern in Erinnerungen. Alles ist bereits passiert, nichts lässt sich mehr ändern, der Leser kann nur zur Kenntnis nehmen, was den Protagonisten geschieht, man nimmt keinen Anteil. Teils scheint dies eine geeignete Erzählform für eine Geschichte aus dieser Zeit, die für heutige Generationen gefühlsmäßig ebensoweit zurückliegt wie die Antike. Aber in gewissen Momenten wünscht man sich schon eine Spur mehr Emotion, vielleicht sogar etwas Mitgefühl für die Protagonisten. Die Autorin bleibt erbarmungslos und lässt die Familiengeschichte letztendlich über die Menschen triumphieren.

NOTE: Bei den Bildern handelt es sich um einen Belichtungstest, den ich mit meiner neuen Kamera durchgeführt hab. Spontan entdeckte ich beim Spätheimkommen von der Arbeit ein spannendes Mond-Schatten-Spiel, das ich abzulichten versuchte. Die Bilder sind vom GorillaPod-Stativ aus gemacht, mit Belichtungszeit 1,2,3,4,5,6 und 8 Sekunden. Das letzte Bild ist schon zu verschwommen, weil sich die Wolken schneller bewegten als der Auslöser. Bei 6 Sekunden zeigt sich schon in etwa das Bild, das sich tatsächlich den Augen bot. Leider trotzdem nicht ganz so spektakulär wie die Realität.

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Klassiker Roman

Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandtschaften

Rathausturm Retz Ausblick, made with Cam+

„Das Bewusstsein, mein Liebster“, entgegnete Charlotte, „ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche für den, der sie führt; und aus diesem allen tritt wenigstens soviel hervor, dass wir uns ja nicht übereilen sollen. Gönne mir noch einige Tage; entscheide nicht!“

Obwohl Goethe in diesem Roman ein allgemeingültiges Thema behandelt und das auch noch sehr modern, ist die Staubschicht unmöglich zu ignorieren. Es fühlt sich an, wie etwas, das einem die Deutschlehrerin fürs Referat aufgedrückt hat, weil man frech war. Immerhin zeigen die wechselnden Beziehungsgeschichten, dass schon damals die Liebe nicht immer fürs Leben war.

Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.
Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

Charlotte und Eduard wissen ihre Beziehung zu schätzen, denn die beiden sind nicht direkt zusammen gekommen, sondern mussten erst abwarten, bis die Beziehung tatsächlich funktioniert. Doch als Eduards Freund – der im ganzen Verlauf der Geschichte immer nur „der Major“ genannt wird – und Charlottes Nichte Ottilie ins Leben der beiden treten, wird die gemeinsame Welt auf den Kopf gestellt. Es stellt sich heraus, das Charlotte und Eduard nicht so viel gemeinsam haben, wie sie bisher dachten und Stück für Stück scheinen die vier Personen andere Paare zu bilden. Charlotte bekommt ein Kind, wer tatsächlich dessen Vater ist, bleibt im Verlaufe des Romans stets nur angedeutet. Die junge Ottilie macht sich stets Gedanken über das Leben und bemüht sich nach bestem Gewissen, den Haushalt zu führen und Charlotte auch bei der Sorge fürs Kind zur Seite zu stehen. Erst ein schlimmer Unfall lässt Charlotte das bisherige Leben überdenken.

Doch was sag ich! Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht? Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?

Charlotte resigniert und will dem unglücklichen Eduard, der sich weiterhin nach Ottilie verzehrt, nicht mehr im Wege stehen. Doch beide Frauen gönnen sich das bißchen Glück nicht, das ihnen noch möglich wäre. Man könnte natürlich auch interpretieren, dass die Beteiligten für ihr sündhaftes Verhalten bestraft werden und dieser Roman uns nichts anderes sagen will, als dass die Ehe heilig ist und wer sich diesem Gesetz widersetzt, mit Strafe und Unglück zu rechnen hat. Goethe hatte angeblich im Sinn, „soziale Verhältnisse und die Konflikte derselben symbolisch gefasst darzustellen“. Das dürfte ihm gelungen sein, wenn auch eine derartige Patchwork-Familie heutzutage eher die Regel als die Ausnahme darstellt.

