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Sachbuch

Michael Haller – Das Interview

Mikrofon(c)xptakis/SXC

Als Erstes sollte sich der Interviewer fragen: Was ist mein Thema: Ist es der abzuklärende oder zu kommentierende Sachverhalt, ist es die Person mit ihren Denkweisen und Handlungen – oder ist es eine in Bezug auf das andere?

Mit vielen Beispielen aus der Praxis versucht Michael Haller seiner theoretischen Abhandlung zum Thema „Interview“ einen spannenden Touch zu geben. Für mich als Österreicherin waren die ausführlichen Beschreibungen zum großen Spiegel-Interview tatsächlich neu. Allerdings muss man schon sagen, dass das Werk in seiner vierten Auflage schon etwas Staub angesetzt hat.

Haller versucht die Unterschiede zwischen den Medien Print, Fernsehen und Radio herauszuarbeiten und beschreibt die unterschiedlichen Aspekte der Interviewformen. Da ich selbst noch bisweilen Interviews durchführe und mir Tipps für die eigene Interviewpraxis erhofft habe, war ich jedoch etwas enttäuscht. Haller beschreibt zumindest ein Problem, das mir aus meiner Arbeit bekannt ist:

Schriftliche Interviews vermeiden: Amts- und Würdenträger, vor allem Staatspersonen und Potentaten verlangen mitunter, dass ihnen die ausformulierten Fragen im Voraus schriftlich zugestellt werden. Da befindet sich der Interviewer in einem Dilemma: Verweigert er dieses Begehren, muss er mit einer Rückweisung seiner Interviewbitte rechnen; geht er darauf ein, kommt kein Gespräch, sondern nur eine schriftlich geführte Fragebeantwortung zustande.

Eine Lösung für dieses Problem hat er jedoch nicht anzubieten. Sein Vorschlag, dem Interviewpartner nur eine „Themenliste“ anstatt einer „Fragenliste“ zukommen zu lassen, dürfte bei so manchem Bürgermeister nicht weiterhelfen. Oft bestehen diese überhaupt auf schriftlicher Beantwortung der Fragen per E-Mail, ein Problem, das in Hallers Universum scheinbar noch nicht existierte.

Wer sich für die Geschichte des Interviews und Beispiele aus der – etwas älteren – Praxis erwärmen kann, wird an diesem Werk zumindest kurzfristiges Vergnügen finden, als Hilfe für die praktische Durchführung ist es bestenfalls für Anfänger geeignet.

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Unterhaltung

Pascal Mercier – Nachtzug nach Lissabon

Lissabon(c)paulosimao/SXC

Und zu dieser sonderbaren, beunruhigenden Unzuverlässigkeit meines Urteils kommt noch eine Erfahrung hinzu, die, seitdem ich sie kennengelernt habe, mein Leben stets von neuem in eine verstörende Unsicherheit taucht: dass ich in dieser Sache, über die hinaus es für uns Menschen eigentlich nichts Wichtigeres geben kann, genauso schwanke, wenn es um mich selbst geht.

Wird ein Roman von der Kritik zu sehr hochgejubelt, kann dies auch dazu führen, dass man ihn gar nicht erst angreifen will, weil man sich vor einer zwangsläufigen Enttäuschung fürchtet. „Nachtzug nach Lissabon“ war für mich so ein Roman, der auf dem Regal der ungelesenen Bücher sitzend auf mich herunterstarrte. Die Bedenken hätten nicht unangebrachter sein können.

Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?

Der Lehrer Raimund Gregorius verlässt mitten im Unterricht seine Klasse, um sich auf den Weg nach Lissabon zu machen. Eine Portugiesin, die er nie wiedersehen wird, bringt ihn auf die Spur eines portugiesischen Autors und Schriftstellers. Dessen Gedanken zu unterschiedlichsten Bereichen des Lebens bringen Gregorius zum Nachdenken über sein Leben. Was hat er verpasst? Was hätte er anders machen können? Ein Roadmovie auf den Spuren von Amadeu de Prado beginnt. Gregorius lernt nicht nur den Autor sondern sich selbst neu kennen.

