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Roman

Joey Goebel – Ich gegen Osborne

Am liebsten hätte ich eingeworfen, dass Woolworth nur auf diejenigen herabsah, die es nicht anders verdient hatten, doch man musste sich an die Etikette halten.

Dieses Buch hatte ich schon seit Ewigkeiten auf der Liste, Joey Goebel hatte mich in der Vergangenheit noch nie enttäuscht (Heartland, Vincent). In der Bücherei hatte ich Glück und das Buch war gerade verfügbar.

Er hatte Recht. Ich war immer wieder erstaunt, wie grausam andere sein konnten.

Wir begleiten James Weinbach an einem Tag durch sein Highschool-Leben. James ist ein Außenseiter. Er ist in seine beste Freundin Chloe verliebt, sein Vater ist vor Kurzem gestorben, er trägt täglich einen Anzug seines Vaters und fällt allein schon deshalb aus der Rolle. Chloe, bis vor Kurzem selbst Außenseiterin, hat jedoch den Spring Break mit den coolen Kids an einer Party Location verbracht und nun werden über sie die wildesten Gerüchte verbreitet. Im Literaturkurs wird James Text kritisiert. Um nicht zu sagen von den anderen Schülern vernichtend auseinander genommen. James rastet aus.

Es ist schwierig, die Geschichte irgendwie zusammenzufassen, weil es eigentlich die Erkenntnisse sind, die zwischen den Zeilen stehen, die die Geschichte so faszinierend machen. Erst im letzten Drittel des Buches wurde mir klar, wie gefinkelt der Autor das alles angelegt und geplant hat. James ist ein totaler Gutmensch. Er hält sich selbst für besser und schaut auf seine Schulkollegen herab. Und ist deshalb ein arroganter Arsch. Und tatsächlich ist er gar nicht so viel anders als seine Schulkollegen, denn als seine Gefühle verletzt werden, schlägt er wild um sich und lässt seinen Rachegelüsten freien Lauf.

Mir missfiel, dass ich Chlors frühere Einstellung gegenüber Sweeney verraten hatte, was eine Kränkung Chlors und nicht gentlemanlike war. Er sorgte dafür, dass ich unter mein Niveau sank. Wie ich ihn hasste. … Das Gesicht eines Knaben, der wahrscheinlich Hass auf seine Eltern empfand, es war der Gesichtsausdruck eines Menschen, dessen Psyche in einer Art dauerhaftem Freitagabend feststeckte.

Der Leser hört James immer wieder darüber nachdenken, wie schlecht seine Kollegen nicht sind, wie niedrig ihre Sprache ist, wie er ihre niveaulose Musik und alle ihre niedrigen Aktivitäten verabscheut. Als Erwachsener kann man stückweise mit ihm mitfühlen, erkennt aber gleichzeitig, dass diese Einstellung zwangsläufig zu einer Katastrophe führen muss. James erkennt schließlich, dass er seine Mitschüler ständig be- und verurteilt, ohne ihre persönlichen Lebensumstände zu kennen.

Am Ende des Tages kommt es zu einem versöhnlichen Gespräch zwischen James und Chloe, in dem sie ihm diese Frage stellt:

Willst du denn nicht, dass die Leute frei sind?

Mit dem Unterton, dass die Menschen frei sein sollten, um auch schlechte Entscheidungen zu treffen. Mit der Botschaft, dass Menschen nur dann denken und selbständig leben können, wenn sie die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, und mögen es noch so schlechte Entscheidungen sein, die sie den Großteil der Zeit treffen. Gute Entscheidungen können genauso nur aus Freiheit entstehen.

Reading Challenge: A book set in high-school

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Roman Science Fiction

Daniel Suarez – Influx

A sudden influx of innovation could disrupt social order, and disruption of social order is not to be taken lightly, Jon.

