CN: psychische Krankheit, Suizid, angedeuteter/möglicher Missbrauch von Schutzbefohlenen
Auf der Suche nach einer Geschichte, die mich nicht überfordern würde, scrollte ich wieder mal durch die Neuerwerbungen in der OverDrive eLibrary und wurde auf dieses Werk aufmerksam. Vor einiger Zeit waren dazu einige Artikel auf Lithub erschienen, unter anderem auch einer vom Designer des neuen Covers (das ich übrigens auch viel gelungener finde, als das, was mir mit dem eBook gezeigt wurde).
When you’re in boarding school you imagine how grand and fine the world is, and when you leave, you’d sometimes like to hear the sound of the school bell again.
Das Buch erzählt von einem Schweizer Mädcheninternat knapp nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Töchter aus wohlhabenden Familien werden hier geparkt, um eine angemessene Ausbildung zu erhalten. Die namenlose Ich-Erzählerin schwelgt in den Erinnerungen an ihre Jugend, mäandert zwischen der Langeweile, dem Wunsch nach Freiheit und der Sicherheit, die das Leben in einem Internat mit sich bringt.
I liked German expressionism and the thought of the life, the crimes I hadn’t yet experienced.
Erst jetzt habe ich zur Autorin Fleur Jaeggy recherchiert, sie ist Schweizerin, hat das Buch ursprünglich (vermutlich) auf italienisch geschrieben. Auf ihrer Wikipedia-Seite springt mir der deutsche Titel Die seligen Jahre der Züchtigung entgegen. Das gibt mir ein vollkommen anderes Gefühl als der englischsprachige Titel Sweet Days of Discipline. Teilweise liegt es sicher an der Vertrautheit mit der Sprache, aber schon allein das Wort selig fühlt sich für mich deutlich stärker an, es hat eine religiöse, entrückte Komponente. Gleichzeitig erscheint mir auch Züchtigung als deutlich intensiveres Wort, es hat gewaltvolle Anklänge, ich denke an einen strengen Lehrer, der seinen Schüler:innen mit dem Lineal auf die Finger klopft. Dann sind es Jahre im deutschen Titel, Tage hingegen im englischen Titel. Wie es zu dieser Übersetzungsentscheidung kam, würde mich wirklich interessieren.
Die allgemeine Begeisterung für das Buch kann ich nicht teilen, ich wurde mit der Erzählerin einfach nicht warm. Ich fühlte mich erinnert an Ottessa Moshfegh – My Year of Rest and Relaxation, wo es mir ebenfalls so ging, dass ich mit der Protagonistin nichts anfangen konnte und den Hype um das Buch nicht verstand.
Das Ende hat mich in zweierlei Hinsicht überrascht.
Erstens, weil es sehr unerwartet kam, wie so oft folgten nach dem Ende der eigentlichen Geschichte noch unzählige andere Informationen (zur Autorin, zum Copyright und ein Haufen Werbung), die ganze neun Prozent des gesamten Buchs ausmachten. Ich wünschte wirklich, ich könnte im eBook-Reader vorab sehen, wo die eigentliche Geschichte endet.
Zweitens, weil das Ende aus einer unerwarteten Einsicht besteht, die die glorifizierte Zeit der jugendlichen Disziplinierung in ein neues Licht rückt.
CN: sexueller Missbrauch und Gewalt in der Familie, Unfalltod einer geliebten Person, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Sexismus
Er sah sein Leben, seine bisher verbrachten Jahrzehnte, plötzlich wie auf einem Computerbildschirm, aufgespalten in herunterfallende Tetris-Blöcke, die er verzweifelt und unter immer größerem Zeitdruck ineinander verschachteln musste. Wenn er es nicht schaffte, würde er verlieren. Würde er sich selbst verlieren, vollständig. Game over.
Wieder mal ein Buch aus der Kategorie Literatur-Geocache, irgendwie funktioniert meine Organisation da gerade am Besten. Das Buch erzählt auf zwei Zeitebenen vom Leben des Protagonisten Hubertus, dessen hervorstechende Eigenschaft ein absoluter Geruchssinn ist. Die Leser:in erfährt vom jugendlichen Hubertus, vom Vater gegängelt und unterdrückt, Hubertus unfähig, sich aufzulehnen, die ältere Schwester Sophia selbst Opfer des Vaters, die Mutter passiv und hauptsächlich darauf bedacht, die Fassade zu wahren („Man bewahrte Stillschweigen über die Abgründe der anderen.“). Erst die Liebe zum Lehrmädchen Lucy lässt Hubertus aufwachen und seine Haltung zum Leben hinterfragen.
