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English Roman

Miriam Toews – Fight Night

CN dieses Buch: Suizidgedanken, psychische Krankheit, sexuelle Handlungen, Geburt, Tod
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Fighting is so hard and yet we’re never supposed to stop!

Manche Bücher sind unbeschreiblich und dieses zählt zu dieser Kategorie. Die Zutaten Roadmovie, sprunghafte Protagonist:innen, tiefgehende Emotionen, Absurdität und Stream of consciousness-Stil vermischen sich zu einem Cocktail, der bei jedem Schluck einen anderen Geschmack zu haben scheint.

It’s not even written down, I said. It’s not real! Things don’t have to be written down to be real, said Grandma.

Der Titel Fight Night ist eigentlich nicht ganz logisch, denn hier wird das tägliche Leben als Kampf beschrieben. Jeder einzelne Tag als neuer Kampf gegen die Welt, gegen die anderen und manchmal sogar gegen sich selbst. Kämpfen, durchhalten und weitermachen. Nur so funktioniert das Leben. (Zumindest in diesem Buch.)

And she felt peace inside herself somewhere. She knew it was there, peace from God, she just didn’t know exactly where. Like her will and important papers. She knows they’re somewhere in the house, but where?


Jahresrückblick 2022:

  • Bücher: 70 (52 fiction/18 non-fiction), Highlights/Empfehlungen:
  • Reisen: Weihnachtsurlaub 2021/22 in Sizilien, Freundinnenbesuch in Großbritannien (einmalig verschoben wegen eigener Covid-Erkrankung), Gruppenwochenende in Kärnten, Gruppenwochenende im Waldviertel, Familien-Strandurlaub in Lignano, Berlin im November, Weihnachtsurlaub 2022/23 in Spanien
  • Covid: 1 Impfung (3/3), 1 Erkrankung, noch 1 Impfung (4/4)
  • Musik: Takida, The 1975
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English Essays

Ann Patchett – These Precious Days

CN dieses Buch: Krankheit, Tod, Sterben, Trauer, Krebs, Drogen (Pilze)
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Vorab-Notiz: Da mir die Ausstellungsberichte von Jana in ihrem Zuckerbäckerei-Blog immer so gut gefallen, schließe ich am Ende dieses Posts einen Bericht über meinen Besuch im Technischen Museum Wien an.


Without ever meaning to, my father taught me at a very early age to give up on the idea of approval. I wish I could bottle that freedom now and give it to every young writer I meet, with an extra bottle for the women. I would give them the ability both to love and not to care.

In dieser Essay-Sammlung setzt sich die Autorin Ann Patchett mit unterschiedlichen menschlichen Themen auseinander. Im ersten Essay beschreibt sie das Verhältnis zu ihren drei „Vätern“, gemeint sind damit die drei Partner ihrer Mutter in serieller Monogamie. Im obigen Zitat ist ihr biologischer Vater gemeint, der ihr in jungen Jahren eine wichtige Freiheit vermittelt hat, um die ich sie nur beneiden kann. Andere Texte befassen sich mit der Vergänglichkeit alles Lebenden, dem Hineinwachsen in das eigene Leben und dem Geben und Nehmen zwischen Personen (und wie Nehmen und Geben nicht immer proportional zueinander sind, sondern oft geben sich Personen gegenseitig etwas, obwohl beide glauben, nur zu nehmen).

People want you to want what they want. If you want the same things they want, then their want is validated. If you don’t want the same things, your lack of wanting can, to certain people, come across as judgement. […] Does my choice not to have children mean I judge your choices, your children? That I think my life is in some way superior? It does not.

