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English Fantasy Roman

N. K. Jemisin – The Fifth Season

CN: Rassismus, Gewalt, Tod, Mord, Folter


“You think you matter?” All at once he smiles. It’s an ugly thing, cold as the vapor that curls off ice. “You think any of us matter beyond what we can do for them? Whether we obey or not.”

Für den Jahresanfangsurlaub hatte ich mir vom Radfahrer ein Buch erbeten. Ich hatte an ein anderes gedacht, er hat mir dann dieses vorgeschlagen und ich kann es nicht erwarten, den zweiten und dritten Teil zu lesen. Jeder Teil dieser Trilogie wurde separat mit einem Hugo Award ausgezeichnet und das (vermutlich) völlig zu recht. Der erste Teil hat mich jedenfalls sehr in diese Welt hinein gerissen. Der Cliffhanger am Ende ist äußerst unerfreulich. Zum Glück habe ich den zweiten Teil bereits hier und der Radfahrer liest gerade den dritten Teil, sodass ich bald erfahren werde, wie die Geschichte weiter geht.

Am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich in die Gegebenheiten dieser Welt einzulesen, die gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen. Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt und entfaltet sich auch auf unterschiedlichen Zeitebenen. Zentral ist die Existenz von Menschen, die besondere Kräfte haben, so genannte Orogene. Bereits als Kind haben sie diese Kräfte, können sie jedoch nicht kontrollieren und dadurch ungewollt großen Schaden anrichten, weshalb sie oft verbannt oder ermordet werden, wenn ihre Kräfte in Erscheinung treten. Einen Ort gibt es jedoch, wo diese Menschen ausgebildet werden, um ihre Kräfte zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Dort werden sie gleichsam von Guardians bewacht. Dass sich dahinter ein System an struktureller Ausbeutung verbirgt, wird im ersten Buch immer wieder angedeutet bzw. hinterfragt (siehe obiges Zitat), es bleibt aber vieles im Unklaren.


Ein großartiger Start in eine Trilogie, die eine interessante Fantasiewelt mit starken und differenzierten Charakteren bevölkert. Ich bin begeistert und freue mich schon sehr auf den zweiten und dritten Teil.


In den Weihnachtsferien hatte ich das Glück, Kind5 und Kind6 in die aktuelle Mitmach-Ausstellung „Kunst und Spiel“ im Zoom Kindermuseum begleiten zu dürfen. Museumspädagogik ist ja ein Nischenbereich, der mich seit meines (inzwischen abgebrochenen) Bildungswissenschaftsstudiums immer wieder anzieht. Die Mitmach-Ausstellungen sind daher für mich auch eine Gelegenheit, zu beobachten, wie die Mitarbeiter:innen die Ausstellungsobjekte erklären und vermitteln und wie die Kinder verschiedenen Alters das Angebot annehmen.

Für mich war es die dritte Mitmach-Ausstellung, davor hatte ich bereits „Von Kopf bis Fuß“ zum Thema Körper (mit Kind3 und Kind4) und „Mit und ohne Worte“ zum Thema Kommunikation (mit Kind5) besucht. Im Vergleich muss ich leider sagen, dass mir bei der aktuellen Ausstellung des Öfteren der Bezug zur Kunst gefehlt hat, auch Kind5 hat gefragt, was dieses oder jenes denn nun mit Kunst zu tun hatte. Das Thema ist zweifellos sperriger als die Themen der beiden Ausstellungen, die ich vorher schon gesehen hatte. Gleichzeitig ist Spiel in einem Kindermuseum sowieso irgendwie immer mitgedacht. Vielleicht hätte es hier mehr Erklärung der Zusammenhänge gebraucht.

Gleich neben dem Eingang ist ein Schiff aufgebaut, in dem die Kinder herumklettern und von dessen Deck sie Papierflieger in den Raum starten lassen können. Weiter hinten im Raum befindet sich eine Kegelbahn. Erst kurz vor Ende unserer Zeit in der Ausstellung wurde mir klar, dass die Art, wie die Kugel auf die Kegel trifft, in den neben der Bahn an der Wand befindlichen Bilderrahmen als generative Kunstwerke dargestellt wird. Eine großartige Verbindung von Kunst und Spiel, die aber leider null erklärt wurde.

ein Regal mit Basteleien aus Knetmasse, von oben hängen an Schnüren Sonne und Planeten herab, an der hinteren Wand aus Knetmasse geformten Buchstaben das Wort „Weltraum“, unten eine bunte Landschaft mit mittig einem grünen Alien

In einem etwas abgetrennten Bereich können sich große und kleine Besucher:innnen mit Knetmasse austoben. Da hat sich mein inneres Kind ganz ordentlich gefreut. Auf den umstehenden Regalen waren unzählige Werke früherer Besucher:innen ausgestellt, teilweise thematisch gruppiert zum Beispiel „Essen“ oder „Weltraum“.

Im hintersten Raum waren Boden, Decke und Wände mit einem schwarz-weißen Raster tapeziert. An einem langen Tisch konnten die Kinder aus Bierdeckel-großen Kartonscheiben ihre eigenen Kreisel gestalten. Der Twist: auf dem Tisch waren Drehscheiben befestigt, darin eine Vertiefung für die Kartonscheiben. Wenn nun die Kartonscheibe auf der Drehscheibe gedreht wird, kann mit einem Stift von oben ein Spiralmuster auf der Kartonscheibe erzeugt werden. Anschließend werden die Kartonscheiben gelocht und mit einem Holzstab zu einem Kreisel verwandelt. Beim Drehen verwischen die Farben miteinander, das Auge kann aufgrund der Bewegung die einzelnen Farben nicht mehr unterscheiden. Hier wurden die Kinder vom Personal auch auf das Mischen von Farben miteinander aufmerksam gemacht.

auf einer goldenen Tischplatte liegen bemalte Kartonscheiben in verschiedenen Farben, teilweise mit Holzstäben zu Kreiseln gebastelt

Im schwarz-weiß-gerasterten Raum gab es in der Mitte auch noch einen versteckten Geheimraum (den wir ohne den Hinweis eines Mitarbeiters vermutlich nicht gefunden hätten). Darin erzeugten Spiegel eine Unendlichkeitsillusion. Hat mir mehr Spaß gemacht als den Kindern, die waren in aller Kürze schon wieder draußen.

Im abschließenden Gespräch mit den Mitarbeiter:innen fanden wir dann heraus, dass es wohl noch eine versteckte Spielebene gab, in der das anfangs erwähnte Schiff vor irgendeinem Unglück gerettet werden musste. Ein geheimes Rätsel, das mich vermutlich auch interessiert hätte, hätte ich auch nur irgendwas davon mitbekommen.

Insgesamt fand ich das Thema „Kunst und Spiel“ sehr spannend, wir haben wohl auch nicht alles gesehen bzw. ausprobiert (ich hätte auch gern ein Bild gekegelt, aber die Kegelbahn war konstant belagert). Die Ausstellung ist noch länger zu sehen, auf der Webseite steht aktuell kein Enddatum. Die nächste Mitmach-Ausstellung soll sich dann mit dem Thema „Donau“ befassen, so wurde uns zum Abschluss verraten.

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English Roman

Dan Simmons – Phases of Gravity

CN: sexuelle Handlungen, Waffen, Tod einer Partnerperson, Begräbnis


Baedecker felt a brief lifting of spirit. Here in the high, thin air the demanding gravity of the massive planet seemed slightly – ever so slightly – lessened.

