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Roman

Katharina Bivald – Ein Buchladen zum Verlieben

Er versuchte, sich in der allerhintersten Ladenecke zu verstecken und literarisch interessiert zu wirken. Er wusste nicht so ganz, wie man das machte, aber er versuchte es mit gerunzelter Stirn und intensivem Starren auf die Buchrücken.

Ein absolutes Wohlfühlbuch für den finsteren und kalten November. Natürlich ist das eine absurde Geschichte, natürlich ist das Ende ab einem gewissen Zeitpunkt vorhersehbar. Aber die Autorin hat sich bemüht, der Geschichte Raum zum Entfalten zu geben und die Liebe nicht völlig aus dem Nichts vom Himmel fallen zu lassen. Einige Nebenstränge sind ebenfalls vorhanden, die deutlich weniger vorhersehbar sind und für allerhand komische Momente sorgen. Viele Literaturreferenzen lassen den Buchliebhaber schmunzeln. Die Gedanken der verstorbenen Amy (kein Spoiler, das passiert quasi auf den ersten Seiten …) über das Werk des schwedischen Krimiautors Stieg Larsson etwa sind äußerst unterhaltsam.

Amüsieren kann man sich dann auch noch über die Angewohnheit deutschsprachiger Verlage, möglichst blumige Titel zu verwenden. Die schwedische Originalausgabe heißt übersetzt: „Die Leser von Broken Wheel empfehlen“. Wäre jetzt auch nicht direkt meine Wahl, klingt aber deutlich weniger nach lauem Liebesroman als der deutschsprachige Titel.

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Erfahrungsbericht

Caitlin Doughty – Fragen Sie Ihren Bestatter

Es war, als hätte ich mein Leben lang nur Zugriff auf ein beschränktes Gefühlsspektrum gehabt, als wäre ich wie eine Flipperkugel zwischen den Engen der Skala hin und her geschnellt. Bei Westwind wurde meine emotionale Bandbreite schlagartig erweitert. Ich erlebte Augenblicke der Euphorie und der Verzweiflung, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Die Autorin schafft es sehr geschickt, ihre persönlichen Erfahrungen als Mitarbeiterin im Krematorium in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem kulturellen Phänomen des Bestattungswesens zu verpacken, ohne dabei den Humor zu verlieren. Diese Form der (sachlichen) Beschäftigung mit einem bestimmten Thema anhand eigener Erfahrungen gefällt mir zunehmend besser. Caitlin Doughty hat keine Scham dabei, sich als unerfahrene Kremationsmitarbeiterin auch selbst auf die Schaufel zu nehmen, und beschreibt hingebungsvoll all ihre Zweifel an ihren eigenen Fähigkeiten und den Mechanismen der amerikanischen Bestattungskultur. Von der Kremierung Obdachloser auf Staatskosten bis zur Einbalsamierung prominenter Menschen vor der Bestattung auf einem Nobelfriedhof (in Kalifornien gibt es sowas selbstverständlich) ist alles dabei.

Wenn man das Thema wirklich an sich heranlässt, dann kommt man nicht umhin, sich zu fragen, was man eigentlich über die Bestattungskultur im eigenen Land weiß. Ich selbst war als Studierende zuletzt auf einem Begräbnis, wobei ich zugeben muss, dass mir damals mehr die gesellschaftlichen Erwartungen an mich Sorge bereiteten als die Trauer um die zu Begrabende (es handelte sich um eine nahe Verwandte meines damaligen Lebensgefährten). Der grundlegende Ablauf einer traditionellen Bestattung auf einem katholischen Friedhof mit vorangehender Trauerfeier und darauf folgendem Leichenschmaus ist mir ein Begriff, jedoch fehlt mir jegliche Vorstellung davon, welche Möglichkeiten neben dieser traditionellen Variante in Österreich sonst noch möglich sind.

