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English Roman

Colleen Hoover – It Starts With Us

CN: Beziehungsgewalt, Gewalt von Eltern an ihren Kindern, sexuelle Handlungen


Die Fortsetzung zu Colleen Hoovers BookTok-Hit It Ends With Us. Um etwas Feuer Konflikt in die wieder aufflammende Romanze zwischen Lily und Atlas zu bringen, stellt die Autorin Atlas einen unbekannten kleinen Bruder zur Seite, was auch zu Begegnungen mit der abwesenden Mutter führt. Lilys Beziehung zu ihrem nun Ex-Mann Ryle und Vater der gemeinsamen Tochter Emerson wird durch die Entwicklungen zwischen Lily und Atlas natürlich auch nicht einfacher. Im Vergleich zum ersten Roman haben Lily und Atlas jedoch eine deutlich einfachere Zeit, die dominante Beziehungsgewalt von Ryle an Lily findet in deutlich abgeschwächter Form Ausdruck. Es bleibt jedoch das Wissen, dass Ryle als Vater von Emerson immer Teil von Lilys Leben sein wird und ein Auskommen irgendwie ermöglicht werden muss. Atlas bleibt „zu gut, um wahr zu sein“, er macht einfach alles richtig. Wie die beiden sich anhimmeln, ist manchmal schwer zu ertragen, es ist einfach irgendwie zu viel. Das war jedoch im Prinzip erwartungsgemäß und ich hatte mir das Buch genau deshalb ausgeliehen, weil ich gerade einen Eskapismus brauchte, also hat es schon gepasst.


Während meiner Reise nach Antibes im April 2025 besuchte ich auch das Musée de la Carte Postal. Es befand sich in der Nähe unseres Apartments und ich hatte es auf dem Heimweg vom Supermarkt zufällig entdeckt. An einem regnerischen Nachmittag ließ ich also den Hund in der Obhut des Fotografen zurück, um mir die Geschichte der Postkarten anzusehen. Als ich ankam, waren die Räume dunkel, ein älterer Herr saß am Eingang und überreichte mir auf meine Anfrage einen Audioguide (ein Android-Handy mit einer App darauf), betätigte die Lichtschalter und wies mir den groben Weg durch die zwei Räume der Ausstellung.

räumliche Ansicht des Postkartenmuseums, im Vordergrund steht ein Tisch mit einem Glaskasten darauf, in dem auf vier Ebenen spezielle Postkartenexponate betrachtet werden sollen, im Hintergrund sind die Wände mit hohen Schaukästen verkleidet, in denen reihenweise verschiedenste Arten von Postkarten ausgestellt sind

Am Anfang der Ausstellung werden einige Fakten zur Entstehung der Postkarte in nicht ganz chronologischer Reihenfolge präsentiert. Als Ursprung sieht die Ausstellung Telegrammkarten, die mittels Rohrpost zwischen Postämtern versandt wurden, diese enthielten jedoch weder Fotos noch Illustrationen. Als Erfinder der Postkarte gilt der Österreicher Emmanuel Hermann. Er soll die 1. Postkarte (betitelt mit „Correspondenz-Karte“) überhaupt im Jahr 1869 aus Wien versandt haben. In späterer Folge verhandelte er mit der Post einen Sondertarif für diese Karten, die ohne einen Briefumschlag auskamen und zum selben Preis unabhängig von der Entfernung im gesamten österreich-ungarischen Reich verschickt werden konnten („kurze schriftliche Mitteilungen nach allen Orten der Monarchie ohne Unterschied der Entfernung gegen eine Gebühr von zwei Neukreuzern“, Wikipedia). In der Ausstellung ist außerdem eine Karte mit der Einladung zum Begräbnis des Autors Victor Hugo aus dem Jahr 1885 zu sehen. Aus dem Jahr 1889 stammt die erste Postkarte mit einer Illustration, nämlich dem Eiffelturm. Es handelte sich um eine Karte anlässlich der Pariser Weltausstellung. Die erste Postkartenausstellung wurde 1899 in Nizza abgehalten. (Bei der Recherche habe ich in einem Auktionshaus eine Souvenirkarte von dieser Ausstellung gefunden. Der Rufpreis ist 40 Euro.)

Weiter wird erzählt, wie die Postkarte in den Jahren 1900 bis 1920 rasant populär wurde. Als Sammelobjekte wurden sie auf der Straße verkauft und in Alben gesammelt. Daraus entwickelte sich eine regelrechte Industrie, denn die Produktion von Postkarten schuf Arbeitsplätze für etwa Fotograf:innen, Illustrator:innen und Drucker:innen. Einzig die Briefträger:innen sollen nicht so begeistert gewesen sein von der zusätzlichen Arbeit. Die ersten Werbepostkarten kamen von den Druckereien selbst, die mit ihrem eigenen Produkt die Qualität ihrer Ware anpreisten.

Ab hier zeigt die Ausstellung viele Highlights der damaligen Postkartenkultur in einer groben zeitlichen Einordnung. Es folgen einige Beispiele, die mich besonders beeindruckt haben:

1905: Eine unbekannte Person hat Ansichtskarten mit Porträts von damaligen Celebrities (zB Kaiser Franz Joseph I. oder der Komponist Richard Wagner) im Archimboldo-Stil (Porträts aus Früchten und Pflanzen) gestaltet (davon konnte ich wegen der Spiegelungen im Glas leider kein ordentliches Foto machen).