In letzter Zeit hatte ich ja bereits öfter darüber gejammert, dass mich meine Notizen so im Stich lassen. Bei diesem Buch fällt das noch mehr ins Gewicht, weil es mir nämlich nicht besonders gefallen hat und ich nun wirklich gerne wüsste, wo diese Empfehlung hergekommen ist. (Ich habe Lithub im Verdacht, habe aber nichts Konkretes finden können.)

Baedecker could remember the first real crash of lightning, which, in an uncanny instant of suspended time before everyone ran for shelter, froze people, cars, benches, grass, buildings, and Baedecker himself in a stroboscopic flash of light that briefly made all the world a single frozen frame in an unwatched film.

Weil ich Ablenkung brauchte, bin ich in das Buch einfach reingesprungen und war relativ schnell ziemlich genervt. Es wird immer wieder zwischen verschiedenen Zeiten und Orten gesprungen und nicht mal eine Leerzeile trennt diese Teile voneinander. Da verabredet sich der Protagonist in einem Satz mit seinem Sohn zum Essen und im nächsten Satz ist es eine Woche später und er sitzt im Flugzeug. Nicht nur, dass diese Sprünge nicht mal eine Leerzeile wert sind, es wird auch einfach viel weggelassen bzw. einfach nicht erzählt. Da springt der Protagonist in einem Paraglider von einer Klippe (was immerhin das Ende eines Kapitels ist) und im nächsten Kapitel hat er davon zwar eine Beinverletzung davon getragen, aber der Rest wird einfach übersprungen. Ob die fehlenden Leerzeilen bei Orts- und Zeitsprüngen eine künstlerische Entscheidung sind oder der späteren Erstellung des eBooks geschuldet, bleibt unklar, ich fand es jedenfalls extrem anstrengend.

Scott did not seem to be listening. He pushed the hair out of his eyes and frowned in concentration. “Sometimes I prayed that you wouldn’t go, and sometimes I prayed that you wouldn’t die up there …” Scott paused and looked right at his father. “But most of the time, you know what I prayed? I prayed that when you did die there, they’d bring you back and bury you in Houston or Washington, D.C., or somewhere so I wouldn’t have to look up at night and see your grave hanging up there for the rest of my life.”

Der Inhalt? Ein ehemaliger Astronaut hat eine schlechte Beziehung zu seinem Sohn. Er besucht ihn in Indien, um ihn aus den Fängen eines Gurus zu retten (was ihm erst später im Buch mit einem Hubschraubereinsatz gelingt). Der Sohn lässt den Vater abblitzen, stellt ihm aber noch seine Freundin vor. Mit der der ehemalige Astronaut dann auch eine Affäre beginnt (das war der Moment, wo ich mir sicher war, dass das Buch schon älter sein muss, sowas würde heute wohl kaum mehr geschrieben). Dass später herauskommt, dass der Sohn das wohl absichtlich eingefädelt hat, weil er dachte, die beiden würden gut zusammenpassen, macht das Ganze auch nicht mehr viel besser. Wir lesen also über die Midlife-Crisis eines weißen Mannes, der alle wichtigen Beziehungen in seinem Leben seiner Karriere geopfert hat und nun versucht, Gräben zuzuschütten.

There’re places of power – yeah – no doubt about that. […] You have to help make them. You have to be in the right place at the right time and know it. […] Even places of power are useless unless you’re prepared to bring something to them.

Viele Worte, um auszudrücken, dass das Buch einfach nicht für mich war. Wenn ich doch nur noch wüsste, woher das auf meine Liste gekommen ist …


Ende November besuchte ich mit dem Fotografen die Werkschau zur Fotografin Mary Ellen Mark in der Galerie Westlicht. Mich hat wohl der Titel The Lives of Women angesprochen und den Fotografen muss ich zu Fotoausstellungen ja sowieso nicht überreden ;-)

[Anmerkung: Alle weiteren Zitate entstammen dem Ausstellungstext.]

Ausstellungsansicht, rechts im Vordergrund hängt an einer Wand ein Bild mit Batman und drei Kindern in Prinzessinnenkostümen, weiter hinten im Raum ein großes Bild, das eine Frau draußen zeigt

Mary Ellen Mark gilt „als eine der wichtigsten Vertreter:innen einer humanistisch geprägten Dokumentarfotografie“. In ihrer Arbeit hat sie sich auf marginalisierte Personengruppen konzentriert und ist dabei tief in deren prekäre Lebenswelten eingetaucht. Für ihr erstes umfangreiches Langzeitprojekt verbrachte sie gemeinsam mit der Autorin und Therapeutin Karen Folger Jacobs sechs Wochen in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung Ward 81 im Oregon State Hospital. Die beiden Frauen verbrachten den Alltag mit den Patientinnen und lernten diese in ihren vielen Facetten intensiv kennen.

Großes Interesse zeigt Mary Ellen Mark auch an der Welt des Zirkus und der Artist:innen. In Indien und Mexiko recherchierte sie tief ins Detail und „erhielt tiefe Einblicke in eine Welt, die von Mut, Gemeinschaft und Entbehrungen geprägt war“. Ein Bild aus dieser Serie hat mich besonders berührt. Es zeigt ein Mädchen im Volksschulalter, das auf dem Rüssel eines Elefanten sitzt. Sie trägt eine Art Bikini mit Metallverzierungen und Strümpfe, aber keine Schuhe. Mit dem linken Arm hält sie den Rüssel des Elefanten, sie lehnt auch ihren Kopf in diese Richtung. Die rechte Hand hält sie zur Faust geballt. Mit tief traurigem Gesichtsausdruck blickt sie in die Kamera, als würde sie innerlich anklagen, dass sie zwar fotografiert wird, aber dadurch ihr Leben nicht besser wird.

Ausstellungsansicht, an einer roten Wand hängen zwei Bilder, auf dem linken ist ein Kind zu sehen, das eine Blume an sein Gesicht hält, darunter ein Schaukasten mit dem Buch „Indian Circus“

Ein etwas weniger sozial brisantes Projekt sind Marks Fotografien von Zwillingspaaren. Dieses Projekt wurde von ihr vollständig selbst finanziert, um die größtmögliche Kontrolle zu bewahren.

Sie war fasziniert von dem Nebeneinander von Einzigartigkeit und Verbundenheit und dem Gedanken, dass sich trotz nahezu identischer Erbanlagen zwei eigenständige Leben und Persönlichkeiten entwickeln.

Einen großen Teil der Ausstellung bilden Portraits von Menschen aus vielen verschiedenen Regionen der USA. Sie fotografierte Menschen „bei Kinder-Schönheitswettbewerben und in Single-Bars“, schreckte aber auch vor Ku-Klux-Klan-Treffen nicht zurück. Mark selbst sagte, ihre Reisen durch Amerika hätten ihre Vision als Fotografin definiert. Gerade das konnte ich leider nicht nachvollziehen. Die Sammlung an Bildern aus mehr als drei Jahrzehnten, die keinem roten Faden oder auch nur einer Zeitlinie folgen, hat mich eher verwirrt zurück gelassen. Gleichzeitig hätte ich von den oben genannten thematischen Projekten wie Ward 81 und Indian Circus gerne mehr gesehen. Aber dazu müsste ich dann wohl die Bücher kaufen … Das habe ich soeben auf ihrer Webseite nachgeholt.