Es ist der Tod, der dem Augenblick seine Schönheit gibt und seinen Schrecken. Nur durch den Tod ist die Zeit eine lebendige Zeit. Warum weiß das der HERR nicht, der allwissende Gott? Warum droht er uns mit einer Endlosigkeit, die unerträgliche Ödnis bedeuten müsste?

Gregorius entdeckt Amadeu de Prado als äußerst vielfältigen und differenzierten Menschen. Sowohl seine Familie als auch seine damaligen Freunde spürt Gregorius auf. Er schafft es, von allen angenommen und ins Vertrauen gezogen zu werden. Er spielt Schach in einem verrauchten portugiesischen Schachclub, lässt sich eine neue Brille anpassen und kauft sich schließlich einen neuen Anzug. Durch das, was Gregorius über den Autor erfährt, erkennt er immer mehr über sich selbst und fühlt sich Prado zunehmend näher als seinem eigenen Leben zuhause in Bern.

Er vermisse auf der Liste die Liebe, sagte Gregorius. O’Kellys Körper spannte sich, und für eine Weile war er hinter dem Rausch wieder ganz wach. „Daran glaubte er nicht. Mied sogar das Wort. Hielt es für Kitsch. Es gebe diese drei Dinge, und nur sie, pflegte er zu sagen: Begierde, Wohlgefallen und Geborgenheit. Und alle seien sie vergänglich. …“

Obwohl Amadeu de Prado selbst nur durch die Worte in seinem Buch und durch die Erzählungen der Menschen, die ihn kannten, zu Wort kommt, prägt sein Leben Gregorius’ Bild von der Gesellschaft. Lange fragt man sich, zu welchem Ende Mercier diese Geschichte wohl führen wird: Wird Gregorius eine Wahrheit über sein Leben erkennen und dann geläutert zurückkehren? Wird er sein bisheriges Leben zurücklassen und in Lissabon die geheimnisvolle Frau von der Brücke wiederfinden? Wird Gregorius sterben und diese ganze verrückte Reise ist nur die Folge eines Gehirntumors, der ihm die Sinne verwirrt? Ahnt er bereits, das er sterben muss, als er aus seinem Leben ausbricht, um sich auf die Suche nach Prado zu machen?

Aber wenn wir uns aufmachen, jemanden im Inneren zu verstehen? Ist das eine Reise, die irgendwann an ihr Ende kommt? Ist die Seele ein Ort von Tatsachen? Oder sind die vermeintlichen Tatsachen nur die trügerischen Schatten unserer Geschichte?

Nicht alle Fragen werden beantwortet. Das ist auch nicht nötig, denn wer Gregorius’ und Prados Geschichte aufmerksam verfolgt, wird daraus problemlos Erkenntnisse für sich selbst ziehen können. Ein Meisterwerk, das Jubel und Recht zurecht erhalten hat.

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Krimi Roman Unterhaltung

Henning Mankell – Die fünfte Frau

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Später sollte Wallander sich sehr deutlich daran erinnern, dass dies der Augenblick war, in dem die Ermittlung in ein neues Stadium eintrat. Als wäre allen plötzlich klargeworden, dass bei dem Mord an Holger Eriksson nichts einfach und leicht zugänglich war.

Langsam fällt es mir schwer, etwas Neues über Henning Mankell und Kurt Wallander zu schreiben. Obwohl ich diesen Roman für einen seiner besten Wallander-Krimis halte, lässt sich kaum etwas Neues sagen. Wallander hat erneut mit einem schweren Schicksalsschlag zu kämpfen, der ihn bei den Ermittlungen anfangs zusätzlich behindert. In weiterer Folge gewinnt jedoch die Charakterisierung des mehrfachen Mörders an Wichtigkeit. Viele falsche Wege schlagen die Ermittlungen diesmal ein, der Leser darf dies verfolgen, indem er stets auch aus der Sicht der Mörderin das Geschehen überblicken darf (da dies schon sehr früh passiert, verrate ich hier auch nicht zuviel über das Ergebnis der Ermittlungen).