2 Reihen von Postkarten, oben links die Vorder- und Rückseite einer Postkarte, auf der Vorderseite ein französischer Text und eine Schwarz-Weiß-Illustration eines Phonographen, aus dem Sprache erklingt, die Rückseite enthält den Schriftzug „CARTE POSTALE“ und Textfelder zum Eintragen der Adresse, rechts daneben drei Karten, bei denen eine schwarze Scheibe mit einem Loch in der Mitte das zentrale Element bildet, auf der Postkarte ganz rechts ist der Titel „NINA ROSA“, darunter Illustrationen von Katzen und Hunden, die in die Öffnung eines Grammophons hineinhören oder hineinbellen

Bereits im Jahr 1905 konnten auch Audioaufnahmen als Postkarte verschickt werden! Es gab sowohl Scheiben mit aufgenommener Musik (wie es heute noch bei Geburtstagskarten vorkommt) als auch die Möglichkeit, mit einem Phonograph eigene Sprachnachrichten aufzuzeichnen, um sie anschließend zu verschicken.

Postkarte anlässlich der totalen Sonnenfinsternis (Eclipse Total de Sol) am 30. August 1905, in der linken Textspalte sind die Uhrzeiten aufgelistet, an denen die Sonnenfinsternis an verschiedenen Orten zu sehen ist, in der rechten Spalte eine Auflistung von prognostizierten Eklipsen in späteren Jahren, der Hintergrund ist ein Text in Schreibschrift auf grauem Papier, rechts oben ein runder Ausschnitt mit einem Filter, durch den die Sonne betrachtet werden kann

Am 30. August 1905 war eine Sonnenfinsternis zu beobachten. In der Ausstellung findet sich eine Postkarte mit einem runden Ausschnitt und einem violetten Filter zum Durchschauen. Ich fühlte mich sehr erinnert an das große Sonnenfinsternis-Ereignis meiner Lebenszeit: die totale Sonnenfinsternis, die über Zentraleuropa am 11. August 1999 zu beobachten war. Obwohl dem Ereignis natürlich eine wochenlange Berichterstattung und Analyse vorangegangen war, war es trotzdem überraschend, als es finster wurde und tatsächlich die Vögel leiser wurden und auch sonst kaum Geräusche zu hören waren, weil alle einfach nur auf der Straße standen und zum Himmel schauten. Wir beobachteten von einem Parkplatz aus und auch die Mitarbeiter:innen des Supermarkts standen vor dem Eingang und schauten zu.

Ab 1907 durften Frauen in Paris beruflich Taxi fahren (also mit Pferdekutsche). Eine Serie an Fotografien dokumentiert diese Pionierinnen, die es sicher nicht leicht hatten in diesem vormals ausschließlich Männern vorbehaltenen Beruf.

3 Reihen von Postkartenmotiven, oben verschiedene menschliche Gestalten, die vor einem Weltallhintergrund abgebildet sind und auf dem Mond stehen oder sitzen, mittig querformatige Illustrationen von Menschenmengen auf Planeten, die das Ende der Welt feiern, unten hochformatige Ansichten, die Menschen in der Luft schwebend zeigen, einer reitet auf einem übergroßen Vogel, rechts schweben drei Personen an Schirmen über einem Stadtbild mit Fluss

Der Halley’sche Komet versetzte 1910 Menschen in Angst und Schrecken: Wieder einmal wurde das Ende der Welt erwartet und verkündet. Künstler:innen reagierten darauf mit surrealistischen Darstellungen von durchs All fliegenden Menschen, zum Beispiel mit Regenschirmen wie bei Mary Poppins. Auch Illustrationen aus anderen künstlerischen Stilen wie zB Art Nouveau (auch Jugendstil) wie etwa von Alphons Mucha sind auf Postkarten der Sammlung zu finden.

Mich hat der Besuch des Postkartenmuseums sehr inspiriert. Ich habe dort etwa zwei Stunden verbracht und den kompletten Audioguide durchgehört, obwohl mir das Format Audioguide eigentlich nicht so liegt. Seit ich dort war, habe ich Ideen für das Design von Postkarten(serien) im Hinterkopf und warte darauf, bis sich die eine oder andere klar materialisiert. Ausgestellt waren auch Serien von Postkarten zu Jahreszeiten, Monaten, Wochentagen oder sogar Uhrzeiten. Das passt zu einer anderen kreativen Idee, die ich seit einiger Zeit ausbrüte, vielleicht kommt da demnächst etwas heraus.

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English Roman Science Fiction

Adrian Tchaikovsky – Alien Clay

CN: autoritäres Regime, Dystopie, Folter, Gewalt, Tod, Arbeitslager


Das zweite Buch unseres Minibuchclubs aus der Reihe der Hugo Award Nominees (das erste war Calypso).

Sometimes in order to escape the bad place you’re in, you have to go through trauma and hardship. Sometimes letting go of the barbed wire means tearing your skin some more, before you’re free.