Die Ausstellung „The Lives of Women“ mit Werken der Fotografin Mary Ellen Mark in der Galerie Westlicht ist noch bis 16. Februar 2025 zu sehen.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Anna Marie Tendler – Men Have Called Her Crazy

CN: Misogynie, Sexismus, psychische Krankheit, Selbstverletzung, Anxiety, Gaslighting

Das Buch beschreibt die realen Erfahrungen einer Frau, die mit psychischen Erkrankungen kämpft. Dazu gehört auch die traumatische Erfahrung, von einer Betreuungsperson verletzt zu werden. Bitte entscheidet selbst, ob ihr euch dieses Buch (und diesen Post) gerade zumuten wollt und könnt.


Der Griff zu diesem eBook war wieder mal ein spontaner Entschluss nach unerwartetem Abschluss eines anderen Buchs (damit ist nicht der letzte Post gemeint). Hätte ich mir mehr Zeit genommen, um vorher herauszufinden, wovon dieses Buch handelt, hätte ich es vielleicht bleiben lassen. Dann hätte ich aber nicht nur auf die vielen Tiefpunkte der Autorin verzichtet, sondern auch auf die Hoffnung, die zwischen den Zeilen durchschimmert.

Die Autorin beschreibt ihren kurzen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und reflektiert in Rückblenden, wie es dazu gekommen ist. Sie erzählt von quälender Angst, Selbstverletzung und der Schwierigkeit, andere Personen davon zu überzeugen, dass es ihr wirklich schlecht geht.

I’m forcing the outside world to confront a more honest – and probably scary – version of my mental state. Now, today, I no longer have to convince anyhone how bad I feel.

Von den Eltern wird sie lange nicht ernst genommen, ihre männlichen Partnerpersonen nutzen ihre Schwäche(n) aus. Sie fühlt sich gezwungen, ihre Partnerpersonen von ihrem Wert zu überzeugen und gibt ihre eigene Persönlichkeit auf, um geliebt zu werden. An manchen Stellen fand ich mich selbst in den Rückblenden wieder, andere Muster habe ich bei mir nahestehenden Personen beobachtet.

Während ihres Aufenthalts in der Klinik kommt es zum Bruch mit der bisherigen Therapeutin. Das letzte Gespräch zwischen Autorin und Therapeutin habe ich zwei Mal lesen müssen, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass eine Person, deren Beruf es ist, psychisch kranke Personen zu betreuen, so etwas sagen würde. Es hat mir bewusst gemacht, dass natürlich gerade eine Person, bei der ein Mensch für lange Zeit sein Innerstes nach Außen gekehrt hat, auch genau weiß, wo die verletzlichen Punkte liegen. Genau das hat diese Therapeutin ausgenutzt. Ein Übergriff, ein Missbrauch, anders kann ich dieses Verhalten einfach nicht einsortieren.

Immer wieder kommt die Autorin auf ihre komplizierten Gefühle gegenüber männlichen Personen zu sprechen. Sie fühlt sich nicht wohl mit männlichen Ärzten, sie kämpft mit den Klischees, die Frauen mit psychischen Erkrankungen in der Medizin nach wie vor entgegen gebracht werden.

Centuries of conditioning has taught them, and us as a society, that when a woman expresses anger, paranoia, fear, anxiety, depression, or even intuition, they might be crazy.

Der Aufenthalt in der Klinik scheint ein entscheidender Wendepunkt in ihrem Leben gewesen zu sein. Neben einer neuen Perspektive auf sich selbst durch die Zusammenarbeit mit Ärzt:innen und anderen Betreuungspersonen erlebt sie die Kameradschaft mit den anderen Frauen in ihrer Betreuungseinheit als wichtiges solidarisches Element. Sie erkennt, dass es ein (besseres) Weiterleben geben kann, egal welch schlimme Dinge eine Frau auch erlebt haben mag.

Wäre dies ein Roman, würde ihn ein (eindeutig) hoffnungsvoller Ausblick abschließen. Die Autorin bleibt sich aber selbst treu und lässt durchblicken, dass es für die Selbstreflexion kein Ende gibt. Es bleibt ein Prozess, sich mit den Erfahrungen der Vergangenheit auseinander zu setzen und diese in ein anderes Licht zu rücken. Nur so können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und Schritt für Schritt mehr zu uns selbst finden.

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English Roman

Fleur Jaeggy – Sweet Days of Discipline

CN: psychische Krankheit, Suizid, angedeuteter/möglicher Missbrauch von Schutzbefohlenen


Auf der Suche nach einer Geschichte, die mich nicht überfordern würde, scrollte ich wieder mal durch die Neuerwerbungen in der OverDrive eLibrary und wurde auf dieses Werk aufmerksam. Vor einiger Zeit waren dazu einige Artikel auf Lithub erschienen, unter anderem auch einer vom Designer des neuen Covers (das ich übrigens auch viel gelungener finde, als das, was mir mit dem eBook gezeigt wurde).

When you’re in boarding school you imagine how grand and fine the world is, and when you leave, you’d sometimes like to hear the sound of the school bell again.

Das Buch erzählt von einem Schweizer Mädcheninternat knapp nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Töchter aus wohlhabenden Familien werden hier geparkt, um eine angemessene Ausbildung zu erhalten. Die namenlose Ich-Erzählerin schwelgt in den Erinnerungen an ihre Jugend, mäandert zwischen der Langeweile, dem Wunsch nach Freiheit und der Sicherheit, die das Leben in einem Internat mit sich bringt.

I liked German expressionism and the thought of the life, the crimes I hadn’t yet experienced.

Erst jetzt habe ich zur Autorin Fleur Jaeggy recherchiert, sie ist Schweizerin, hat das Buch ursprünglich (vermutlich) auf italienisch geschrieben. Auf ihrer Wikipedia-Seite springt mir der deutsche Titel Die seligen Jahre der Züchtigung entgegen. Das gibt mir ein vollkommen anderes Gefühl als der englischsprachige Titel Sweet Days of Discipline. Teilweise liegt es sicher an der Vertrautheit mit der Sprache, aber schon allein das Wort selig fühlt sich für mich deutlich stärker an, es hat eine religiöse, entrückte Komponente. Gleichzeitig erscheint mir auch Züchtigung als deutlich intensiveres Wort, es hat gewaltvolle Anklänge, ich denke an einen strengen Lehrer, der seinen Schüler:innen mit dem Lineal auf die Finger klopft. Dann sind es Jahre im deutschen Titel, Tage hingegen im englischen Titel. Wie es zu dieser Übersetzungsentscheidung kam, würde mich wirklich interessieren.

Die allgemeine Begeisterung für das Buch kann ich nicht teilen, ich wurde mit der Erzählerin einfach nicht warm. Ich fühlte mich erinnert an Ottessa Moshfegh – My Year of Rest and Relaxation, wo es mir ebenfalls so ging, dass ich mit der Protagonistin nichts anfangen konnte und den Hype um das Buch nicht verstand.

Das Ende hat mich in zweierlei Hinsicht überrascht.

  • Erstens, weil es sehr unerwartet kam, wie so oft folgten nach dem Ende der eigentlichen Geschichte noch unzählige andere Informationen (zur Autorin, zum Copyright und ein Haufen Werbung), die ganze neun Prozent des gesamten Buchs ausmachten. Ich wünschte wirklich, ich könnte im eBook-Reader vorab sehen, wo die eigentliche Geschichte endet.
  • Zweitens, weil das Ende aus einer unerwarteten Einsicht besteht, die die glorifizierte Zeit der jugendlichen Disziplinierung in ein neues Licht rückt.
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English Erfahrungsbericht Reise

Alice Morrison – Walking With Nomads

  1. 1.000 Books in the Fridge!
  2. Heutige Buchbesprechung.
  3. Bericht zur Ausstellung „Deaf Journey“ im Volkskundemuseum Wien.