Dann grub sie in den Nächten einen Graben. Genau diese Worte. Dann grub ich in den Nächten einen Graben. Vielleicht fassten diese Worte am besten zusammen, wie Wallander in diesem Herbst die vielen Gespräche mit Yvonne Ander in der Haftanstalt erlebte.

Was in diesem Roman vielleicht doch etwas hervorsticht (obwohl ich mich nicht hundertprozentig erinnern kann, ob es nicht in einem früheren Wallander-Roman schonmal aufgefallen war), ist der Blick in die Psyche der Mörderin. Obwohl das psychologische Profil des Mörders diesmal von Wallanders Team selbst erstellt wird, erscheint es detaillierter und lebensnaher als dies im Vorgängerroman durch den Psychologen Mats Ekholm passiert war. In genau dieser Form haben wir Wallander noch nicht erlebt und vielleicht ist es gerade das, was auch hier wieder für Spannung und Unterhaltung sorgt: die Mischung der Figur Wallander mit neuen Elementen, die sowohl den Kommissar als auch den Leser auf neue Wege führen.

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Roman

Dai Sijie – Balzac und die kleine chinesische Schneiderin

ChineseNewYear(c)irum/SXC.jpg

Ba-er-za-ke! Der ins Chinesische transkribierte Name des Autors setze sich aus vier Ideogrammen zusammen. Was für eine Magie, die Übersetzung! Die harten, kriegerischen, aggressiven, kratzenden Laute der zwei ersten Silben klangen mit einem Mal sanfter. Die vier zierlichen. aus wenigen Strichen zusammengesetzten Schriftzeichen reihten sich harmonisch zu einem Wort von ungewöhnlicher Schönheit, das einen exotischen, einen sinnlichen, einen betäubenden Duft ausstrahlte: das warme, volle Aroma eines jahrhundertelang im Keller gelagerten Likörs.

Recht bald wird dem Leser beim Eintauchen in die Geschichte der kleinen chinesischen Schneiderin klar, dass Dai Sijie Wörter liebt. Er liebt auch Frauen, aber Worte liebt er mehr. Der obige Absatz, der den ersten Kontakt des Protagonisten mit einem Roman von Balzac beschreibt. Er und sein Freun Luo wurden von der chinesischen Regierung zur „kulturellen Umerziehung“ in ein Bergdorf geschickt. Aufgrund der Berufe ihrer Eltern gelten sie als Intellektuelle, die dem Regime durch ihre revolutionären Ideen gefährlich werden könnten. Im Bergdorf müssen sie körperlich harte Arbeit leisten und sind abgeschnitten von nahezu jeder Zivilisation.

Balzacs Roman ergaunern die beiden schließlich aus dem geheimen Bücherkoffer des Brillenschang, der ebenfalls zur kulturellen Umerziehung im Nachbardorf einquartiert wurde. Die Bücher sind selbstverständlich verboten, weshalb ihre Existenz auch geheim bleiben muss. Aber auch die kleine Schneiderin verliebt sich in Balzac und so nimmt nicht nur das Schicksal der Burschen seinen Lauf.

Nach dem Lesen des Buchs kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Liebe zu Wörtern in der Verfilmung aus dem Jahr 2002 auch transportiert werden konnte. Obwohl Autor Dai Sijie selbst Regie führte und der Film beste Kritiken erhielt, möchte ich trotzdem zum Buch raten. Nach meiner Ansicht kann sich die Wirkung der Worte nur dann richtig entfalten, wenn sie auf direktem Wege vom Papier ins Herz gelangen.