Das Buch beginnt mit der Landung des Protagonisten Arton Daghdev auf dem Planeten Kiln, auf dem er als politischer Gefangener in einem Arbeitslager sein Dasein fristen soll. Schnell wird klar, dass die menschliche Welt von einem autoritären Regime beherrscht wird, dass nur The Mandate genannt wird. Als Akademiker war Daghdev auf der Erde Teil einer Widerstandsgruppe, die sich dem Regime entgegenstellte. Dabei störte ihn hauptsächlich die intellektuelle Unehrlichkeit des Regimes, das von der Wissenschaft einfache Antworten auf komplexe Fragen verlangt und Forschungsergebnisse, die nicht in ihr Weltbild passen, gnadenlos unterdrückt.

[…], but it was the intellectual dishonesty of the whole orthodox thing that galled me into action. 

Der Autor zeigt an verschiedensten Beispielen, wie ein oppresives Regime die Menschen unterdrückt. Kontinuierliche Überwachung, Manipulation von Geschehen und Geschichte, niemand kann dem anderen noch trauen, jede:r fragt sich ständig, wer ihn oder sie an das Regime verraten hat. Auch für treue Diener:innen des Systems bietet es keine Sicherheit. Ein bürokratischer Fehler kann genauso zur Verbannung ins Arbeitslager führen wie tatsächliche Revolutionsaktivitäten. Auch der Bias in Algorithmen und künstlichen Intelligenzen, der aktuell so häufig thematisiert wird, wird angesprochen: Wenn du einen Computer so programmierst, dass er etwas Bestimmtes erwartet, dann wird er es auch finden (selbst, wenn es nicht existiert). Dieser Faktor erscheint mir als zentral in der Debatte um Überwachung, die alle paar Jahre immer wieder aufflammt: Selbst wenn du dir nichts zuschulden kommen lässt, kann die Auswertung von Überwachungsdaten etwas finden, das dir dann zum Vorwurf gemacht wird. Anlasslose Massenüberwachung macht die Welt nicht sicherer. Es gibt keine Person, die nichts zu verbergen hat.

A blameless cog in the Mandate’s machine, until a bureaucratic error pointed the wrong finger at him. […] If you program your computers to expect wrongdoing, then they’ll most certainly find it.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der speziellen Beschaffenheit der Flora und Fauna auf dem Planeten Kiln. Ziel ist die Erforschung der Ruinen, die eine schriftliche Dokumente enthalten, die jedoch noch nicht entziffert werden konnten. Das Regime erwartet die Lüftung des Geheimnisses der Entstehung dieser Ruinen, es wird nach den Erbauer:innen geforscht. Gefunden wurde bisher jedoch nur eine sehr angriffslustige Biosphäre, von der aufgrund bisheriger Präzedenzfälle angenommen wird, dass sie Menschen in kürzester Zeit tötet oder verrückt macht. Mit den ausführlichen Beschreibungen von Pflanzen und Tieren konnte ich nicht so viel anfangen, irgendwie konnte ich mir die beschriebene Natur nicht bildlich vorstellen.

Bei ungefähr 70 Prozent des Buchs war ich mir vollkommen unsicher, wo die Geschichte noch hinführen könnte. Die Situation von Arton und den anderen Gefangenen wurde ständig hoffnungsloser, ein weiterer Revolutionsversuch scheitert aufgrund von Verrat, Artons Exkursionsgruppe verliert ihr Fluggerät und wird im Dschungel zurückgelassen. Ohne zu spoilern möchte ich sagen, dass mich das Ende sehr überrascht hat. Der Weg dorthin war vielleicht etwas länger als nötig, aber die Auflösung war sehr überraschend.

Weitere Erkenntnisse aus unserer Buchclub-Besprechung trage ich demnächst nach.

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English Roman

Kaouther Adimi – A Bookshop in Algiers

CN: 2. Weltkrieg, Gewalt, Revolution, Kolonialismus


You will be alone; you have to be alone to get lost and see everything. There are some cities, and this is one, where any kind of company is a burden. You wander here as if among thoughts, hands in your pocket, a twinge in your heart.

Während ich darauf wartete, dass endlich das zweite Buch für unsere kleine Buchclubgruppe für mich frei würde, suchte ich nach einem Zwischenbuch, das kurz und noch dazu leicht zu lesen sein sollte. Bei der Suche nach einem Bookshop-Buch fiel mir dieses ins Auge. So leicht zu lesen war es dann gar nicht, aber dafür umso interessanter.

Auf zwei Zeitebenen wird die Geschichte eines fiktiven Buchgeschäfts in Algier erzählt. Gegründet von Edmond Charlot im Jahr 1935 wurde das Geschäft und der Verlag ein Ort der Zusammenkunft für Literat:innen und freie Denker:innen der damaligen Zeit. Der echte Edmond Charlot hat zwar einen Verlag gegründet, das Buchgeschäft ist aber soweit ich herausfinden konnte, eine Erfindung der Autorin Kaouther Adimi.

In Tagebuchform geben Charlots (fiktive) Texte Einblick in die algerisch-französische Politik vor und während des 2. Weltkriegs. Von 1830–1962 wurde Algerien von Frankreich besetzt und beherrscht. In kurzen Einträgen werden die politischen Veränderungen in dieser turbulenten Zeit beschrieben, unter anderem die Schwierigkeit, überhaupt an bedruckbares Papier zu gelangen.

