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Musical Roman

Manuel Puig – Der Kuss der Spinnenfrau

Seit Jahren hatte ich diesem Roman im Regal stehen, irgendwann gekauft, weil ich ja immer gerne die Basis lese, aus der ein Musical gemacht wurde. Tatsächlich habe ich Der Kuss der Spinnenfrau aber nie auf der Bühne gesehen. Das Stück wurde im Oktober 1992 in London uraufgeführt und schon Ende 1993 fand die deutschsprachige Erstaufführung in Wien statt. Meine Musical-Erfahrung begann jedoch erst 1995 mit Elisabeth.

Die dramatische Geschichte macht dieses Musical eher unattraktiv für Intendanten im deutschsprachigen Raum. Viele Verantwortliche gehen leider nach wie vor davon aus, dass ein Musical unterhalten muss und wenn es schon ein dramatisches Thema sein darf, dann hält man sich an die erfolgreichen Klassiker wie West Side Story oder Anatevka.

Wenn man sich die Zusammenfassung der Spinnenfrau durchliest, fragt man sich unwillkürlich, wie überhaupt jemand darauf kommen kann, dass sich dieses Buch als Basis für ein Musical eignet. Texter Fred Ebb beschreibt es in The Art of the American Musical folgendermaßen:

The fact is there was something about that material that inspired me. I felt that it was really interesting; it was very daring, it was bold, it was essentially terrifically romantic, and it offered a great contrast between the harsh reality of prison and the wonderful fantasy of a man’s imagination.

Fred Ebb, The Art of the American Musical

Zwischen der harschen Gefängniswelt und den farbenfrohen Filmwelten, die Molina in seinen Erzählungen auferstehen lässt entsteht ein scharfer Kontrast, der wiederum auf der Bühne eine Aufteilung in Charaktersongs und große Musicalnummern ermöglicht.

Interessant ist jedoch, dass die Spinnenfrau Aurora, die im Musical das prägende Element ist, im Buch gar nicht vorkommt. Zu Beginn erzählt Molina Valentin einen Film über eine Pantherfrau und erst in einem Dialog gegen Ende des Buches, kurz vor Molinas Entlassung, bezeichnet Valentin Molina selbst als Spinnenfrau. Im Wikipedia-Artikel heißt es, die Handlung weiche nur in wenigen Details von der Romanvorlage ab. Diese Details erscheinen mir jedoch als wesentlich, gerade der unterschiedliche Schluss macht eine ganz andere Geschichte daraus. Molinas Entscheidung, sich Valentins revolutionärer Gruppe anzuschließen (oder eben nicht), prägt die komplette Beziehung der beiden. Von einem Happy End kann man so oder so nicht sprechen. Hoffentlich ergibt sich eine Gelegenheit, das Musical irgendwo in Europa zu sehen, das Buch weckt großes Interesse an der theatralischen Umsetzung.

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Roman

Romano Battaglia – Wie eine Rose am Meer

Vom Geocaching Event am Chaos Communication Camp 2016 habe ich dieses Buch unter anderen aus dem Buchtausch nach Hause getragen (in anderen Worten: niemand anderes wollte es haben).

Der Umschlag verheißt schon eine äußerst schnulzige Liebesgeschichte und genau das wird auch eingehalten. Eine unmögliche Liebe, die nicht sein kann, weil der Mann bereits verheiratet ist und Familie hat. Erzählt von der Frau, die seinetwegen auf eine erfüllende Beziehung verzichtet und sich mit dem Wenigen zufrieden gibt, was er ihr geben kann (bzw. will). Immerhin sitzt er kurzzeitig an ihrem Krankenbett. [Achtung, es folgt ein Spoiler, weil ich annehme, dass sowieso niemand das lesen wollen wird.] Sie gesundet und er stirbt schließlich an einer Herzkrankheit (oder so ähnlich). Also muss sie ihre Geschichte einem Autor erzählen, der sie dann aufschreibt, damit die Liebe nicht verloren geht. Der Vollständigkeit halber.

Ich war noch ein Kind, aber seit jenem Tag weiß ich, dass man sich nie zum Richter seiner Mitmenschen aufschwingen darf. Man kann einfach nicht entscheiden, dass das, was man als gut oder schlecht für einen selbst erkannt hat, auch für andere Menschen so gelten soll.

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Roman

Audrey Schulman – Die Farben des Eises

Die Fotografin Beryl reist mit einer kleinen Gruppe nach Churchill in Kanada, um Eisbären zu fotografieren. Ziel des Auftraggebers sind möglichst ungestellte Fotos der sich dort versammelnden Eisbären aus nächster Nähe.

