CN: Mord, Gewalt, Erwähnung 2. Weltkrieg und Holocaust, Gewalt gegen Tiere, thematisiert Rassismus, sexuelle Handlungen
Der nächste Eintrag zu unserem Mini-Buchclub zu den für die Hugo Awards nominierten Werken. Ich hatte auf Lithub (zB hier) Gutes darüber gelesen und wurde nicht enttäuscht. Das Thema Zeitreisen wird in der Literatur immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, viele davon fließen hier ein in Form des titelgebenden Ministeriums, das dafür sorgen soll, dass durch das erfundene Zeitreiseportal keine unerwünschten Effekte eintreten. Es sollen daher Menschen aus der Vergangenheit in die Jetzt-Zeit gerettet werden, die in ihrer Zeitebene ohnehin verstorben wären und ihre Abwesenheit daher dort keine Veränderungen bewirkt. Diese geretteten Menschen sollen sich in die Jetzt-Zeit eingewöhnen, dazu werden ihnen sogenannte menschliche „Bridges/Brücken“ an die Seite gestellt, die sie in die moderne Zeit begleiten sollen. Dieses wissenschaftliche Experiment wirkt zu Beginn recht positiv, die Proband:innen werden immerhin in ihrer Zeit vor dem Tod gerettet und erhalten die Chance auf ein neues Leben in der modernen Zeit. Dass sie dazu niemals ihre Zustimmung (oder Ablehnung) geben konnten, wird erst weit später in der Geschichte thematisiert.
Zu sehr steht zuerst im Vordergrund, wie sehr sich das Leben in den vergangenen Jahrhunderten verändert hat. Die ExPats müssen nicht nur mit der unbekannten Technologie, sondern auch mit der modernen Lebensart vertraut gemacht werden, was jede Menge Stoff für komische Situationen bietet. Erzählerin der Geschichte ist eine der als Brücken arbeitenden Personen, eine weibliche Stimme mit gemischt-rassigem Hintergrund, ihre Familie mütterlichseits stammt aus Kambodscha. Ihre Aufgabe ist es, den Expat „1847“, auch Commander Graham Gore genannt, zu betreuen und seine Eingewöhnung in die moderne Zeit zu unterstützen und zu überwachen. Graham Gore ist eine historische Persönlichkeit, er war Teil der Franklin-Expedition mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu durchsegeln und so einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden. Die Expeditionsschiffe Erebus und Terror wurden im Eis eingeschlossen, es gab keine Überlebenden.
Lange beschäftigt sich die Geschichte mit den zwischenmenschlichen Aspekten der unterschiedlich verlaufenden Eingewöhnung der ExPats. Zuneigungen und Abneigungen entwickeln sich; unerwartete Charakterzüge kommen zum Vorschein. Die Beziehungen zwischen den Brücken und den ExPats entwickeln sich auf unterschiedliche Arten. Erst gegen Ende des Buchs erhöht sich das Tempo; Fragen, die (vom Ministerium) bereits beantwortet schienen, werden neu aufgeworfen und wachsen zu unüberwindbaren Gräben heran. Selbst Entscheidungen, die nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden, können auf diese Art in ein neues Licht gerückt werden. Dabei wird auch thematisiert, wie unsere jeweilige Lebensgeschichte unsere Meinungen und Entscheidungen prägt.
Die Autorin pflegt einen extravaganten Schreibstil, der zum Hintergrund der Erzählerin als Übersetzerin im Verteidigungsministerium passt. Als Sprachenexpertin kann die Erzählerin Wörter verwenden, die sich meinem Englisch-Wortschatz entziehen, ohne dabei prätentiös zu wirken. Zu oft habe ich mir gewünscht, anstatt der Paperback-Ausgabe das eBook vor mir zu haben, in dem ich einzelne Worte einfach nachschlagen könnte. Gemischt wird diese Vielfalt mit den Sprechweisen und Dialekten der ExPats, die jeweils ihren eigenen Stil mitbringen. Graham Gores viktorianischer Ausdrucksweise wird dabei am meisten Platz eingeräumt, aber auch die anderen ExPats erhalten eigene Stilmerkmale.