Die moderne Zeitebene erzählt von der Demontage des fiktiven Orts im Jahr 2017. Protagonist Ryad kommt aus Paris nach Frankreich, um im Auftrag eines Investors das Geschäft auszuräumen und für sein neues Leben als Beignet-Shop vorzubereiten. Mit Büchern hat Ryad nichts am Hut. Das ändert sich auch im Verlauf der Geschichte nicht wirklich. Ryad lernt die Nachbarschaft und den früheren Hüter des Buchgeschäfts kennen, die im Klappentext angekündigte Veränderung (he begins to understand that a bookshop can be much more than just a shop that sells books) seiner Sichtweisen konnte ich jedoch nicht nachvollziehen.

Obwohl das Buch völlig anders war als von mir erwartet/erhofft, habe ich es gern gelesen. Auch die schwärmerischen Beschreibungen der heutigen Stadt Algier (siehe obiges Zitat) haben mir sehr gut gefallen. Letztendlich zeichnet die Autorin ein Bild eines Orts, an dem Gedanken und Wörter einen Platz haben und sich darauf eine Gemeinschaft gründet. Bücher können Menschen verändern. Und Menschen können die Welt verändern. Wenn sie sich zusammentun und an ein gemeinsames Ziel glauben. Ein hoffnungsvoller Ausblick.

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Roman

Stefan Kutzenberger – Jokerman

CN: sexuelle Handlungen, Gewalt, Mordkomplott, Vernachlässigung eines Tiers (bis zum Tod), Sexismus


Nur wenn wir an Dylans Wort glauben, werden wir den Weg ins Licht finden. Es ist gänzlich egal, was auf dieser Welt passiert, es zählt allein die Erlösung, die auf uns wartet, wenn wir unbeirrt seinen Aussagen folgen.

Aus der Reihe: Gelesen wegen eines Literatur-Geocaches. Nach Ende der Lektüre bin ich ehrlich enttäuscht. Das hätte eine echt gute Geschichte werden können. Die Idee, dass eine Gruppe von Bob-Dylan-Anhänger:innen aus dessen Texten Befehle für das Weltgeschehen ableitet, verspricht viel Potenzial. Zu Beginn wird äußerst unterhaltsam argumentiert, mit welchen Textbestandteilen Bob Dylan etwa den Fall der Berliner Mauer oder den Erhalt des Nobelpreises für Literatur vorhergesagt haben soll. Selbst als der Protagonist (er teilt den Namen des Autors) von einem fanatischen isländischen Professor nach Washington D.C. geschickt wird, um dort mit Hillary Clinton an einem Mordkomplott gegen Donald Trump zu arbeiten, überwiegt noch der Unterhaltungsaspekt. Die Auflösung jedoch hat mich nicht überzeugt und das gilt auch für viele andere Teile der Geschichte.

Der Protagonist Stefan Kutzenberger stolpert durch die Geschichte, philosophiert immer wieder über das eigene Leben und die (Fehl-)Entscheidungen, die ihn dorthin geführt haben, wo er sich nun befindet. Dieses Philosophieren bringt ihn möglicherweise zur letztendlich moralisch richtigen (?) Entscheidung, kann aber zumindest die aus meiner Sicht völlig unnötigen Ereignisse wie den Tod des Kalbs oder die Episode im Bettkasten nicht ausgleichen. Dieser planlose Stefan Kutzenberger hat mehr schlechtes Gewissen, weil er einem Hotelpagen mangels (US-$-)Bargeld kein Trinkgeld geben kann, als wegen des verhungerten Kalbs. Dass er dann auf einmal entdeckt, dass von seiner Hand kein Mensch sterben darf, ist für mich nicht ausreichend nachvollziehbar.

Die Anhänger:innen der Bob-Dylan-Gesellschaft halten Kutzenberger für „auserwählt“ aufgrund von Fakten, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen eine herrliche Verschwörungstheorie einen mehr oder weniger überzeugendenVerschwörungsmythos ergeben. Von dieser satirischen Grundidee hätte ich gerne mehr gelesen und dafür weniger männliches Phantasieren über die Bedeutung des eigenen Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nichtsdestotrotz empfinde ich tiefes Mitleid mit dem Autor: Die aktuelle zweite Amtszeit Donald Trumps muss sich mit diesem Buch im eigenen Portfolio noch viel schlimmer anfühlen, als sie es ohnehin schon ist.

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Lyrik Roman Science Fiction

Oliver K. Langmead – Calypso

CN: Gewalt, Tod


I can hear the Calypso‘s heart beating
loud beneath her bulkheads reverberating
a heartbeat like waves crashing, the waves of an ocean
her hallway windows alight so bright with the magnificent clouds
gushing clouds in which we tremble suspended afloat
and I know that I am enough, that this is enough
I don’t need extra senses strong bones
thoughts as quick as this
I am enough
to witness
this prayer