Arbeit war seine Methode, um durchzuhalten. Es war dies die Methode vieler, vielleicht der meisten Menschen. Es war keine schlechte Methode, aber es gäbe auch andere.
20 Jahre später gibt Hubertus einem spontanen Impuls nach und fährt zu einem Vortrag nach Florenz. Dort lernt er Kalliope kennen, deren Geruch Hubertus an seine frühere Liebe Lucy erinnert. In Rückblenden erfährt die Leser:in von Lucys Schicksal und erlebt mit, wie Hubertus an seinen Lebensentscheidungen zu zweifeln beginnt. Er ist Geruchsforscher geworden, hat aber entschieden, im Privaten seinen Geruchsempfindungen nicht zu folgen und diese auszublenden oder sogar gezielt zu übertünchen. Dadurch hat er sich von der Welt quasi abgegrenzt, ohne dies überhaupt zu bemerken.
Die Begegnung mit Kalliope wühlt Hubertus auf und lässt ihn hinterfragen, ob er seine Kindheit und Jugend wirklich hinter sich gelassen hat. Ein Versuch, die Puzzleteile eines Lebens neu zusammenzusetzen, damit sie ein anderes Bild ergeben.
Wenn euch gerade nach einem „Comfort Read“ mit winterlichem bzw. weihnachtlichem Thema ist, seid ihr hier gut aufgehoben. Mich hat die Lektüre äußerst erfolgreich von allem anderen Drumherum abgelenkt.
Sally und Harald bewerben sich beide für die letzte freie Rolle in einer Laientheaterproduktion von Biedermann und die Brandstifter. Während die Zusammenarbeit im Theater sperrig startet und sich Stück für Stück verbessert, geht es mit Sallys Erwerbsarbeit als Rezeptionistin in einem noblen Wiener Hotel stetig bergab. Dort trifft Sally auf originelle Menschen wie einen vermeintlichen Kaiser und muss sich mit den Vorstellungen ihrer Chefin herumschlagen, die unter anderem eine spezielle Vorstellung von Weihnachtsdekoration hat. Die Leser:in darf sich also auf amüsante Begegnungen und adventliche Wiener Weihnachtsromantik freuen.
Disclaimer: Ich bin mit der Autorin auf Mastodon bekannt und durfte eine Vorab-Version dieses Buchs testlesen. Es ist in keine Richtung Geld geflossen, ihr lest hier wie immer meine persönliche Meinung.
CN: Tod eines geliebten Menschen, Andeutung sexueller Handlungen, Geburt
Ein weiterer Beitrag aus der Reihe Literatur-Geocaches. Das Buch erzählt von den Schären-Inseln im finnischen Åland und beschreibt das Leben der Bewohner:innen in dieser autonom verwalteten Gegend in der Nachkriegszeit. Es ist eine Gegend aus tausenden versprengten Inseln, von denen nur wenige bewohnt sind (60 von 6757 lt. Wikipedia). Transport findet per Boot und Fahrrad statt, nur wenn im Winter das Eis zufriert, sind die Wege zwischen den Inseln mittels Schlitten einfacher zu absolvieren als während des restlichen Jahres.
Die Geschichte beginnt mit der Ankunft des neuen Pfarrers, seiner Frau und seiner Tochter und erzählt im Verlauf der Jahreszeiten, wie sich das Paar einlebt und mit den Einheimischen in Kontakt kommt. Die Pfarrersfrau Mona kann nur als tüchtig beschrieben werden. Sie kümmert sich um alles, was zu erledigen ist, melkt sogar hochschwanger noch die Kühe und lässt sich weder vom Wetter noch von anderen Umständen aus ihren Ritualen bringen. Dieses strenge Regime erstreckt sich nicht nur auf sie selbst. Von ihren Kindern erwartet sie gleichsam ein widerspruchsloses Einfügen in die vorgegebenen Umstände.