Besonders berührt hat mich der mehrteilige Essay, in dem sie ihre Erfahrungen als kinderlose Frau beschreibt. Die neugierigen Fragen, wann es denn für sie so weit sein soll. Die wohl gemeinten Ratschläge, dass sie es wohl später bereuen würde, keine Kinder bekommen zu haben. Die Annahmen, ein Buchprojekt, ein Hund, ein Unternehmen wären ein Ersatz für ein Kind; ein bemitleidenswerter Versuch, eine Leerstelle zu füllen, die jede Person, die mit einem Uterus geboren wurde, irgendwo in sich haben muss. Und sie hat auch noch eine Erklärung für dieses „Unverständnis“ gefunden, das im obigen Zitat angerissen wird. Menschen fühlen sich wohler, wenn wir ihre Wünsche, Hoffnungen und Ziele mit ihnen teilen. Wenn wir diese nicht teilen, kann das als Urteil missverstanden werden, als Abwertung ihrer eigenen Wünsche. So oft ist mir das begegnet, wenn es darum geht, was Menschen essen wollen. So oft habe ich erlebt, dass sich omnivor ernährende Menschen sich allein durch die Anwesenheit einer vegan lebenden Person kritisiert fühlen. Es könnte alles so einfach sein, wenn wir einfach hinnehmen könnten, dass es sich eben nicht um eine Abwertung der eigenen Lebensentscheidungen handelt, sondern einfach nur darum, etwas anderes zu wollen.


Hauptgebäude des Technischen Museums Wien mit großem Schriftzug und Säulen vor leicht bewölktem Himmel

Leider ist die Ausstellung Foodprints im Technischen Museum Wien nun schon vorbei. Ich habe es gerade in der letzten Woche noch hin geschafft. Die Ausstellung macht es sich zum Ziel, unserem Essen auf die Spur zu kommen: Wo kommt es her, wo geht es hin, wer ist in der Herstellung beteiligt, wie wird es verpackt? Sechs verschiedene Stationen, die in unterschiedlichen Farben in Gitterboxelementen zusammengefasst sind, beleuchten dabei unterschiedliche Aspekte der Nahrungsmittelproduktion.

Eingangsbereich zur Ausstellung Foodprints, Schritzug Foodprints in Leuchtbuchstaben über einem aus Gitterboxen zusammengestellten Tor, das mit Detailaufnahmen von Nahrungsmitteln dekoriert ist

Essen ist Kultur und Technik, menschliches Grundbedürfnis und Lebensstil, Ausdruck von Überfluss und Lebensfreude, Ressource und Ressourcenverbrauch. Wie heute gegessen wird, beeinflusst die Welt von morgen.

Blick in den Ausstellungsraum, im Vordergrund blau gefärbte Station aus Gitterboxen, die sich mit der Haltbarkeit von Lebensmitteln beschäftigt

mehrere Kühlschränke aus verschiedenen Epochen, innerhalb der Kühlschränke sind andere Methoden der Kühlung von Lebensmitteln ausgestellt

Bei jeder Station können die Besucher:innen eine beim Eingang erhältliche Karte in einen von drei Einkaufskörben legen, um am Ende der Ausstellung eine Auswertung über die von ihnen getroffenen Einkaufsentscheidungen zu bekommen. Diese wird auf einem Kassenzettel ausgedruckt und soll bewusst machen, wie unsere Einkaufsentscheidungen sich auf die Produktion von Nahrungsmitteln und alles, was damit zusammenhängt, auswirken.

ein Bildschirm, auf dem drei Sorten von Paradeisern/Tomaten abgebildet sind, darunter drei Einkaufskörbe, in denen Besucher:innen ihre Karten ablegen können, um eine Einkaufsentscheidung zu treffen

Interessant fand ich auch eine Schautafel, die erklärt, warum Kinder oft für sie neues Essen ablehnen.

Die Zunge von Kleinkindern ist doppelt so empfindlich wie die von Erwachsenen, vor allem gegenüber Bitterem und Saurem. Bitter und sauer können nämlich auf Giftiges, Verdorbenes oder Unreifes hindeuten.

Unbekannter Geschmack wird daher aus Sicherheitsgründen erstmal abgelehnt. Erst nach etwa acht bis zehn Wiederholungen wird ein neues Nahrungsmittel als bekömmlich anerkannt.

Im Geschmackslabor konnten unter anderem verschiedene Sorten von Raucharoma olfaktorisch miteinander verglichen werden.

Nach der Foodprints-Ausstellung schaute ich mir auch noch den Maker Space im Museum an, in dem Kinder und Jugendliche sich an 3D-Druckern, Laser Cuttern, Stickmaschinen und anderen Bastelobjekten ausprobieren können.