Die Wege der Bücher sind ja bekanntlich unergründlich, bei diesem weiß ich jedoch sehr konkret, wie es zu mir gekommen ist. Eine Einladung in einen sehr kleinen, sehr exklusiven Buchclub, der Bücher zum Thema haben soll, die für die diesjährigen Hugo Awards nominiert sind, konnte ich unmöglich ausschlagen. Mit diesem Buch haben wir begonnen, noch bevor die Nominierungen veröffentlicht wurden. G. hat gut recherchiert, nur ist dieses Buch in der Kategorie Best Poem nominiert, wir hatten uns eigentlich Novels vorgenommen. Wie schon das obige Zitat andeutet, handelt es sich hier um eine Novel in verse. Von dieser alten und gleichzeitig gerade wieder aktuellen Textgattung hatte ich hin und wieder Spuren auf Lithub gesehen, konnte mir jedoch nicht vorstellen, wie ich damit zurecht kommen würde. Lyrik ist ja nicht gerade meine Stärke (hier der bisher einzige Lyrik-Post auf diesem Blog), und dann auch noch in englischer Sprache, das erschien mir eine große Herausforderung, die ich jedoch des Buchclubs wegen annehmen wollte. Wir treffen uns demnächst, um über das Buch zu sprechen, möglicherweise schreibe ich dann noch eine Ergänzung, jetzt lest ihr hier erstmal meine eigene Meinung wie gewohnt.

Das Buch beinhaltet vier unterschiedliche erzählende Personen bzw. Perspektiven. Die Kapitel sind jeweils durch ein Symbol gekennzeichnet, das die Erzählperspektive visuell kommuniziert. Daneben haben die vier Erzählperspektiven auch noch verschiedene Satzeigenschaften: Rochelles Texte sind linksbündig im Flattersatz angeordnet, Sigmunds Texte rechtsbündig im Flattersatz. Catherines Texte sind zuerst mittig, aber scheinbar organisch fließend gesetzt, das verändert sich jedoch im Laufe der Geschichte. Der Text des Heralds schließlich ist in einer Spalte im Blocksatz gesetzt. An einigen Stellen wird diese Struktur aufgebrochen, es gibt beispielsweise Stellen, an denen der Text in zwei nebeneinander stehenden Säulen verläuft, weil hier Personen gleichzeitig bzw. durcheinander sprechen. Im Kapitel, in dem Catherines Transformation passiert, werden über mehrere Seiten die Wörter immer weniger und die Illustration einer Pflanze immer mehr. Es ist schwierig zu beschreiben, das müsst ihr vermutlich selbst gesehen haben.

Erzählt wird die Geschichte des Raumschiffs Calypso, das auf dem Weg ist, einen neuen Planeten zu kolonisieren. Dabei lebt auf der Calypso während ihrer langen Reise die Crew, deren Aufgabe es ist, für das Funktionieren des Raumschiffs und die Sicherheit der engineers zu sorgen. Die engineers, zu denen unsere Protagonist:innen Rochelle, Catherine und Sigmund gehören, verbringen die lange Reise im Cryoschlaf und sollen erst zum rechten Zeitpunkt erweckt werden.

Was ich jetzt hier relativ organisiert erzähle, wird aus dem Text erst sehr langsam klar. Mir ist es schwer gefallen, in die Geschichte hinein zu kommen, ich musste die ersten Kapitel auch zwei Mal lesen, weil sich eine Lesepause ergeben hatte und ich mich dann nicht mehr ausreichend erinnern konnte, um an der Stelle wieder in die Geschichte einzusteigen. Viele Fragen, viele angedeutete Ereignisse der Vergangenheit werden erst in dem Kapitel klarer, indem der Herald Rochelle erzählt, was während ihres Schlafs mit der Crew passiert ist.

Das Ende ist … unerwartet und wirft eigentlich neue Fragen auf anstatt die Geschichte sinnvoll abzuschließen. Ich bin schon sehr gespannt auf unser Buchclubgespräch, bei dem ich sicher noch Neues entdecken werde, das mir bisher entgangen ist. Als nächstes Buch haben wir Alien Clay von Adrian Tchaikovsky ausgewählt.

EDIT 4. Mai 2025 (nach dem Buchclub-Treffen): Bei der Besprechung dieses Buchs wurden viele Themen genannt, dir mir vorher gar nicht so bewusst gewesen waren. Wir haben uns mit Calypso aus der griechischen Mythologie beschäftigt und überlegt, warum Oliver K. Langmead sein Raumschiff so genannt hat. Wir haben die Schaffung des Wetters und der Jahreszeiten auf dem neuen Planeten mit der Schöpfungsgeschichte der Genesis verglichen. In meinem obigen Text hatte ich nicht mal erwähnt, dass mich Rochelles religiöse Anwandlungen so irritiert hatten, als sie zum Beispiel auf der Calypso einen Gebetsraum einrichtet. Dass ihr Vater Priester gewesen war, hatte ich nicht mehr im Kopf. G. erinnerte sich an sehr konkrete Stellen innerhalb der Geschichte; nach einigen gemeinsamen Überlegungen endeten wir damit, dass Rochelle den Humanismus symbolisiert, während Sigmund für den Transhumanismus steht. Für mich war es extrem spannend, andere Meinungen über die Geschichte zu hören und sich darüber auszutauschen und ich frage mich jetzt, warum ich bisher nie an einem Buchclub teilgenommen habe.