Screenshotausschnitt einer Webseite, Text Published (1,000)

Das ist der tausendste veröffentlichte Post auf diesem Blog! Seit dem 26. November 2007 habe ich also mehr als 1.000 Bücher gelesen (nicht alle wurden hier veröffentlicht, es sind aber kaum mehr als 10 Bücher, die ich aus persönlichen Gründen nicht öffentlich dokumentiert habe). 1.000 Bücher in 17 Jahren, das fühlt sich für mich gleichzeitig viel und wenig an. Erinnert mich an den Moment, als mir als Kind klar wurde, dass ich niemals alle Bücher in unserer damaligen kleinen Stadtbücherei lesen werde können. Heute wird noch sehr viel mehr veröffentlicht, durch eBooks, Audio-Books (nicht mein Medium, aber für viele Menschen sehr wichtig) und Self-Publishing können Bücher veröffentlicht werden, für die es sonst keinen Markt gäbe. Diesen Nischen möchte ich in den nächsten 1.000 Posts auch mehr Aufmerksamkeit schenken. Es werden weiterhin viele Krimis vorkommen, weil ich die zur Entspannung und Unterhaltung einfach gern lese. Memoirs (Geschichten aus dem echten Leben, von realen Personen, Blicke in andere Lebenswelten) haben mich in den letzten Jahren auch sehr interessiert (wie sich an der heutigen Buchbesprechung auch zeigt). Ich möchte aber auch in mir bislang verborgene Ecken vordringen.

Meine Mutter erzählt gerne, dass sie sich sehr gefreut hat, als ich endlich in die Schule gehen durfte, weil sie mir immer so viel vorlesen musste. Da war sie froh, als ich dann selbst lesen lernte. (Vor-)Lesen hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, es ist mein längstes und wichtigstes Hobby. Das Lesen erlaubt mir, über den Tellerrand meiner eigenen kleinen Welt zu schauen, es gibt mir Anregungen über andere Lebensentwürfe und -modelle, es lässt mich aber auch aus meiner eigenen Welt aussteigen, wenn die gerade nicht so freundlich zu mir ist. Hoffentlich werde ich darauf niemals verzichten müssen.


I feel better for knowing I am not suffering alone. The thing is, though, on this kind of adventure, you have to keep going. You have to keep walking no matter how you feel or what the circumstances are. […] It is an endless, excruciating lesson in patience.

Beim letzten Besuch im Lieblingsbuchgeschäft in Berlin habe ich in einer Ecke ein Regal entdeckt, das vielleicht neu ist oder mir vorher noch nie aufgefallen war. Daraus fischte ich dieses ganz besondere Buch: ein Travel Memoir, das in drei Expeditionen durch Marokko führt. Die Autorin Alice Morrison begibt sich mit drei Guides und sechs Kamelen auf monatelange Wanderungen durch die unterschiedlichen Landschaften von Marokko.

Das obige Zitat drückt ziemlich gut aus, wie sich die Vorstellung einer solchen Expedition für mich anfühlt. Tägliches Gehen von 20 und mehr Kilometern, in extremer Hitze, tägliches Ein- und Auspacken der gesamten Ausrüstung, eingeschränkter Zugang zu frischem Wasser und großteils keinerlei Zugang zu Hygieneeinrichtungen: bleiben wir ehrlich, so eine Reise würde ich niemals machen wollen.

Umso bereichernder finde ich es, darüber zu lesen, das andere Menschen solche Erfahrungen machen. Wie bei so ziemlich jeder Reise sind die oben erwähnten Strapazen natürlich nur die Negativ-Seite. Auf der Positiv-Seite berichtet Alice Morrison von der Kameradschaft, die sie innerhalb ihrer Karawane erlebt, vom herzlichen Willkommen, das sie nahezu überall erwartet, von den atemberaubenden Landschaften, die sie durchwandert und den aufregenden Entdeckungen, die sie in der wenig besiedelten Gegend macht. Als sie kurz vor dem Ende ihrer dritten Expedition selbst Dinosaurier-Spuren entdeckt, ist sie eins mit sich und der Natur:

The drop below me is sheer and there are buzzards overhead. The world is a perfect place. I am here on this mountain, searching for these messages from the past, etched into nature, and I take time to just enjoy the excitement and wonder that I feel. The tiredness and discomforts fade away […]. None of it matters; what matters is to do what you can where you are and to fully live the great moments, like these ones, that come along in every life.

Selbst die ganze Welt zu bereisen, ist den wenigsten Menschen möglich und aufgrund der aktuellen Klimakrise auch nichts mehr, was angestrebt werden kann. Durch Bücher um die ganze Welt zu reisen ist da nicht nur bequemer und günstiger, sondern auch besser für die Umwelt. So wird’s hier weitergehen, danke an alle, die bis hierher gelesen haben.


Im Volkskundemuseum Wien ist noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, die Ausstellung „Deaf Journey“ zu sehen. Im Rahmen der dritten Hacktours hat eine Gruppe an interessierten Menschen die Ausstellung am 15. September besucht. Durch die Ausstellung wurden wir geführt von Kurationsperson Oliver Suchanek (es/es, they/them). Die Führung wurde in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) abgehalten und durch Dolmetschung (finanziert durch Spenden und unterstützt durch den C3W) in österreichische Lautsprache übersetzt. Die Ausstellung ist ein Projekt des Vereins Gebärdenverse, der sich seit 2o23 „für die Verbindung der hörenden und der gehörlosen Community“ einsetzt.

Schriftzug, in schwarzer Farbe auf eine Wand über einer Tür gemalt: „Identität – die Kunst sich selbst zu verstehen“

Der Untertitel „Der Weg zur Identität“ spannt einen Bogen über die Werke der sieben beteiligten Künstler:innen. Damit soll jedoch nicht eine gehörlose Identität suggeriert werden. Jede der beteiligten Personen hat ihre eigene Reise absolviert, um dort anzukommen, wo sie sich jetzt befindet. Die Reise ist damit auch nicht zu Ende, sie ist ein Prozess, in dem sich immer wieder neue Wege auftun.

Thematisiert werden unterschiedlichste Diskriminierungserfahrungen, mit denen gehörlose Menschen im Alltag immer wieder konfrontiert sind (Audismus). Künstlerin Cecilia Göbl (sie/ihr, she/her) thematisiert diese in ihren Acrylbildern zum Beispiel mit häufigen Vorurteilen, die gehörlose Menschen von Aktivitäten (wie zum Beispiel dem Autofahren) ausschließen. Auf einem anderen Bild zeigt sie, wie Gebärdensprache nicht nur Menschen verbindet. Selbst Kleinkinder, die (noch) nicht sprechen können, sind in der Lage, einfache Gebärden zu erlernen und sich so auszudrücken. Auch Hunde verstehen Handzeichen/Gebärden. Mit ihren Bildern möchte Cecilia Göbl auch zeigen, dass die Gebärdensprache nicht nur ein Hilfsmittel ist, sie erlaubt eine unmögliche Ausdrucksvielfalt. Ein Zitat von ihr aus dem Ausstellungskatalog:

Mit Gebärdensprache kann ich offen ausdrucken und aus Seele gebärden. Einfach mal ich zu sein.