Disclaimer: Wer das Buch lesen will oder darüber nachdenkt, sollte sich diesen Artikel sparen und gleich zum Buch greifen ;-)

Wie schon bei seinen früheren Romanen, lässt Daniel Suarez seinen Lesern keine Zeit für einen ruhigen Einstieg. Jon Grady und seine Kollegen haben in ihrer Forschung zur Schwerkraft einen Durchbruch erzielt, als ihr Labor Ziel eines Terroranschlags wird. Als Grady jedoch erwacht, findet er sich im Hauptquartier einer staatlichen Organisation wieder. Deren Chef behauptet, seine Aufgabe sei die Kontrolle von Innovationen, um die Gesellschaft zu schützen. Jon Grady weigert sich, daran mitzuarbeiten und wird in einem hochtechnologischen Gefängnis eingekerkert.

Die weiteren Kapitel, in denen beschrieben wird, wie Jon Grady von einer grausamen artifiziellen Intelligenz gefoltert wird, sind definitiv das Verstörendste, was ich bisher gelesen habe. Jon will nicht aufgeben, er versucht alles, um mental stabil zu bleiben und seine Forschungsergebnisse nicht preiszugeben. Und verliert dadurch seine wichtigsten Erinnerungen.

Hackers gonna hack. Die Pointe des gruseligen ersten Teils dieses Buches ist, dass die Technik dem menschlichen Geist immer noch unterlegen ist. Jon ist nicht der einzige Gefangene, manche von ihnen sind bereits Jahrzehnte eingesperrt und haben die Technik überlistet. Sie konnten ihr Leben erträglich gestalten, haben jedoch keine Möglichkeit, zu entkommen. Bis Jon Grady für die Verantwortlichen so wichtig wird, dass sie in aus dem Gefängnis zurückholen.

Nun beginnt der actiongeladene Wettlauf, den wir aus den früheren Suarez-Romanen kennen. Schritt für Schritt kämpft sich Jon vor, um seine Kollegen aus dem Gefängnis zu befreien und die Macht der Organisation zu brechen.

He studied her for a moment. ‘Your intelligence, your appearance, your life span, your physical prowess – the organization gave you all those things. Your genetic sequence is proprietary. You need our permission to make copies of it. Otherwise you’re stealing.’

Vorgestern habe ich begonnen, in Judith Schalanskys Taschenatlas der abgelegenen Inseln zu stöbern. Daher musste ich herausfinden, ob an den im Buch erwähnten Koordinaten der Gefängnisinsel tatsächlich eine Insel ist. Die Koordinaten liegen jedoch mitten im Atlantischen Ozean. Falls dort eine Insel sein sollte, ist sie also noch nicht entdeckt ;-) Die nächst gelegene Insel ist St. Helena.

Reading Challenge: A book with non-human characters
(Die artifizielle Intelligenz Varuna, die eine Art Gefühle entwickelt, ist ein genialer literarischer Schachzug.)

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Roman

Kristin Harmel – Solange am Himmel Sterne stehen

Ich rieche backendes Brot, sich färbendes Herbstlaub und einen schwachen Geruch von Feuer, während ich durch die Straßen gehe, und ich atme tief durch, denn es ist eine Mischung, die ich nicht gewohnt bin. Kleine Torbögen, Fahrräder, die an Steinmauern lehnen, und fast versteckte, umzäunte Gärten rufen mir in Erinnerung, dass ich an einem Ort bin, der mir fremd ist, aber irgendetwas an Paris kommt mir dennoch sehr vertraut vor.

Poetisch, mitreißend, eine Liebesgeschichte, eigentlich sogar mehr als eine, eine starke, an sich selbst zweifelnde, weibliche Heldin. Trotzdem kein dummes Frauenbuch.

Eine auch nur ansatzweise Nacherzählung würde zu weit führen, so unheimlich weit verzweigt sind die Familienverhältnisse und Geschehnisse, die die Autorin in ihrem Roman Stück für Stück enthüllt. Eine alte Frau leidet unter Alzheimer. Ihre Vergangenheit im zweiten Weltkrieg hat sie bisher für sich behalten, nicht mal ihre Enkeltochter und ihre Urenkelin wissen, dass sie einer jüdischen Familie in Paris mit polnischen Wurzeln entstammt. An einem guten Tag kehrt ihr Gedächtnis zurück und sie bittet ihre Enkelin, nach den lange vermissten Verwandten zu suchen.