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Erzählung Roman

Kurt Tucholsky – Schloss Gripsholm

CN: Gewalt gegen Kinder, sexuelle Handlungen, Alkoholkonsum


Vor vielen Jahren hat mir ein Studienkollege den Autor Kurt Tucholsky ans Herz gelegt. Ich habe mir damals ein Buch gekauft und konnte einfach nichts damit anfangen. Das Buch steht immer noch ungelesen im Regal (allerdings nicht im Regal der ungelesenen Bücher, weil ich ja [aktuell] nicht vorhabe, es zu lesen). Vor ein paar Wochen erwähnte ich Tucholsky und dieses Buch in einem Gespräch über Lyrik und warum ich mir damit schwer tue. Die Vermutung liegt übrigens im Moment derart, dass das Narrativ, der rote Faden fehlt. Kurz darauf fiel mir in einem Bücherschrank das hier besprochene Buch in die Hände. Der dünne Band wird auf Wikipedia mal als Roman, mal als Erzählung bezeichnet.

Das Buch beginnt mit einem Briefwechsel zwischen dem Autor und seinem Verleger Herrn Ernst Rowohlt, in dem der Verleger den Autor bekniet, doch endlich mal eine unterhaltsame Sommergeschichte zu schreiben. Diese beginnt ab dem zweiten Kapitel mit dem Protagonist:innenpaar des Ich-Erzählers und seiner „Prinzessin“ Lydia, die nach Schweden auf Urlaub fahren. Einen roten Faden gibt es auch in dieser Erzählung kaum, die beiden genießen die Landschaft, empfangen Besuch von Freund:innen aus der Heimat, „retten“ ein Kind aus den Fängen einer sadistischen Anstaltsleiterin, um es zu seiner Mutter in die Schweiz zurückzubringen. Alles irgendwie durcheinander geschrieben mit viel Sprachwitz und Amüsement. Der Verleger war wohl zufrieden.

Das Buch weist Textillustrationen von Wilhelm M. Busch auf. Eine Verwandtschaft mit Wilhelm Busch, der für Max und Moritz bekannt ist, konnte ich nicht feststellen. Der Verleger Ernst Rowohlt darf sich gegen Ende des Buchs noch einmal zu Wort melden, wo er sich für die (Fake?-)Zigarettenwerbung entschuldigt, die den Text an einer äußerst pikanten Stelle unterbricht. Das Buch kann wohl auch als satirische Erwiderung auf den Wunsch des Verlegers nach seichter Unterhaltung gedeutet werden. Jetzt hab ich jedenfalls was von Tucholsky gelesen. Und das andere Buch wartet nach wie vor im Regal …

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Krimi Roman

Volker Kutscher – Rath

CN: Nationalsozialismus, Gewalt, Folter, Konzentrationslager, Mord, Novemberprogrome, Antisemitismus, Ableismus, Zwangssterilisation


Deutschlands innere Feinde geben keine Ruhe, und auch der äußere Feind hebt immer wieder drohend sein Haupt und mahnt uns, wachsam zu sein. 

Lange Monate habe ich auf den letzten Roman der Rath-Reihe gewartet. Und ich kann nur sagen, dass Volker Kutscher einen großartigen Abschluss seiner Reihe abgeliefert hat. Bei diesem historischen Hintergrund kann es natürlich kein Happy End geben (wer die anderen Bücher kennt, wird hier kaum einen Spoiler sehen). Und doch bringt gerade das allerletzte Kapitel einen Handlungsstrang zwar nicht mit Gerechtigkeit zum Abschluss, aber zumindest mit Vergeltung.

Volker Kutscher lässt seine Protagonist:innen immer wieder fassungslos beobachten (oder erleben), wie im neuen Deutschland plötzlich keine Gesetze mehr zu gelten scheinen. Das beginnt bei Fritze, der nicht mitmachen will, als seine HJ-Schar einen jüdischen Fußballverein aufmischen soll.

Nicht gegen Wehrlose, nicht gegen Menschen, die überhaupt nichts verbrochen hatten. Gegen den inneren Feind gehe es, hatte Scharführer Kramer gesagt, aber wie konnte ein jüdischer Fußballverein, der sich an alle Gesetze hielt, der innere Feind sein?

Das betrifft aber auch Charly, die nach dem Verrat eines Kollegen in einem Straflager landet, wo sie anstatt eines Anwalts einen Peitschenhieb ins Gesicht erhält. Von höchster Stelle wird sie nach einigen Wochen nicht nur aus der Lagerhaft befreit sondern auch wieder als Kommissarin in der Weiblichen Kriminalpolizei beschäftigt. Eine sehr unerwartete Wendung.

Ja, er wollte zurück nach Hoboken, dort mit Marion und seinem Bruder endlich wieder leben, in einem freien Land mit Rede- und Pressefreiheit. In einem Land, wo niemand die Wahrheit als Lügenhetze oder Greuelpropaganda bezeichnete.

Gereons Bruder Severin ist ebenfalls wieder in Deutschland, um dem sterbenden Vater die letzte Ehre zu erweisen. Er wird aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Gereon nach dem Begräbnis verhaftet, was jedoch erst aufgedeckt wird, als der einarmige Erzfeind Tornow Rath verhören will und sofort feststellt, dass es nicht der gesuchte Rath ist. Auch Severin ist fassungslos angesichts der Behandlung, die ihm als unbescholtenem, amerikanischem Staatsbürger zuteil wird. Seine Empörung wird ihm zum Verhängnis. Dass Severin sich nach den USA zurücksehnt, wo Rede- und Pressefreiheit gilt, hat angesichts der heutigen politischen Lage einen besonders bitteren Beigeschmack.