Ich erinnere mich, dass ich nie einen so herzergreifenden traurigen Walzer gehört hatte, er war noch trauriger als die Requiems, die man Europäer mit Kerzen in der Hand und Frauen mit Schleiern auf dem Kopf im Fernsehen singen hört …

Die zweite Geschichte in diesem Buch handelt von Muo, der eine unglaubliche Reise unternimmt, um seine Freundin „Vulkan des alten Mondes“ aus dem Gefängnis zu befreien. Zu diesem Zweck versucht er einen Richter zu bestechen, dieser besitzt so viel Vergnügen, dass er sich nur mit einer Jungfrau zufrieden geben will. Wie soll Muo nun eine Jungfrau auftreiben, die auch noch bereit ist, diese zu opfern? Eine haarsträubende Suche beginnt, auf der der „Traumdeuter“ Muo in die bizarrsten Situationen gerät. Unter anderem verliert er dabei selbst seine Jungfräulichkeit mit einer Frau, die er eigentlich für Richter Di bestimmt hatte.

Dabei sind vor allem die Beschreibungen von Gefühlen interessant, denn nicht nur Muos Gefühlen, sondern auch denen der vielen beteiligten Damen widmet der Autor viel Interesse und Details. Innere geheime Gefühle, Träume, die uns aus dem Unterbewusstsein jagen, das sind die Ingredienzien, die Muos surreale Suche nach einer Jungfrau würzen und somit zum Leckerbissen machen.

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Kurzgeschichten

Guy de Montpassant – Liebe ist anders

Kirschblueten (c)AngelaL / PIXELIO

Liebe ist immer etwas Kostbares, wer immer sie auch schenkt. Ein Herz, das bei unserem Kommen schneller schlägt, ein Auge, das weint, wenn wir Abschied nehmen, sind seltene Dinge, die man nie verachten soll.

Kurzgeschichten sind immer ein passender Begleiter auf Reisen. Diese altmodischen Liebesgeschichten spannen einen breiten Bogen über die unendliche Liebe, die unerfüllte Liebe, manchmal ist es eine Kombination aus beidem. Schwärmerei, die zur Enttäuschung wird, wenn die Erfüllung erfolgt. Geheime Liebe, die zu Krankheit und Tod führt. Liebe, die nur durch den Tod Erfüllung finden kann. Kitschig, aber irgendwie tröstlich.

Man fühlt sich plötzlich durchdrungen von dem entsetzlichen Elend des Daseins, der Einsamkeit aller Wesen, dem Nichts, das uns von allen Seiten umgibt, der namenlosen Verlassenheit des Menschenherzens, das sich durch Traum und Trug über seine Vergänglichkeit hinwegtäuschen will.

Off Topic: Bei meinen Recherchen zum Thema epub und anderen eBook-Formaten bin ich heute unter anderem auf das Programm Calibre gestoßen. Dabei fand ich es einigermaßen amüsant, dass das Calibre-Logo meinen eigenen Erstentwürfen für das Books in the fridge-Logo gar nicht mal so unähnlich sieht:

Logo_BITF.png  CalibreIcon.jpg

Selbstverständlich hat hier niemand von niemand abgekupfert. Die Idee scheint einfach nur zu naheliegend, wenn man mit Büchern zu tun hat.

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Krimi Roman Unterhaltung

Stieg Larsson – Verdammnis

Feuer (c) Raimund Berger/PIXELIO

Lisbeth Salander verbrachte die erste Woche, in der die Polizei hinter ihr her war, völlig undramatisch. Sie wohnte in aller Ruhe in ihrer Wohnung in der Fiskargatan in Mosebacke. Ihr Handy hatte sie ausgeschaltet und die SIM-Karte entfernt, denn sie hatte nicht vor, es noch einmal zu verwenden. Mit immer größeren Augen verfolgte sie die Schlagzeilen in den Internetausgaben der Zeitungen und die Nachrichtensendungen im Fernsehen.