Mir gefällt besonders ihr Bild „Be Unique“. Es zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben.

ein Bild an der Wand zeigt zwei glückliche gebärdende Menschen, gemalt in Rot-Gelb-Orange-Tönen in einer Menge an grau-schwarzen Menschen, die allesamt keine Gesichtszüge haben

Ein zentrales Werk in der Ausstellung von Künstler Marko Lalic (er/ihm, he/him) ist ein zweiteiliges Bild, das die unterschiedlichen Facetten der hörenden und der gehörlosen Welt thematisiert. Seine hörende Welt ist von Stress, Unverständnis und misslungener Konversation geprägt, während in seiner gehörlosen Welt Menschen Ruhe haben und sich besser konzentrieren können, weil sie nicht von den vielen Alltagsgeräuschen abgelenkt und überfordert werden. Ein Detail des Bilds zeigt die Silhouette einer Person, die einem Hund gegenübersteht und diesem die Gebärde für das Wort „Sitz(en)“ zeigt.zwei Bilder an der Wand, auf dem linken ist zentral eine Person zu sehen, die sich die Ohren zuhält, darum kleinere Szenen, die allesamt stressig und unangenehm wirken, auf dem rechten Bild ist in der Mitte eine Person zu sehen, die offensichtlich entspannt ist, rundherum Szenen aus dem gehörlosen LebenTerezia Pristacova (sie/ihr, she/her) erweitert die Ausstellung um Videoinhalte. Als schwerhörige Person kann sie „Musik genießen und starke emotionale Bindung zu Musik aufbauen“. In ihren Kunstwerken verbindet sie Tanz mit Gebärdensprache.

Für Franz Steinbrecher (er/ihm, he/him) war die Ankunft „in einer neuen Welt ohne Sprachbarrieren (ÖGS) […] ein neuer Zugang zu Wissen“ nach einem „langen steinigen Weg mit vielen Missverständnisse und Verwirrungen, Einbahnen sowie Abhängigkeiten vom Umfeld.“ Kurationsperson Oliver Suchanek erklärte uns, dass das von Franz Steinbrecher gestaltete Wandbild in der aktuellen Ausstellung eine Fortsetzung eines Bildes darstellt, das er für eine frühere Ausstellung (Deaf Gain) gestaltet hat. Auf dem aktuellen Wandbild ist ein Astronaut im Sprung zu sehen, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt. Dort fliegen Schmetterlinge, bunte Hände zeigen Gebärden, es weht die Flagge der Gehörlosen (Deaf flag). Sein Bild drückt seinen Wunsch aus, sich von der hörenden Welt mehr und mehr zu lösen, um sich in der gehörlosen Welt richtig entfalten zu können.

Wandbild, ein Astronaut im Sprung, der zwischen zwei Hälften einer zerbrechenden Welt seine Arme nach dem großen, lebendigeren Teil ausstreckt

Lily Emmalie Marek (sie/ihr, she/her) nimmt in ihren Werken Bezug auf die oben angesprochene „gehörlose Identität“. Sie ermöglicht den gehörlosen und schwerhörigen Menschen ein Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl. Gleichzeitig ist aber jede Identität anders zusammen gesetzt und die Individualität der einzelnen Personen geht nicht verloren. Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Besucher:innen können nun versuchen, die Bilder in eine Reihenfolge zu bringen und danach überprüfen, ob sie mit der von der Künstlerin vorgesehenen Reihenfolge überein stimmen.

Auf einem Tisch sind Bilder ausgelegt, die unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Person zeigen. Die Bilder zeigen jeweils den Kopf einer Person, mit zusätzlichen Symbolen oder Schriftzügen. Auf einem Bild ist der Mund der Person mit zwei Pflastern kreuzweise verklebt, auf einem anderen Bild steht im Bereich des Gesichts „You are your home“

Gabriel Manasch (er/ihm, he/him) arbeitet für seine Kunstwerke mit unterschiedlichen Materialien. Auffällig ist etwa eine Skulptur, die mittels 3D-Drucker entstanden ist. Sie verbindet die Gebärden für die Worte Schmetterling und Schildkröte. Die Skulptur verweist darauf, dass dies oft die ersten Gebärden sind, die Personen sich merken, wie uns Oliver Suchanek erzählt. Beide Tiere werden teilweise auch von der Gehörlosen-Community als Symbole verwendet. Für Gabriel Manasch ist Gebärdensprache auch ein Ausdruck der Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen-Community. Zwei wiederkehrende Motive in den Werken in der Ausstellung sind (gebärdende) Hände und der Baum als Symbol für Wachstum. Ein Bild von Marko Lalic zeigt eine Hand, aus deren Fingern ein Baum wächst.

eine 3D-gedruckte Skulptur aus grünem Filament, es sind vier Hände, die die Gebärden für Schildkröte und Schmetterling zeigen

Oliver Suchanek (es/es, they/them) hat sich in seinen Werken für diese Ausstellung damit befasst, wie die Gebärdensprache für es eine andere Ausdrucksmöglichkeit ermöglicht. Es thematisiert aber auch, wie das audistische Verhalten der Mehrheitsgesellschaft bei gehörlosen Menschen zu einem Deaf Burnout führen kann. Oliver erzählte uns, wie viel Energie die Anpassung an die hörende Welt im Alltag kostet. zwei Bilder an der Band, oben eine Person, deren Hände zu brennen scheinen, in der Mitte in gelber Farbe auf schwarzem Grund der Text „DEAF BURNOUT“, darunter ein Bild, in der die Silhouette einer Person unter einem Wald aus Wurzeln steht, eine Hand ist nach oben gestreckt und scheint wie ein Licht die Dunkelheit zu erhellenEinen wichtigen Brückenschlag versucht die Ausstellung auch in Richtung anderer marginalisierter Gruppen. Die in der Ausstellung gezeigten Bilder stehen teilweise auch als taktile Version aus dem 3D-Drucker zum Anfassen bereit. Dies soll auch blinden Besucher:innen ermöglichen, die Bilder zu erfahren.

zwei Bilder nebeneinander, beide zeigen eine Person, die das Wort Licht(er) gebärdet, links als Bild, rechts als 3D-gedruckte taktile Version zum Anfassen

Die Ausstellung „Deaf Journey“ ist im Volkskundemuseum Wien noch bis inkl. Sonntag, 29. September 2024, zu sehen. Es gibt noch zwei Termine für Führungen mit Dolmetsch in Deutsch:

  • 23.9. 18 Uhr: Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch
  • 29.9. 14 Uhr Führungsangebot mit Dolmetsch in Deutsch

Die Ausstellung bietet verschiedene Perspektiven auf die Entwicklung einer gehörlosen Identität und zeigt viele Schwierigkeiten auf, mit denen gehörlose und schwerhörige Menschen im Alltag konfrontiert sind. Ein Besuch mit Führung ist sehr zu empfehlen.

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English Krimi Roman

Laura Lippman – Lady in the Lake

CN: Gewalt, Mord, sexuelle Handlungen, Drogenmissbrauch, Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch und Fehlgeburt


Nach der heutigen Buchbesprechung folgt ein Bericht über meinen Besuch im Modellpark Berlin-Brandenburg.

The world kept telling her to look away, to pay no attention to an age-old system, in which men thrived and inconvenient women disappeared.

Ein Roman, der wie für eine Serienumsetzung geschrieben scheint (kein Wunder, dass AppleTV+ das schon gemacht hat). Das Setting in den 1960er-Jahren im US-amerikanischen Baltimore erlaubt ein Eintauchen in eine andere Zeit, sowohl modisch als auch mit dem Set-Design. Nachdem ich mir den Trailer angesehen habe, bin ich mir aber nicht mehr sicher, wieviel die Serie mit der Romanvorlage tatsächlich gemeinsam hat …

Das Buch beginnt mit der jüdischen Hausfrau Madeline Schwartz, die nach einem von vielen weiteren Abendessen, das sie für ihren Ehemann und spontan geladene Gäste ausrichtet, beschließt, ihren Ehemann zu verlassen. Im Buch wirkt das völlig gefühllos, wobei das auch zur Identität von Madeline (Maddie) zu passen scheint, die generell eher kalt und berechnend wirkt.

