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Roman

Markus Zusak – The Book Thief

Bevor ich dieses Buch zur Hand nahm, hatte ich keine Ahnung davon, worum es geht. Einzige Referenz für mich war ein anderes Buch des Autors, das mich 2017 sehr begeistert hatte. Ich wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht.

Erzählt wird die Geschichte von Liesel Meminger, die im ersten Kapitel das Sterben ihres kleinen Bruders in einem kalten Zug miterlebt und nur wenige Stunden später von ihrer Mutter bei einer Pflegefamilie zurückgelassen wird. Wie sich später herausstellt: Liesels Mutter wurde als Kommunistin von den Nationalsozialisten verfolgt und versuchte auf diesem Weg, ihre Tochter in Sicherheit zu bringen. Es folgen detailreiche Beschreibungen von Liesels Leben im nahe München gelegenen Molching (wie sich auf Wikipedia nachlesen lässt eine Anlehnung an den realen Ort Olching). Der rote Faden sind die Bücher, die in Liesels Leben „auftauchen“. Das erste Buch stiehlt sie auf dem Friedhof am Grab ihres toten Bruders: Das Handbuch für Totengräber. Zu diesem Zeitpunkt kann Liesel nicht lesen, sie stiehlt das Buch als Erinnerung an ihren Bruder.

Im Verlauf des Krieges lernt Liesel nicht nur lesen, sie lernt auch, die Ungerechtigkeiten der Welt zu erkennen. Ihr moralischer Kompass scheint sie unempfindlich zu machen gegen die im Bund Deutscher Mädel vermittelten Leitbilder des totalitären Regimes. Ihre Beziehung zum im Keller versteckten Juden Max, die auf Büchern, Worten und dem Austausch von Alpträumen basiert, wiegt schwerer als die immer bedrohlicher werdenden Ausprägungen des nationalsozialistischen Regimes.

Interessant ist nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch die unterschiedlichen verwendeten Stilmittel. Auffallend ist vor allem, dass die Geschichte aus der Sicht des Todes erzählt wird, der immer wieder einstreut, wie beschäftigt er im Verlauf des Krieges mit dem Abholen der vielen Seelen der Verstorbenen ist. Ein besonders berührender und bedrückender Teil ist die Beschreibung der Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen aus der Sicht des Todes.

Der Schreibstil ist anekdotisch, fühlt sich wie erzählte Erinnerungen an und hält trotz einiger Verweise zwischen den Zeiten an einem roten Faden fest, der sich von Buch zu Buch schlängelt und schließlich an Liesels selbst Geschriebenem endet. Eine berührende und großartige Geschichte.

Randnotiz: Da ich erst kürzlich selbst auf den (nun nicht mehr erreichbaren) Blog von Mademoiselle Read-On verlinkt habe, empfinde ich es als notwendig, auf eine entstandene Kontroverse hinzuweisen, die in Bezug auf diese Person und ihr Blog kürzlich entstanden ist. Artikel in Zeit und Spiegel legen nahe, dass viele in ihrem Blog veröffentlichte Geschichten erfunden sind. Das alleine wäre in meinen Augen noch kein großes Problem, ich hatte bei vielen ihrer Geschichten, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe, das Gefühl, dass etwas nicht ganz zusammen passt. Es war aber eher nur diffus und bei der verwendeten blumigen Schreibweise hatte ich auch einfach angenommen, dass eine Erzählebene dazwischen geschoben wurde, um die erwähnten Personen zu abstrahieren, dass Metaphern verwendet wurden, um Alltagsgeschichten zu interessanten Geschichten zu machen, dass manche Situationen so erzählt wurden, wie sie ablaufen hätten könnten, wäre die Autorin ein anderer Mensch.