Visualisierung neuronaler Netze, links werden aus einem Panel mit 20 Leuchtelementen Kabel zusammengefasst, die rechts zu einer Codierung kombiniert werden, die außerhalb des Bildes zu einem Ergebnis führt

Die Ausstellung über Künstliche Intelligenz ist noch bis Oktober 2022 zu sehen. Architektonisch ist die Ausstellung in einem Turm über mehrere Etagen innerhalb eines hohen Saals des Museums eingebettet. Die Ausstellung hinterfragt generell, was künstliche Intelligenz eigentlich ist und was sie kann. Neben einer Visualisierung von neuronalen Netzen und einem Einblick in die Entwicklung der technologischen Grundlagen für künstliche Intelligenz werden auch Roboter in unterschiedlichen Entwicklungsstadien gezeigt. Besucher:innen können auch selbst ausprobieren und beobachten, wie eine künstliche Intelligenz die Erkennung von unterschiedlichen Tierbildern lernt. Hinterfragt wird außerdem, ob von künstlicher Intelligenz erschaffene Kunstwerke – wie zum Beispiel von einem Computer komponierte Musikstücke – überhaupt einen künstlerischen Wert haben. Umgekehrt kann hinterfragt werden, ob es überhaupt noch Menschen braucht, um Kunst zu erschaffen.

Als Einstieg in dieses Thema erfüllt die Ausstellung ihren Zweck, geht jedoch nicht weiter in die Tiefe.

Die Dauerausstellung Medien.Welten im Obergeschoss sowie die Sammlung über Musikinstrumente habe ich dann nur noch kurz besucht. Buchdruck, Telefon, Rohrpost, verschiedene andere Kommunikationsmethoden werden hier in ihrer Entwicklung nachgezeichnet. Die Klaviere und Orgelinstrumente befinden sich in einem sehr stillen, klimatisierten Saal, dessen Akustik sich wie ein Sarg anfühlt. Außerdem konnte ich in der Musiksammlung auch auf einem Theremin spielen.

Wer das komplette Programm des Technischen Museums sehen will, muss sich dafür mehrere Tage Zeit nehmen, eine Jahreskarte kann sich dafür durchaus auszahlen. Ich war nach zwei Stunden nur mehr bedingt und nach drei Stunden gar nicht mehr aufnahmefähig und es hätte noch viel mehr zu sehen gegeben.

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Memoir

Maggie Nelson – Die Argonauten

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Geschlechtsteile, Pornographie, sexueller Missbrauch von Kindern, Fehlgeburt, Abtreibung, Krankheit, Sterben
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Gerade bin ich die Liste meiner Kategorien nochmal durchgegangen und bin noch immer nicht zufrieden mit der Einordnung dieses Buchs. Schon zu Beginn des Lesens war ich mir nicht sicher, was ich eigentlich vor mir habe. Das Cover enthält nur den Titel, den Namen der Autorin, den Namen des Verlags und ein Zitat aus The Guardian. Der Einband auf der Umschlagseite 2 bestätigt schließlich, dass sich dieses Buch nicht so einfach einordnen lässt; es wird als eine Mischung aus Memoir, Theorie und Poesie beschrieben. Die Themen des Buchs sind die Beziehung der Autorin Maggie Nelson zu einer genderfluiden Person, und die Familie, die sich aus dieser Beziehung entwickelt. Diese Familie besteht aus Maggie, Harry, Harrys Sohn aus einer früheren Beziehung und Iggy, dem gemeinsamen Kind von Maggie und Harry. Diese ungewöhnliche Familienkonstellation bietet umfassenden Raum, um Geschlechterrollen zu hinterfragen, die Bedeutung der Stiefelternschaft zu erörtern oder Familienmodelle generell auf einen (queeren) Prüfstand zu stellen.

Dabei erlaubt sie sich, Fragen zu stellen, die unvermeidlich auftauchen, wenn ein Mensch eine Beziehung eingeht zu einem anderen Menschen, der sich nicht in eine binäre Geschlechtsidentität einordnet. Selbst in queeren Gemeinschaften gibt es Normen und Schubladen (wie butch oder femme); die Gefahr einer Bewertung droht nicht nur von der heteronormativen Normalgesellschaft sondern auch aus der eigenen Community, deren Einstellungen sich ebenfalls auf einem sehr breiten Spektrum verteilen. Gerade zwischen liebenden Menschen entstehen Missverständnisse bezüglich der (von innen) gefühlten und der (von außen) wahrgenommenen Identität. Wir wollen das Beste für unsere Partnerperson und stehen doch oft hilflos daneben.

