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Jugend Roman

Barry Jonsberg – Das Blubbern von Glück

Ich fragte Erdferkel-Fisch um Rat hinsichtlich des Umgangs mit Wasser, denn Seekrankheit zu vermeiden, muss zu ihren Spezialgebieten gehören. Ihr war jedoch nicht nach Kommunikation, sodass ich keine Antwort erhielt.

Nach dieser Lektüre muss ich sagen: wenn auch nur ein winziger Anteil der Jugendbücher so gut sind wie dieses, sollte ich mich mehr in dieser Abteilung umsehen. Eine überzeugende Kurzrezension hatte mich zu diesem Werk greifen lassen, es soll ein Weihnachtsgeschenk für das Patenkind sein. Zum Glück hatte ich die Zeit, es vorher selbst zu lesen, weil dieses Vernügen ist gerade in der kalten, stressigen Weihnachtszeit absolut unverzichtbar.

Heldin ist die zwölfjährige Candice Phee. Sie ist seltsam und weiß das auch selbst, hat aber keinerlei Probleme damit (dieses Selbstbewusstsein hätten wir wohl alle gern). Candice’ Familie ist zerrüttet. Ihre Schwester starb am plötzlichen Kindstod, ihre Mutter hat sich davon niemals erholt und leidet an unbehandelten Depressionen. Ihr Vater ist mit ihrem reichen Onkel Brian wegen eines Patents zerstritten. Aber Candice will alles ins Reine bringen und nimmt dabei so manches Risiko auf sich. Von allen ihren Abenteuern berichtet sie ihrer („vermeintlichen“) amerikanischen Brieffreundin Denille (für deren ausbleibende Antworten Candice stets neue Entschuldigungen erfindet).

Jede Figur in diesem Buch ist so sorgfältig charakterisiert, wie man es selten in einem Roman für Erwachsene findet. Candice nimmt Anteil am Leben all ihrer Mitmenschen. Ihre Lehrerin mit dem Kullerauge (Candice empfiehlt ihr eine Augenklappe, um vom Kullerauge abzulenken), ihr Freund Douglas (aus einer anderen Dimension) sowie dessen Faksimile-Eltern und schließlich die Klassenzicke, die sich von Candice’ ungebrochenem Optimismus überrumpeln lässt.

Jetzt erwarte ich mit Spannung das Feedback des Patenkindes, um meine Meinung mit einer Stimme aus der Zielgruppe abzugleichen. Vorerst: meine uneingeschränkte Empfehlung für alle Altersgruppen.

Außerdem wurde heute das neue Quietdrive-Album The Ghost of What You Used to Be veröffentlicht. Nicht nur das Cover Art gefällt mir sehr gut, auch die Songs machen uneingeschränkt glücklich. Zum Reinhören: Without my hands.

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Roman

Rocko Schamoni – Tag der geschlossenen Tür

Nach ein paar Metern bleibt die Tüte liegen, also bleibe ich ebenfalls stehen und schaue mich verschämt um. Wie kann man nur so planlos sein? Schuld baut sich in mir auf. Schuld wegen meiner Antriebslosigkeit, meiner Unentschlossenheit, meiner Ausgeliefertsein. Schuld wegen meiner Schwäche.

Antriebslosigkeit. Das trifft es im Prinzip ziemlich gut. In diesem Absatz auf Seite 8 des Buches folgt der Protagonist Michael Sonntag (schon wieder ein Wochentagsnachname, siehe Guy Montag in Fahrenheit 451) einer herumwirbelnden Plastiktüte – American Beauty lässt grüßen.

Ich werde versuchen, niemals so schicksalsergeben zu sein. Lieber kämpfe ich bis zum letzten Augenblick gegen die Vorbestimmung an, um das Leben selbst in der Hand zu behalten. Auch wenn das mein Schicksal sein sollte.