Während im ersten Teil Verblendung der Wirtschaftskrimi um die Familie Vanger im Vordergrund stand, dreht sich hier nun alles nur um Lisbeth Salander und ihre Geschichte. Der Leser erfährt, wie Lisbeth Salander überhaupt dazu gekommen ist, einen rechtlichen Betreuer zu haben und sogar wie sie ihr Leben bestritt, bevor „all das Böse“ passierte. Mit dem durch einen Internetbetrug ergaunerten Geld will sie eigentlich nur weiter das Leben genießen, gerät jedoch schnell ins Zentrum einer Mordermittlung. Da sie sich bedeckt hält und eher allein eine Motorradgang bekämpft als mit der Polizei zu reden, wird sie bald als Teil einer lesbischen Satanistengang von der Polizei gesucht.

Während all ihre Freunde – alte wie Dragan Armanskij und neue wie der Boxer Paolo Roberto – ebenfalls nach ihr suchen, vornehmlich, um ihre Unschuld zu beweisen, ist es schließlich Mikael Blomkvist, der über die von Lisbeth gehackte Festplatte seines Laptops mit ihr Kontakt aufnimmt.

Erst wenige Seiten vor dem Ende wird klar, dass es kein Ende geben wird. Die Fortsetzung muss her und das so schnell wie möglich. Zum Glück ist sie bereits erschienen und hat bereits Platz auf dem Regal der ungelesenen Bücher bezogen.

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Kurzgeschichten Roman

Giovanni Boccaccio – Das Dekameron

Weintrauben (c) nkzs / SXC

„Daher bitte ich Euch um der Liebe willen, die ich Euch entgegenbringe, mir auch die Eure nicht zu versagen, sondern Euch meiner Jugend zu erbarmen, die sich nach Euch verzehrt wie Eis am Feuer!“

Würde ich meine Posts betiteln, dieser erhielte die Überschrift „Hedonismus in Zeiten der Pest“. Die Rahmenhandlung lässt sieben Damen und drei junge Herren eine von der Pest heimgesuchte Stadt verlassen, um sich in angenehmer Atmosphäre nach Möglichkeit zu vergnügen. Zu diesem Zwecke verbringen sie den Großteil des Tages mit dem Erzählen von Geschichten. Zehn Tage lang erzählt jeder der zehn Beteiligten jeweils eine Geschichte. Die Geschichten bieten dabei eine große Themenvielfalt, auch wenn sich natürlich die meisten um die Liebe drehen.

Wenn nun schon der an sich standhafte Mann nicht umhinkann, eine Frau, die ihm gefällt – von Weibern, die sich anbieten, ganz zu schweigen –, zu begehren, und alles daransetzt, diese Frau zu besitzen, was ihm nicht alle vier Wochen einmal, sondern täglich unzählige Male passiert, wie kannst du dann von einer Frau, die schon ihrer Natur nach unbeständig ist, erwarten, dass sie allen Bitten, Schmeicheleien, Geschenken und tausenderlei Verführungskünsten widerstehen soll, die ein schlauer Mann anwendet, der sie begehrt?

Noch so einiges mehr lässt Boccaccio seine Protagonisten über das Wesen der Frau sagen. Dies mag der damaligen Zeit angemessen erscheinen, erscheint aber heute doch zutiefst befremdlich. Das obige Zitat wird von einer Frau gesprochen, diese bezichtigen sich also selbst aller möglichen Schwächen und Unarten. Die Herren üben sich da eher noch in vornehmer Zurückhaltung und zeigen ihre Verachtung der Damen nur indirekt über die erzählten Geschichten.

Vielleicht wäre ich in dieser Hinsicht nicht so großzügig gewesen, wenn man auch Frauen so selten und mit soviel Schwierigkeiten fände wie einen guten Freund.

Diese Stelle sticht insofern hervor, als dass sich der Bezug auf das Sprichwort herstellen lässt, das besagt, Männer/Frauen mögen kommen und gehen, Freunde jedoch bleiben für immer. Das ist ein interessanter Kontrast in all diesen Geschichten, in denen immer wieder aus Liebe gestorben oder zumindest die Absicht dazu bekundet wird. So zeigt sich hier ein breites Feld an Geschichten, das alle möglichen Emotionen im Portfolio hat.