Von mir eine herzliche Empfehlung dieses Buchs: Die Mischung aus dem Zeitreise-Thema mit der sich entwickelnden zeitüberspannenden Romanze, die sich innerhalb eines Behördenthrillers entspinnt, hat mich mitgerissen und persönlich berührt. Eine wilde Mischung, die unterhält und gleichzeitig nachdenklich stimmt.
But I wrote it down because I need you to bear witness to it. He was here, by and with me and in my body. He lives in me like trauma does. If you ever fall in love, you’ll be a person who was in love for the rest of your life.
Randnotiz: Nach der Buchbesprechung findet ihr einen umfangreichen Bericht zu den aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe mit vielen Fotos.
CN (für Buch und Text zum Buch): Alkoholkonsum, Rassismus, Polizeigewalt, Mord, sexuelle Handlungen, sexueller Kindesmissbrauch, Erwähnung des 2. Weltkriegs (inkl. Holocaust, Antisemitismus, KZ-Überlebende)
But if he got a whiff of that thirty thousand dollars I knew that nothing would hold him back. He would have killed me for that much money.
In diesem Jahr hab ich mir einen Anlauf auf mehr Kreativität in meinem Alltag zum Vorsatz genommen. Das funktioniert mit wechselndem Erfolg. Da aber dazu gehört, dass ich einfach nicht aufhöre, auch wenn es mal eine Zeit lang nicht so gut klappt, ist das Projekt Experiment nach wie vor am Laufen.
Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Recherche über das Leben in Los Angeles in den 1950er-Jahren gelesen. Das hat sehr gut funktioniert, ich habe viele Hinweise notieren können, in welche Richtungen ich weiter recherchieren kann. Und meine allererste Kernfrage (würde eine Frau im Alter von 22 Jahren mit einem Job in den Paramount Studios ein eigenes Auto gehabt haben?) konnte ich auch schon mit ziemlich guter Sicherheit beantworten: Ja, sie muss wohl ein Auto gehabt haben, sonst hätte sie diese Arbeit nicht machen können. Mosley schreibt in seinem Buch auch ganz deutlich, dass im damaligen L.A. jeder Weg mit dem Auto zurückgelegt wurde.
Neben den Rechercheergebnissen fand ich in diesem Roman eine interessante Hauptfigur vor: Easy Rawlins, schwarz, Kriegsveteran, Eigentümer eines kleinen Hauses (mit Hypothek natürlich), der versehentlich in die zwielichtige Gesellschaft gerät, aus der er sich nach seinem Umzug von Houston nach Los Angeles eigentlich fernhalten wollte.
Sehr verblüfft stellte ich erst nach der Lektüre fest, dass dieses Buch erst 1990 veröffentlicht wurde und der Autor nicht nur noch lebt, sondern auch für September 2025 ein weiteres Buch der Reihe angekündigt ist. Eine Krimiserie reizt mich ja immer sehr und jetzt habe ich auch noch Recherche als zusätzlichen Grund … es gibt jedoch auch noch andere literarische Kandidaten für diese Zeit und über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sollte ich mich eher in Non-Fiction informieren. Es gibt jedenfalls noch sehr viel zu lesen und lernen.