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Roman

Thomas Stangl – Ihre Musik

Klagenfurt

Ich erkenne nichts Eigenes in dem Zimmer, nur die ineinander übergehenden, ineinander auslaufenden Räume, der Wohnraum und das Schlafzimmer so langgezogen und leer wie der Vorraum, keine Bücher, keine Zigaretten und Aschenbecher, keine Kugelschreiber, keine Notizen; Worte und Beschreibungen, Verdopplungen und Verschiebungen halten diese Figur nicht mehr zusammen.

Dieser Schreibstil, der Gedanken abbildet: furchtbar anstrengend zu lesen, aber ganz besonders beliebt bei (selbst ernannten) Literaturkritikern. Es entfaltet sich so schnell, dass man sich irre konzentrieren muss und doch passiert fast nichts (zumindest nichts Konkretes). Vieles bleibt der Interpretation des Lesers überlassen. Die Entfaltung der Gedanken ruft zur Entfaltung der eigenen Gedanken auf.

Sie steht in der Mitte des Bahnsteigs, lang bevor der Zug einfährt. Ihre Haut ist durchscheinend, sie bewegt ganz leicht, wie zu einer nur für sie hörbaren Musik (da sind nur dann und wann die verschiedensprachigen Unterhaltungen um sie, unverständliche Lautsprecherdurchsagen, Möwenschreie vom Himmel her), die Hände, als würde sie die Falten eines unsichtbaren weißen Kleides vor ihren Schenkeln glätten, sie weiß jetzt, wie es ist, nicht mehr da zu sein.

Genau genommen könnte man diesen Roman auch kriminalistisch analysieren. Die Spaziergänge führen durch die Wiener Leopoldstadt und auch mal darüber hinaus. Wer die Gegend kennt, kann viele der erwähnten Plätze wieder erkennen und möglicherweise den Wegen der Protagonistin folgen.

Im Augarten sind jetzt schon die Krähen angekommen und legen jeden Abend und jeden Morgen einen dichten schwarzen Schleier und aus vielfältigen Klängen gewebte mächtige Schallteppiche über die kahl werdenden Bäume und die Kieswege, sie geht außen an der Mauer entlang und dann an immer schäbiger werdenden Läden vorbei die Taborstraße bis zum Ende hoch.

Auch ich habe einen neuen Blick gewonnen: auf den Teil des Donaukanals an der Hollandstraße, den ich so oft auf dem Weg zur Arbeit sehe. Man sollte sich wohl öfter mal hinsetzen und die Stadt und das Leben wirklich wahrnehmen anstatt nur daran vorbeizulaufen.

Die Stufen und die Zillen (wenn sie hinuntergeht, die Hollandstraße entlang und nach der Ampel die Treppe am Kanal abwärts, Schritt für Schritt, ans Geländer gestützt, schwer atmend) sehen aus wie sie vor über sechzig Jahren ausgesehen haben; als wäre nichts geschehen, sie weiß jetzt, dass nichts geschehen ist und die unberührte Welt keinen Halt bietet, die Haut der Dinge ist ohne Erinnerung wie ihre eigene Haut ohne Erinnerung ist, keine Empfindung zurückbehalten hat.

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Erzählung Roman

Anna Gavalda – Ich habe sie geliebt

Rose(c)hirekatsu/SXC

Ich hatte sie zutiefst verletzt. Sie hob den Kopf und sah mir in die Augen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass wir uns so lange anschauten. Ich versuchte, etwas Neues in ihrem Gesicht zu entdecken. Unsere Jugend vielleicht … Die Zeit, als ich sie noch nicht zum Heulen brachte. Als ich noch keine Frau zum Heulen brachte und als mir allein die Vorstellung, an einem Tisch zu sitzen und über Liebesgefühle zu plaudern, unvorstellbar erschienen war.