Wie kann man überhaupt gegen die Vorbestimmung ankämpfen? Egal, was man tut, wenn man an Vorbestimmung glaubt, lässt sich immer argumentieren, was man gemacht hat, wäre vorbestimmt, auch wenn man glaubt, eigentlich das andere gemacht zu haben. Zu philosophisch. Michael Sonntag also lebt offenbar rein von einer Kolumne für ein städtisches Blatt, eine andere ernsthafte Arbeit verrichtet er nicht. Stattdessen lebt er in den Tag hinein, gibt sich als Museumswärter aus, schmachtet eine Verkäuferin an, ärgert sich über dies und das. Er weiß zwar im Großen und Ganzen, was er nicht will, aber sonst eigentlich nichts. (Merkt man, dass er mir unsympathisch ist?)

Ich frage mich, wer von denen, die ich kannte, seinen Träumen nähergekommen ist. Kenne ich jemanden, dessen Vorstellungen von sich selbst wahr geworden sind? Der ein klares Bild von sich und seinen Zielen hatte und dieses Bild auch einlösen konnte?

Die Selbstreflexionen haben mich dann doch immer wieder so reingezogen, dass es mich fast ärgert, das zuzugeben. Antworten? Fehlanzeige. Nur immer neue Fragen, als ob man sich als grüblerisch veranlagter Mensch nicht schon selbst täglich mit genug Fragen herumzuschlagen hätte.

Jede Satire ist überflüssig, die Welt ist so mies, die Menschheit so kaputt, dass dem Ganzen eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist.

Auch die Nebenfiguren, der Nachbar (und später Mitbewohner) Bob, der Freund/Bekannte (?) Novak, die vermeintliche Hure Nora scheinen herumzuflattern wie die oben beschriebene Plastiktüte. Jobs, Beziehungen, Lebensinhalte, alles ist flüchtig.

Auf dem Klappentext jubelt die Berliner Zeitung: „Ein literarisches Gegenstück zur Leistungsgesellschaft.“ So wird es wohl gemeint sein.

RANDNOTIZ: So eine Telefonzelle will ich auch.

ERGÄNZUNG: Gibt es auch in Wien! Sogar mit Geocache!

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Roman

Ela Angerer – Bis ich 21 war

Meine Eltern haben nie ein Boot besessen. Die Szene auf dem Foto sieht nach Glück aus. Nach dem Glück fremder Leute, bei denen wir zu Gast sind.

Über ein Interview im Wiener-Magazin war mir dieses Buch aufgefallen, natürlich habe ich wieder mal kein genaues Zitat parat, aber in meiner Erinnerung warf das Interview die Frage auf, was der Beweggrund der Autorin war, eine derartige Kindheit in einem autobiografischen Roman zu thematisieren. Über den Inhalt wurde nicht viel verraten, geheimnisvoll, perfekte Werbung irgendwie.

Die Ich-Erzählerin beschreibt ihre Kindheit mit einer desinteressierten Mutter, die einen reichen Cadillac-Fahrer heiratet und fortan nur noch an ihren Pelzmänteln und Bridge-Turnieren hängt. Die Erzählerin und ihre Schwester wachsen unter Hausangestellten, Dienstboten und Kindermädchen in einem Schloss auf. Da sie großteils sich selbst überlassen sind, suchen sie sich selbst eine Beschäftigung, die Erzählerin landet dabei bereits mit 12 Jahren in der Dorfdisco und perfektioniert Jahr für Jahr Lügen und Ausweichmanöver, um ihren steigenden Drogenkonsum zu verheimlichen.

Wenn man sich heimlich mit solchen Fragen herumschlägt, obwohl man doch eigentlich nur funktionieren will soll – zu Hause, in der Schule, beim Friseur, im Bus –, dann möchte man sein Gehirn ruhigstellen. In meinem Fall erwiesen sich die Drogen dabei als große Hilfe, wobei ich ja erst am Anfang einer langen Testphase mit den unterschiedlichsten Mitteln stand.

Als die Eltern schließlich mitbekommen, was mit der Tochter los ist, wird sie ins Internat in die Schweiz verfrachtet. Auch aus den dortigen strengen Regeln findet die Protagonistin zumindest für die Wochenenden gekonnt eine Ausflucht. Es scheint, dass einzig der fixe Rückkehrtermin jeden Sonntag Abend sie davon abhält, in eine intensive Drogensucht abzurutschen.