Ich will einfach, dass du dich frei fühlst, sagte ich, meine Wut getarnt als Mitgefühl, mein Mitgefühl getarnt als Wut. Verstehst du es denn nicht?, schriest du zurück. Ich werde mich niemals so frei fühlen wie du, ich werde mich niemals so heimisch fühlen in der Welt, ich werde mich niemals so zu Hause fühlen in meiner eigenen Haut. So ist es einfach, und so wird es immer sein.

Gerade dieses „zu Hause fühlen im eigenen Körper“ und damit verbundene Veränderungen können wiederum der Partnerperson Angst machen. Kommt es auf eine äußere Transformation überhaupt an, wenn doch eigentlich das Innere unsere Identität ausmacht? Ja, denn Identität ist eben nicht nur das, was wir als unsere Persönlichkeit mit uns tragen. Unsere Äußerlichkeit ist ein Ausdruck dieser Identität. Vielen Menschen, die von der Gesellschaft als das gelesen werden, was sie auch tatsächlich in sich fühlen, ist überhaupt nicht bewusst, welches Privileg diese Einheit von Außenwahrnehmung und Innengefühl darstellt. Es ist keine Selbstverständlichkeit. (Dieses Thema habe ich im Blog Post zu Let’s Talk About Hard Things auch schon kurz angerissen.)

Und was, wenn du dich, nachdem du die großen äußeren Veränderungen vorgenommen hattest, immer noch unwohl in deinem Körper fühlen würdest und unwohl in der Welt? Als hätte ich nicht gewusst, dass es auf dem Gebiet von Gender unmöglich ist zu verzeichnen, wo das Innere und das Äußere beginnen und aufhören –

Ihre eigenen Erfahrungen einer queeren Partnerschaft; einer Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft; ihrer Suche nach einem Platz in der Welt ergänzt Maggie Nelson mit theoretischem Hintergrund in Form von Zitaten von bekannten Theoretiker:innen, die sich mit Fragen zu Feminismus oder Gender befasst haben. Ihre Beziehung zu ihrem Sohn und was es überhaupt bedeutet, eine gute Mutter zu sein, hinterfragt sie intensiv anhand der Schriften von Donald Winnicott, der mir bereits in Alison Bechdels Are You My Mother? begegnet ist (das Maggie Nelson auch an anderer Stelle in ihrem Werk erwähnt. Offenbar ist der deutsche Titel Wer ist hier die Mutter?, was ich sehr seltsam finde).

Auch viele Künstler:innen kommen zu Wort, manchmal als Beispiele für queeres Leben, an anderen Stellen liefern sie Erklärungen für all die Unsicherheiten und Missverständnisse, die auftreten, wenn Menschen nach binären Kategorien eingeteilt werden. Binäre Kategorien sind überall, wie etwa auch „der Binarismus von normativ und transgressiv“, der Menschen dazu zwingen soll, Leben zu leben, „die nur eine einzige Sache sind“.

Ich lag in allem falsch – ich war in meinen eigenen Wünschen und Ängsten eingeschlossen und bin es noch immer. Ich versuche nicht, diese Verkehrtheit hier zu korrigieren. Ich versuche nur, sie offenzulegen.

Der obige Absatz folgt auf eine Reflexion, in der die Autorin ihren Blickwinkel auf Schwangerschaft bzw. schwangere Frauen und ihre Körper in ihrem eigenen Zeitverlauf nachvollzieht. Wir sehen andere Menschen immer aus unserer eigenen Lebenssituation heraus. Nicht nur unsere eigene Identität und unsere Wünsche prägen unsere Wahrnehmung von anderen Menschen, auch unsere aktuelle Lebenssituation und die Lebenserfahrungen, die wir bereits gemacht haben, beeinflussen unsere Wahrnehmung.

Für mich war die zentrale Erkenntnis (oder ein Wieder-Erkennen), dass wir niemals tatsächlich wissen können, was eine andere Person fühlt, selbst dann nicht, wenn wir dieser Person sehr nahe sind. Unsere einzige Möglichkeit, dem Verständnis näher zu kommen, ist es daher, zuzuhören. Zuzuhören, anzunehmen, dass es überhaupt ein anderes Empfinden als das Eigene geben kann und dann zu verstehen, dass jedes Empfinden einzigartig ist, selbst wenn wir Parallelen zu sehen meinen.