Im oben erwähnten Spiegel-Artikel wird jedoch auch aufgedeckt, dass die Autorin erfundene Holocaust-Opfer an die Gedenkstätte Yad Vashem gemeldet hat. Die Problematik dahinter erklärt erschöpfend dieser Beitrag von Anke Gröner. Für viele andere kommt wohl zusätzlich hinzu, dass sie mit der Autorin persönlich bekannt waren und sich nun ihre persönliche Einschätzung der Autorin als falsch herausgestellt hat, wie zum Beispiel in diesem Beitrag erklärt. Es ist nicht das erste Mal, das Menschen Geschichten erfinden und sie als wahr ausgeben. Die Motive sind in diesem Fall unklar. Vertrauen wurde erschüttert. Eine andere Sichtweise (oder ein Erklärungsversuch?) auf die Ereignisse findet sich auch hier bei Irgendwie Jüdisch.

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Roman

David Knowles – Die Geheimnisse der Camera obscura

Bei meinem kürzlichen Aufenthalt in Karlsruhe entdeckte ich erst vor Ort diesen Bücher-Geocache und seine besondere Logbedingung: Das „Log-Buch“ ist selbst mitzubringen, in das Buch soll ein ausgedruckter Zettel eingeklebt werden, der dann als persönliches Log dient. Um ein Buch von zuhause mitzubringen war es natürlich zu spät. Da ich nun aber beim Mitcacher bereits das Ausdrucken des Logzettels beauftragt hatte, musste ich auf die Schnelle noch ein Buch auftreiben: entweder eines, das ich bereits gelesen habe oder eines, das ich noch während des Aufenthalts lesen kann. Es kam zu Zweiterem, in einem Antiquariat entschied ich mich für diesen überschaubaren Roman.

Die titelgebende Camera obscura (Lochkamera) ist der Schauplatz der Reflexionen des Ich-Erzählers, der in Tagebuch-artigen Einträgen einerseits von den Besuchern in seiner Camera obscura und andererseits von der Entwicklung des Prinzips der Camera obscura erzählt. Er beschreibt mehrere (fiktive?) Mordfälle, die mit der Camera obscura in Verbindung stehen sollen. Auslöser dafür ist die Ermordung einer Frau in der nahen Umgebung – einer Frau, die selbst Besucherin der Camera obscura war.

Ohne zu viel zu verraten, kann ich hier nur sagen, dass diese Geschichte in ihrer Kürze ein sehr gelungenes Spannungsgeflecht aufbaut und auch das Ende trotz vorheriger Anzeichen überraschend kommt. Durchaus ein würdiger Kandidat als „Log-Buch“ für den Bücherwurm. Mehr Geocaching-Geschichten aus Karlsruhe gibt es hier bei Dosenkiwi.

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Jugend Roman

Jesse Andrews – Me and Earl and the Dying Girl

„Urrrnngh.“

„What is that noise.“

„Regretful polar bear.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Jugendbüchern, die sich zwar mit schwierigen Themen befassen, aber nicht wirklich die Sprache der Jugend sprechen, zeichnet sich dieses Buch durch eine betont flapsige Sprache aus. Das kann (für die etwas gealterte Leserin) in manchen Momenten etwas anstrengend wirken, bringt aber schön zum Ausdruck, wie sich das Leben von Jugendlichen tatsächlich darstellt. Und führt zu unfassbar lustigen Situationen und Konversationen.

Der erzählende Protagonist beschreibt etwa ausführlich seine intensiven Versuche, mit allen auf seiner Highschool existierenden Gruppen ein neutrales Verhältnis zu haben, nirgends dazuzugehören, nirgends negativ aufzufallen und sich aus allen Konflikten herauszuhalten. Dieser Versuch wird torpediert durch seine entstehende Freundschaft mit der krebskranken Rachel. Herbeigeführt wird diese Entwicklung durch seine Mutter, die ihm nahelegt, eine vormals bestehende lose Bekanntschaft mit dem nun erkrankten Mädchen wiederzubeleben.

Ausführlich beschrieben wird zwischen den Zeilen, wie schwierig uns im Allgemeinen der Umgang mit kranken Menschen fällt. Mitleid scheint fehl am Platz, so zu tun, als wäre alles in Ordnung wird mit fortschreitender Krankheit unmöglich. Greg überlässt Rachel sein Verzeichnis mit möglichen weiterführenden Schulen, in seinem Verständnis, damit Rachel sich selbst eine Schule aussuchen kann (die sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht besuchen wird können). Rachel sucht stattdessen für Greg eine Filmschule aus. An der er sich nicht bewerben will, weil er sich selbst nicht für geeignet hält.