Nur Dinge aussprechen, für die man Worte findet. Nur Szenen festhalten, die sich ohne tieferen Sinn ereignen. So gesehen muss man alle Fotodokumente, die einem im Laufe der Zeit von Verwandten, Bekannten oder Wildfremden unterkommen, neu bewerten. Weil es immer nur um das geht, was darauf fehlt.

Was in den Rezensionen als schonungslos und offen beschrieben wird, hat mich beim Lesen eher irritiert. Die Geschichte gibt vor, die Welt aus dem Blickwinkel des Kindes zu betrachten und doch kann kein Kind dermaßen abgeklärt Risiken eingehen, ohne jemals an die Folgen zu denken.

Die Beschreibung auf Amazon enthält mehr Dramatik als das ganze Buch:

Die Eltern sind abwesend, das Personal hilflos. Mit dreizehn beginnt das Mädchen eine Affäre mit einer jungen Krankenschwester und nimmt Drogen. Das fällt sogar den Eltern auf – die Tochter kommt ins Internat und lernt dort, dass es das Böse wirklich gibt.

Dass es das Böse wirklich gibt … klingt nach Horrorschocker und verfolgt wohl auch dieses reißerische Ziel. Jedoch lenkt dies in meinen Augen eher vom wirklichen Thema des Buches ab: Allein gelassene Kinder können sich nicht entwickeln. Kinder brauchen Führung, um lernen zu können, mit den Freiheiten und Verführungen des Lebens umzugehen. Eine Anklage oder ein Aufruf?

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Krimi Roman

Jo Nesbo – Schneemann

Er lauschte ihren ermüdenden Lügen und versuchte einen Sinn darin zu finden, Leute einzusperren, die sich schon längst selbst eingesperrt hatten. In einem Gefängnis aus Hass und Selbstverachtung, dass er selbst nur allzu gut kannte.

Der Ton ist von Beginn an düster, kalt und antriebslos. In den ersten Romanen um Harry Hole, war dieser stets ein Getriebener. Getrieben von dem von ihm verursachten Unfall, der einen Kollegen in den Rollstuhl brachte. Getrieben von der Suche nach dem Prinzen, den er als Mörder seiner Kollegin Ellen sah. Getrieben von er eigenen Sucht, die ihm ständig wie ein Stein im Weg liegt.

In diesem Roman hatte ich ein völlig anderes Gefühl. Obwohl Harrys Beziehung zu Rakel ein weiteres Revival erfährt, ist klar, dass dieser Lebensabschnitt vorbei ist. Nur ein einziger Absturz passiert Harry im Rahmen dieser komplizierten Ermittlung, in der mehrmals ein falscher Verdächtiger zum vermeintlichen Serienmörder gekürt wird. Den Nachfolgeroman Leopard bereits gelesen habe, weiß ich bereits, dass die Geschichte in eine andere Richtung weitergehen wird. Der Autor gibt Harry eine Chance, zu einem geordneten Leben zu finden und reißt ihm dieses dann unter den Füßen weg, um ihn so richtig ins Chaos zu stürzen. Das Hin-und-Her und Auf-und-Ab des Lebens ist die Waffe des Krimiautors. Zugespitzt auf Drama, versteht sich.

RANDNOTIZ: Bei einer berufsbedingten Bildrecherche fiel mir auf Fotolia dieses Bild ins Auge, das mich zwischen zwei Ebenen hin und her reißt:

Tree of Knowledge - Book Storage, books are stored on a tree

Design, das sich mit der Lagerung von Büchern beschäftigt, interessiert mich immer, speziell jetzt, wo ich für eine neue Wohnung zu planen habe. Auf dieser Ebene spricht mich dieser Tree of Knowledge durchaus an, jedoch die Unordnung, mit der die Bücher hier zusammengeworfen aussehen, erzeugt in mir das Gefühl, die Bücher sofort herausnehmen und ordentlich stapeln zu wollen. Es wird also wieder ein klassisches geordnetes Bücherregal werden müssen, wenn ich meine Zeit nicht ausschließlich mit dem Umsortieren von Büchern verbringen will.