Durch die ganze Geschichte weht stets der Duft von Gebäck. Zwischen den Kapiteln finden sich Rezepte für traditionelle polnisch-jüdische, aber auch muslimische Gebäckstücke, die Rose aus ihrer Zeit aus Paris mitgebracht hat. Freundschaft und Liebe entfalten sich kontinuierlich. Mit dem Aufdecken der Vergangenheit verbessert sich auch die angespannte Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Enthalten ist auch ein feinfühliges Porträt einer Jugendlichen, die unter der Scheidung ihrer Eltern leidet.

Ein nach Zimt und Zuckerguss duftender Wohlfühlroman mit ernsthaftem Hintergrund. Gut recherchiert, vielleicht eine Spur zu optimistisch, manche Wendungen vorhersehbar, aber doch so angenehm zu lesen, dass der Winter für ein paar Stunden etwas wärmer wird.

„…, du kannst nicht dein Leben lang nach allen Regeln leben und immer nur das tun, was andere Leute von dir erwarten, ohne an dich selbst zudenken, okay? Dann wachst du nämlich eines Tages mit achtzig oder so auf und begreifst, dass das Leben an dir vorbeigegangen ist.“

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Roman

Sara Gruen – Das Affenhaus

Von Sara Gruen hatte ich 2011 begeistert Wasser für die Elefanten gelesen, später auch den Film gesehen, der nach meinem Gefühl den Zirkuszauber des Buches nicht ganz einfangen konnte. Ähnlich ging es mir mit dem Affenhaus.

Hauptpersonen sind der Journalist John Thigpen und die Forscherin Isabel Duncan. Kurz nach Johns Besuch bei Isabel und ihrer Bonobo-Familie wird deren Forschungslabor (erforscht werden die Sprachfähigkeiten der Bonobos) in die Luft gesprengt und Isabel selbst schwer verletzt. Noch während Isabel im Krankenhaus liegt, werden die Affen an einen geheimen Investor verkauft. Wochen später tauchen sie in einer Reality Show namens Affenhaus wieder auf. Isabel versucht gemeinsam mit ihrer Assistentin Celia, die Affen aus dem Haus zu befreien. Auch John Thigpen ist hinter den Affen her, um die Hintergründe aufzudecken und landet schließlich auch wenig überraschend den großen Coup.

Achtung, es folgt ein Spoiler. Es ist mir in diesem Fall nicht möglich, meine Meinung zu diesem Buch zu beschreiben, ohne massiv die Entwicklung vorwegzunehmen.

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Die Autorin hat erfolgreich der Versuchung widerstanden, Isabel und John zu einem Liebespaar werden zu lassen. Die zarten Annäherungen bleiben es auch, obwohl Isabel sich von ihrem Verlobten trennt und John mit seiner Frau Amanda einige Krisen durchzustehen hat, bleibt die naheliegende Liebesaffäre aus. Damit hebt sich das Buch neben der gut recherchierten Geschichte der Sprachforschung mit Affen erfrischend von klassischer Frauen-Liebes-Literatur ab.

Dagegen spricht jedoch die eingestreute Episode, in der John meint, ein 17-jähriger Junge mit seltenem Nachnamen entspränge möglicherweise einer betrunkenen Jugend-Episode mit einer Frau desselben Nachnamens. Das ist wiederum so weit hergeholt, dass man John für diese lächerliche Aktion einen Polster an den Kopf schmeißen möchte. Da sich die anschließende darauf basierende Eifersuchtsepisode so schnell auflöst und auch problemlos rein auf Johns Bekanntschaft mit der Stripperin Ivanka beruhen hätte können, wäre dieser „Seitensprung“ verzichtbar gewesen.

Im Ganzen kann ich das Buch trotzdem nur empfehlen. Nach meinem Empfinden kommt es an Wasser für die Elefanten nicht heran, jedoch spürt man in vielen Szenen dieselbe Herkunft. Gerade die Nebenhandlungen und -figuren sind ebenso detailreich gezeichnet und mit ausgeprägten Charaktereigenschaften versehen, die nicht nur vorhersagbar sind. Gleiches gilt für die Affenfamilie, die in Gebärdensprache mit ihren Betreuern kommunizieren. Angenehmes Lesevergnügen.