Während meines Besuchs der #gpn23 in Karlsruhe hatte ich auch die Gelegenheit, mir die aktuellen Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) anzusehen. Drei thematisch sehr unterschiedliche Ausstellungsbereiche ringen aktuell um die Aufmerksamkeit der Besucher:innen. Ich habe im dritten Stock begonnen und werde im Folgenden die Ausstellungen auch von oben nach unten beschreiben.
zkm_gameplay – the next level
Blue Guy (2020), Peter Schönwandt
Am Beginn werden die Besucher:innen von einem der Pac-Man-Geister begrüßt, ein Kunstwerk von Peter Schönwandt, das aus 4.339 Tastenkappen von Computertastaturen besteht. In weiterer Folge sind verschiedene Spielekonsolen aus den 1980ern und 1990ern zu sehen. An mehreren Stationen können auch ältere sowie neuere Spiele ausprobiert werden, angefangen von Commodore 64 und Atari über verschiedene Generationen von Nintendo– und Sega-Konsolen bis zu neueren Spielen wie Journey. Die Ausstellung zeichnet passend zum Thema mit verschiedenen Levels die Entwicklung der Computerspiele nach. Ein Fokus liegt dabei auf unterschiedlichen Eingabemethoden, die sich in den letzten 50 Jahren konstant weiter entwickelt haben.
Choose Your Filter!
Artzilla Siebdrucke (2009), Tobias Leingruber in Zusammenarbeit mit Seckel, DosenDave, Ewok
Im selben Stockwerk beschäftigt sich die Ausstellung Choose your filter! mit Browser Art seit den Anfängen des World Wide Web. Verschiedene Künstler:innen haben zum Beispiel Browser-Erweiterungen programmiert, die Webseiten anders interpretieren, als sie ursprünglich gedacht wurden. Zu sehen sind etwa verschiedene Varianten der Browser-Erweiterung Abstract Browsing von Raphaël Rozendaal. Diese Erweiterung ersetzt „die Elemente einer Webseite, also Texte, Bilder oder Videos, durch farbige Rechtecke“. Verschiedene Farbkombinationen wechseln nach dem Zufallsprinzip. Rozendaal wählt auch gezielt Kompositionen aus und überträgt sie in großformatige Textilwerke (Tapisserien). Diese ziehen in einer Ausstellung, in der viel auf Computerbildschirmen stattfindet, automatisch den Blick auf sich.
Abstract Browsing (2014–2022), Raphaël Rozendaal
See You. Begegnungen mit der Kunsthalle Karlsruhe
Das mittlere Geschoss des Ausstellungsbereichs bietet einen Einblick in die Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, die aktuell wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Der Rundgang durch die Sammlung beginnt mit vielen sakralen Werken aus der Zeit etwa ab 1500. Altarbilder zeigen etwa Christus am Kreuz oder Maria mit dem Kind.
Einige Werke, die mich beeindruckt haben:
Die Melancholie im Garten des Lebens von Mathis Gerung (1558): Allein vor einem weißen Vorhang hängt dieses Bild, das gleichzeitig an Bruegel und an moderne Wimmelbilder erinnert. Ich nahm mir Zeit, die vielen verschiedenen Menschengruppen und Tiere zu betrachten: üppige nackte Damen in einem Badebecken ohne Wasser, Ritter in Prachtkleidung, die im Begriff sind, aufeinander einzustechen, neben zwei Gauklern sitzt ein weißer Hund, einen Tanzbär habe ich entdeckt, viele Pferde sind ebenfalls zu sehen. Aus dem Ausstellungstext:
Gedankenverlorenes, törichtes Treiben beherrscht die Szenen im »Garten des Lebens«. In dessen Mitte kauert die Melancholie und sinnt schwermütig dem Sinn menschlichen Tuns nach. Das Werk ist ein einzigartiges Zeugnis für die Alltags-, Mentalitäts-, Sozial- und Kulturgeschichte des mittleren 16. Jahrhunderts.
Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678)
Augenbetrüger-Stillleben von Samuel van Hoogstraten (1627–1678): Diese hyperrealistisch (Trompe-l’œil) wirkende Abbildung einer Sammlung von Alltagsgegenständen hat meinen Blick sofort auf sich gezogen. Die dreidimensional wirkende Darstellung in harmonisierenden Farbtönen von crème, rot, ocker und braun ließ mich an meine eigene Pinwand denken, an der ich über das Jahr hinweg Fotos und Erinnerungsstücke sammle. Aus dem Ausstellungstext:
Täuschend echt anmutende Objekte sind hier dargestellt. Ihre Auswahl ist alles andere als beliebig. Einige weisen, wie ein Selbstbildnis, auf den Künstler selbst hin. Die Kette mit dem Porträt Kaiser Ferdinands III. ist Samuel van Hoogstratens Markenzeichen. Er gilt als Begründer des damals wie heute beliebten Genres der gemalten Steckbretter.
Ausschnitt aus „Stillleben mit Blumen und Goldpokalen“ von Clara Peeters (1612)
Stillleben mit Blumen und Goldpokalen von Clara Peeters (1612): Mir war bisher nicht bewusst, dass Stillleben, die nicht aus Blumen und Obst bestehen, einen derartigen Reiz auf mich ausüben könnten. Auf diesem Bild sind mir die Muscheln rechts unten aufgefallen. Jede der vier Muscheln hat eine andere Form und Färbung, die Darstellung ist unglaublich detailliert: Der rosa schillernde Farbrand der vordersten Muschel, der Lichtschimmer auf der zweiten Muschel, der Schwung des schwarz-silber gemusterten Gehäuses ganz hinten. Erst das Lesen des Beschreibungstexts machte mich darauf aufmerksam, dass in den Details des rechten Pokals die Spiegelung der Künstlerin zu sehen ist:
Alle Objekte sind übersichtlich auf einer Tischplatte arrangiert: Viele davon konnte man in barocken Kunstkammern finden. Plastisch, präzise und mit ihrem individuellen stofflichen Charakter hat Clara Peeters, eine frühe Vertreterin der Stilllebenmalerei, sie wiedergegeben. Sich selbst hat sie in den Spiegelungen des rechten Pokals verewigt.
Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905)
Reitende Amazone, den Speer schleudernd von Franz von Stuck (entworfen 1897, gegossen nach 1905): Zwischen den Gemälden sind im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder auch Skulpturen zu sehen. Auf mehreren Sockeln wurden aus Bronze gegossene Skulpturen von Franz von Stuck gezeigt. Speziell bei dieser Skulptur einer weiblichen Gestalt auf einem Pferd fiel mir ins Auge, wie detailreich die Körper der Frau und des Pferds gestaltet sind. Auf dem Foto ist nicht zu erkennen, wie klein diese Skulptur ist (64,5 x 46,6 x 17,3 cm), sie steht auf einem Sockel, um auf Augenhöhe betrachtet werden zu können. Umso bemerkenswerter erscheint es mir, wie detailreich die Anatomie von Pferd und Reiterin nachgebildet wurde.
die vielen großen Namen, die dort einfach so mehr oder weniger unbewacht herumhängen. Als ich völlig überrascht vor einem echten Rubens stand, schaute ich mich unwillkürlich nach der Security um (als hätte ich etwas zu verbergen).
Wenn ihr euch für diese Ausstellung interessiert, aber nicht die Gelegenheit habt, nach Karlsruhe zu kommen, dann empfehle ich euch die Touren auf der Webseite der Kunsthalle Karlsruhe. Eine Kombination aus Text, Bild und Audio lässt euch die Ausstellung aus verschiedenen thematischen Blickwinkeln erleben.
The Story That Never Ends – Die Sammlung des ZKM
Schon etwas erschöpft und mit Eindrücken überflutet gelangte ich wieder ins Erdgeschoss des Ausstellungsbereichs, in dem sich die aktuelle Dauerausstellung des ZKMs The Story That Never Ends speziell weiblichen und feministischen Perspektiven der Medienkunst widmet.