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English Roman

Robin Sloan – Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore

“Magic is not the only power in this world,” the old mage said gently, handing the horn back to its royal owner. “Griffo made an instrument so perfect that even the dead must rise to hear its call. He made it with his hands, without spells or dragon-songs. I wish that I could do the same.”

Es könnte kein passenderes Buch für diesen Anlass geben: Am heutigen Tag vereint sich der 400. Post auf diesem Blog mit dem 7. Geburtstag desselben. Am 26. November 2007 erschien der erste Post, damals noch auf meinem last.fm Profil (inzwischen gelöscht). Damals hätte ich vermutlich nicht gedacht, dass ich so lange dranbleiben würde, über (fast) jedes Buch, das ich gelesen habe, einen Text zu schreiben. Ja, ich habe über die Jahre einige Bücher ausgelassen, teilweise, weil mir meine Meinung dazu zu privat ist, um sie öffentlich zu teilwen, teilweise, weil ich dem Buch / Autor / Thema nicht noch mehr Öffentlichkeit schenken wollte.

With each new mega-project she describes, I feel myself shrink smaller and smaller. How can you stay interested in anything – or anyone – for long when the whole world is your canvas?

Eine warmherzige Empfehlung kann ich jedoch für Mr. Penumbra aussprechen. Empfehlungen aus der Ecke problems of a book nerd sind meistens eine Lesefreude, aber dieses Buch übertrifft vielleicht nicht alles, aber einiges.

Clay stolpert auf der Suche nach einem Job in Mr. Penumbras Buchhandlung und findet sich überraschend schnell als Nachtverkäufer hinter dem Tresen (gibt es dafür ein österreichisches Wort?) wieder. Natürlich ist nachts im Buchgeschäft nicht viel zu tun, auch wenn Clay nach und nach die etwas seltsamen Besucher kennenlernt, die nichts kaufen, sondern sich aus den hinteren Regalen Bücher ausleihen. Aus Langeweile beginnt er, das Buchgeschäft auf seinem Laptop in 3D nachzubauen. Gemeinsam mit der aufstrebenden Google-Mitarbeiterin Kat löst er mehr zufällig ein Rätsel, das ihn auf die Spur einer geheimen Gemeinschaft bringt. Seit Jahrhunderten sind deren Mitglieder mit der Entschlüsselung des Buches eines Aldus Manutius, der Zeitgenosse von Gutenberg gewesen sein soll, beschäftigt. Das Buch soll den Schlüssel des Lebens enthalten. Clay und Kat nehmen die Herausforderung an, den Code mit modernen Mitteln zu knacken.

Meine Zusammenfassung ist wie so oft viel langweiliger als die tatsächliche Geschichte, weil das Buch einfach so nett geschrieben ist. Clay hat jede Menge Freunde mit seltsamen Hobbies wie etwa sein Mitbewohner Matt, der als Ausstatter beim Film arbeitet und außergewöhnliche Talente im Herstellen von Requisiten (oder gefälschten Büchern) aufweist. Jedes Kapitel bringt ein neues Puzzle hervor, für das Clay und seine Freunde nach etwas Drehen und Wenden und manchmal auch ein paar Schritten rückwärts eine Lösung finden.

Wird der Code am Ende geknackt? Die Antwort ist wie so oft: Ja und Nein! Aber die Reise dahin ist jede Minute wert!

There is no immortality that is not built on friendship and work done with care. All the secrets of the world worth knowing are hiding in plain sight.

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Roman

William Golding – Herr der Fliegen

Schon wieder ein amerikanischer Klassiker. Es begab sich, dass ich am Stubentor auf die Straßenbahn wartete und das dortige Buchgeschäft Wühlkisten auf dem Gehsteig stehen hatte. Für 3€ nahm ich dieses dünne Buch mit, das es jedoch ganz schön in sich hat.