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English Roman

Robin Sloan – Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore

“Magic is not the only power in this world,” the old mage said gently, handing the horn back to its royal owner. “Griffo made an instrument so perfect that even the dead must rise to hear its call. He made it with his hands, without spells or dragon-songs. I wish that I could do the same.”

Es könnte kein passenderes Buch für diesen Anlass geben: Am heutigen Tag vereint sich der 400. Post auf diesem Blog mit dem 7. Geburtstag desselben. Am 26. November 2007 erschien der erste Post, damals noch auf meinem last.fm Profil (inzwischen gelöscht). Damals hätte ich vermutlich nicht gedacht, dass ich so lange dranbleiben würde, über (fast) jedes Buch, das ich gelesen habe, einen Text zu schreiben. Ja, ich habe über die Jahre einige Bücher ausgelassen, teilweise, weil mir meine Meinung dazu zu privat ist, um sie öffentlich zu teilwen, teilweise, weil ich dem Buch / Autor / Thema nicht noch mehr Öffentlichkeit schenken wollte.

With each new mega-project she describes, I feel myself shrink smaller and smaller. How can you stay interested in anything – or anyone – for long when the whole world is your canvas?

Eine warmherzige Empfehlung kann ich jedoch für Mr. Penumbra aussprechen. Empfehlungen aus der Ecke problems of a book nerd sind meistens eine Lesefreude, aber dieses Buch übertrifft vielleicht nicht alles, aber einiges.

Clay stolpert auf der Suche nach einem Job in Mr. Penumbras Buchhandlung und findet sich überraschend schnell als Nachtverkäufer hinter dem Tresen (gibt es dafür ein österreichisches Wort?) wieder. Natürlich ist nachts im Buchgeschäft nicht viel zu tun, auch wenn Clay nach und nach die etwas seltsamen Besucher kennenlernt, die nichts kaufen, sondern sich aus den hinteren Regalen Bücher ausleihen. Aus Langeweile beginnt er, das Buchgeschäft auf seinem Laptop in 3D nachzubauen. Gemeinsam mit der aufstrebenden Google-Mitarbeiterin Kat löst er mehr zufällig ein Rätsel, das ihn auf die Spur einer geheimen Gemeinschaft bringt. Seit Jahrhunderten sind deren Mitglieder mit der Entschlüsselung des Buches eines Aldus Manutius, der Zeitgenosse von Gutenberg gewesen sein soll, beschäftigt. Das Buch soll den Schlüssel des Lebens enthalten. Clay und Kat nehmen die Herausforderung an, den Code mit modernen Mitteln zu knacken.

Meine Zusammenfassung ist wie so oft viel langweiliger als die tatsächliche Geschichte, weil das Buch einfach so nett geschrieben ist. Clay hat jede Menge Freunde mit seltsamen Hobbies wie etwa sein Mitbewohner Matt, der als Ausstatter beim Film arbeitet und außergewöhnliche Talente im Herstellen von Requisiten (oder gefälschten Büchern) aufweist. Jedes Kapitel bringt ein neues Puzzle hervor, für das Clay und seine Freunde nach etwas Drehen und Wenden und manchmal auch ein paar Schritten rückwärts eine Lösung finden.

Wird der Code am Ende geknackt? Die Antwort ist wie so oft: Ja und Nein! Aber die Reise dahin ist jede Minute wert!

There is no immortality that is not built on friendship and work done with care. All the secrets of the world worth knowing are hiding in plain sight.

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Roman

Rainbow Rowell – Eleonor & Park

„Because it doesn’t matter to me, Park. If you like me,“ she said, „I swear to God, nothing else matters.“

Also eine weitere Lovestory aus der Young-Adult-Ecke. Eleonor lebt mit ihren Geschwistern, ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann Richie auf engstem Raum, Richie terrorisiert die Familie. Der Kontakt zu Eleonors Vater ist kaum vorhanden. Im Bus lernt sie Park kennen. Stück für Stück wird aus der Busbekanntschaft eine Romanze, eine Liebe, wie sie beide vorher noch nicht erlebt haben.