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English Roman

Louise Erdrich – Future Home of the Living God

CN dieses Buch: Mord, Abtreibung, Totgeburt, Sucht
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The first thing that happens at the end of the world is that we don’t know what is happening.

Irgendwie sind die Bücher gerade zu kurz. Gerade, als ich mich endlich halbwegs mit dieser seltsamen Welt vertraut gemacht hatte, war die Geschichte schon wieder zu Ende. Und was für ein Ende auch noch …

Louise Erdrich beschreibt eine nordamerikanische Gesellschaft, die von einer Art umgekehrter Evolution bedroht ist. Was genau passiert, wird immer nur angedeutet. Diese Andeutungen gehen in die Richtung, dass neu geborene Kinder einen evolutionären Rückschritt aufweisen. Die Protagonist:innen bekommen Maßnahmen mit, die von der Regierung verordnet werden, wozu unter anderem gehört, dass jede schwangere Frau in Gewahrsam genommen wird, um den Schwangerschafts- und Geburtsvorgang zu kontrollieren. Diese Zwangsmaßnahmen werden zunehmend verstärkt.

In dieser Welt ist die Protagonistin Cedar unerwartet schwanger und will ihr Baby unter allen Umständen beschützen. Als Nebenstrang der Geschichte werden Stück für Stück die komplizierten Familienverhältnisse der adoptierten Cedar enthüllt. Ihre Abstammung von den nativen Ojibwe ist dabei ein entscheidender Faktor. Der Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter wird zum Stressfaktor für die Beziehung zu ihrer Adoptivmutter.

Es wird somit das Thema Mutterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Was bedeutet Mutterschaft für die Entwicklung unserer Gesellschaft, was passiert mit der Welt, wenn das empfindliche Gleichgewicht der menschlichen Fortpflanzung aus der Balance gerät? Wozu sind Menschen fähig, wenn sie denken, nur ihr Weg könnte die Menschen und die Welt retten? Wozu sind (werdende) Mütter bereit, um ihr (ungeborenes) Kind zu schützen?

Es ist eine Dystopie, die in ihrem Fokus auf Schwangerschaft und Mutterschaft und dem autoritären Umgang mit einer aus den Fugen geratenen Welt an The Handmaid’s Tale erinnert. Dazu trägt auch die Erzählung in Form eines Tagebuchs bei, das Cedar an ihr ungeborenes Kind schreibt. Ein Buch, das viele Fragen offen lässt. Kein Buch für dunkle Tage. Und ganz sicher kein Buch für Menschen, die selbst ein Kind erwarten.

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English Roman

Marilynne Robinson – Lila

CN dieses Buch: Gewalt (mit einem Messer und angedeuteter Todesfolge)
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And somehow she found her way to the one man on earth who didn’t see it. Or maybe he saw it the way he did because he had read that parable, or poem, or whatever it was.

Im dritten Teil von Marilynne Robinsons Gilead-Serie erfährt die Leserin die Vorgeschichte von Lila, die in den ersten beiden Büchern als Frau von Reverend John Ames eher eine Nebenrolle spielt. Bisher wurde sie als stille, bedachte, freundliche Frau beschrieben. Ein niedriger Bildungsgrad, aufgrunddessen sie sich aus den religiösen Diskussionen zwischen Ames und Boughton heraushält, wurde nur angedeutet. In diesem Buch wird nun beschrieben, wie Lilas Leben verlief, bevor sie in Gilead auf den Reverend traf und mit ihm ein neues Leben begann.

“But if God really has all that power, why does He let children get treated so bad? Because they are sometimes. That’s true.”

Auch in diesem Buch werden viele religiöse Themen angeschnitten. Einerseits traut sich Lila kaum, Dinge zu fragen, weil sie sich zu dumm fühlt, andererseits interessiert sie sich für den Glauben des Mannes, in den sie sich verliebt hat. Sie versucht, die Welt und das Leben auf eine Weise zu verstehen, die ihr bisher aufgrund ihrer Herkunft verschlossen war. Und natürlich stellt sie sich auch die Frage, wie dieser allmächtige Gott es zulassen kann, dass Kinder hungern, schlecht behandelt werden, so viel Leid ertragen müssen. Wie auch in vielen anderen Werken fehlt auch hier eine auch nur halbwegs hilfreiche Erklärung. Der Reverend vertröstet Lila mit einem Gedicht auf ein späteres Gespräch, um sie nicht mit den Antworten abzuspeisen, die er üblicherweise anderen Menschen gibt, die ihm in ihrem Leid diese Frage stellen.