Eine Gruppe von Burschen unterschiedlichen Alters strandet nach einem Flugzeugabsturz auf einer unbewohnten Insel. Die Überlebensfrage stellt sich vorerst nicht, es gibt Süßwasser und Bäume mit essbaren Früchten. Doch schnell kommt es zu einem Konflikt zwischen den beiden Burschen, die die Anführerrolle übernehmen wollen: Ralph und Jack. Eine wichtige Rolle kommt Piggy zu, er verkörpert das Stereotyp des dicken, behäbigen Denkers. Seine Brille wird benötigt, um ein Signalfeuer zu entzünden und diese Brille wird schließlich auch zur Eskalation des Konflikts führen.

Auf den ersten Seiten fühlt sich die Atmosphäre befremdlich an. Doch schnell etabliert sich eine Hackordnung unter den gestrandeten Jungen, als Leser wird man in die Denkweise hineingezogen und vergisst mit der zusehenden Verschärfung der Lage, dass es sich um Kinder handelt. Die Jungen verlieren zusehends den Bezug zur Zivilisation. Zu Beginn scheitert Jack daran, ein Schwein zu töten. Doch immer mehr gewinnen die niederen Instinkte die Oberhand über die Vernunft. Das Buch endet mit einem Knalleffekt. Es fühlt sich ein bißchen so an, als wäre es bereits mit Blick auf eine Verfilmung geschrieben worden. Jedenfalls kann ich mir diese Schlussszene, die Erkenntnis, die plötzliche Stille, das Fehlen jeder Geräusche angesichts der vergangenen Ereignisse und deren Einordnung in die Zivilisation sehr gut vorstellen. Bedrückend.

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Roman

Ray Bradbury – Fahrenheit 451

It was a look, almost, a pale surprise; the dark eyes were so fixed to the world that no move escaped them. Her dress was white and whispered. He almost thought he heard the motion of her hands as she walked.

In letzter Zeit habe ich das Bloggen etwas vernachlässigt. Schon zum Lesen komme ich bei Weitem nicht so oft, wie ich möchte und wenn dann die fertig gelesenen Bücher ewig herumliegen, bis sie im Blog landen, dann ist das schon ein Zeichen, das wieder mal zu viel los ist.

‘You weren’t there, you didn’t see,’ he said. ‘there must be something in books, things we can’t imagine, to make a woman stay in a burning house; there must be something there. You don’t stay for nothing.’

Es ist erstaunlich, wie aktuell diese Geschichte heute wirkt. Ray Bradbury beschreibt eine dystopische Zukunft, in der Bücher verboten sind. Zur Unterhaltung haben die Menschen jede Menge Technik, mit der sie sich Tag und Nacht berieseln lassen können. Nachbarn denunzieren sich gegenseitig, wer Bücher in seinem Haus versteckt, dessen Haus wird von den Firemen niedergebrannt.

This was all he wanted now. Some sign that the immense world would accept him and give him the long time needed to think all the things that must be thought.

Fireman Guy Montag wird aus seinem Leben gerissen. Eine Serie an Ereignissen weckt ihn auf und lässt ihn an seiner Existenz, seiner Arbeit, seinem ganzen Leben zweifeln. Er findet plötzlich Sinn in den Büchern, die er bisher ohne Nachzudenken verbrannt hat. Durch die Erkenntnis wird er zum Außenseiter, es gelingt ihm nicht, auch nur eine weitere Nacht so zu tun, als wäre nichts passiert. Seine Welt zerbricht.

Im Nachwort schreibt Ray Bradbury einen Satz, der so treffend auf die heutige Zeit passt:

Because you don’t have to burn books, do you, if the world starts to fill up with non-readers, non-learners, non-knowers?

Es klingt, als hätte er vorausgesehen, wie die Menschen in den Wiener U-Bahnen tagtäglich ihre Zeit in den U-Bahn-Schmierblättern versenken oder in ihre Smartphones starren.

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Roman

Beatriz Williams – Das Meer der Zeit

Dem Aufkleber nach habe ich diese Schnulzengeschichte in meiner lokalen Buchhandlung gekauft. Ich muss entweder einen extrem schwachen Moment gehabt haben oder mir hatte einfach nur der Titel gefallen. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe sagt deutlich weniger aus (normalerweise kennen wir das von eingedeutschten Filmtiteln): Overseas.