Als sie zufällig zur Zeugin in einem Mordfall wird, nutzt sie die Gelegenheit, um sich mit mehr oder weniger sauberen Winkelzügen in die Zeitungsredaktion des Star einzuschleusen. Dafür nutzt sie den guten Willen des Mordverdächtigen, der ihre Briefe beantwortet, die sie dann später nutzt, um daraus in der Zeitung Kapital zu schlagen.

In vieler Hinsicht wirkt Maddie wie eine hilflose Möchtegern-Ermittlerin, die Spuren nachläuft, um sich interessant, beliebt und wertgeschätzt zu machen. Dabei dreht sie sich die Situationen auch so hin, dass es für sie moralisch passt, auch dann, wenn sie dabei offensichtlich anderen schadet. Das macht sie zu einer wenig sympathischen Person, die die erhoffte Karriere über alles stellt.

Die Erzählstruktur des Buchs ist zu Anfang so, dass sich Kapitel aus der Perspektive von Maddie abwechseln mit Kapiteln, die aus der Perspektive von anderen Menschen geschrieben sind, die jeweils gerade mit Maddie Kontakt hatten. Dazwischen gestreut sind die Statements der titelgebenden Lady in the Lake: Eine schwarze junge Frau namens Cleo Sherwood, die zu Beginn als vermisst gilt und später zum Ziel Maddies weiterer Ermittlungen wird. Dabei scheucht Maddie nicht nur Cleos Familie und frühere Bekannte auf, sie bringt sich auch selbst in gefährliche Situationen.

Mich verwundert gerade sehr, wie massiv die nicht mal drei Minuten Trailer meinen Blick auf die Geschichte, die ich gerade gelesen habe, verändert haben. Natürlich ist so eine verdichtete Darstellung in einem Trailer nicht zu vergleichen mit der tatsächlichen Mini-Serie (oder der Buchvorlage), es scheint aber doch ein wesentlich größerer Fokus auf Cleo gelegt zu werden, die im Buch zwar zur Sprache kommt, im Trailer aber deutlich mehr Präsenz einnimmt. Dass das eBook jetzt mit dem Cover der Serie in der OverDrive eLibrary steht, gefällt mir auch nicht so wirklich. Ich hätte lieber das Original-Cover des Buchs dort gesehen.


Bei meinem letzten Berlin-Besuch kam es endlich dazu, dass wir den Modellpark Berlin-Brandenburg besichtigten. Entdeckt hatten wir den Park schon im August 2020, als wir die Feldbahn im FEZ besuchten. Dann hatte ich das Tab ewig lange offen, bis es irgendwann einem Crash zum Opfer fiel. Als ich nun erfreut feststellte, dass wir den Modellpark auch mit Hund besuchen können, gab es kein Halten mehr.

Detailaufnahme eines Modells, erkennbar an der gigantischen Pflanze, im Vordergrund sitzen Personen auf Bänken, sie schauen auf einen Teich, im Hintergrund sind zwei weiße Türme eines Schlosses auf einer Insel zu sehen
Modell von Schloss Pfaueninsel

Laut Webseite sind im Modellpark über 80 Modelle zu sehen, der aktuelle Lageplan enthält 66 Objekte, von denen manche aus mehreren einzelnen Modellen bestehen. Vor Ort konnten wir leider nicht alle sehen. Wo laut Lageplan ein Modell sein sollte, war teilweise nur eine Form im Rasen erahnbar, wo das Modell wohl zuvor gestanden hat (zum Beispiel das Zeiss Grossplanetarium). Da die Modelle alle der Witterung ausgesetzt sind, ist es logisch, dass viel Wartung nötig ist, das zeigt sich auch deutlich an manchen der vorhandenen Modelle. Oft sind Regenrinnen abgebrochen oder Teile des Dachs fehlen (ersichtlich zum Beispiel auf dem untenstehenden Foto des Modells der Zitadelle Spandau). Die Versuchung, Kleinteile als Souvenir mitzunehmen, war bei mir groß, ich konnte gerade noch widerstehen.

Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zu einem Gebäude aus Ziegeln in unterschiedlichen Rot- und Brauntönen, der Eingang hat eine Ziehbrücke und einen Weg dorthin, rundherum symbolisiert Schotter vermutlich eine Wasserfläche, über dem Eingang ein schmaler Balkon mit einem großen dekorativen Relief
Modell der Zitadelle Spandau

Die Modelle sind allesamt Gebäude, Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten aus Berlin und dem umliegenden Land Brandenburg. Den meisten Berlin-Besucher:innen dürften die Siegessäule, das Brandenburger Tor und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Begriff sein. Spannender für uns war als Foto Opportunity allerdings das Modell des Frankfurter Tors bzw. der Karl-Marx-Allee, da der Fotograf in der Gegend wohnt. Dem Fotografen fiel außerdem auf, was nicht im Modellpark zu sehen war: ein Modell des Fernsehturms am Alexanderplatz.

Modell des Frankfurter Tors, zwei Gebäude mit Türmen im Vordergrund, in der Mitte zwischen den Türmen steht eine Person, die Türme überragen gerade die Person, neben der Person sitzt ein schwarzbrauner Hund, der Hund schaut hinauf zur Person, die Person hat das Gesicht dem Hund zugewandt und die Hände vor den Hüften verschränkt
Modell des Frankfurter Tors

Überblick über eine Modellanlage, im Vordergrund ein Teich mit rosa blühenden Seerosen, im Hintergrund ein Schloss umgeben von einem Park
Modell von Schloss Rheinsberg

Viele (eigentlich alle?) der Modelle aus dem Land Brandenburg waren mir allerdings komplett unbekannt. Dabei sind einige Schlösser wie zum Beispiel das Schloss Rheinsberg, neben dessen Modell ein Teich mit Seerosen angelegt ist oder das Schloss Oranienburg mit Orangerie. Hier sind Rosenbüsche neben den Gebäuden gepflanzt, zentral ist das Eingangsportal zum Schlossgarten, das ich gleich aus mehreren Perspektiven fotografiert habe, wie auf den nächsten beiden Fotos zu sehen ist.

Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zum Schlosspark, ein Metalltor zwischen zwei Säulen, die ausschweifend dekoriert und von zwei weiblich anmutenden Statuen gekrönt sind, hinter dem Tor ist ein blühender Rosenbusch und ein weißes Gebäude mit Ziegeldach zu erahnen, im Vordergrund zeigen hohe Gräser, dass es sich eben um ein Modell handelt, sonst wäre beinahe eine Verwechslung möglich
Modell Schloss Oranienburg, Haupteingang zum Schlosspark

Detailaufnahme eines Modells, Haupteingang zum Schlosspark, ein Metalltor zwischen zwei Säulen, hinter dem Tor steht ein schwarzbrauner Hund, seine Zunge hängt heraus und er schaut aufmerksam in die Kamera, der Hund wirkt gigantisch im Vergleich zum Modell, es sieht aus, als würde der Hund das Tor überragen
Modell Schloss Oranienburg, Haupteingang zum Schlosspark

Als Modellbahn-begeisterte Person hatte ich natürlich besondere Freude mit den bewegten Modellen im Park. Ein ICE durchfährt eine Landschaft mit mehreren Modellen, ein älteres Zugmodell ist zwischen Modellen aus der Gegend Zehdenick, Dannenwalde und Fürstenberg, Bredereiche unterwegs. Leider konnte ich von den einzelnen Modellen in diesen Bereichen keine Beschreibungen finden, im Lageplan sind sie nur als Gruppe verzeichnet. Vor Ort waren neben den Modellen Beschreibungstafeln angebracht (die meisten davon durch die Sonne sehr ausgebleicht und oft nicht eindeutig den Modellen zuzuordnen), leider hab ich mich darauf verlassen, das alles nachträglich recherchieren zu können, was leider nicht funktioniert.