Er selbst fühlte sich dem gegenüber wie ein neugeborenes Kind und voll widerstrebender Gefühle. Einerseits hätte er den Vorfall entschieden missbilligen und verurteilen sollen, andererseits war er eine Manifestation jenes Anarchismus und der pragmatischen Einstellung gegenüber den auf dem Festland geltenden Gesetzen, die ihn so amüsierte und stolz auf seine souveränen Insulaner sein ließ.
Pfarrer Petter selbst hat damit zu tun, sich um seine Gemeinde zu kümmern. Er verlässt sich darauf, dass seine tüchtige Frau alles andere für ihn regelt. In die Kindererziehung mischt er sich nicht ein, obwohl er selbst nicht ganz so streng mit den Töchtern umgehen würde. Auch mit den Mitgliedern seiner Kirchengemeinde pflegt er einen eher verständnisvollen als strengen Umgang, wie das obige Zitat veranschaulicht. (Es geht dabei um eine Kiste mit Schnaps, die aus dem Meer gefischt und vor den gestrengen Augen des Pfarrers nur halbherzig versteckt gehalten wurde.)
Es passiert viel und gleichzeitig wenig. Ein Einblick in eine Lebenswelt, die heute wohl so nicht mehr existiert und auch zur damaligen Zeit eher außergewöhnlich war.
CN: Krieg, Gewalt, Tod, Waffen, Klimakatastrophe (leider sind meine Notizen verloren gegangen, kann daher keine vollständigen CN-Angaben machen)
Wieder mal habe ich versagt, was die Pflege meiner Notizen angeht, ich weiß nicht mehr, wo der Tipp zu diesem Buch bzw. dem Autor hergekommen ist. Und dann hab ich auch noch den Post verschleppt, das Leben hat sich wieder mal dazwischen gedrängt. Das eBook wurde automatisch retourniert und in der Onleihe bleiben die gesetzten Bookmarks und Markierungen leider nicht erhalten (in OverDrive/Libby geht das erfreulicherweise, bei einem erneuten Download sind die Notizen wieder da).
Die Geschichte spielt in einer von der Klimakatastrophe gezeichneten Welt, deren dystopischer Charakter die Entscheidungen der Protagonist:innen dominiert. Eine deutliche Trennung besteht zwischen der reichen, besser gestellten Gesellschaft, die sich im Norden hinter Mauern verschanzt und die leidende Bevölkerung im Süden sich selbst überlässt. Hier herrscht das Recht der Stärkeren, die versunkenen Städte werden von mehreren verfeindeten Armeen umkämpft.
Hier kämpfen auch Mahlia und Mouse, nämlich ums Überleben. Doktor Mahfouz hat die beiden jugendlichen „Kriegsmaden“ (so werden durch den Krieg verwaiste Kinder bezeichnet) gegen den Widerstand der Dorfbewohner:innen bei sich aufgenommen und bildet Mahlia als seine Assistentin aus. Mahlia wurde als Tochter eines Friedenswächters (bei diesem Begriff verspürte ich starke Anleihen an Panem) geboren und gilt damit mehreren Kriegsparteien als Verräterin. Ihr wurde ein Arm abgeschlagen, was sie zusätzlich als Ausgestoßene kennzeichnet.
Als Soldaten auf der Jagd nach dem Halbmenschen Tool das Dorf heimsuchen, bricht die fragile Lebensgemeinschaft auseinander. Tool wurde als Kreuzung zwischen Mensch und Hund erschaffen und zur Kriegsmaschine ausgebildet, hat sich aber nun von seinem Herrn losgesagt und ist auf der Flucht. Nach einem Kampf mit einem Alligator ist er dem Tod nahe und wird von Mahlia gegen den Widerstand von Mouse gerettet. Bereits hier zeigt sich der Loyalitätskonflikt, der den weiteren Verlauf der Geschichte prägen wird: Soll Mahlia die knappen Medikamente für die Rettung des Halbmenschen verwenden („verschwenden“ wäre Mouse’s Bezeichnung dafür)? Fühlen sich Mahlia und Mouse der Dorfgemeinschaft verbunden oder sollen sie das Dorf den marodierenden Soldaten überlassen, um ihr eigenes Leben zu retten?