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Roman

Jostein Gaarder – Vita brevis: Das Leben ist kurz

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Denn du hast mir Leib und Seele gegeben, so, wie ich dir Leib und Seele verpfändet habe. Wo du warst, da war ich, und wo ich war, da wolltest auch du sein.

Die Rahmenhandlung bestreitet in diesem Roman Jostein Gaarder selbst: Er erzählt, wie er in einem Antiquariat eine Kassette findet, die ein scheinbar altes Schriftstück enthält. Geschrieben wurde es von Floria an Aurel Augustin, Bischof von Hippo. Schrieb Sie diesen Brief an den Bischof als Antwort auf seine Bekenntnisse, in denen er um das Jahr 400 seine endgültige Abkehr vom weltlichen Leben und seine vollständige Hinwendung zur Religion begründet.

Laut diesem Brief war Floria jahrelang Aurels Geliebte, die beiden hatten auch einen gemeinsamen Sohn, der bereits in jungen Jahren einer Krankheit zum Opfer fiel. Auch Aurels Mutter Monika steht zwischen ihnen, denn sie möchte den Sohn angemessen verheiraten. Floria schreibt sich hier ihren Ärger über Aurel von der Seele. Aus ihrer Sicht hat er nicht nur sie, sondern auch ihre Liebe und den gemeinsamen Sohn verraten.

Ich glaube, damals hast du wirklich angefangen, nach einer Wahrheit zu suchen, die deine Seele vor der Vergänglichkeit retten konnte. Ich sagte: Nimm mich in den Arm. Das Leben ist so kurz, und es steht nicht fest, ob es für unsere schwachen Seelen eine Ewigkeit gibt. Aber das wolltest du mir nicht glauben, Aurel. Du wolltest nichts unversucht lassen, eine Ewigkeit für deine Seele zu finden. Es schien dir wichtiger zu sein, deine Seele vor der Verdammnis zu retten als meine.

Noch immer leidet Floria unter dem Verlust des Geliebten, der sie aus ihrer Sicht durch seine Bekenntnisse auch verleugnet. Immer wieder führt sie seine Argumentation aus den Bekenntnissen ad absurdum. Gerade die Unsterblichkeit der Seelen, auf die Augustin nun durch den vollkommenen Verzicht auf alle leiblichen Genüsse zu erreichen hofft, erscheint ihr das falsche Ziel. Immer wieder bezieht sie sich auf die gemeinsamen Erinnerungen. Ihr Brief ist ein Befreiungsschlag und gleichzeitig ein Hohelied auf die Liebe.

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Klassiker Roman

Giacomo Casanova – Gefangenschaft und Flucht aus den Bleikammern

Dogenpalast (c) Achim Lückemeyer / PIXELIO

„Ich beschwöre Sie“, sagte ich, „ersparen Sie mir den herzzerreißenden Anblick Ihrer Tränen.“ Er sammelte sich und umarmte mich, während er mit gütigem Lächeln sagte: „Fata viam inveniunt.“ (Das Schicksal geht seinen Weg.)

Das Schicksal schickt Casanova in diesem Fall direkt ins Gefängnis. Aus seiner Sicht wird er unschuldig wegen eines erdichteten Verbrechens festgesetzt. Die Einzelzelle, die ihn mürbe machen soll, erfindet er zuerst als Vergünstigung, erkennt jedoch schnell, dass es sich dabei nicht um die zuerst angenommene Gnade handelt. Erst als seine Fluchtpläne Gestalt annehmen, wünscht er sich die Einsamkeit zurück.

Der erste Fluchtplan schlägt fehl, nur mit List gelingt es ihm, den Wärter davon zu überzeugen, den entdeckten Fluchtweg zu verstecken und den Fluchtversuch nicht zu melden. Schließlich gelingt ihm durch die Komplizenschaft mit den Mitgefangenen auf unerwartetem Wege die Flucht.