Alt-Text für Video: Bild aus der Bodenperspektive, links und rechts ein Gebäude, dazwischen schlängelt sich eine rote Modellbahn durchs Bild, sie besteht aus einer Lokomotive, einem Frachtwaggon und einem Waggon, in dem blau gekleidete Personen sitzen

Exkurs: Ich versuche noch, die Videos ordentlich mit Alt-Text einzubinden, auf die Schnelle habe ich das gerade leider nicht geschafft.

Alt-Text für Video: Modell einer U-Bahn-Strecke mit zwei Gleisen, zuerst fährt auf dem rechten Gleis ein Wagen aus einem Tunnel auf die Kamera zu, kurz darauf auf dem linken Gleis wiederum ein einzelner Wagen, dieser auf dem linken Gleis scheint sich gefährlich zur Seite zu neigen, das Gleis fällt auf einer Seite etwas ab.

Als wir beim Frühstück den Tagesablauf planten, meinte der Fotograf noch, wir würden wohl eh nicht so lange im Modellpark sein. Da hat er sich natürlich getäuscht, wir haben sicher über drei Stunden dort verbracht, obwohl alle Modelle in der Sonne liegen und es trotz der moderaten Temperaturen in der Sonne ganz schön heiß war. Gegen Ende unseres Rundgangs waren wir alle drei schön durch erhitzt.

vor dem Modell eines Rathauses, ein Ziegelbau mit vielen dekorierten Fenster inkl. einem Rosettenglasfenster und einem spitzen Turm darauf (es wirkt beinahe wie eine Kirche) liegt ein schwarzbrauner Hund, die Ohren reichen bis zum ersten Stock hinaus, die Zunge hängt aus dem Mund, der Hund liegt im Schatten des Modells, von rechts oben scheint deutlich sichtbar die Sonne ins Bild
Modell des Rathauses Berlin Lichtenberg

Modell eines Ziegelgebäudes mit hohen runden Fenstern und einem Türmchen, links dahinter ein Teich mit darin wachsendem Schilf
Modell „Altes Wasserwerk Friedrichshagen“

Überblicksaufnahme eines Modells, das eine Kathedrale darstellt, die Kirche wird von seitlich hinten betrachtet, also der Altarraum mit einem eigenen Glockenturm steht im Vordergrund, das Haupteingangsportal ist von der Position des Fotos aus nicht zu sehen, die Kirche besteht aus einem gigantischen Mittelschiff mit einer seitlichen 8-eckigen Kapelle, dem Altarraum und dem großen Glockenturm über dem Eingangsportal
Modell der Klosterkirche Neuzelle

Der Modellpark ist liebevoll gestaltet und betreut, es gibt Spielmöglichkeiten für Kinder, viele – auch schattige – Sitzgelegenheiten, einen Miet-Trolley (um kleinere Kinder durch den Park zu transportieren), einen Souvenir-Shop und auch fürs leibliche Wohl wird gesorgt. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es für die Besucher:innen nur eine öffentliche Toilette außerhalb des Modellparks gibt. Für die sind 50 Cent Gebühr fällig. Besucher:innen des Modellparks können einen Chip bekommen, um die Toilette gratis zu nutzen, das ist jedoch nicht sehr transparent kommuniziert. Da wäre es schön, wenn es im Modellpark wenigstens ein Öklo oder sowas gäbe. Die Eintrittspreise sind sehr moderat (aktuell Erwachsene: 5,50€, Kinder bis 6 Jahre frei, Kinder von 7 bis 18 Jahre: 2,50€, es gibt noch weitere Ermäßigungen für bestimmte Personengruppen). Die Anreise kann sich je nachdem, von wo in Berlin ihr herkommen wollt, etwas mühsam gestalten, ist es aber in meinen Augen auf jeden Fall wert. Wenn ihr euch irgendwie für Modellbau interessiert (oder einfach nur ein paar lustige Fotos machen wollt), kann ich den Modellpark wärmstens empfehlen.

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English Roman

Kate Mosse – The Taxidermist’s Daughter

CN: Unfall, Krankheit, Gedächtnisverlust, Konservieren toter Tiere, Mord


The belief that in death, beauty could be found. The belief that through the act of preservation, a new kind of life was promised. Immortal, perfect, brillant, in the face of the shifting and decaying world.

Nach meiner Meinung ist das nicht ihr bestes Werk, also genau genommen ziemlich schwach im Vergleich zu den anderen, die ich bisher gelesen habe. Mit Connie Gifford gibt es wieder eine starke weibliche Hauptfigur, die sich nicht von den im damaligen Großbritannien für Frauen geltenden ungeschriebenen Regeln aufhalten lässt. Trotz ihres Gedächtnisverlusts aufgrund eines Unfalls, den sie als Kind erlitten hat, kümmert sie sich um ihren Vater, hält dessen Werkstatt und Geschäft aufrecht und führt natürlich auch den Haushalt, wie es sich für eine Dame in ihrer Stellung gehört. Über der Bergung einer Leiche verliebt sie sich Hals über Kopf in Harry, der ihr bei dieser schweren Aufgabe zufällig zur Seite steht.

Der Plot um das lange zurückliegende Verbrechen, das zu Connies Unfall geführt hat, ist in weiten Teilen gut ausgeführt, weist aber in anderen Teilen deutliche Schwächen auf. Die dramatischen Wetterverhältnisse im letzten Teil der Geschichte dienen als eine Art Deus ex machina, um Täter:innen, Opfer und Bewesie verschwinden zu lassen, was wiederum den verbleibenden Mitwisser:innen ermöglicht, ihr Leben in einem Epilog glücklich weiterzuführen.

Ich empfehle Das verlorene Labyrinth.

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English Roman

Ashley Herring Blake – Astrid Parker Doesn’t Fail

CN: sexuelle Handlungen, Erwähnung einer überlebten Krebserkrankung


Die Fortsetzung von Delilah Green Doesn’t Care. Aufgehoben für den Moment, wo ich sie brauche und auch dieses Mal hat mich Ashley Herring Blake nicht enttäuscht. In meinen jüngeren Jahren (es war offensichtlich vor dem Start dieses Blogs) habe ich tatsächlich auch romantische Romane gelesen z.B. von Danielle Steel oder Susan Elizabeth Phillips. Damals™ war das natürlich alles streng heterosexuell: Frau trifft Mann in einer unwahrscheinlichen Situation, am Anfang können sie sich nicht leiden, am Ende sind sie verheiratet. Dieser Enemies-to-Lovers-Trope funktioniert jedoch auch in einem queeren Setting, wie Ashley Herring Blake hier eindrucksvoll verdeutlicht.