Die zweite Komponente ist Gregs Freundschaft mit Earl, der mit abwesenden Eltern und ruppigen älteren Brüdern aufwächst und seine Perspektive als Manager bei Wendy’s sieht. Die Freundschaft mit der kranken Rachel verändert beide.

Am Ende verwirklicht die Geschichte natürlich genau das, was sie zu Anfang behauptet, nicht sein zu wollen: eine Geschichte über die lebensverändernde Bedeutung von Freundschaft, Krankheit und dem Sterben eines geliebten Menschen.

Randnotiz:

Was für eine wunderbare Sammlung. Man bekommt sofort Reisefieber und will sich Bücher in beide Jackentaschen stopfen, um gleich loszuziehen.

Vor Jahren hatte ich die Idee, etwas Ähnliches auf die Beine zu stellen, ich habe dann damals auch begonnen, alle Bücher hier im Blog mit den Städten und Ländern zu taggen, mit denen sie in Verbindung stehen. Jetzt gibt es hier bei Lit Cities eine Karte, wo Städte mit Büchern verknüpft sind, eine sehr schöne Umsetzung dieser Idee. Via Mademoiselle ReadOn.

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Roman

Christiane Neudecker – Sommernovelle

Ein paar Meter von uns entfernt schoben ein paar ältere Heeren kindsgroße Figuren über die schwarz-weißen Steinfelder eines riesigen Schachbretts.

Spätestens beim obigen Satz fühlte ich mich in der Zeit verortet, auch wenn das große Schachbrett, auf dem meine Schwester und ich als Kinder im Urlaub gespielt haben, sich in Oberösterreich befand und nicht auf einer deutschen Nordseeinsel. Viele weitere detailreiche Beschreibungen lassen das Leben auf der Insel lebendig werden: Die Beschreibungen der Vogelbewegungen lassen den eigenen Blick zum Himmel wandern, die Episode im Brutgebiet der Möwen erinnert vage an Hitchcock.

Das Buch erzählt vom Besuch zweier Mädchen auf einer Vogelbeobachtungsstation auf einer Insel in der Nordsee, die Helgoland oder Sylt sein könnte oder vielleicht auch tatsächlich einfach fiktiv ist. Die Mädchen wollen etwas für die Umwelt tun, sie wollen sich nützlich machen, sie wollen nicht nur Flyer gestalten und demonstrieren, sondern tatsächlich die Welt ein kleines bißchen besser machen: jugendlicher Idealismus gepaart mit Ratlosigkeit.

Es gab so viele Dinge, gegen die man etwas unternehmen musste, manchmal wurde mir davon ganz schwindelig. Die Umweltverschmutzung. Die Armut in der dritten Welt, der Hunger. Das Waldsterben, die Massentierhaltung, die Nazis. Der Treibhauseffekt. Die Atomwaffen, der Kalte Krieg. Die Sache mit dem Regenwald. Wo sollte man denn da anfangen.

Bestechend daran ist, dass manche Begriffe antiquiert erscheinen (das Waldsterben), aber die zugrundeliegenden Probleme heute noch so aktuell wie damals sind. Das Buch wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Es lässt die Protagonistin und ihre Freundin Lotte an ihrer Naivität, an ihren Idealen scheitern, wie es so typisch für Jugendliche ist. Fehlschläge können zur Resignation führen oder zum Handeln. Die beiden Mädchen entscheiden sich fürs Handeln und gehen ihren eigenen Weg.

„Manchmal bauen Menschen sich Luftschlösser“, sagte er leise. „Aber das heißt nicht, dass in den Schlossgärten nicht ein paar Blumen wachsen können.“

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Roman

Ashley Herring Blake – How to Make a Wish

Dieses Buch stammt wieder mal aus einer Empfehlungsliste von Parnassus. Die Lorbeeren:

This is the book I wanted with all my heart when I was a teen.