Tatsächlich habe ich vor einigen Monaten ein handschriftliches Testament verfasst, das dafür sorgen soll, im Falle meines plötzlichen Ablebens nicht mit mir verwandte Menschen mit einem Teil meines Erbes zu bedenken. Was mit meinem Körper dann geschehen soll, war mir jedoch damals nicht in den Sinn gekommen, und ist mir auch heute noch gleich. Wenn meine Familie sich einen Ort wünscht, an dem sie mich besuchen kann, soll sie diesen haben. Ob das nun ein Platz im Familiengrab ist oder eine Urne hinter einer Steinwand oder ein Baum, den sie auf einer Lichtung im Wald pflanzen, scheint für mich selbst keinen großen Unterschied zu machen. Diese Dinge sind wichtig für die Hinterbliebenen. Aber nicht für den Verstorbenen, der sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon an einem ganz anderen Ort befindet. Wo auch immer das dann sein mag …

Der Sinn von Kultur besteht darin, Antworten auf die großen Fragen der Menschheit zu liefern: Leben und Tod. Als jungem Mädchen hatte mir meine Kultur zwei Dinge weiszumachen versucht: zum einen, dass es für uns alle am besten ist, den Tod im Verborgenen zu halten – eine fette Lüge, wie ich während meiner Arbeit bei Westwind begriffen hatte, einem Bestattungsunternehmen, das letztlich auch nur Teil jener großen Verschwörung war, den Tod komplett unter den gesellschaftlichen Teppich zu kehren.

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Roman

Glennon Doyle Melton – Love Warrior

As I took on these roles, I kept waiting for that day when I could stop acting like a grown-up because I’d finally be one. But that day never came. My roles hung on the outside of me like costumes.

Diese Parnassus-Empfehlung ist nicht mehr ganz taufrisch und daher inzwischen auch in der Bücherei Wien angekommen. Die Lektüre hat mich zuerst etwas ratlos zurück gelassen. Viele Teile waren mir schlicht zu esoterisch (durch Yoga endlich ein Körpergefühl gefunden), manche zu hysterisch (Pornografie ist der Teufel), gleichzeitig steht es mir nicht zu, die Erfahrungen und Emotionen anderer Personen zu bewerten. Dass die Autorin ihren persönlichen Entwicklungsprozess in die Öffentlichkeit trägt, zeugt von großem Mut.

In vieler Hinsicht kann dieses Buch als Zeugnis dafür herhalten, dass ein Mensch es schaffen kann, aus einer scheinbar unlösbaren Katastrophe gestärkt hervorzugehen und daraus zu lernen. Viele Menschen dürften sich in einzelnen Situationen wiederfinden und können daraus möglicherweise etwas für den eigenen Lebensweg und den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen mitnehmen. Am Ende war auch für mich eine Erkenntnis dabei, die ich auf meine persönliche Situation anwenden konnte, wenn auch nicht ganz so plakativ wie die Tatsache, dass Yoga beim Atmen hilft.

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Memoir

Heather Harpham – Happiness: The Crooked Little Road to Semi-Ever After

She was an older woman with cobalt eyes, and no children, who gave her maternal love to all. Could I be that?

In den Parnassus Books Empfehlungen tauchen immer wieder Beispiele aus dem Memoir-Genre auf. Mir ist das erst letztes Jahr bewusst aufgefallen, es erscheint mir aber noch immer, als sei das eher ein Element amerikanischer Kultur und im deutschsprachigen Raum kaum präsent. Oder suche ich nur an den falschen Stellen? Hat jemand Empfehlungen für original deutschsprachige Beispiele aus dem Memoir-Genre?

Das obige Zitat stammt aus den ersten Kapiteln, in denen die Autorin Heather noch damit ringt, wie sie mit der überraschenden Schwangerschaft umgehen soll. Der Kindsvater kann sich ein Leben mit Familie nicht vorstellen. Heather entscheidet sich für das Kind und die Trennung. Nach der Geburt wird eine undefinierbare Krankheit festgestellt. Lange Zeit ist nicht klar, wie dem Baby zu helfen ist, ob es überleben wird. Eine Unsicherheit, mit der die Eltern für Jahre werden leben müssen.

It wasn’t that he didn’t want to be there; it was that he had to be there als who he was.

Die Autorin beschreibt also ihren eigenen Weg und teilt ihre Erfahrungen als Mutter, die schon während der Schwangerschaft allein ist, als Mutter eines kranken Kindes, als Mutter, die dem Vater erst wieder Platz einräumen muss. Später als Mutter eines schwer kranken Kindes, das mit dem Tod ringt, und auch als Mutter, deren Kind überlebt hat, während andere Mütter ihre Kinder verloren haben. Sie beschreibt, wie die Sorge um das kranke Kind alle anderen Gefühle verdrängt, wie darunter die Beziehung zum Geschwisterkind und zum Kindsvater leiden.