[…] Robinson is saying that O’Connor writes beautifully even though her imagination is appalling. But how can we judge a writer’s imagination except by way of her writing? If the writing is beautiful, how can the imagination be otherwise? What does Robinson really mean?

Das obige Zitat stammt aus dem kürzlich veröffentlichten Lithub-Artikel On the Case for Meanness in Fiction von Brock Clark. Der Text vergleicht die Notwendigkeit bzw. die Sinnhaftigkeit von kindness im Leben sowie im Schreibprozess von Autor*innen. Er zitiert dabei eine Kontroverse zwischen Marilynne Robinson und Flannery O’Connor, die eher die Meinung vertritt, dass compassion für schreibende Menschen vollkommen überbewertet ist. Der Text argumentiert unter anderem damit, dass ein auf kindness und compassion basierendes Schreiben (wie es Marilynne Robinson praktiziert), gleichzeitig ein langweiliges Schreiben ist (und daher in langweiligen Geschichten resultiert). Nach der Lektüre von Gilead war ich ja unter anderem überrascht, dass in dem Buch kaum etwas passiert. In dieser Wahrnehmung hat mich der oben zitierte Artikel bestätigt, er ist daher eine interessante Ergänzung zur Lektüre von Marilynne Robinson.

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English Roman

Pamela Erens – Eleven Hours

Dieses kurze Werk dreht sich um zwei Frauen: Lore, die in dieser Nacht ihr Kind zur Welt bringen wird und Franckline, die als Krankenschwester auf der Entbindungsstation arbeitet und Lore während ihres Geburtsprozesses begleitet. Während Lore ihre Wehen durchmacht (die unterschiedlichen Schmerzen und Gefühle, die dabei aufkommen, werden ausführlich beschrieben), erfährt die Leserin auch Hintergrundgeschichten über beide. Franckline ist selbst schwanger und hat große Angst, ihr Baby zu verlieren, da sie bereits eine Fehlgeburt erlebt hat. Lore denkt an den Kindsvater, den sie wegen einer Dreiecksgeschichte mit ihrer Freundin Julia aus ihrem und dem Leben des Kindes verbannt hat. Wobei das Problem eigentlich nicht die Dreiecksgeschichte zu sein scheint, denn Lore liebt(e) Julia ja auch, sondern die Heimlichkeit, der Betrug, den Lore nun beiden geliebten Menschen nicht verzeihen kann. Die Schmerzen des Geburtsprozesses lassen sie an ihrer Entscheidung zweifeln, dem Kind als alleiniges Elternteil genügen zu können.

Das Aufschneiden des Rings, den Lore sich selbst gekauft hat, und der nun ihrem geschwollenen Finger die Blutzufuhr abschnürt, steht symbolisch für einen Abschied von ihrem früheren Leben. Sie wird ab jetzt nicht mehr dieselbe Lore sein, die sie war, sie wird ab jetzt Mutter sein und damit für immer an ihr Kind gebunden. Eine Bindung, die sich nicht so einfach zerstören lässt wie die Beziehung zum Kindsvater und ihrer Freundin.

Obwohl es also oberflächlich um den Geburtsprozess geht, stehen daneben auch die Beziehungsthemen, die zu komplizierten Verhältnissen führen und die Ängste und Zweifel, die Frauen am Rande der Mutterschaft plagen.

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Roman

Valerie Fritsch – Winters Garten

Den Menschen stand die zerstörerische Wirkung des Schlafes ins Gesicht geschrieben. Die Nerven der Schlaflosen waren längst zerrüttet, und die Ohren der Träumer taub. Die Nächte traumatisierten die ganze Stadt, darum standen die Bewohner irgendwann lieber an den Fenstern, als sich hinzulegen.