Die Kurzzusammenfassung: die toughe Investmentbankerin Kate läuft dem Hedgefonds-Magnaten Julian Laurence über den Weg, es ist für beide Liebe auf den ersten Blick. Bis die beiden überhaupt zusammen kommen, ergeben sich einige Hürden und als die Beziehung schließlich zustande kommt, stellt sich heraus: Julian ist aus einer anderen Zeit, er starb im Jahr 1916 in Amiens in Frankreich im Krieg und starb doch nicht, sondern wachte im heutigen New York auf. Obwohl Julian seine altmodischen Wertvorstellungen zurückstellt, kämpft Kate nach ihrem Jobverlust mit ihrem Wert und will nicht das Püppchen an der Seite ihres reichen Mannes sein. (Ich langweile mich, während ich das schreibe …)

Die wirkliche Kurzzusammenfassung: Traditionelle Liebesgeschichte, gewürzt mit ein bißchen unerklärlicher Zeitreise.

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Krimi Roman

Jo Nesbo – Der Erlöser

„…Sie hatten diesen Ruf, weil sie als vollkommen furchtlos galten. Er engagierte kroatische Söldner. Wussten Sie, dass das Wort „Krawatte“ ursprünglich Kroate bedeutet und damit die furchtlosen Krieger gemeint waren?“
Harry schüttelte den Kopf.

Anstatt der inneren Hunde, die üblicherweise von innen an Harry zerren, bekommt er es diesmal mit einem äußerst realen Hund zu tun, Harry zu Beginn verletzt und zum Schluss im Magen des Erlösers endet. Die Wege in diesem Kriminalroman sind verschlungen. Zum Glück weiß Harry gar nicht von allen Gelegenheiten, wo er dem Mörder ganz nahe ist, ohne ihn zu erwischen. Bereits die Momente, wo er mitbekommt, dass er ganz knapp davor war, sind in höchstem Maße frustrierend. Auch die Geschichte um die korrupten Kollegen, die mit dem Tod von Tom Waaler im vorhergegangenen Roman ein Ende finden hätte können, wird zwischen den Zeilen fortgeführt. Es wird gefühlt dunkler. Da passt das Ende nahezu perfekt.

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Roman Theaterstück

Michel Houellebecq – Karte und Gebiet

Noch nie hatte er etwas so Herrliches gesehen, das so reich an Emotionen und Sinn war wie diese Michelin-Karte der Departements Creuse und Haute-Vienne im Maßstab 1:150.000. Die Quintessenz der Moderne, der wissenschaftlichen und technischen Erfassung der Welt, war hier mit der Quintessenz animalischen Lebens verschmolzen. Die grafische Darstellung war komplex und schön, von absoluter Klarheit, und verwendete nur eine begrenzte Palette von Farben.

Im Jänner dieses Jahres war ich mit Freunden in der Garage X im Theaterstück „Karte und Gebiet“, das auf diesem Roman beruht. Der Vorschlag kam von Freundin K. Eigentlich hatte ich im Anschluss zeitnah das Buch lesen wollen, natürlich dauerte es dann doch wieder einige Monate. Einerseits kam immer wieder irgendein anderes Buch dazwischen, andererseits habe ich dann auch mehrere Wochen gebraucht, bis ich mit diesem Monumentalwerk durch war.

Der Kontrast war frappierend: Während auf dem Satellitenfoto nur eine Suppe aus mit verschwommenen bläulichen Flecken übersäten, mehr oder weniger einheitlichen Grüntönen zu erkennen war, zeigte die Karte ein faszinierendes Netz von Landstraßen, landschaftlich schönen Strecken, Aussichtspunkten, Wäldern, Seen und Pässen. Über den beiden Fotos stand in schwarzen Lettern der Titel der Ausstellung: „Die Karte ist interessanter als das Gebiet.“

Der Roman beschreibt das Leben des Künstlers Jed Martin. Für seinen Ausstellungskatalog braucht er ein Vorwort und sein Galerist schlägt den Autor Michel Houellebecq vor. Der Autor lässt sich also in seinem eigenen Buch auftreten. Man darf spekulieren, dass es sich um eine Kunstfigur handelt, die allgemein den Typus eines gealterten, desillusionierten Autors darstellt. Oder man versteht es als eine Persiflage der Autorenschaft im Allgemeinen.