Auch wenn meine Jugend keine Parallelen zur Geschichte aufweist, hat mich das Buch doch sehr berührt. Es spricht so viele Themen an, mit denen junge Menschen im Prozess des Erwachsenwerdens konfrontiert werden:

  • Ein schwieriges Verhältnis zu den Eltern. Die Protagonistin Grace lebt mit ihrer Mutter, die nach dem Tod des Vaters ihr Leben nicht mehr vollständig in den Griff bekommt. Grace fühlt sich verantwortlich, beider Leben zu managen und ihre Mutter auch noch vor zu großem Schaden durch Alkoholismus zu bewahren. Sie wird zerrieben zwischen den Plänen für ihr eigenes Leben und dem Verantwortungsgefühl für ihre Mutter.
  • Unsicherheit über die eigene Zukunft. Grace möchte Pianistin werden, eine Audition an einer renommierten New Yorker Musikschule entscheidet darüber, ob sie der Verwirklichung ihres Traums ein Stück näher kommt.
  • Freundschaften verändern sich. Grace’s Freundschaft mit Luca wird auf eine harte Probe gestellt, als Luca eine Beziehung mit Kimber beginnt und somit weniger Zeit und Aufmerksamkeit für Grace aufbringen kann.
  • Sexuelle Identität. Grace fühlt sich sowohl zu Mädchen als auch Burschen hingezogen. Das Klarwerden über die eigene sexuelle Orientierung wird im Buch wenig thematisiert, es wird mehr oder weniger trocken festgestellt, Grace ist bisexuell, das fühlt sich für sie richtig an und damit ist das eben so. Die Vorurteile, die damit nach wie vor verbunden sind (das Häufigste: bisexuelle Menschen wären tatsächlich homosexuell, wollen das aber nicht zugeben), werden nicht thematisiert. (Das wäre aber möglicherweise tatsächlich zu viel gewesen für die ohnehin schon schwer belastete Geschichte.)
  • Selbstzweifel. Grace fühlt sich von ihrer Mutter nicht geliebt und gibt sich dafür selbst die Schuld. Wenn sie nur besser wäre, würde ihre Mutter ihr auch mehr Aufmerksamkeit schenken.

Das Buch endet filmreif mit einem dramatischen Höhepunkt und einem versöhnlichen Ausklang, der in die Zukunft blicken lässt.

Hier gibt’s zum Abschluss noch ein Beispiel dafür, wie sich verschiedene Geschichten begegnen und dadurch vertiefen. Grace übt für ihre Audition die Fantasie in C-Dur von Robert Schumann. Dieses Stück war auch Teil eines Konzertabends, den Mademoiselle ReadOn in diesem Blog Post sehr eindrücklich beschreibt.

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Roman

Catalin Dorian Florescu – Der Mann, der das Glück bringt

Die Veröffentlichung der neuen Onleihe-App der Büchereien Wien (kürzlich in diesem Blog Post etwas ausführlicher beschrieben) hat mich dazu inspiriert, die ältere Liste mit Büchern, die ich mal lesen wollte (die ich in den vergangenen Monaten durch eine neuere Liste in einem anderen Organisationssystem abgelöst hatte), nochmal durchzugehen und zu prüfen, ob ich von den Altlasten nun etwas in der Virtuellen Bücherei ausleihen kann. Tatsächlich habe ich da einiges gefunden und möchte nun auch (wieder) Zeit in diese älteren Buchnotizen investieren.

Die heutige Empfehlung stammt aus dem Jahr 2016, ist also noch gar nicht so alt. In diesem Blog Post gibt Andreas Paschedag, Programmleiter im Berlin Verlag, Tipps, wie angehende BuchautorInnen einen für sie passenden Verlag finden können (in meinen Augen recht realitätsnah und praktisch) und empfiehlt außerdem ein paar Bücher, darunter war übrigens auch das oben bereits verlinkte Little Beach Street Bakery.