Auf die Beschreibung einer Kindheit auf dem Land, dem Überfluss an Natur, an Familie, an Freiheit folgt der Verfall dieses Gartenparadieses, in Abwesenheit des Protagonisten Anton Winter, der in die Stadt gezogen ist, um dort Vögel zu züchten. Die Stimmung verdüstert sich zusehends, denn der Weltuntergang steht bevor. Was bleibt im Leben noch wichtig, wenn das Leben ein Ablaufdatum hat? Wie kann das Leben weitergehen? Kinder werden geboren, die keine Zukunft haben. Entfremdete Menschen finden zueinander. Menschen, die sich zuvor nicht kannten, finden zueinander. Das Leben reduziert sich auf das Wesentliche.

[Die Kinder] spielten Tag und Nacht, und niemand verbot es ihnen, denn sie mussten ja nichts mehr werden, vor allem nicht erwachsen.

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Roman

Michael Stavaric – stillborn

Schwierig. Eigentlich wollte ich nicht erwähnen, dass ich diesen schmalen Band wochenlang herumgetragen habe, ohne überhaupt damit zu beginnen. Weil die Kindle-Lektüre einfach bequemer war. Schon das Cover mit dem toten Eichhörnchen weckt Unbehagen. Während ich das schreibe, erinnere ich mich an den Fund eines Eichhörnchen-Skeletts im Wald auf der Suche nach einem Geocache. Hatte mir kurzfristig ganz schön die Stimmung verhagelt.
Hinzu kommt die Vorgeschichte. Eine Kollegin hatte den Autor interviewt und mir erzählt, er wäre etwas schwierig in der Handhabung. Zwei Monate später sollte ich ihn dann selbst (für ein anderes Medium) interviewen und das Telefonat gestaltete sich … Naja, schwierig.

Atme, atme ganz tief durch, starte den Wagen, ab durch die Mitte, die Kunden warten. Ich fahre, Ampel von Links, zweiter Gang, Hund von rechts,läuft über die Straße, der will es wirklich wissen. Nicht so wie ich, halbherzig, halsstarrig, vielleicht auch einfach nur müde.

Das Buch selbst ist … Naja, schwierig. Ich bin kein Freund dieser gehetzten Schreibweise, die vermutlich die Flüchtigkeit der Gedanken verdeutlichen soll. (Als Hörbuch ist das bestimmt total unangenehm …) Der Leser sieht die Welt nur durch die Augen bzw. die Sinne der Protagonistin Elisa. Es vermischt sich ihre hochkomplexe Gefühlswelt (sie fühlt sich totgeboren, kalt, als Betrügerin, die nur so tut, als wäre sie am Leben) mit gleich mehreren Kriminalfällen. Elisa arbeitet als Maklerin, immer wieder werden ihrem Maklerbüro anvertraute Wohnungen angezündet. Der Ermittler Georg, mit dem Elisa ein Verhältnis beginnt, erzählt ihr von einer Mordserie in ihrer Heimatstadt. Als Elisa dort zur Schule ging, verschwanden 5 Mädchen. Ihre Leichen wurden mitabgeschnittenen Zeigefingern im Wald gefunden.
Natürlich wird der Leser schnell die scheinbar Verrückte Elisa verdächtigen. Wer in so einer wilden Gedankenwelt lebt, muss doch auch im realen Leben Wahnsinniges tun? Das Herauslesen der Ereignisse aus dem Gedankenchaos ist mühsam, führt aber zu einem überraschenden Ende.

Es passt nur vage zu Elisa (die nicht glauben kann, dass jemand SIE je lieben könnte – also passt es eigentlich doch), muss aber trotzdem in diesen Blog Post. Diese Woche hat mich ein Tweet mit Link zu einem Blog Post sehr nachdenklich gemacht.
Was mich daran »aufwühlt«, ist die Annahme, man könnte irgendwann eine Punkt erreichen, an dem man merkt: »Ha! Jetzt bin ich ein fertiger, erwachsener Mensch, mit mir selbst im Reinen, jetzt kann ich jemand anderen lieben!« (im Blog Post heißt es schlicht »a fully grown person who loves themselves wholly«)
1. Die meisten Menschen müssen wohl sehr alt werden, um diesen Zustand zu erreichen. Wollen wir solange warten? Ich nicht.
2. Ich hoffe, ich werde diesen Zustand nie erreichen. Es muss doch immer etwas Neues geben, noch etwas zu Lernen, noch etwas herauszufinden, über sich selbst, über das Leben. Es wäre doch furchtbar, wenn man mit allem fertig wäre.
3. Viel persönliches Wachstum (eine bessere deutsche Wortwahl für personal growth fällt mir gerade nicht ein) kann man doch nur in der Interaktion mit anderen Menschen erreichen. Ich bin mir sicher, aus jeder meiner gescheiterten Beziehungen etwas Wichtiges fürs Leben gelernt zu haben. Hätte ich auf diese Erfahrungen verzichten sollen, um zuerst ein »ganzer Mensch« zu werden. Ganz bestimmt nicht.