Zwei Faktoren haben mich an diesem Buch fasziniert. Zum einen der Detailreichtum, mit dem die Autorin die Natur dieses unwirtlichen Landes beschreibt. Die titelgebenden Farben des Eises werden gar nicht im Detail behandelt, doch das Gefühl der Weite in dieser schneebedeckten Landschaft beschreibt sie ausführlich. Auch Beryls Begegnungen mit den Eisbären sind in einem teilweise erschreckenden Detailreichtum beschrieben, die Autorin beschreibt den Geruch der Bären, wie sich deren Fell anfühlt sowie ihre unbeholfenen Reaktionen auf die Menschen. Eisbären haben keine natürlichen Feinde und erkennen daher den Menschen auch nicht als solchen. Der Leser darf mit Beryl mitstaunen, die trotz der intensiven Vorbereitung auf ihre Reise von der riesigen Körperlichkeit der Bären überrascht ist. Wenn man Eisbären in Naturdokumentationen sieht, fehlt zumeist ein Maßstab. Ohne ein Auto oder einen Baum zum Größenvergleich sehen die tapsigen Bären deutlich kleiner und ungefährlicher aus, als sie sind.

Der zweite Faktor sind die menschlichen Beziehungen innerhalb des Teams, dass sich auf die Reise macht, um die Bären zu erforschen. Als einzige Frau unter Männern hat es Beryl natürlich nicht leicht. Stück für Stück enthüllt sich auch ein Konflikt zwischen dem mutmaßlich schwulen David und dem seine Männlichkeit betonenden Butler. Als vierter im Bunde ist Jean-Claude als lokaler Führer mit dabei. Er soll für die Sicherheit der Expedition sorgen. In einem für arktische Verhältnisse gerüsteten Bus sollen die vier auf engstem Raum drei Wochen lang die Bären beobachten und dokumentieren. Die Autorin beschreibt sensibel die schwelenden Konflikte zwischen den unterschiedlichen Persönlichkeiten und wie sich diese schließlich bis zur Katastrophe steigern. Spannend bis zum bitteren Ende.

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Roman

Ingrid Noll – Kalt ist der Abendhauch

Charlotte erwartet Besuch von ihrem Schwager Hugo, für den sie schon als Jugendliche geschwärmt hat. Die nun 83-Jährige beginnt sich zu erinnern und gleichzeitig ihre Wohnsituation auf den Kopf zu stellen, um auf den alten Herrn nicht wie eine alte Schachtel zu wirken. Der Enkel Felix und seine Freunde starten eine umfassende Renovierung und bringen ganz schön Unruhe in Charlottes Alltag.

Stück für Stück erzählt Charlotte in Rückblenden ihre Familiengeschichte inklusive der dunklen Geheimnisse, die sie mit Hugo verbinden. Der Versuch, diese mit ins Grab zu nehmen, scheitert, letztendlich wird die jüngere Generation umfassend über die wahren Familienverhältnisse aufgeklärt. Eine angenehm unaufgeregte Familienerzählung mit einer charmanten Protagonistin, die nicht nur eine alte Dame, sondern eine beeindruckende Persönlichkeit ist.

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Roman

Gerbrand Bakker – Der Umweg

Eine Frau in einem einsamen Bauernhaus in Wales. Sie richtet sich ein und entwickelt eine Beziehung zu den Tieren, die um ihr Haus herum leben, den Schafen, die scheinbar von Geisterhand die Weiden wechseln und den Gänsen, die leider beharrlich verschwinden. Einen Moment fühlte ich mich an Die Wand erinnert. Diese Geschichte ist auch einsam, aber auf eine ganz andere Art.

Die Frau bleibt nicht allein. Der Besitzer der Schafe macht ihr seine Aufwartung und bleibt unerwünscht. Ein Junge mit einem Rucksack taucht auf und bleibt – zuerst unerwünscht, Stück für Stück macht er sich jedoch unersetzbar. Seine Motive bleiben unklar. Doch in Wirklichkeit ist es die Frau, die ein Geheimnis und düstere Absichten hat.

Stück für Stück wird diese Geschichte enthüllt, ein spannend geschriebenes Puzzle menschlicher Emotionen. Ein Schicksalsschlag kann in einem Menschen Teile der Persönlichkeit wachrufen, die vorher unbekannt waren. Oder auch: ein Schicksalsschlag verändert nicht nur die Lebensperspektive sondern auch den Menschen selbst.