It was because she was different – because she wasn’t afraid to be. (Or maybe she was just more afraid of being like everyone else.) There was something really exciting about that. He liked being near that, that kind of brave and crazy.

Die detaillierte getrennte Beschreibung der Gefühlswelten von Eleonor und Park macht den Reiz dieser Geschichte aus. Der Leser erlebt, wie sie sich Stück für Stück annähern, aber auch wieder abstoßen, weil die unterschiedlichen Lebensverhältnisse und die Schikanen der Mitschüler ihnen das Leben schwer machen.

He tried to remember how this happened – how she went from someone he’d never met to the only one who mattered.

Bis etwa 90% ist das alles schön zu erleben. Dann fragt man sich, wie es zu Ende geht. Und das Ende ist wirklich furchtbar. Und zwar nicht im Sinne einer Katastrophe für die Protagonisten, sondern literarisch. Diese Geschichte so enden zu lassen, hat mir so ziemlich die ganze Freude daran verdorben. Das hätte ich mir anders gewünscht.

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English Roman

Kurt Vonnegut – Slaughterhouse-Five

„That’s one thing Earthlings might learn to do, if they tried hard enough: Ignore the awful times, and concentrate on the good ones.“
„Um,“ said Billy Pilgrim.

Immer wieder begegnet einem der 2007 verstorbene Kurt Vonnegut als einer der bekanntesten amerikanischen Autoren der jüngeren Vergangenheit. Vor zwei Jahren hatte ich auf dem iPad Cat’s Cradle gelesen und ich erinnere mich richtig, es hatte mir sehr gut gefallen.

Slaughterhouse-Five ist Vonneguts bekanntestes Werk. Es ist teils autobiografisch. Die Luftangriffe, die Dresden 1945 großteils zerstörten, hat Vonnegut in Kriegsgefangenschaft miterlebt und verarbeitet diese auf äußerst skurrile Weise in diesem Roman. Seine Hauptfigur namens Billy Pilgrim ist ein scheinbar etwas zurückgebliebener Mann, stets abwesend, in seiner eigenen Welt lebend. Er unternimmt Zeitreisen und ist überzeugt davon, von Außerirdischen auf den Planeten Tralfamadore entführt worden zu sein. Dort wurde er mit einer ebenfalls von der Erde entführten Pornodarstellerin in einem Zoo ausgestellt, zur Unterhaltung der Tralfamadorianer.

One of the main effects of war, after all, is that people are discouraged from being characters. But old Derby was a character now.

So it goes. Die ständigen Zeitsprünge machen es für den Leser einigermaßen anstrengend, der Geschichte zu folgen. Allerdings scheint eine fortlaufende Erzählung über Billy Pilgrims Leben auch nicht das Ziel zu sein. Über Krieg an dich und Kriegsgefangenschaft im Besonderen lässt sich kaum etwas Gutes sagen, erklärt Autor Kurt Vonnegut in seiner Einleitung.

Ich kann den Hype um dieses Buch nicht ganz nachvollziehen. Ja, es ist witzig und skurril und es gab Momente, wo ich sehr schmunzeln musste. Ja, es ist Anti-Kriegs-Literatur und hat damit zweifellos seine Berechtigung. Aber für mich reichte es an Cat’s Cradle nicht heran.

Bei diesem Buch habe ich außerdem festgestellt, dass ich ein Problem mit der Papier- und Druckqualität englisch-sprachiger Taschenbücher entwickelt habe. Ich dachte zuerst, es ist der Font, den ich nicht mag, aber beim nächsten Buch wurde mir dann klar, dass es wohl eine Kombination aus der Papierqualität und der dadurch beeinflussten Lesequalität ist. Das Papier ist offensichtlich Recycling (was ich prinzipiell befürworte), ungebleicht und eher grobfaserig, die Buchstaben verschwimmen beinahe etwas. Gerade, wenn man nach einem langen Arbeitstag auf der Heimfahrt im Zug noch lesen möchte, kann so ein Schriftbild schon sehr stören. Ich überlege, bei englischsprachigen Romanen zukünftig komplett auf Kindle Books zu setzen.