Auf der Uhlandstraße herrschte eine seltsame Stimmung. Die Geräuschkulisse war anders als sonst, und sie fragte sich, was da so anders war. Aus der Ferne Gejohle, scheppernde, klirrende Geräusche. Brandgeruch in der Luft. Die Stimmung, gerade noch lebensfroh in der Bar, hatte plötzlich etwas Apokalyptisches.

Das Buch endet mit der Reichskristallnacht den Novemberpogromen. (Ich lese gerade auf Wikipedia, dass der Begriff Reichskristallnacht als euphemistisch kritisiert wird, ich habe es in der Schule noch so gelernt.) In vielen kurzen Kapiteln wird beschrieben wie die Protagonist:innen, aber auch viele Nebenfiguren, die in diesem Buch eine Rolle spielten, diese dramatische Wendung der Weltgeschichte erleben. Hier wird noch ein anderer Aspekt deutlich, der sich ebenfalls in die Fassungslosigkeit angesichts des Erlebten einreiht: Die gleichgültige Reaktion der arischen Nachbarn angesichts der Gewalt gegen ihre jüdischen Mitbürger. („Die Lehmanns haben nicht aufgemacht.“)

Andreas Preusse hat in seinem Schreibgewitter ebenfalls eine Rezension zum Buch geschrieben, die ich erst jetzt gelesen habe. Seiner Bewertung und Argumentation stimme ich zu, er benennt viele Einzelheiten, die ich selbst besonders gelungen finde.

Die Tötung ist keine reine Rache-Szene á la Italo-Western, sondern ein Sinnbild der fortschreitenden Enthemmung, die von den Nazis auf gewöhnliche Bürger ausstrahlt.
(Andreas Preusse, Schreibgewitter)

Nicht zustimmen kann ich jedoch seinem Kritikpunkt, dass Gereon Rath in den letzten beiden Büchern in den Hintergrund getreten sei. Für mich war Charly schon seit dem Beginn der Reihe als Persönlichkeit gleich wichtig wie Gereon. Zuerst hat sie hauptsächlich sein Privatleben beeinflusst, aber in den späteren Romanen auch immer mehr in den Kriminalfällen mitgemischt. Da Gereon in die USA geflohen ist und für tot erklärt wurde, ist es nur folgerichtig, dass er sich nicht mehr offen in das Geschehen einmischen kann. Gereon hat sich lange gleichgültig gegenüber dem neuen Regime verhalten, während Charly von Anfang an dagegen war. Für mich war es total logisch, dass sie nicht aufgibt und bis zum Ende für die Menschlichkeit und gegen die unmenschliche Gewalt des Nationalsozialismus kämpft.

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Krimi Roman

Christian Schleifer – Perchtoldsdorfer Punsch

CN: Mord, Gewalt, Rassismus, Bombe, Ableismus, Populismus, schlagende Burschenschaften, Schmiss, Homophobie


Der dritte Teil der Krimireihe um Charlotte Nöhrer in Perchtoldsdorf spielt zur Weihnachtszeit und thematisiert die rechtspopulistische Ausrichtung der politischen Landschaft, die sich in den letzten Jahren weltweit verstärkt gezeigt hat. Der Autor schreckt weder vor Anleihen aus der österreichischen Realpolitik („Ihr werdet euch noch wundern, was alles möglich ist“) noch vor einer Abwandlung des MAGA-Spruchs (der schon in Olivia Butlers Parable of the Talents vorkam) zurück. Gerade im Fall des MÖWE-Spruchs schrammt das hart an der Grenze der Lächerlichkeit entlang.

Gut fand ich, dass in dieser Geschichte nicht ausschließlich männliche Charaktere den Rechtsradikalismus verkörpern. Die rechtsradikale und homophobe Hela bildet einen klaren Kontrapunkt gegenüber der deutlich links orientierten Charlotte (ohne e). Das Ende fand ich etwas hingeschludert. Die Leserin weiß ja, dass in der Kirche noch eine zweite Bombe versteckt war und plötzlich wird der Wissensvorsprung umgekehrt. Hinter den Kulissen wurde der Fall gelöst und der Leserin werden die offenen Puzzlesteine wie die Nudeln in einer Buchstabensuppe serviert.

Leider fand ich in dem Buch auch eine Form des Ableismus, die mir leider selbst in linken Kreisen immer wieder begegnet: Menschen, die rechts orientierte Parteien wählen, werden als dumm bezeichnet. Tatsächlich wissen die meisten Rechts-Wähler:innen sehr genau, was sie machen. Sie halten sich selbst für besser oder wichtiger als andere, sie halten „österreichische“ (hier bitte die jeweils lokale Nationalität einsetzen) Kinder für wertvoller als Kinder anderer Herkunft. Sie stecken Menschen in Schubladen, sie bewerten Menschen nach ihrer „Leistung“ oder ihren Lebensentscheidungen.