Das Buch fühlt sich zuerst etwas angestaubt an, die Zeitungsjungen, der Kohlenkeller, der Fluss, es wirkt etwas wie bei Charles Dickens geborgt. Es beginnt mit der Geschichte eines Jungen, der Großvater genannt wird. Wie sich bald herausstellt, ist das kein Spitzname, sondern ein Verweis auf die Familienverbindungen, die sich im weiteren Verlauf der Geschichte mehr oder weniger entwirren werden. In alternierenden Kapiteln wird parallel zu Großvaters Entwicklung eine Geschichte aus dem tiefsten Donaudelta in Rumänien erzählt. Die Stadt Sulina (OSM) ist auch heute noch nur per Schiff zu erreichen. Über Wikipedia habe ich ein Foto eines Leuchtturms aus dem Jahre 1802 gefunden. Auf dem Foto leuchtet neben dem Leuchtturm eine bunte Infotafel. Gäbe es diese nicht, könnte das Foto durchaus auch Jahrzehnte älter sein.

Die Geschichte überspringt viele Zeitetappen und führt schließlich Elena mit der Asche ihrer Mutter in einem Gurkenglas bei sich nach New York. Als sie sich endlich entschlossen hat, die Asche ihrer Mutter vom Turm des World Trade Centers aus zu verstreuen, steht sie beim Ausgang der U-Bahn-Station und beobachtet den Einsturz des ersten Turms. Das Ende des Buches lässt jedoch die Katastrophe vorbeiziehen und fokussiert auf die zwei Protagonisten: Elena, die versucht, ihre Mutter loszulassen und ihr eigenes Leben zu leben, und Ray, den Enkel des Jungen, der zu Anfang des Buchs bereits Großvater genannt wird, der auf seine eigene Art mit seiner dunklen Familiengeschichte kämpft.

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Sachbuch

Susan Orlean – The Library Book

The library is a gathering pool of narratives and of the people who come to find them. It is where we can glimpse immortality; in the library, we can live forever.

Schon der Titel lässt erahnen, dass es sich bei diesem Werk um eine Liebeserklärung an die Institution Bibliothek (Library) handelt. Die Autorin erzählt jedoch nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen, sondern nimmt diese zum Anlass, tief in das Thema einzutauchen.

My mother imbued me with a love of libraries. The reason why I finally embraced this book project – wanted, and then needed, to write – was my realization that I was losing her.

Ein wichtiger Handlungsstrang ist der Brand der Los Angeles Public Library im Jahr 1986. Die Autorin beleuchtet in tiefgehenden Recherchen den Zustand der Bibliothek vor und nach dem Brand, lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und webt ein dichtes Netz, das zum Ziel hat, Licht auf das Feuer und die darauf folgenden Aufbauarbeiten zu werfen. Die Brandursache konnte niemals vollständig geklärt werden. Ein Verdächtiger wurde festgenommen, vor Gericht gestellt und aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt. Die Lebensgeschichte dieses mutmaßlichen Brandstifters nimmt ebenfalls eine wichtige Rolle im Buch ein. Aus den Recherchen der Autorin lässt sich schließen, dass der junge Mann eher zufällig mit dem Brand in der Bibliothek in Zusammenhang kam und sich der auf ihn fallende Verdacht hauptsächlich wegen seiner ständig wechselnden Aussagen erhärtete. Obwohl das Gerichtsverfahren mit einem Freispruch endete, beeinflusste die öffentliche Wahrnehmung seiner Verbindung mit dem Bibliotheksbrand sein weiteres Leben.

People think of libraries as the safest and most open places in society. Setting them on fire is like announcing that nothing, and nowhere, is safe. The deepest effect of burning books is emotional.

Beleuchtet wird aber auch die Rolle der Bibliothek in den vergangenen Jahrhunderten bis zum heutigen Tag. Bibliotheken sind offene Orte, sie bieten Platz für Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und anderen persönlichen Merkmalen. Sie sind Orte des Wissens und des Lernens, der Ruhe, aber auch der Gemeinschaft. Die Autorin begleitet viele Menschen, die in der Los Angeles Public Libary arbeiten, durch ihren Arbeitsalltag und beschreibt die Begegnungen mit den BesucherInnen der Bibliothek und die vielen anderen angebotenen Aktivitäten wie zum Beispiel Story Times für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen oder Sprachkurse. Im letzten Kapitel berichtet die Autorin von einem Besuch beim Marktführer im Bereich Online-Verleih-Systeme Overdrive. Die letzten Jahrzehnte haben bereits gezeigt, dass Bibliotheken durch das Internet nicht aussterben werden. Genau genommen sind sie wichtiger denn je. Neue Technologien vereinfachen den Zugang, machen jedoch die traditionellen Funktionen von Bibliotheken nicht obsolet.