Chloé wurde von ihrem Mann verlassen. Ihren Schmerz ertränkt sie im Haus ihres Schwiegervaters. Sie bemitleidet sich selbst und lässt dem Hass auf ihren Mann freien Lauf. Natürlich kann sie nicht fassen, warum ihr Mann Adrien sie und die gemeinsamen Töchter verlassen hat, um mit einer anderen Frau neu anzufangen.

Ihr Schwiegervater Pierre, den sie als mürrischen, alten Mann kennt, erzählt ihr schließlich eine Geschichte aus seinem eigenen Leben. Auch er hat sich in eine andere Frau verliebt. Doch den Mut, seine Frau zu verlassen, hat er nicht aufgebracht. Er zeigt Chloé und dem Leser eine andere Perspektive aus dem Beziehungsuniversum. Er hat nicht nur seine Frau verletzt, sondern auch seine Geliebte, die lange vergeblich auf ihn wartete.

Was uns diese Geschichte zeigt, ist, dass es in der Liebe nicht immer nur Schwarz und Weiß gibt, die Grautöne sind oft entscheidend. Und jede Entscheidung kann falsch oder richtig sein. Meistens bekommt man nur eine Chance. Viel zu oft wird man das erst Jahre später erkennen.

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English Erfahrungsbericht Sachbuch

Gretchen Rubin – The Happiness Project

Herbstblaetter(c)jamie84/SXC

Be happier. We all want to be more happy but what do you do to achieve that? Gretchen Rubin took an analytical approach and tried to identify areas in her life where happiness improvement might be possible. She starts her year of happiness by decluttering her life. So the first chapter didn’t have much news for me. There’s not that much clutter in my life and I’m used to ask myself, if I really need that. I seldom keep items of clothing that I don’t wear (anymore) and I don’t buy items that I can only wear “on a special occasion”. Of course it’s fine to see that I don’t struggle with a topic that so many people consider a problem.

February tackles the subject of marriage which is currently not a topic for me either. But the thought of accepting your partner or friends with all their problems and bad characteristics made me think. You can and should do that with your partner (wife or husband) and of course your children, but one cannot do that with every person you have to deal with in real life. I tried to accept my clients and the aspects of their personality that sometimes fall on my nerve. But it’s just not possible to accept it if you get treated unfair. You cannot accept everything that people throw on you, sometimes you need not only „fight right“ but also fight for your right. You can’t do that by always being friendly. This won’t work in real life. Others won’t play by your lovely happiness rules. Sometimes you will have to show your teeth.

He didn’t want to spend hours pumping up my self-confidence. He was never going to play the role of a female writing partner and it wasn’t realistic to expect him to do it.

This might be a worthy fact for life: No man wants to do that. Men want to have a female partner that already has self-confidence and isn’t addicted on getting compliments all the time. Gretchen Rubin accepts the fact that it’s important for her to get praise for the things she does for her family. „Earning gold stars“ is an interesting term and it also shows that not only children can be baited into doing things but adults are also very much interested in praise for their work and life. I guess it should be easier to praise yourself sometimes.

It makes me sad for two reasons. First, it makes me sad to realize my limitations. The world offers so much! – so much beauty, so much fun, and i am unable to appreciate most of it. But it also makes me sad because, in many ways, I wish I were different. … But it doesn’t matter what I wish I were like. I am Gretchen.

This part really made me think. I compare myself and my life with other people far to often. Many people my age already have marriage, house, children. But it doesn’t matter that I don’t have that because I have a job I love and the freedom to explore life my own way.

Gretchen Rubin also mentions that she will never be an astronaut. I never wanted to be an astronaut but this is comparable with my frustration when I found out that I will never be able to read all books in the world or find all geocaches in the world (not even all in Vienna will be possible). You can do anything you want but you can’t do everything. I will someway be able to find that one mystery cache I’m struggling with and I will someday find that GCQRZK (which is kind of a Nemesis for me). I realized that I always loved the thought of being styled in an extravagant way but I was never feeling comfortable when I was wearing extravagant clothes or makeup. This is just not myself. I’m wearing jeans and black shirts all year and that’s how I’m feeling well.

It’s definitely a good idea to start thinking about happiness and explore ways to find more happiness in your everyday-life. Happiness won’t come to you, you have to make yourself feel better.