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Erzählung

Alejandro Zambra – Bonsai

Beide wussten, dass das Ende, wie es heißt, bereits geschrieben steht, ihrer beider Ende, das der jungen traurigen Leute, die gemeinsam Romane lesen, die mit Büchern unter der Decke verstreut aufwachen, die viel Gras rauchen und Songs hören, die nicht dieselben sind, die jeder für sich allein hört.

Eine seltsame Liebesgeschichte haben mir die Empfehlungen in die Leseliste gespült. Julio und Emilia verbringen einige Zeit miteinander, die beide lügen sich gegenseitig vor, sie hätten Proust gelesen. (Das Buch suggeriert, dass die Nichtlektüre in literarischen Kreisen als Bildungslücke gilt.) Die Beziehung der beiden scheint den Weg alles Irdischen zu gehen: der Alltag kehrt ein. Schließlich trennen sie sich.

Julio jedoch denkt nach Jahren noch immer an Emilia. Aus der Idee eines Autors, den Julio trifft, entwickelt er seine eigene Liebesgeschichte, die sich am Symbol des Bonsai entzündet. Zu Ehren Emilias schreibt er die Geschichte, zu Ehren Emilias beginnt er schließlich selbst, einen Bonsai zu züchten.

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Erzählung

Christoph Ransmayr – Damen & Herren unter Wasser

Mit Christoph Ransmayr verbinde ich nach wie vor eine ganz persönliche Nostalgie, immerhin war das erste Buch meiner Aufzeichnungen Die Schrecken des Eises und der Finsternis.

Diese Bildergeschichte habe ich nun schon ewig auf der Liste stehen, weil sie schon immer vergriffen war. Sie gehört zur Reihe Spielformen des Erzählens, in der Christoph Ransmayr bereits die Festrede, die Tirade und das Verhör untersucht hat. Diese Bildergeschichte stützt sich nun auf sieben Unterwasserfotografien von Manfred Wakolbinger, die Christoph Ransmayr als Ausgangspunkt für seine Protagonisten dienen.

Der Erzähler und Ex-Museumswärter Herr Blueher findet sich plötzlich als Großflossen-Riffkalmar in den Tiefen des Ozeans wieder. Er weiß weder, was ihm geschehen ist, noch, ob es einen Weg zurück gibt. Die animalischen Instinkte zwingen ihn zum Überleben, seinen Geist versucht er mit philosophischen Untersuchungen wachzuhalten. Stück für Stück lernt er andere Meeresbewohner mit menschlicher Vergangenheit kennen und erforscht ihre Geschichten auf der Suche nach einer Art Sinn in ihrer Verwandlung. Ein unaufgeregt vor sich hin philosophierender Riffkalmar erforscht das Meer und sucht nach dem Sinn des Lebens. Ein Lesevergnügen.

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Roman

Christie Hodgen – Elegies for the Brokenhearted

Watching him you had a hungry look, your eye narrowed like an eagle’s, and it was clear in that moment that what you wanted from life was for someone to say the same to you, you wanted to be a part of something like that, to have friends you might meet on the street, friends calling out to you and you answering in mock rage. New York, Harlem, what you saw there you wanted to become, what you saw there was some long-forgotten dream brought back to life. What I remember most from our trip is this, this the moment we lost you.

Manchmal reihen sich thematisch verwandte Bücher wie zufällig aneinander, obwohl man es sich nicht so ausgedacht hat. In diesem Buch geht es um die Entwicklung eines Mädchens aus der amerikanischen Unterschicht. Mary Murphy wird in einer Kleinstadt geboren, über die Jahre werden die Fabriken der Stadt geschlossen, ein Großteil der Bevölkerung findet keine Arbeit mehr. Wer kann, verlässt die Stadt, die Zurückbleibenden haben kaum Chancen auf irgendeine Art von Aufstieg.

Die Geschichte wird in Form von Elegien erzählt, die Wikipedia definiert dies als Klagelied, jedoch auch römische Liebeselegien werden erwähnt. Für mich fühlte es sich während des Lesens wie eine Art Nachruf auf die Verstorbenen an. Der Titel der deutschen Übersetzung ist jedenfalls eine Schande: 5 Menschen, die mir fehlen.

„But don’t you think that desire,” I said, “is a dangerous thing? It’s a game that goes on and on. The satisfaction of a desire is the death of that desire, and so we just keep forming new ones and satisfying them, and then watching them die, and forming new ones, on and on, and we’re never happy. It’s better to be in the moment.”