Als Beispiel möchte ich noch ein Detail hervorheben, das mich persönlich begeistert hat. Das historische Gebäude der Los Angeles Public Library wurde von Bertram Goodhue geplant. Im Buch beschreibt die Autorin in mehreren Absätzen seinen Ansatz, dass ein Gebäude eine Geschichte erzählen sollte. Seine Form, seine Kunst, Ornamente, alle Elemente zusammen sollten wie ein Buch gelesen werden können und die Geschichte darüber erzählen, was in dem Gebäude passiert. In meinen Augen ist das ein wunderbarer, fachübergreifender Zugang, der Architektur von reiner Zweckmäßigkeit auf eine künstlerische Ebene hebt. Bertram Goodhue war jedoch nicht nur Architekt, sondern hat unter anderem auch die Schriftart Cheltenham erschaffen.

It declares that all these stories matter, and so does every effort to create something that connects us to one another, and to our past and to what is still to come.

EDIT [20. Dezember 2019]: Es gibt eine Podcast-Episode von The Maris Review, in der Susan Orlean über die Geschichte des Buches spricht und unter anderem erzählt, warum ein Feuer in einer Bibliothek in Los Angeles eine besondere Bedeutung hat (mit Verweisen auf die aktuellen Waldbrände). Via Lithub.

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Roman

Charles Scott Richardson – Das Ende des Alphabets

Der Protagonist Ambros Zephyr erhält eine niederschmetternde Diagnose: er leidet an einer unbekannten und daher unbehandelbaren Krankheit. Es bleibt ihm noch ein Monat zu leben. Sein erster Impuls lässt ihn eine Reise planen, Orte von A bis Z will er in dem verbleibenden Monat gemeinsam mit seiner Frau Zipper besuchen. Im Hinblick auf meine letzte Reise (Polen, 3 Städte in 8 Tagen) musste ich unwillkürlich daran denken, wie unmöglich dieses Vorhaben ist und was für eine anstrengende Art, seine letzte verbliebene Zeit auf Erden zu verbringen.

Zu dieser Erkenntnis gelangen auch Ambrose und Zipper. In Rückblenden wird die Geschichte ihrer Liebe erzählt, was sie zusammengebracht hat, was sie trennt, was die Verbindung zwischen ihnen ausmacht. Das Buch entspricht im Großen und Ganzen dem, was man sich von der Thematik erwarten würde: eine Meditation darüber, was ein Menschenleben ausmacht und was im Leben wirklich wichtig ist.

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Erzählung

Alex Capus – Reisen im Licht der Sterne

Dieses Buch habe ich ursprünglich als Geschenk gekauft. Dann stellte sich spontan heraus, dass die zu beschenkende Person einen anderen Wunsch hatte und das Buch blieb bei mir im Regal stehen. Angesprochen hatten mich daran zumindest drei Dinge:

  1. Das Bild auf dem Titel zeigt im Vordergrund eine felsige Küste, um die die Brandung tost; im dunkel gehaltenen Hintergrund ist ein Schiff gerade noch zu erkennen.
  2. Der Titel Reisen im Licht der Sterne verheißt Abenteuer, Romantik, Naturerlebnisse; allein schon die drei Hauptworte Reisen, Licht, Sterne erzeugen eine Art Sehnsuchtsgefühl.
  3. Der Name des Autors kam mir bekannt vor, tatsächlich habe ich vor einigen Jahren bereits ein Buch von ihm gelesen: Alex Capus – Léon und Louise.