Weitere Informationen:
The Happiness Project – Blogfem.com

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Roman

William Riviere – Kate oder Caterina

Wintergipfel(c)Karl-Heinz-Laube/PIXELIO

Und dann fühlte er es – dieser grauhaarige Mann, der auf seiner Mistgabel lehnte und in die züngelnden Flammen seines Feuers sah. Er fühlte die Schnelligkeit der Zeit in seinem brennenden Leben, so schnell, wie die Goldfinken durch den verregneten Nebel schossen. Und er fühlte die Langsamkeit der Zeit, Zeit, die so unermesslich langsam war; Zeit, die ihn wie eine tiefe Flut aus der Ewigkeit umspülte und ihm alles brachte; Zeit, die weiterfließen würde und ihn auffüllte mit Bewusstsein – und noch immer steig die Rauchsäule zum Himmel.

Leider muss ich voranschicken, dass das Eindeutigste an dieser Rezension sein wird, dass ich mich fürchterlich gelangweilt habe. Schon lange musste ich mich nicht mehr so durch ein Buch durchquälen. Es lässt sich nur schwer definieren, dass eine Geschichte aus dem zweiten Weltkrieg in Italien, mit einer zerrissenen Familie, einer Frau, die sich nach ihrem Mann verzehrt, der zuerst als politischer Gefangener hinter Gittern landet und danach mit den Partisanen in den Bergen verschwindet, so langweilig sein kann. Es passiert eigentlich genug, aber erzählt wird es durch die Emotionen der beteiligten Personen. Das geschieht aber wiederum in einer bemerkenswerten Emotionslosigkeit.

Denn selbstverständlich war zusätzlich das Unvermeidliche geschehen. Nach einigen dieser so weltlichen römischen Nächte hatte sie sich in fremden Zimmern wiedergefunden, mit Männern, die sie kaum kannte , beim ersehnten, kalten, nichts sagenden Geschlechtsverkehr.

Caterina betrügt ihren Mann während dieser im Gefängnis sitzt, das auch noch mit dem Feind und erwähnt wird dies so nebenbei, es scheint sie gar nicht weiter zu betrüben, gleichzeitig kann sie wohl ihrem eigenen Mann einen möglichen Seitensprung wohl kaum verzeihen. Diese Caterina ist eine überspannte Frau, die nicht weiß, was sie will und ihrem starken Mann kaum eine Stütze ist. Man hat kein Mitleid mit dieser schwachen Frau, die in ihrer Emotionalität versinkt und monatelang keinen klaren Gedanken zu fassen bekommt.

„Der Krieg, der hat ein eigenes Leben, ein Leben, das stärker ist als deines. Wir begannen zu verstehen, was es bedeutet, die totale Niederlage; was es für Italien bedeutete, keine eigene Armee mehr zu besitzen, wehrlos zu sein. Wir waren … Es waren wir, was unser Land nicht hatte; und das war nicht besonders gut.“

Natürlich ist es auf seine Art ein Epos gegen den Krieg, großteils ohne die Scheußlichkeiten des Krieges zu besprechen. Es zeigt wie eine Familie wegen des Krieges auseinanderbricht und das manche Menschen nachher nicht mehr dieselben sein werden. Leider ist es trotzdem quälend langweilig.

All diese Wunder! Ich kann nicht anders, als die Gewissheit zu verspüren, dass sie mir beide eines Tages für immer zurückgegeben werden. Entweder dies, oder aber ich lasse es zu, dass ich diese Vorzeichen nur zur Hälfte glaube, dann werden meine Gedanken ihren letzten Halt in dieser realen Welt verlieren.

So scheint es, als hätte Caterina schon lange den Halt in der realen Welt verloren. Auch der Gedanke, dass dieser Roman aus der Feder eines Mannes geflossen sein kann, erscheint mir befremdend. Zerrissenheit kann uns in Zeiten des Krieges aber auch in vielen anderen Situationen überfallen. Dieses Buch lässt hingegen keine zerrissenen Gefühle zurück sondern letztendlich nur Erleichterung.

Weitere Informationen: Fantastic fictionflipkart.com