Mahlia flüchtet gemeinsam mit Tool, Mouse wird von den Soldaten rekrutiert. Zwei Kapitel später wird er nur noch Ghost genannt, ein deutliches Zeichen dafür, wie ihn die erzwungene Gemeinschaft mit den anderen Soldaten vereinnahmt. Doch nun spürt Mahlia Gewissensbisse und macht sich auf, um Mouse aus den Fängen der Armee zu befreien. Auch Tool fechtet Solidaritätskonflikte mit sich selbst aus: Ist er Mahlia etwas schuldig, weil sie ihm mit Medikamenten das Leben gerettet hat? Kann er ihr überhaupt vertrauen nach all den negativen Erfahrungen, die er mit Menschen bereits gemacht hat?
Immer wieder stehen Mahlia, Mouse und Tool vor der Frage, ob jetzt jede:r nur für sich selbst kämpft oder ob es besser ist, beim Versuch, die Freundin/den Freund zu retten, selbst umzukommen. Wie können wir weiterleben, wenn wir, um zu überleben, unsere Lieben im Stich lassen müssen? Ein nachdenklich machender Blick in eine düstere Zukunft; die Verweise auf die Klimakatastrophe, die diese Welt entstehen hat lassen, sollten ein deutlicher Aufruf sein, dass es niemals zu spät sein darf, endlich etwas zu ändern.
»Zeitpunkt«. Es war ganz einfach. Er musste bloß den Zeitpunkt finden. Den Moment, in dem er seine Leichtigkeit verloren hatte. Und wenn er den Moment dann erwischt hatte, würde sich bestimmt alles auflösen.
Letztens war ich endlich mal wieder in der Hauptbücherei. Meine Merkliste wird ständig länger, daher ging ich diesmal gleich mit 6 Büchern nach Hause. Das eine oder andere hat eventuell was mit Geocaching zu tun, diesmal sogar von zwei verschiedenen Seiten. Aber dazu mehr in einem späteren Post …
Auf dieses Buch war ich also auch durch einen Literatur-Geocache gestoßen. Ich hatte es lange auf der Merkliste, bisher war es immer entliehen. Zurecht, wie sich herausstellte, es ist ein ganz wunderbares Buch. Das titelgebende Lokal „Im Ruin“ ist für die Wirtin Katharina ein Zufluchtsort, in dem sie sich mehr zuhause fühlt als in ihrer Wohnung, wo sie hauptsächlich zum Schlafen hingeht. In ihrem Lokal verbringt sie die Zeit mit ihrer Freundin Sabina, die ebenfalls dort arbeitet, und ihren Stammgästen, zu denen sich schließlich der geheimnisvolle Ari (zuerst 19-Uhr-Mann genannt) gesellt.
In Rückblenden wird erzählt, wie Katharina das Ruin gemeinsam mit ihrem früheren Partner David gegründet hat. Sein Tod durch Lungenkrebs hat Katharina tief getroffen. Bis sie jedoch erkennt, dass sie das Ruin zu einem Mausoleum gemacht hat, in dem der Geist von David die Gegenwart verdrängt, vergeht einige Zeit.
Die vielen Anspielungen auf lokale Besonderheiten in Favoriten (wie zum Beispiel das Amalienbad oder der Böhmische Prater) verorten die Geschichte, die vielen popkulturellen Zitate aus Literatur und Musik geben einen zeitlichen Hintergrund und lockern die traurigen Momente der Geschichte auf.
Eine einfache „Lösung“, um über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegzukommen, gibt es nicht, das macht auch dieses Buch klar. Es zeigt aber einige Wege auf, die nicht zum Ziel führen und warnt damit davor, die Gegenwart und Zukunft unter der Vergangenheit zu begraben. Während Katharina eine deutliche Entwicklung durchmacht, bleibt unklar, was sich durch die Freundschaft für Ari verändert hat. Sowohl seine Lebenskrise als auch deren Entwicklung sind deutlich schwammiger beschrieben als jene von Katharina. So bleibt auch am Ende offen, wie es für ihn weitergeht (zumindest im privaten Bereich). In diesem Sinne ist es ein Buch der Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sich erst auftun, wenn wir die Vergangenheit vergangen sein lassen können – vergangen, nicht vergessen.
In diesem Buch spielt die Geschichte hauptsächlich auf einem Dampfschiff, das von Wien aus nach Budapest fährt (und wieder zurück). Um eine geplante Keksfabrik entspinnt sich, was Boulevardzeitungen heute ein Familiendrama nennen würden. Die Szegediner Fischsuppe spielt eine wichtige, wenn auch nicht entscheidende Rolle. Drei Abende später war der Fall gelöst. An den Wahlergebnissen hat sich leider nichts geändert.