Eine Leseempfehlung vermag ich nicht auszusprechen. Das Buch hat mich zwei Tage lang durch die Londoner U-Bahn begleitet, aber neben Stieg Larsson und Pascal Mercier wirkt der gute Casanova leider wie ein elender Langweiler.

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Roman

Ian McEwan – Abitte

Labyrinth (c)Henrik-Gerold-Vogel/pixelio

War eine Geschichte zu Papier gebracht, schienen die Blätter vor lauter Leben in ihrer Hand zu beben. Selbst ihrer Ordnungsliebe konnte sie frönen, ließ sich mit Worten doch jedes Chaos in geregelte Bahnen lenken.

Die Geschichte beginnt mit Briony, die an einem Theaterstück schreibt, mit dem sie ihrem Bruder eine Freude machen will, der an diesem Abend endlich wieder nach Hause kommen wird. So unschuldig dieser Abend beginnt, so verhängnisvoll wird er enden. Der ganze erste Teil des Buches beschäftigt sich mit den Geschehnissen eines einzigen Sommerabends, erzählt aus den unterschiedlichen Perspektiven der drei Hauptpersonen: Briony, ihrer Schwester Cecilia und Robbie, dessen weiteres Schicksal dann im zweiten Teil in den Krieg führt.

Doch, wenn sie abends, am Ende des Tages, im Nachthemd auf dem Treppenabsatz stand und über den Fluss auf die verdunkelte Stadt schaute, befiel sie wieder dieses Unbehagen, das dort unten in den Straßen weilte, so wie es hier auf den Stationen herrschte, und das die Düsternis selbst zu sein schien. Nichts in ihrem straffen Tagesablauf, nicht einmal Stationsschwester Drummond, konnte sie davor schützen.

Brionys Fehler bestimmt das weitere Leben aller drei. Ihre Liebe zu Geschichten macht der aufkeimenden Liebe zwischen Cecilia und Robbie ein jähes Ende. Beide Schwestern schlagen die Laufbahn als Krankenschwester ein, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Für Cecilia ist es der schnellste Weg, ihr Elternhaus zu verlassen und auf diesem Wege auch die Vergangenheit aus dem Weg zu schieben. Für Briony wird es zur Buße für ihren Fehler, der die Schwestern entzweit.

Trotz der in ihrem Tagebuch skizzierten Typen glaubte sie nicht länger an Charaktere. Das waren schnurrige Kunstgriffe, die ins neunzehnte Jahrhundert gehörten. Schon das Konzept einer handelnden Figur basierte auf einem Irrtum, was die moderne Psychologie schließlich längst bewiesen hatte. Und die Handlung selbst war auch nur eine rostige Maschine, deren Zahnräder nicht mehr recht ineinandergreifen wollten.

Sowohl der Inhalt der Geschichte als auch der Schreibstil lassen den Leser mit der Zeit vergessen, dass es sich um einen Roman von Ian McEwan handelt. Hätte man mir das Buch vorgelegt und ich müsste den Autor erraten, hätte ich eher auf John Irving getippt. Zwar zeigt die Detailgenauigkeit der Beschreibung des Abends, an dem die Geschichte beginnt, deutlich die Handschrift McEwans. Der weitere Verlauf hingegen, der sich schließlich über ein Leben ausdehnt, erinnert sehr an die Art wie John Irving die Lebensgeschichten seiner Protagonisten entwirft. Dies gerät dem Roman jedoch in keinster Weise zum Nachteil. Man fiebert zusehends mit, ob es letztendlich zu einer Aufklärung der verhängnisvollen Geschehnisse kommen wird. Nicht alles findet zu einem befriedigenden Ende und doch bleibt ein Gefühl der Zufriedenheit zurück, wenn man die letzte Seite umblättert. Eine Kunst, die nur wenige Autoren mit dieser Virtuosität beherrschen.