(Ich habe gerade unverhältnismäßig viel Zeit damit verbracht, nach einer Serie zu suchen, die ein ähnliches Modell aufweist, wie es die Autorin dieser Buchreihe anwendet: es war eine Serie aus drei Bänden, in der jeweils eine von drei Schwestern in so einem Enemies-to-Lovers-Setting die große Liebe findet. Da ich jedoch nicht mehr weiß, wer diese Serie geschrieben hat und ich sie vermutlich auf deutsch gelesen habe, konnte ich sie bis dato nicht auftreiben.)

Eine nach diesem Muster erzählte Geschichte könnte oberflächlich und langweilig sein, ist es aber hier nicht im Geringsten. Die beiden Hauptprotagonist:innen verlieben sich nicht nur, sie stehen beide an einem Moment ihres Lebens, an dem sie sich fragen müssen, was sie eigentlich vom Leben wollen, was ihnen wichtig ist. Wie sie das herausfinden, ist Teil der Liebesgeschichte, die nicht zuletzt von der Mutter der Titelfigur, die bereits im ersten Roman eine Nebenrolle gespielt hat, sabotiert wird. Richtig super würde ich es ja finden, wenn diese steife und karriereorientierte Isabel Parker-Green auch noch die Hauptrolle in einem zukünftigen queeren Liebesroman spielen würde. Denn auch ältere Menschen können ihre Queerness noch entdecken. Immerhin verändert sich auch das Mutter-Tochter-Verhältnis im Verlauf der Geschichte, ohne die Leser:in mit einer einfachen Lösung zu beleidigen.

Den Hintergrund der Geschichte bildet die Renovierung eines alten Hotels, das im Rahmen einer Fernseh-Show ein Make-Over erhalten soll. Für alle Beteiligten steht viel auf dem Spiel, Astrid erhofft sich durch die Publicity neue Aufträge für ihre Design-Firma, Jordan will das Familienhotel vor dem Verkauf retten. Es gibt also jede Menge Konfliktpotential, das den Fortgang der Liebesgeschichte verzögert und somit glaubwürdig(er) macht. Für mich ausgezeichnete Unterhaltung im queeren Romance-Genre, wie schon letztes Jahr finde ich schön, dass es solche Geschichten nun auch mit queeren Charakteren gibt. Diese Charaktere sind hier übrigens nicht das Beiwerk wie es der „schwule Freund“ in Filmen und Romanen lange war. Sie sind einfach natürlich queer ohne dass dieser Fakt sie zu etwas Besonderem macht. Queerness gehört zum Leben dazu und ist in diesen Romanen etwas ganz Normales, was ich durchaus erfrischend finde.

Randnotiz: Das Einzige, was ich nicht herausfinden konnte, ist der Grund, warum Jordans Ex-Frau Meredith überhaupt wieder auf der Bildfläche auftaucht. Vielleicht habe ich das aber auch einfach überlesen.

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English Roman

Emma Straub – This Time Tomorrow

CN: Krankheit und Tod eines Elternteils, Trauer (möglicherweise noch mehr, das ich leider nicht rekonstruieren kann)


It was the worst fact of parenthood, that what you did mattered so much more than anything you said.

Auch dieser Post wurde leider verschleppt und wird deshalb oberflächlicher ausfallen müssen, als ich es mir wünschen würde. Wie schon im vorherigen Buch/Post geht es auch hier um das Thema Zeitreisen, allerdings in einem deutlich anderen Setting.

Die Protagonistin wacht am Morgen nach ihrem 40. Geburtstag nach einem Abend mit zu vielen alkoholischen Getränken in ihrem Jugendzimmer auf und stellt fest, dass sie wieder 16 Jahre alt ist. Ihr Vater, den sie noch am Vortag im Krankenhaus besucht hat, sitzt am Frühstückstisch und gratuliert ihr zum Geburtstag.

Was zuerst nach einer Geschichte klingt, wie sie Material für sehr schlechte Filmkomödien sein könnte, wird von der Autorin verwandelt in eine Meditation über den Lauf der Zeit und die Entscheidungen, die unseren Lebensverlauf prägen. Was sind die Dinge, die uns wirklich wichtig sind in unserem Leben? Was wäre passiert, wenn wir in dieser einen Situation anders entschieden hätten? Wären wir wirklich glücklicher als wir es gerade sind?

Obwohl die Protagonistin alles Mögliche ausprobieren darf, um diese Fragen zu beantworten, liegt die Antwort dann doch woanders. Wir müssen nicht durch die Zeit reisen, um herauszufinden, was in unserem Leben wirklich wichtig ist.

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English Essays Memoir

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

CN: Gaslighting, Misogynie, sexuelle Handlungen, Diät, OCD, Depression, Anxiety, Erwähnung von Suizid, Vergewaltigung


But I am a girl with a keen interest in having it all, and what follows are hopeful dispatches from the frontlines of that struggle.

Eines der Bücher, die sich am Längsten auf meiner Merkliste in der Libby-App befinden, habe ich nun mal gelesen. Da weiß ich dann schon nicht mehr, warum es überhaupt auf dieser Liste steht (in der Libby-App kann ich mir dazu leider keine Anmerkungen machen; in der anderen Liste, die ich nur unregelmäßig pflege, weil sie eh viel zu lang ist, habe ich dazu auch nichts gefunden). Ich vermute den Lila Podcast als Anknüpfungspunkt, da wurde die Autorin in mehreren Episoden erwähnt.

Der Untertitel „a young woman tells you what she’s ‘learned’“ deutet auf einen Lernprozess hin. Es handelt sich jedoch um einen impliziten Lernprozess, beinahe mehr einen Sozialisationsprozess, in dem die Autorin gelernt hat, wie die Gesellschaft mit jungen Frauen wie ihr umgeht.

„You can’t please everyone,“ my grandmother always said.
Yes, you can, I thought. If you just work hard enough.

Sie erzählt in thematisch gruppierten Essays von ihren Erfahrungen hinsichtlich Liebe, Freundschaft, Sex und Arbeit, von ihrem Umgang mit dem eigenen Körper und wie dieser Umgang massiv von den von außen auf junge Frauen einprasselnden Erwartungen beeinflusst wurde. Sie spart nicht mit peinlichen Situationen, von denen wir vermutlich als junge Menschen mit wenig Erfahrung alle einige erlebt haben dürften. Sie beschreibt die Situationen, die sie erlebt hat, wie zum Beispiel den Polizisten, der ihr nahelegt, dass sie doch nicht so nett zu dem Mann sein hätte sollen, der ihr nun nachstellt und sie bedroht. Kaum ein (anti-)feministisches Klischee wird ausgelassen, die Kritik bleibt jedoch zumeist zwischen den Zeilen stehen. Sie nimmt ihre eigenen (früheren) Annahmen über die Gesellschaft aufs Korn, ohne sie konkret zu widerlegen. Dadurch bleibt das Buch unterhaltsam, ohne zu sehr auf die Zehen zu treten. (Obwohl es laut Wikipedia doch einigen Menschen auf die Zehen getreten ist.)

I was a working woman. I deserved kisses. I deserved to be treated like a piece of meat but also respected for my intellect.

Vielleicht hätte ich mir etwas anderes erwartet? Erwartungshaltungen sind ja immer problematisch. Mehr Kritik, mehr Hilfestellungen für junge Frauen, mehr Anregungen für gesellschaftlichen Fortschritt, der die geschlechtlichen Ungleichheiten verringert?

Dazu ist das Buch aber nicht angetreten. Der Untertitel sagt es deutlich: eine junge Frau erzählt uns, was sie gelernt hat. Es kann nicht auch noch ihre Aufgabe sein, uns zu erklären, wie wir die Gesellschaft zu verbessern haben.