In den 5 Kapiteln erlebt der Leser, wie Mary Murphy sich vom schüchternen, zurückgezogenen Kind zu einer hoffnungs- und ziellosen Jugendlichen entwickelt. Schließlich gelingt ihr der Sprung an die Universität, wo sie jedoch kaum etwas mit sich anzufangen weiß. Nach ihrem Abschluss begibt sie sich auf die Suche nach ihrer Schwester und landet im Küstenstädtchen Ogunquit, Maine (der Name ist so lustig, dass ich nachschauen musste, ob es diese Stadt wirklich gibt).

Mich hat die scheinbare Plan- und Ziellosigkeit der Protagonistin lange davon abgelenkt, dass es eigentlich mehr um die Beziehungen zwischen Menschen geht und darum, dass es nicht immer nur auf die Familienbande ankommt, ob ein Mensch für uns wichtig ist oder wird. Viele Gemeinsamkeiten finden sich gerade bei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind und gerade von denen, die einen deutlich anderen Lebensweg hinter sich haben, können wir oft am meisten lernen.

We had all known joy and then lost it, had blindly sought after it again; we had taken up burdens and carried them for a time, then stumbled beneath them; we had made strides and then lapsed; we had taken strange paths that sometimes delivered us to safety and sometimes led us astray; we had despaired, tried again, despaired, tried again. Through it all we had somehow felt ourselves alone, misunderstood. In the end you believed you had failed; you seemed to have died in despair.

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Roman

Justin Torres – Wir Tiere

Wir schlugen immer weiter; wir durften sein, was wir waren, verängstigt, rachsüchtig – kleine Tiere, die sich an das krallten, was sie brauchten.

Lange habe ich nicht wirklich gewusst, was ich über dieses Buch schreiben soll, dann kam mir die Wrintheit mit @holgi und @silentiffy dazwischen. Da wurde unter anderem über Begabungen gesprochen. Gibt es genetisch veranlagte Begabungen oder entstehen diese nur durch entsprechende Förderung?

Wir Tiere beschreibt die Kindheit und Jugend dreier Brüder aus der Sicht des Jüngsten. Die Buben wachsen in einer amerikanischen Unterschicht-Familie auf, bleiben oft unbeaufsichtigt, lernen sich durchzuschlagen, lernen auch, dass Gewalt und Aggressionen im täglichen Leben auf der Tagesordnung stehen. Der jüngste Bruder zeigt andere Anlagen als die beiden älteren Buben, er ist sensibler, er zeigt Potential in der Schule, je älter er wird, umso mehr wird ihm und auch seinen Brüdern klar, dass er anders ist, nicht wie sie. Das Finale kommt überraschend und vieles bleibt offen.

Auch im Roman bleibt die Frage offen, was aus dem Buben werden hätte können, wäre er in ein anderes Umfeld hineingewachsen. Hätte er sich anders entwickeln können, wenn seine Eltern mehr Zeit gehabt hätten, sich um die Kinder zu kümmern? Wieviel von der Entwicklung des einzelnen Menschen wird von der genetischen Veranlagung bestimmt und wieviel im täglichen Leben erlernt? Mit diesem Thema möchte ich mich definitiv weiter beschäftigen.

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Krimi Roman

Bernhard Aichner – Totenfrau

Ganz ohne Spoiler wird es in diesem Fall nicht gehen, jedoch wird dies das Lesevergnügen nicht trüben. Viele Entwicklungen erwiesen sich im Nachhinein als vorhersehbar, wenn man sich mit dem Genre schon etwas länger beschäftigt.

Die Protagonistin dieses Romans ist eine Selbstjustiz übende Psychopathin, eine Frau, die die Verbrecher tötet, von denen es zuerst scheint, dass man ihnen nichts nachweisen, sie nicht vor Gericht bringen kann. Als großer Fan von Criminal Minds schaue ich nicht zum ersten Mal durch die Augen einer Serienmörderin, doch die Art, wie diese Geschichte erzählt wird, ist mir neu. Wie sie ihre Kinder beschützt und gleichzeitig tiefer und tiefer in den Rachefantasien versinkt, wird mit zunehmender Leichenzahl beklemmender. Pate gestanden hat offenbar die Serie Dexter, die immerhin sogar im Buch erwähnt wird. Eine andere Perspektive im Bereich der Krimis und Thriller, für Fans dieses Genres durchaus empfehlenswert.