Canopus aus der Serie Planetarium (1990) von Nam June Paik
Die gezeigten Werke beinhalten Fotocollagen (zB die Serie „Phantom Limb“ von Lynn Hershman Leeson, in der sie weibliche Körper mit Technik verschmilzt), abstrakte Malerei, futuristisch wirkende Skulpturen (zB Canopus von Nam June Paik, in dem er „seine Vorstellungen von einem global zirkulierenden Bilderstrom“ durch das Medium Video sichtbar machte) und analytische Videokunst, die wie viele andere Objekte die gesellschaftlichen Auswirkungen des Massenmediums Fernsehen und dessen Einfluss auf die politischen Verhältnisse kritisch betrachten.
Informationen zu den Ausstellungen und Veranstaltungen findet ihr auf der Webseite des ZKM.
CN: Beziehungsgewalt, Gewalt von Eltern an ihren Kindern, sexuelle Handlungen
Die Fortsetzung zu Colleen HooversBookTok-Hit It Ends With Us. Um etwas Feuer Konflikt in die wieder aufflammende Romanze zwischen Lily und Atlas zu bringen, stellt die Autorin Atlas einen unbekannten kleinen Bruder zur Seite, was auch zu Begegnungen mit der abwesenden Mutter führt. Lilys Beziehung zu ihrem nun Ex-Mann Ryle und Vater der gemeinsamen Tochter Emerson wird durch die Entwicklungen zwischen Lily und Atlas natürlich auch nicht einfacher. Im Vergleich zum ersten Roman haben Lily und Atlas jedoch eine deutlich einfachere Zeit, die dominante Beziehungsgewalt von Ryle an Lily findet in deutlich abgeschwächter Form Ausdruck. Es bleibt jedoch das Wissen, dass Ryle als Vater von Emerson immer Teil von Lilys Leben sein wird und ein Auskommen irgendwie ermöglicht werden muss. Atlas bleibt „zu gut, um wahr zu sein“, er macht einfach alles richtig. Wie die beiden sich anhimmeln, ist manchmal schwer zu ertragen, es ist einfach irgendwie zu viel. Das war jedoch im Prinzip erwartungsgemäß und ich hatte mir das Buch genau deshalb ausgeliehen, weil ich gerade einen Eskapismus brauchte, also hat es schon gepasst.
Während meiner Reise nach Antibes im April 2025 besuchte ich auch das Musée de la Carte Postal. Es befand sich in der Nähe unseres Apartments und ich hatte es auf dem Heimweg vom Supermarkt zufällig entdeckt. An einem regnerischen Nachmittag ließ ich also den Hund in der Obhut des Fotografen zurück, um mir die Geschichte der Postkarten anzusehen. Als ich ankam, waren die Räume dunkel, ein älterer Herr saß am Eingang und überreichte mir auf meine Anfrage einen Audioguide (ein Android-Handy mit einer App darauf), betätigte die Lichtschalter und wies mir den groben Weg durch die zwei Räume der Ausstellung.
Am Anfang der Ausstellung werden einige Fakten zur Entstehung der Postkarte in nicht ganz chronologischer Reihenfolge präsentiert. Als Ursprung sieht die Ausstellung Telegrammkarten, die mittels Rohrpost zwischen Postämtern versandt wurden, diese enthielten jedoch weder Fotos noch Illustrationen. Als Erfinder der Postkarte gilt der Österreicher Emmanuel Hermann. Er soll die 1. Postkarte (betitelt mit „Correspondenz-Karte“) überhaupt im Jahr 1869 aus Wien versandt haben. In späterer Folge verhandelte er mit der Post einen Sondertarif für diese Karten, die ohne einen Briefumschlag auskamen und zum selben Preis unabhängig von der Entfernung im gesamten österreich-ungarischen Reich verschickt werden konnten („kurze schriftliche Mitteilungen nach allen Orten der Monarchie ohne Unterschied der Entfernung gegen eine Gebühr von zwei Neukreuzern“, Wikipedia). In der Ausstellung ist außerdem eine Karte mit der Einladung zum Begräbnis des Autors Victor Hugo aus dem Jahr 1885 zu sehen. Aus dem Jahr 1889 stammt die erste Postkarte mit einer Illustration, nämlich dem Eiffelturm. Es handelte sich um eine Karte anlässlich der Pariser Weltausstellung. Die erste Postkartenausstellung wurde 1899 in Nizza abgehalten. (Bei der Recherche habe ich in einem Auktionshaus eine Souvenirkarte von dieser Ausstellung gefunden. Der Rufpreis ist 40 Euro.)