Ich stimme hingegen zu, dass es wichtig ist, mit sich selbst klarzukommen. Wie wir alle wissen, ist das nicht immer leicht und es gibt bessere und schlechtere Tage. Man muss nicht »fertig entwickelt« sein, um einen Partner zu finden. Mit dem richtigen Partner wird die Entwicklung vielleicht anders verlaufen. Und wenn man aus gescheiterten Beziehungen nur gelernt hat, was man nicht will oder wie man es in Zukunft nicht mehr machen sollte, dann ist das auch schon ein wichtiger Beitrag zur persönlichen Entwicklung.

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Roman

David Safier – Mieses Karma

Erinnere mich, dass David Safier eine Hype-Phase erlebte, damals hatte ich das ignoriert, wie ich das seit Längerem mit Hype-Büchern bzw. Autoren machen. Nun flog mir dieser Roman quasi gratis zu und nach 1Q84 dachte ich mir, dass etwas Leichtes zur Auflockerung nicht schaden könnte. Und Überraschung: obwohl der Leser um einiges schneller als die Hauptfigur erkennt, worum es hier geht und dass die Selbstsucht der als Ameise wiedergeborenen Kim Lange ihr weder Glück noch gutes Karma bringen wird, gelingen dem Autor immer wieder erstaunliche und überraschende Wendungen. Etwa der Auftritt des bekannten Verführers Casanova, ebenfalls als Ameise wiedergeboren und von nun an hilfreicher Weggefährte von Kim, sorgt für kontinuierliches Vergnügen und Amüsement. Happyend natürlich inkludiert ;) Intelligente Unterhaltung ist möglich.

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Roman

John Irving – Gottes Werk und Teufels Beitrag

Blüten am Herrensee in Litschau

Und mit dieser Entdeckung – dass ein Fötus bereits mit acht Wochen einen Gesichtsausdruck hat – fühlte sich Homer Wells in Gegenwart dessen, was andere eine Seele nennen.

John Irving ist seit Langem ein Garant für gut durchdachte Erzählungen, Lebensgeschichten, die ohne platte Moral auskommen und ein Thema nicht mit dem Holzhammer, sondern durch Geschichten, Erlebnisse, menschliche Reaktionen erklären. Da der Roman schon 1985 erschienen ist, könnte man annehmen, dass er Staub ansetzt, doch das genaue Gegenteil ist der Fall.

Die Geschichte beginnt mit der Jugend von Dr. Larch, seiner Vorgeschichte, wie er im Waisenhaus St. Clouds landet und wie seine Einstellung zum Thema Abtreibung zustande kommt. Er fühlt sich schuldig am Tod einer Frau, der er die Operation verweigert hat, diese Entscheidung beschäftigt ihn für sein gesamtes weiteres Leben. Ein Waisenjunge namens Homer Wells wird schließlich zum Ziehsohn Dr. Lachs, er wird nicht adoptiert (trotz vergeblicher Versuche) und soll sich schließlich „nützlich machen“. Als Lehrling und Assistent unterstützt er Dr. Larch bei Geburten als auch Abtreibungen. Bis er zu erkennen meint, dass die ungeborenen Kinder eine Seele haben.

Homers Schicksal reist schließlich im weißen Cadillac nach St. Clouds. Candy und Wally sind wegen einer Abtreibung gekommen und laden Homer ein, sie auf ihre Apfelplantagen zu begleiten (vorerst für den Sommer), doch Homer bleibt und verändert damit nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern natürlich das von Candy, Wally und seiner Jugendfreundin aus St. Clous, Melony. Bis Homer nach St. Clous zurückkehrt, vergeht ein halbes Leben. Letztendlich erkennt Homer auf vollkommen unaufgeregte Weise, dass er Dr. Larch unrecht getan hat und seine eigene Einstellung nicht uneingeschränkt gültig ist. Ein zeitloses Meisterwerk.