Any kind of life, if you live it long enough, becomes routine.

Es sind persönliche Erfahrungen, die die Autorin teilt, vielleicht macht diese Tatsache das Buch so mitreißend und gleichzeitig beängstigend. Es erlaubt dem Leser einen Blick in die Gefühlswelt einer Situation, die die meisten Menschen selbst nicht erleben (müssen). Es erinnerte mich an die vielen anderen Leben, die für jeden von uns möglich gewesen wären, für die wir uns jedoch nicht entschieden haben. Manche davon sind verloren, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Viele andere sind jedoch immer noch möglich.

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Roman

Hansjörg Schertenleib – Nachtschwimmer

Zwei jugendliche Liebende. Die eine mit einem offensichtlichen Problem (ihre prekären Lebens- und Familienverhältnisse), das sich als wesentlich ernster herausstellt, als zuerst klar ist, der andere mit einer tiefer liegenden Krise (Schuldgefühle wegen des Unfalltods des kleinen Bruders).

Gibt es einen Moment, in dem eine Entscheidung einfach unausweichlich wird? Oder ist es eigentlich jeden Tag eine neue Entscheidung, zu gehen oder zu bleiben? Oder ist es erst eine Entscheidung, wenn die Entscheidung für das Gehen ausfällt?

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Roman

Monique Schwitter – Eins im Andern

Bei einer Erzählung aus der Ich-Perspektive besteht immer die Gefahr, die Erzählperson mit der Autorin gleichzusetzen und anzunehmen, die Geschichte wäre zumindest teilweise autobiografisch. In einem Interview hatte ich kürzlich auch die Auffassung gelesen, jeder Roman wäre immer ein Stück autobiografisch, auch wenn der Autor nicht selbst erlebt hätte, was er beschreibt, sondern eben nur erfunden. In die erfundenen Erlebnisse fließen trotzdem die realen Lebensumstände und Prägungen des Autors ein.

In diesem Buch untersucht eine Ich-Erzählerin ihre vergangenen Beziehungen zu Männern. Dabei beschreibt sie verschiedenste Formen von Beziehungen (das, was auf dem Klappentext als die Gesichter der Liebe bezeichnet wird). Eine Jugendliebe, die an den unterschiedlichen beruflichen Ambitionen und deren Erfolgsaussichten scheitert. Eine Zufallsbekanntschaft, die direkt aus der Schublade geheime Fantasien entsprungen sein könnte. Eine (tatsächlich stattgefundene oder von seiner Frau nur erfundene) Affäre mit einem Professor. Ein Flirt mit einem Schüler. Eine Erwachsenenliebe, die (beinahe?) an einer Suchterkrankung scheitert.

Die Gedanken der Erzählerin scheinen sich zunehmend zu verwirren, sie hinterfragt ihren Lebensstatus und kommt schließlich zu einer für den Leser überraschenden Erkenntnis. Mir persönlich ging die (Nicht-)Auflösung der Zusammenhänge etwas zu schnell. Dass frühere Beziehungen unser weiteres Leben prägen, ist auch keine spektakuläre Erkenntnis. Ein interessanter Roman, aber für mich keine Offenbarung (wie sie der Klappentext verspricht und die Empfehlung andeutete).

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Fantasy Jugend Märchen

Neil Gaiman – Coraline

‘Because,’ she said, ‘when you’re scared but you still do it anyway, that’s brave.’

Eigentlich hätte das mein Reisebuch sein sollen, aber irgendwie ergab es sich dann, dass ich gar nicht so viel Zeit hatte und mit dem schon drei Tage vorher begonnenen Kindle-Buch The Elegance of the Hedgehog erst nach der Rückkehr fertig wurde. Für die Reise hätte dieses Märchen (?) sowieso nicht ausgereicht. Obwohl es inhaltlich sehr gut als Reisebegleiter gepasst hätte.

Das Buch erzählt wie Coraline aus Neugierde durch eine verbotene Tür geht und sich plötzlich in einer Parallelwelt wiederfindet, in der sie lauter Schattengestalten aus der ihr bekannten Welt begegnet. Anstatt Augen tragen sie Knöpfe im Gesicht. Die Illustrationen im Buch lassen bereits erahnen, was Tim Burton aus dieser Geschichte machen könnte.