Während ich die letztenbeiden langen und aufwändigen Blog Posts vor mir hergeschoben habe, brauchte ich zur Ablenkung einen unanstrengenden Krimi. Es wurde der zweite Band von Christian Schleifers Perchtoldsdorf-Reihe, den ich zusammen mit dem ersten Teil aus einem Bücherschrank gefischt hatte.
Im ersten Teil spielte sich das Geschehen im Rahmen eines Sommertheaters ab, im zweiten Teil steht ein (erfundener) Nazi-Bunker unter den Perchtoldsdorfer Weinbergen im Zentrum. Der Anfang ist sehr clever geschrieben: aus der Perspektive einer unbekannten Person wird der Bunker erstmals beschrieben, erst ganz zum Schluss löst sich auf, wer das denn nun war.
Rund um den Nazi-Bunker wird viel Geschichte thematisiert. Ein jüdisches Weingut, dessen Inhaberfamilie im Rahmen des Nationalsozialismus verfolgt und deportiert wurde. Wie der Name dieses Weinguts und der Familie aus den Geschichtsakten getilgt wurde, um jede Spur davon zu vernichten. Wie durch die Entdeckung des Bunkers unter den Weinbergen und den darin befindlichen Dokumenten aufgedeckt wird, was damals tatsächlich passiert ist.
Ein unterhaltsam geschriebener Lokalkrimi, der sich nicht davor scheut, auch schwierige Themen anzusprechen und den aktuellen Mordfall mit mehreren Familiengeschichten sinnvoll verknüpft.
The world kept telling her to look away, to pay no attention to an age-old system, in which men thrived and inconvenient women disappeared.
Ein Roman, der wie für eine Serienumsetzung geschrieben scheint (kein Wunder, dass AppleTV+ das schon gemacht hat). Das Setting in den 1960er-Jahren im US-amerikanischen Baltimore erlaubt ein Eintauchen in eine andere Zeit, sowohl modisch als auch mit dem Set-Design. Nachdem ich mir den Trailer angesehen habe, bin ich mir aber nicht mehr sicher, wieviel die Serie mit der Romanvorlage tatsächlich gemeinsam hat …
Das Buch beginnt mit der jüdischen Hausfrau Madeline Schwartz, die nach einem von vielen weiteren Abendessen, das sie für ihren Ehemann und spontan geladene Gäste ausrichtet, beschließt, ihren Ehemann zu verlassen. Im Buch wirkt das völlig gefühllos, wobei das auch zur Identität von Madeline (Maddie) zu passen scheint, die generell eher kalt und berechnend wirkt.
Als sie zufällig zur Zeugin in einem Mordfall wird, nutzt sie die Gelegenheit, um sich mit mehr oder weniger sauberen Winkelzügen in die Zeitungsredaktion des Star einzuschleusen. Dafür nutzt sie den guten Willen des Mordverdächtigen, der ihre Briefe beantwortet, die sie dann später nutzt, um daraus in der Zeitung Kapital zu schlagen.
In vieler Hinsicht wirkt Maddie wie eine hilflose Möchtegern-Ermittlerin, die Spuren nachläuft, um sich interessant, beliebt und wertgeschätzt zu machen. Dabei dreht sie sich die Situationen auch so hin, dass es für sie moralisch passt, auch dann, wenn sie dabei offensichtlich anderen schadet. Das macht sie zu einer wenig sympathischen Person, die die erhoffte Karriere über alles stellt.
Die Erzählstruktur des Buchs ist zu Anfang so, dass sich Kapitel aus der Perspektive von Maddie abwechseln mit Kapiteln, die aus der Perspektive von anderen Menschen geschrieben sind, die jeweils gerade mit Maddie Kontakt hatten. Dazwischen gestreut sind die Statements der titelgebenden Lady in the Lake: Eine schwarze junge Frau namens Cleo Sherwood, die zu Beginn als vermisst gilt und später zum Ziel Maddies weiterer Ermittlungen wird. Dabei scheucht Maddie nicht nur Cleos Familie und frühere Bekannte auf, sie bringt sich auch selbst in gefährliche Situationen.