Weiter wird erzählt, wie die Postkarte in den Jahren 1900 bis 1920 rasant populär wurde. Als Sammelobjekte wurden sie auf der Straße verkauft und in Alben gesammelt. Daraus entwickelte sich eine regelrechte Industrie, denn die Produktion von Postkarten schuf Arbeitsplätze für etwa Fotograf:innen, Illustrator:innen und Drucker:innen. Einzig die Briefträger:innen sollen nicht so begeistert gewesen sein von der zusätzlichen Arbeit. Die ersten Werbepostkarten kamen von den Druckereien selbst, die mit ihrem eigenen Produkt die Qualität ihrer Ware anpreisten.
Ab hier zeigt die Ausstellung viele Highlights der damaligen Postkartenkultur in einer groben zeitlichen Einordnung. Es folgen einige Beispiele, die mich besonders beeindruckt haben:
1905: Eine unbekannte Person hat Ansichtskarten mit Porträts von damaligen Celebrities (zB Kaiser Franz Joseph I. oder der Komponist Richard Wagner) im Archimboldo-Stil (Porträts aus Früchten und Pflanzen) gestaltet (davon konnte ich wegen der Spiegelungen im Glas leider kein ordentliches Foto machen).
Bereits im Jahr 1905 konnten auch Audioaufnahmen als Postkarte verschickt werden! Es gab sowohl Scheiben mit aufgenommener Musik (wie es heute noch bei Geburtstagskarten vorkommt) als auch die Möglichkeit, mit einem Phonograph eigene Sprachnachrichten aufzuzeichnen, um sie anschließend zu verschicken.
Am 30. August 1905 war eine Sonnenfinsternis zu beobachten. In der Ausstellung findet sich eine Postkarte mit einem runden Ausschnitt und einem violetten Filter zum Durchschauen. Ich fühlte mich sehr erinnert an das große Sonnenfinsternis-Ereignis meiner Lebenszeit: die totale Sonnenfinsternis, die über Zentraleuropa am 11. August 1999 zu beobachten war. Obwohl dem Ereignis natürlich eine wochenlange Berichterstattung und Analyse vorangegangen war, war es trotzdem überraschend, als es finster wurde und tatsächlich die Vögel leiser wurden und auch sonst kaum Geräusche zu hören waren, weil alle einfach nur auf der Straße standen und zum Himmel schauten. Wir beobachteten von einem Parkplatz aus und auch die Mitarbeiter:innen des Supermarkts standen vor dem Eingang und schauten zu.
Ab 1907 durften Frauen in Paris beruflich Taxi fahren (also mit Pferdekutsche). Eine Serie an Fotografien dokumentiert diese Pionierinnen, die es sicher nicht leicht hatten in diesem vormals ausschließlich Männern vorbehaltenen Beruf.
Der Halley’sche Komet versetzte 1910 Menschen in Angst und Schrecken: Wieder einmal wurde das Ende der Welt erwartet und verkündet. Künstler:innen reagierten darauf mit surrealistischen Darstellungen von durchs All fliegenden Menschen, zum Beispiel mit Regenschirmen wie bei Mary Poppins. Auch Illustrationen aus anderen künstlerischen Stilen wie zB Art Nouveau (auch Jugendstil) wie etwa von Alphons Mucha sind auf Postkarten der Sammlung zu finden.