Coraline will nach einer kurzen Zeitspanne, in der ihr diese Welt viel interessanter vorkommt als ihre eigene, nicht nur schnell zurück, sie muss auch noch ihre Eltern befreien. Dabei stößt sie auch noch auf drei andere Seelen, die ihre Parallelmutter (the other mother) entführt hat. Dabei kommt immer wieder das Thema Mut zur Sprache. In einer gefährlichen Situation dürfen wir nicht erstarren, sondern müssen handeln. In einer bedrohlichen Situation sind wir nicht verloren, solange wir einen klaren Kopf behalten und den Mut nicht verlieren. Angst kann hilfreich sein, solange wir nicht zulassen, dass sie uns lähmt. Ein plakatives, aber wahres Motiv.

It is astonishing just how much of what we are can be tied to the beds we wake up in the morning, and it is astonishing how fragile that can be.

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Roman

Muriel Barbery – The Elegance of the Hedgehog

People aim for the stars, and they end up like goldfish in a bowl. I wonder if it wouldn’t be simpler just to teach children right from the start that life is absurd.

Zwei besondere Protagonistinnen bevölkern diese Geschichte: Madame Michel arbeitet als Concierge in einem von reichen Menschen bewohnten Haus. Sie beschäftigt sich mit Literatur, Philosophie und Kunst, versteckt jedoch ihre Intelligenz hinter dem einfachen Benehmen, das ihrer Meinung nach einer Concierge zusteht. Die zweite Protagonistin ist die zehnjährige Paloma. Wie Madame Michel ist sie deutlich intelligenter als ihre Familie annimmt und will sich daher nicht mit den Banalitäten des „normalen“ Lebens ihrer Eltern und ihrer Schwester befassen. Sie versteckt sich und plant ihren baldigen Selbstmord.

In diese Anfangssituation platzt der Tod eines Bewohners und kurz danach die Ankunft des Nachmieters. Für beide Protagonistinnen steht damit eine große Veränderung ins Haus. Madame Michel wird herausgefordert, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen (und diese hinter sich zu lassen) während Paloma nach dem Sinn des Lebens und ihrer eigenen Zukunft sucht. Eine bittersüße Geschichte mit einem überraschenden Ende.

What does Art do for us? It gives shape to our emotions, makes them visible and, in so doing, places a seal of eternity upon them, a seal representing all those works that, by means of a particular form, have incarnated the universal nature of human emotions.

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Roman

Katja Lange-Müller – Drehtür

Zu helfen weckt ein seltsames Verlangen in dir, aber eines, das gestillt werden kann, so betörend, dass du es wieder tun willst und wieder und immer wieder. … Wenn du zum Helfen berufen oder eben ermächtigt bist, ist es tröstlich und herausfordernd, jemandem zu begegnen, dem es schlechter geht als dir selbst, am besten viel schlechter.

Die Autorin Katja Lange-Müller untersucht in diesem Buch das sogenannte Helfersyndrom. Ihre Protagonistin Asta wurde aus ihrem Helferjob zwangsbeurlaubt, steht nun am Flughafen außerhalb der Drehtür und weiß nicht weiter. Sie beobachtet die Menschen am Flughafen, bis sie einen findet, der sie an jemanden aus ihrer Vergangenheit erinnert. Asta selbst scheint keine Bedürfnisse zu haben. Sie hätte in diesem Moment alle Möglichkeiten, ihr Leben neu zu beginnen, aber sie schafft es nicht, ihren Fokus von anderen Menschen zu lösen und auf sich selbst zu richten.

Immerhin, die Kranken, zur Not auch die Überlebenskranken, bieten dir, Schwester, Pfleger, Arzt, das Größte und Großartigste, meinetwegen Geilste von allem: die Macht, zu helfen, die Hilfsmacht also, und eine noch mächtigere, mitunter sogar übermächtige Macht, die, Respekt zu erfahren – und Bewunderung, rückhaltlose Bewunderung, von allen Seiten.