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Roman

John Irving – Letzte Nacht in Twisted River

Vielleicht trug dieser Moment der Sprachlosigkeit dazu bei, dass Daniel Baciagalupo Schriftsteller wurde. Diese Momente, in denen man weiß, dass man etwas sagen sollte, einem die richtigen Worte aber nicht einfallen – als Schriftsteller kann man diesen Momenten nicht genug Bedeutung beimessen.

Es ist ein raues Pflaster. Das Holzfällerörtchen Twisted River, in dem der Koch Dominic mit seinem Sohn Danny lebt. Aus ihrem beschaulichen Leben im Kochhaus wird jedoch eine lebenslange Flucht, nachdem der 12-jährige Danny versehentlich die Geliebte seines Vaters mit einer Bratpfanne erschlägt, weil er sie für einen Bären hält. So absurd, dass es schon wieder zu gut erfunden ist …

Pläne, Pläne, Pläne – wir schmieden Pläne für die Zukunft, als würde diese Zukunft garantiert eintreffen!

Mehrmals bauen sich Danny, der unter einem Pseudonym zum Bestsellerautor wird, und sein Vater Dominic eine neue Existenz auf. Auf der Flucht vor dem Cowboy, der sich wegen des Todes der Indianerin an Dominic rächen will, müssen beide Frauen zurücklassen und immer wieder ihre Heimat aufgeben. Letztendlich landen sie sogar außer Landes – in Toronto, wo sie der Cowboy dann doch noch aufspürt. Gerade auf den Fersen des alten Freundes Ketchum, der die beiden stets zu ihrer Sicherheit außerhalb der USA sehen wollte.

Wie passend, dass die sterblichen Überreste eines Kochs in einer Dose Arnes’ New York Steak Spiee untergebracht waren! Dominic Baciagalupo, dachte sein Sohn, der Schriftsteller, hätte sich darüber womöglich köstlich amüsiert.

Es ist schwierig, diese Geschichte zusammenzufassen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Sie erzählt den größten Teil von Dannys, Dominica und Ketchums Leben und auch viele Geschichten zu den Personen, die ihnen auf ihrem Weg begegnen und sie ein Stück begleiten. Ich kann noch immer nicht identifizieren, wieso mich diese Geschichte deutlich kälter gelassen hat, als etwa Gottes Werk und Teufels Beitrag oder Bis ich dich finde. Die großen Lebensthemen bleiben nicht aus. Auch Bezüge zu geschichtlichen Ereignissen wie dem Vietnamkrieg verdeutlichen die Zeitebenen und zeichnen beinahe wie nebenbei ein Bild der amerikanischen Gesellschaft. Trotzdem glänzen die emotionalen Beziehungen von Dominic und Danny durch Abwesenheit gerade der großen Emotionen. Der Fokus liegt eindeutig auf den Vater-Sohn-Beziehungen. Und trotzdem freuen wir uns über den nochmaligen Auftritt der Heldin Lady Sky …

So versuchen wir unsere Helden am Leben zu erhalten; deshalb erinnern wir uns an sie.

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Roman

E. L. Doctorow – Ragtime

Wenn du sie wiederfindest, wirst du ehrlich mit ihnen verkehren können, als die Person, die du wirklich bist. Und wenn du sie nicht findest, dann ist es vielleicht so am besten.

Sie wird sie nicht wiederfinden. Soviel sei vorab gesagt. Denn sie ist nur eine Nebenfigur in diesem großen amerikanischen Roman. Hier möchte ich wiederum die Geschichte erzählen, wie ich an dieses Buch geraten bin. Das Musical Ragtime, das auf diesem Buch basiert, erlebte 2009 ein Revival am Broadway, möglicherweise wurde auch die Produktion beim Shaw Festival 2012 im Musical-Fachmagazin lobend erwähnt, jedenfalls hatte mich eine Rezension neugierig gemacht. Das Buch fiel mir dann ebenfalls auf spezielle Weise zu: zu Weihnachten hatte ich Geschenkgutscheine vom Arbeitgeber erhalten und den Vorsatz gefasst, diese im lokalen Buchhandel auszugeben. Also führte mich ein Hundespaziergang am Samstag Vormittag in den lokalen Buchhandel, wo ich dann viel zu schnell dieses sowie ein weiteres Buch in der Hand hatte. Dann stand es wie gewohnt ein paar Monate im Regal und schien mir nun als Kontrapunkt für den Urlaub zu passen.