Nicht alle diese Wähler:innen werden alles verstehen, was diese Parteien verkörpern, das bedeutet aber nicht, dass sie dumm sind. Es bedeutet viel mehr, dass sie denkfaul sind. Sie geben sich mit den einfachen und verkürzten Antworten zufrieden, die ihnen der Rechtspopulismus in den Medien serviert. Sie lassen sich verkaufen, dass Migrant:innen (statt Migrant:innen könnte hier auch jede andere Minderheit stehen) die Wurzel unserer Probleme sind, weil sie das der Verantwortung erhebt, sich mit komplexen Problemen zu befassen.

Dieses Thema trage ich schon lang mit mir herum, unter anderem auch, weil ich selbst oft sage, dass ich mich mit irgendeinem Thema nicht befassen möchte. Dazu stehe ich auch weiterhin, in unserer komplizierten Welt können wir uns unmöglich mit allem Übel der Welt auseinandersetzen und trotzdem jeden Tag aufstehen und ein gutes Leben führen. Wenn ich aber bewusst wegschaue, wenn Menschen diskriminiert werden, wenn Menschen abgewertet werden aufgrund irgendwelcher Eigenschaften, die sie weder beeinflussen noch verändern können, dann bin ich nicht dumm, sondern ein schlechter Mensch. Wenn ich Menschen, die aus einem Kriegsgebiet in unser Land geflüchtet sind, das Wenige neide, was sie an Hilfe bekommen, dann bin ich nicht dumm, sondern selbstsüchtig. Wenn ich meine politische Meinung von rechter Hetze leiten lasse, anstatt genauer hinzuschauen und versuchen zu verstehen, wo die wirklichen Probleme sind, dann bin ich nicht dumm, sondern denkfaul.

Dummheit im Sinne von kognitiver Beeinträchtigung hat nichts mit der politischen Gesinnung eines Menschen zu tun. Die nach diesem Maßstab „dummen“ Menschen, die ich kennenlernen durfte, würden niemals eine menschenfeindliche Partei wählen. Und wenn sie das dennoch tun würden, dann nicht, weil sie dumm sind, sondern aus den oben genannten Gründen. Daher meine Bitte: hört auf, Rechts-Wähler:innen dumm zu nennen. Schaut genauer hin und benennt die wirklichen Gründe.

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English Fantasy Roman

N. K. Jemisin – The Stone Sky

CN: Rassismus, Ausbeutung, Gewalt, Tod


Normal gazes that avert or frown or ogle. With every glimpse of normalcy, the city teaches us just how abnormal we are.

Der dritte Teil der Broken-Earth-Trilogie hat mich nach dem eher enttäuschenden zweiten Teil wieder sehr mit der Serie versöhnt. Die Stone Eaters haben eine Vorgeschichte erhalten, die im zweiten Teil immer nur angedeutet wurde. Manche Fragen wurden beantwortet, viele sind jedoch offen geblieben. Der Radfahrer und ich waren uns einig, dass das Ende noch viele Möglichkeiten offen gelassen hat. Für mich hätte speziell Nassun ein etwas versöhnlicheres Ende verdient gehabt. Ich kann mich an wenige Bücher erinnern, wo ich so konkrete Ideen gehabt habe, was am Ende noch anders sein hätte können. Und doch bleibt es für mich eine sehr gelungene Fantasy-Reihe, die ich auch allen empfehlen kann, die sich für das Genre interessieren.

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Roman

David Schalko – Schwere Knochen

CN: Das Buch spielt im kriminellen Milieu, neben Gewalt, Mord, Prostitution, sexuellen Handlungen sind auch noch andere Elemente enthalten, die ihr vielleicht nicht lesen wollt. Mir persönlich hat besonders das Kapitel im Konzentrationslager Unbehagen bereitet. Dieses Buch ist keine leichte Kost, überlegt euch gut, ob ihr euch das „antun“ wollt.


Der Wessely dachte zuerst darüber nach, ob es sich tatsächlich um eine Gretchenfrage handelte. Wollte der Krutzler seinen Glauben infrage stellen? Oder wusste er einfach nicht, was eine Gretchenfrage war?

Also es ist leider so, dass ich das Buch nicht besonders mochte und mich daher überwinden muss, diesen Text zu schreiben. Dieses Buch habe ich gelesen, weil es vehement empfohlen wurde. Bevor ich es dann begonnen hab, habe ich auch noch nachgeschaut, ob es da nicht vielleicht einen Literatur-Geocache dazu gibt. Ohne den hätte ich es vielleicht nicht weiter gelesen …

Versteht mich nicht falsch, es ist kein schlechtes Buch. Es erzählt die Entwicklung einer Bande von Kriminellen über einen langen Zeitraum, das zweite Kapitel spielt im Konzentrationslager und hat mich so richtig runter gezogen. Es geht darum, was der Krieg und die persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit mit Menschen gemacht haben, wie sich diese verändert haben, wie sie abgestumpft sind und Gewalt, Mord und Totschlag auf einmal „gewohnt“ sind, keine große Sache mehr sind, sondern „Alltag“.

Gut geschrieben, auch wenn der Schreibstil mit indirekter Rede bei jedem Dialog für Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, eher schwierig sein dürfte. Viel Wiener Lokalkolorit (siehe Zitat unten). Und trotzdem hat mich dieses Buch sehr unzufrieden zurück gelassen.

Da man aber die Kunst des Wegsehens in Wien immer dann beherrschte, wenn das Hinsehen nach Umständen roch, wurde die kurze Irritation gleich wieder vergessen.