Anderen Menschen zu helfen, ist niemals völlig altruistisch. Es beinhaltet immer auch das gute Gefühl, etwas Wertvolles für die Gesellschaft oder zumindest für einen einzelnen Menschen geleistet zu haben und damit eine Legitmation der eigenen Person. Auf der einen Seite wäre es fatal, wenn dieses Bedürfnis, Selbstlegitimation aus der Hilfe für andere zu gewinnen, von einem Tag auf den anderen versiegen würde. Wo wäre unsere Gesellschaft ohne Menschen, die helfen, die auf den eigenen Vorteil vergessen, die ihre eigenen Bedürfnisse für einen Zeitraum zurückstellen, um anderen einen Fortschritt oder in manchen Fällen auch das simple Überleben zu ermöglichen? Gleichzeitig darf das Helfen nicht zum Selbstzweck werden. Wer sich selbst in der Unterstützung anderer Menschen verliert, wird eines Tages zusammenbrechen. Eine schwierige Balance, die die Autorin in diesem Roman auf geschickte und literarisch ansprechende Weise analysiert.

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Roman

Alexandra Tobor – Sitzen vier Polen im Auto

Wie ich auf Alexandra Tobor gekommen bin, habe ich schon voriges Jahr zu Minigolf Paradiso geschrieben. Seitdem hatte ich auch ihr erstes Buch auf der Bücherei-Liste, jetzt bin ich endlich dazu gekommen.

Die Autorin beschreibt Aspekte ihrer Kindheit in Polen, in der ein Quelle-Katalog wie ein Heiligtum aus einer anderen Welt wirkt. Die Produktvielfalt im Westen ist auch in der späteren Erzählung wieder ein Thema, als die Familie nach Westdeutschland ausgewandert ist – in das (scheinbar) „gelobte Land“ BRD. Der Weg zur eigenen Wohnung im Land der Wunder stellt sich jedoch als deutlich steiniger heraus als erwartet. Das Mädchen Alexandra bleibt wegen ihrer unmodischen Kleidung und der (zuerst) fehlenden Sprachkenntnisse lange eine Außenseiterin in der Schule.

„Sie müssen sich schon anpassen, wenn Sie hier ein schönes Leben haben wollen, meine Liebe. Ich kaufe meiner Ewa zum Beispiel nur Markenkleidung. Das ist hier ziemlich wichtig.“

Besonders befremdend fand ich eine Geschichte, in der erzählt wird, wie Alexandras Mutter sich mit einer anderen aus Polen ausgewanderten Mutter unterhält, die jedoch schon einige Jahre in Deutschland lebt. Diese Mutter verbietet ihrem Kind den Kontakt mit anderen Polen und kauft für sie nur Markenkleidung, sie versucht, sich von ihrer Vergangenheit abzugrenzen. Sie hat es geschafft, dazuzugehören, nun will sie nicht riskieren, ihren gehobenen Status zu verlieren, indem sie sich mit Neuankömmlingen aus Polen abgibt. Diese Reaktion ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch schockierend, wenn man bedenkt, dass sie noch vor wenigen Jahren in derselben Situation war, in der sie dringend jemanden gebraucht hätte, der ihr im unbekannten Land zur Seite steht.

Immer wieder wird auch erwähnt, dass sich Alexandra für ihre bescheidenen Lebensverhältnisse schämt. Von einer anderen Familie wird sie eingeladen, weil diese wünscht, dass ihre Tochter mit Kindern anderer Herkunft spielt (worüber diese natürlich nicht begeistert ist). Natürlich beneidet Alexandra das unhöfliche Mädchen um ihr vieles Spielzeug, ist aber gleichzeitig überrascht über deren rauhen Umgangston. Als umgekehrt Alexandras Mutter aus Höflichkeit dieses Mädchen zu Alexandras Geburtstag einlädt, kommt es zum Konflikt, weil das verwöhnte Kind nach einer Kuchengabel verlangt.

Viele dieser Episoden wirken klischeehaft überzogen und als Leser krümmt man sich bei der Beschreibung von Dominiks deutscher Unterschichtmutter. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, die Geschichte dieser Auswandererfamilien gering zu schätzen. In einem Medium-Artikel beschrieb Alexandra Tobor kürzlich, warum sie es wichtig findet, diese Geschichten zu erzählen. Nicht nur Kinder, sondern alle Menschen brauchen Vorbilder. Sie suchen nach Geschichten, an denen sie sich orientieren, mit denen sie sich identifizieren können.

Weil wir mit unseren Geschichten gestalten, wie gut die kommenden Generationen mit sich und der Gesellschaft klarkommen werden.