Sie waren überzeugt, sie würden auf spektakuläre Weise sterben. Diese Überzeugung verlieh ihnen ein dramatisches, exaltiertes Selbstbewusstsein.

Nach der Lektüre ist mir weiterhin schleierhaft, wie jemand auf die Idee kommen konnte, daraus ein Musical zu machen. So verzweigt ist die Geschichte, so viele Personen mit unterschiedlichen Motiven, deren Lebensgeschichten sich nur streifen. E.L. Doctorow lässt viele historische Persönlichkeiten wie den Entfesselungskünstler Harry Houdini oder die feministische Anarchistin Emma Goldman den gesellschaftlichen Rahmen für seine Revolutionsgeschichte bilden.

Verbindendes Motiv der handelnden Personen ist der Glaube an die Gerechtigkeit bzw. das Streben danach sowie der Glaube an die Wahrheit und Richtigkeit der eigenen Motive. Sowohl Coalhouse Walker, der schließlich sein Leben für seine Vorstellung von Gerechtigkeit opfert als auch der jüngere Bruder, der nach seinem erfolglosen Liebesstreben nur in der Revolution Wahrheit finden kann, stehen so fest auf ihren Grundsätzen, wie man es sogar im Roman selten erlebt.

Ihre Sache hatte ihr Denken entstellt. Sie wollten an den Grundfesten der Welt rütteln. Eine Armee Gründen! Sie waren nichts anderes als schmutzige Revolutionäre.

Kein Wunder, dass disses Buch jahrzehntelang auf der Liste 100 best English-language novels of the 20th century stand. Erwähnte ich bereits, dass ich immer wieder feststelle, dass amerikanische „Schullektüre“ mir viel zu oft besser gefällt als das, was ich in der Schule lesen musste. Was hatte ich mich damals mit Herrenjahre (Gernot Wolfgruber) gequält und geärgert … rückblickend betrachtet muss ich natürlich zugeben, dass ich damals auch mit Der Fänger im Roggen nichts anfangen konnte. Liegt es an der Auswahl unserer Lehrer? Oder am mangelnden Angebot an moderner österreichischer bzw. deutschsprachiger Literatur? Kann Literatur nur entweder unterhaltend ODER bildend sein? Womit wir nahezu zurück beim Musical wären …

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Roman Thriller

Daniel Suarez – Kill Decision

Not even twenty-four hours had elapsed since she’d been lying in blissful ignorance on a lumpy cot in Africa. Hard to believe that that humid, cramped little cabin, along with everything in it – along with her foreseeable future – had been incinerated in a flash. None of this seemed real. Not even the room she stood in.

Manchen Autoren kann ich gar nicht genug nachschmeißen. So uneingeschränkt begeistert wie von Daniel Suarez bin ich allerdings selten. Bisher habe ich jedes seiner Bücher gekauft, verschlungen und dann an meinen Bruder weitergereicht (wenn ich mich recht erinnere, brachte mich der sogar auf Daemon). So auch wieder mit diesem hier. Da ich jedoch nicht mehr rechtzeitig vor seinem Geburtstag fertig wurde, hab ich mir gleich noch die Kindle Edition geleistet. Und die beiden Vorgänger auch gleich dazu …

He adjusted the rearview mirror to meet her gaze. “Happy now, Professor? The monsters of the deep know you by name.”
She knelt and looked up at him. “I didn’t have a choice. You gave me no good reason to trust you.“
“Smart people are always difficult. Always looking for answers. And the answers always lead to more questions.“

Unschuldig ins Chaos gestürzt wird diesmal die Ameisenforscherin Linda McKinney. Ihre Forschung über die aggressiven Weberameisen wird zur Steuerung von Kampfdrohnen missbraucht und bringt sie in Lebensgefahr und in die Hände von Odins geheimer Kampftruppe …

They nodded to McKinney and immediately resumed their duties.