Mich verwundert gerade sehr, wie massiv die nicht mal drei Minuten Trailer meinen Blick auf die Geschichte, die ich gerade gelesen habe, verändert haben. Natürlich ist so eine verdichtete Darstellung in einem Trailer nicht zu vergleichen mit der tatsächlichen Mini-Serie (oder der Buchvorlage), es scheint aber doch ein wesentlich größerer Fokus auf Cleo gelegt zu werden, die im Buch zwar zur Sprache kommt, im Trailer aber deutlich mehr Präsenz einnimmt. Dass das eBook jetzt mit dem Cover der Serie in der OverDrive eLibrary steht, gefällt mir auch nicht so wirklich. Ich hätte lieber das Original-Cover des Buchs dort gesehen.
Bei meinem letzten Berlin-Besuch kam es endlich dazu, dass wir den Modellpark Berlin-Brandenburg besichtigten. Entdeckt hatten wir den Park schon im August 2020, als wir die Feldbahn im FEZ besuchten. Dann hatte ich das Tab ewig lange offen, bis es irgendwann einem Crash zum Opfer fiel. Als ich nun erfreut feststellte, dass wir den Modellpark auch mit Hund besuchen können, gab es kein Halten mehr.
Laut Webseite sind im Modellpark über 80 Modelle zu sehen, der aktuelle Lageplan enthält 66 Objekte, von denen manche aus mehreren einzelnen Modellen bestehen. Vor Ort konnten wir leider nicht alle sehen. Wo laut Lageplan ein Modell sein sollte, war teilweise nur eine Form im Rasen erahnbar, wo das Modell wohl zuvor gestanden hat (zum Beispiel das Zeiss Grossplanetarium). Da die Modelle alle der Witterung ausgesetzt sind, ist es logisch, dass viel Wartung nötig ist, das zeigt sich auch deutlich an manchen der vorhandenen Modelle. Oft sind Regenrinnen abgebrochen oder Teile des Dachs fehlen (ersichtlich zum Beispiel auf dem untenstehenden Foto des Modells der Zitadelle Spandau). Die Versuchung, Kleinteile als Souvenir mitzunehmen, war bei mir groß, ich konnte gerade noch widerstehen.
Viele (eigentlich alle?) der Modelle aus dem Land Brandenburg waren mir allerdings komplett unbekannt. Dabei sind einige Schlösser wie zum Beispiel das Schloss Rheinsberg, neben dessen Modell ein Teich mit Seerosen angelegt ist oder das Schloss Oranienburg mit Orangerie. Hier sind Rosenbüsche neben den Gebäuden gepflanzt, zentral ist das Eingangsportal zum Schlossgarten, das ich gleich aus mehreren Perspektiven fotografiert habe, wie auf den nächsten beiden Fotos zu sehen ist.
Als Modellbahn-begeisterte Person hatte ich natürlich besondere Freude mit den bewegten Modellen im Park. Ein ICE durchfährt eine Landschaft mit mehreren Modellen, ein älteres Zugmodell ist zwischen Modellen aus der Gegend Zehdenick, Dannenwalde und Fürstenberg, Bredereiche unterwegs. Leider konnte ich von den einzelnen Modellen in diesen Bereichen keine Beschreibungen finden, im Lageplan sind sie nur als Gruppe verzeichnet. Vor Ort waren neben den Modellen Beschreibungstafeln angebracht (die meisten davon durch die Sonne sehr ausgebleicht und oft nicht eindeutig den Modellen zuzuordnen), leider hab ich mich darauf verlassen, das alles nachträglich recherchieren zu können, was leider nicht funktioniert.
Alt-Text für Video: Bild aus der Bodenperspektive, links und rechts ein Gebäude, dazwischen schlängelt sich eine rote Modellbahn durchs Bild, sie besteht aus einer Lokomotive, einem Frachtwaggon und einem Waggon, in dem blau gekleidete Personen sitzen
Exkurs: Ich versuche noch, die Videos ordentlich mit Alt-Text einzubinden, auf die Schnelle habe ich das gerade leider nicht geschafft.
Alt-Text für Video: Modell einer U-Bahn-Strecke mit zwei Gleisen, zuerst fährt auf dem rechten Gleis ein Wagen aus einem Tunnel auf die Kamera zu, kurz darauf auf dem linken Gleis wiederum ein einzelner Wagen, dieser auf dem linken Gleis scheint sich gefährlich zur Seite zu neigen, das Gleis fällt auf einer Seite etwas ab.