„Jed Martin hat zwischen der mystischen Vereinigung mit der Welt und der rationalen Theologie seine Wahl getroffen. Er hat vielleicht als Erster in der westlichen Kunst seit den großen Malern der Renaissance den nächtlichen Versuchungen der Hildegard von Bingen die schwierigen, aber klaren Lehren des ,stummen Ochsen’, wie Thomas von Aquin von seinen Mitschülern an der Kölner Klosterschule genannt wurde, vorgezogen. Auch wenn diese Wahl natürlich anfechtbar ist, steht die hohe Gesinnung, die sie impliziert, außer Zweifel.…“

Das obige Zitat aus einem von Jeds Ausstellungskatalogen gibt gut wieder, wieso der Roman streckenweise schwer zu lesen ist. Seitenlang ergeht sich der reale Autor in Detailbeschreibungen von Architektur (Jeds Vater war als Architekt tätig, sein Erfolg in jungen Jahren mündete jedoch in den Bau von Standard-Ferienwohnanlagen und ein vereinsamtes Ende in einem Euthanasieressort in der Schweiz), Kunst und Schriftstellertum. Jeds Werke unterschiedlicher Gattung werden ausführlich beschrieben, gerade die Verbindung der unterschiedlichen Medien bei den Michelin-Karten oder auch bei Jeds Spätwerken wird zu einer künstlerischen Höchstleistung stilisiert.

„Auch wir sind Produkte“, fuhr er fort, „kulturelle Produkte. Auch wir sind eines Tages überholt. Dieser Prozess spielt sich auf die gleiche Weise an – nur mit dem Unterschied, dass es bei uns im Allgemeinen keine eindeutige technische oder funktionale Verbesserung gibt; nur die Forderung nach Neuheit bleibt, und zwar im Reinbestand.

Zu Beginn hat mich der Roman schon an das im Theater Erlebte erinnert, der Besuch lag inzwischen schon einige Zeit zurück, aber Jeds Entwicklung – vor allem seine Beziehung zu Olga – und das gespaltene Verhältnis zu seinem Vater waren mir in Erinnerung geblieben. Die Geschichte fühlte sich wie ein alter Freund an.

Ein Menschenleben ist im Allgemeinen nur eine Kleinigkeit, es lässt sich in wenigen Ereignissen zusammenfassen, und diesmal hatte Jed die Verbitterung und die verlorenen Jahre, den Krebs und den Stress und auch den Selbstmord seiner Mutter wirklich begriffen.

Und doch ist mir ein Rätsel, wie ein Regisseur glauben konnte, diesen Roman auf die Bühne bringen zu können. Gerade der letzte Teil, in dem der fiktive Autor Houellebecq von einem Mörder bizarr niedergemetzelt wird, wurde auf der Bühne sehr abgehoben dargestellt. Wofür im Roman nicht mit Worten gespart wurde, musste auf der Bühne zwangsweise verkürzt präsentiert werden.

Vielleicht macht sich der reale Autor Houellebecq einfach über das ganze Kunst-Business lustig. Jed steht zwischen seinem kapitalistischen Vater und dem fiktiven Autor Houellebecq, der die Kunst (und deren Verfall) symbolisiert. Und mit dem teuren Verkauf seiner Bilder verbindet Jed schließlich beides. Und gerät deshalb in eine Identitätskrise? Im letzten Teil des Buches wird Jed zum Einsiedler, wie es der fiktive Autor in seiner Zeit in Irland ebenso war. Bleibt dem Künstler nur die Einsamkeit, um wirklich herausragende Kunst schaffen zu können? Das Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“, an dem Jed scheitert und daraufhin mit dem Porträt des fiktiven Autors seine Porträtserie beendet, kann ebenso als Persiflage des „kulturellen Produkts“ an sich verstanden werden.

… die Welt war alles andere als ein Gegenstand künstlerischer Emotionen, die Welt stellte sich eindeutig als ein rationaler Bezugsrahmen ohne jede Magie und ohne besonderes Interesse dar.