Odins Team hält eisern zusammen. Aufgrund ihrer Kenntnisse und der ihr drohenden Gefahren bleibt Linda keine andere Wahl, als sich dem Team anzuschließen. Aber sie gehört nicht dazu. Vor dem Kampfeinsatz übt das Team ein Ritual, an dem sie nicht teilnimmt, das sie nur beobachten kann. Stellvertretend für Linda fühlte ich mich ausgeschlossen, beobachtete an mir ein unmittelbares Unbehagen, nicht zum Team zu gehören.

„… If there’s a valuable brand to protect – whether it’s a person or a dish soap – these fuckers are out there protecting it, shaping the narrative. I mean … who the fell follows dish soap on twitter? How does anyone believe that shit’s real?“

Wie aus den Vorgängerwerken von Daniel Suarez bekannt, beschäftigt er sich intensiv mit politischen und sozialkritischen Motiven der menschlichen Persönlichkeit. Ein Nebenschauplatz ist eine PR-Firma, die sich dem Verbreiten bzw. Promoten von Produkten oder Persönlichkeiten verschrieben hat. Und ja, ich frage mich auch immer wieder, warum Menschen auf Facebook Produkte oder Firmen liken. Spätestens seit der Schwedenbombenrettung und der Wiedererscheinung des Tschisi-Eis (man sollte meinen, dass die Intensiv-Facebooker zu jung sind, um sich daran zu erinnern) glaubt die breite Masse an die Rettungskraft des Social-Media-Riesen. Kluge PR-Firmen sind in der Lage, diese Daten in Formen und Weisen zu nutzen, die selbst dem erfahrenen Mediennutzer Schauer über den Rücken treiben.

„Do you normally leave your doors unlocked and your alarms deactivated?“ – „I didn’t want you to break anything. I’m having a party tomorrow night.“

Auch das Thema Überwachung ist natürlich mit den Drohnen eng verknüpft. Gerade in Österreich gibt es hier ein ständiges Hin und Her. Wenn Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Drogen-Haartests zulassen will, aber empört aufschreit, wenn ihre SPÖ-Kollegin Bures die Autobahnkameras zur Überwachung der (nicht funktionierenden) Rettungsgasse nutzen will. Denn genau das ist das Problem: sind die Kameras mal da, warum sie nicht für alles Mögliche nutzen?

Although, this is the problem with a surveillance state; once you build it, it always grows. Do you realize how many industries use this data? How many people are busy building the systems to gather and analyze it? How much economic activity that’s generating?

Nicht zuletzt will der neue Heeresminister Gerald Klug nun auch Drohnen für das österreichische Bundesheer anschaffen. Unbewaffnet selbstverständlich. Aber wenn man liest, was sich die Verantwortlichen für die Beobachtung von Demonstrationen vorstellen, kann einem schon schlecht werden. Etwa Reinhard Zmug von der Luftzeugabteilung des Bundesheers wird zitiert:
Bei Menschenansammlungen würden die Drohnen aus deeskalierend wirken: „Sie beobachten die Leute von oben, und am Boden sieht man nicht allzu viele Soldaten.” So würden auch weniger schnell Konflikte entstehen. „Denn wenn eine Drohne 300 Meter entfernt von Ihnen fliegt, sehen Sie sie nicht mehr. Sie ist so klein und hell, man hört sie auch kaum mehr”, erklärt Zmug. Die Menschen würden demnach auch gar nicht merken, dass sie beobachtet werden. (diepresse.com)

Nicht merken, dass man beobachtet wird … eine Horrorvorstellung in meinen Augen. Suarez Killerdrohnen treiben die Bedrohung in beängstigender Art und Weise auf die Spitze. Und doch fällt es nicht schwer zu glauben, dass sie in geheimen Fabriken vielleicht bereits gebaut werden …