Als wir beim Frühstück den Tagesablauf planten, meinte der Fotograf noch, wir würden wohl eh nicht so lange im Modellpark sein. Da hat er sich natürlich getäuscht, wir haben sicher über drei Stunden dort verbracht, obwohl alle Modelle in der Sonne liegen und es trotz der moderaten Temperaturen in der Sonne ganz schön heiß war. Gegen Ende unseres Rundgangs waren wir alle drei schön durch erhitzt.
Der Modellpark ist liebevoll gestaltet und betreut, es gibt Spielmöglichkeiten für Kinder, viele – auch schattige – Sitzgelegenheiten, einen Miet-Trolley (um kleinere Kinder durch den Park zu transportieren), einen Souvenir-Shop und auch fürs leibliche Wohl wird gesorgt. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass es für die Besucher:innen nur eine öffentliche Toilette außerhalb des Modellparks gibt. Für die sind 50 Cent Gebühr fällig. Besucher:innen des Modellparks können einen Chip bekommen, um die Toilette gratis zu nutzen, das ist jedoch nicht sehr transparent kommuniziert. Da wäre es schön, wenn es im Modellpark wenigstens ein Öklo oder sowas gäbe. Die Eintrittspreise sind sehr moderat (aktuell Erwachsene: 5,50€, Kinder bis 6 Jahre frei, Kinder von 7 bis 18 Jahre: 2,50€, es gibt noch weitere Ermäßigungen für bestimmte Personengruppen). Die Anreise kann sich je nachdem, von wo in Berlin ihr herkommen wollt, etwas mühsam gestalten, ist es aber in meinen Augen auf jeden Fall wert. Wenn ihr euch irgendwie für Modellbau interessiert (oder einfach nur ein paar lustige Fotos machen wollt), kann ich den Modellpark wärmstens empfehlen.
Ein dem Leben völlig entfremdetes wissenschaftliches Erkenntnisinteresse führt einen solchen Wissenschaftler dazu, sogar den eigenen Tod interessiert zu betrachten.
Ein weiterer Ausflug in die finnische Literatur, angestoßen durch einen weiteren Literatur-Geocache. Eine Gruppe von Expert:innen aus Finnland besucht Venedig. Über den Zweck dieser Reise herrschen unter den Beteiligten unterschiedliche Annahmen vor. Der Ingenieur Marrasjärvi fühlt sich berufen, die Strömungen der Kanäle und der Lagune zu untersuchen, um so herauszufinden, wie Venedig vor dem Versinken gerettet werden kann. Dabei stets an seiner Seite steht der wackere Dozent Heikkilä, der aus kunsthistorischer Sicht auf die Stadt – und das gesamte Leben – blickt. Kulturrätin Snell sieht ihre Aufgabe hauptsächlich darin, in Italien die finnische Lebensart bekannter zu machen (unter anderem verschenkt sie praktikables finnisches Geschirr, mit dem die Italiener:innen nichts anfangen können). Vierter im Bunde ist Saraspää, der eigentlich nur von Bar zu Bar taumelt und generell nur seine eigenen Ziele (die allerdings der Leser:in verborgen bleiben) verfolgt.
Unterhaltsam ist das hauptsächlich deshalb, weil die geradlinige finnische Lebensart mit der italienischen Leichtigkeit immer wieder in Konfrontation gerät. Des Öfteren fragt sich der Ingenieur, wie denn hier jemals etwas zustande gebracht werden kann und warum sich die Italiener:innen nicht ein Beispiel am skandinavischen Vorbild nehmen. Eine großartige Szene ist auch, als Marrasjärvi und Heikkilä verhaftet werden, weil die vom Ingenieur angebrachten Strömungsmesser für Terrorismus gehalten werden. Im Rahmen der Aufklärung dieses Missverständnis muss unverhältnismäßig viel Espresso aus winzigen Tassen getrunken werden, was aus der Sicht des Ingenieurs völlige Zeitverschwendung darstellt.
Ich fühlte mich erinnert an Die große Hitze, einen Roman, der die österreichische Bürokratie aufs Korn nimmt und köstlich parodiert. Ein literarisches Werk finnischer Herkunft, das Kulturdifferenzen als Grundlage nimmt und darauf aufbauend eine interessante Geschichte konstruiert.
Jeder vernünftige Mensch begreife, dass das Leben unmöglich wäre, wenn man die Gesetze wörtlich nähme.