Meine Erwartungshaltung wurde in keinster Weise erfüllt und doch war ich mit dem Leseerlebnis nicht unzufrieden. Erzählt wird im Buch aus dem Leben des Autors Robert Louis Stevenson (Die Schatzinsel), der seine letzten Lebensjahre auf Samoa verbrachte. Eine wichtige Rolle spielt der Kirchenschatz von Lima, der angeblich auf einer Kokos-Insel vergraben sein soll und von Generationen von Schatzsuchern gesucht wurde. Capus verbindet nun die historischen Fakten, die über das Leben Stevensons und seiner Familie bekannt sind, mit Anekdoten und Spekulationen zu einem Gesamtbild, das den Leser am Ende glauben lassen kann, der Autor Robert Louis Stevenson hätte tatsächlich eine Schatzinsel gefunden.

Die Literaturliste am Ende des Buches lässt die umfangreichen Recherchen erahnen, die notwendig waren, um all diese historischen Details zu sammeln und miteinander zu verknüpfen. Ein solches Unterfangen beeindruckt mich nach wie vor sehr und gerade das Zusammenspiel von historischen Geschehnissen mit ein bißchen Spekulation macht den Reiz dieses Buches aus.

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Roman

Jenny Colgan – Little Beach Street Bakery

Dieses Buch hatte ich seit Langem als strategische Komfortreserve in der Bookmarklist. In einem Gespräch darüber hatte ich es bereits so erklärt: es ist ein klassisches Szenario der Frauenliteratur: Die (weibliche) Hauptperson steht nach einer Krise da und muss sich neu orientieren. Da ihr bisheriges Lebensmodell auseinandergefallen ist, entwickelt sie neue Perspektiven. Wie in so vielen anderen Beispielen dieses Szenarios endet die Geschichte mit einem neuen Partner, einem neuen Beruf, einem neuen Lebensmodell. Relevant ist aber die Ausgestaltung dieser Veränderung. In diesem Buch sind die Charaktere gut gezeichnet, es gibt originelle Wendungen und Szenen, der Humor kommt nicht zu kurz und fällt in den meisten Fällen nicht zu platt aus. Somit meine volle Empfehlung für die oben erwähnte strategische Komfortreserve.

Eine sehr erfreuliche Veränderung ereignete sich kürzlich im Bereich der elektronisch verfügbaren Ausleihliteratur: Die Büchereien Wien twitterten über die Veröffentlichung der neuesten Version der Onleihe-App für iOS und Android. Diese kommt nun ohne das von mir ungeliebte Adobe Digital Editions DRM aus. In diesem Post aus dem Jahr 2014(!) habe ich die Problematik dieses Systems ausführlich beschrieben. Nach der Installation der neuen Onleihe App habe ich mir noch vor der Nutzung die Terms of Use und das Privacy Statement durchgelesen. Dort wird sehr deutlich darauf hingewiesen, dass bei der Nutzung von „integrated readers“ (anderen Apps oder Readern als der Onleihe App selbst) das Adobe DRM zur Anwendung kommt und dies mit der Übertragung von persönlichen Daten an Dritte verbunden ist.

If you use the Adobe DRM system and your Adobe ID within „integrated readers“ – regardless of Divibib – personal data is collected, processed and transmitted to third parties. … If you do not want such use of your personal data, do not use „integrated readers“, because their functionalities require such use of your personal data.

Natürlich werden die ausgeliehenen Bücher nach wie vor von der Divibib gespeichert, das ist jedoch nachvollziehbar für die Nutzung des Dienstes notwendig. Diese Daten werden nicht an Dritte weitergegeben und von einer Auswertung im Detailgrad wie sie Adobe vorgenommen haben soll, ist eindeutig nicht die Rede.

Etwas verwirrend war für mich, dass auf den FAQ-Seiten der Divibib nach wie vor davon die Rede ist, dass die Virtuelle Bücherei ausschließlich mit einer Adobe ID funktioniert. Hier müssten einige Themen auf den neuesten Stand gebracht werden.

Auch für die Virtuelle Bücherei können Medienwünsche abgegeben werden. Ich freue mich irre über diese Entwicklung und möchte an dieser Stelle nochmal die ausdrücklichste Empfehlung für die Büchereien Wien aussprechen. Natürlich werde ich auch in Zukunft hin und wieder mal ein Buch kaufen (müssen), aber der Komfortfaktor und die Verfügbarkeit von Leihbüchern hat sich durch die neue Onleihe App gerade nochmal um ein Vielfaches erhöht.