Mich hat der Besuch des Postkartenmuseums sehr inspiriert. Ich habe dort etwa zwei Stunden verbracht und den kompletten Audioguide durchgehört, obwohl mir das Format Audioguide eigentlich nicht so liegt. Seit ich dort war, habe ich Ideen für das Design von Postkarten(serien) im Hinterkopf und warte darauf, bis sich die eine oder andere klar materialisiert. Ausgestellt waren auch Serien von Postkarten zu Jahreszeiten, Monaten, Wochentagen oder sogar Uhrzeiten. Das passt zu einer anderen kreativen Idee, die ich seit einiger Zeit ausbrüte, vielleicht kommt da demnächst etwas heraus.
Sometimes in order to escape the bad place you’re in, you have to go through trauma and hardship. Sometimes letting go of the barbed wire means tearing your skin some more, before you’re free.
Das Buch beginnt mit der Landung des Protagonisten Arton Daghdev auf dem Planeten Kiln, auf dem er als politischer Gefangener in einem Arbeitslager sein Dasein fristen soll. Schnell wird klar, dass die menschliche Welt von einem autoritären Regime beherrscht wird, dass nur The Mandate genannt wird. Als Akademiker war Daghdev auf der Erde Teil einer Widerstandsgruppe, die sich dem Regime entgegenstellte. Dabei störte ihn hauptsächlich die intellektuelle Unehrlichkeit des Regimes, das von der Wissenschaft einfache Antworten auf komplexe Fragen verlangt und Forschungsergebnisse, die nicht in ihr Weltbild passen, gnadenlos unterdrückt.
[…], but it was the intellectual dishonesty of the whole orthodox thing that galled me into action.
Der Autor zeigt an verschiedensten Beispielen, wie ein oppresives Regime die Menschen unterdrückt. Kontinuierliche Überwachung, Manipulation von Geschehen und Geschichte, niemand kann dem anderen noch trauen, jede:r fragt sich ständig, wer ihn oder sie an das Regime verraten hat. Auch für treue Diener:innen des Systems bietet es keine Sicherheit. Ein bürokratischer Fehler kann genauso zur Verbannung ins Arbeitslager führen wie tatsächliche Revolutionsaktivitäten. Auch der Bias in Algorithmen und künstlichen Intelligenzen, der aktuell so häufig thematisiert wird, wird angesprochen: Wenn du einen Computer so programmierst, dass er etwas Bestimmtes erwartet, dann wird er es auch finden (selbst, wenn es nicht existiert). Dieser Faktor erscheint mir als zentral in der Debatte um Überwachung, die alle paar Jahre immer wieder aufflammt: Selbst wenn du dir nichts zuschulden kommen lässt, kann die Auswertung von Überwachungsdaten etwas finden, das dir dann zum Vorwurf gemacht wird. Anlasslose Massenüberwachung macht die Welt nicht sicherer. Es gibt keine Person, die nichts zu verbergen hat.
A blameless cog in the Mandate’s machine, until a bureaucratic error pointed the wrong finger at him. […] If you program your computers to expect wrongdoing, then they’ll most certainly find it.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der speziellen Beschaffenheit der Flora und Fauna auf dem Planeten Kiln. Ziel ist die Erforschung der Ruinen, die eine schriftliche Dokumente enthalten, die jedoch noch nicht entziffert werden konnten. Das Regime erwartet die Lüftung des Geheimnisses der Entstehung dieser Ruinen, es wird nach den Erbauer:innen geforscht. Gefunden wurde bisher jedoch nur eine sehr angriffslustige Biosphäre, von der aufgrund bisheriger Präzedenzfälle angenommen wird, dass sie Menschen in kürzester Zeit tötet oder verrückt macht. Mit den ausführlichen Beschreibungen von Pflanzen und Tieren konnte ich nicht so viel anfangen, irgendwie konnte ich mir die beschriebene Natur nicht bildlich vorstellen.
Bei ungefähr 70 Prozent des Buchs war ich mir vollkommen unsicher, wo die Geschichte noch hinführen könnte. Die Situation von Arton und den anderen Gefangenen wurde ständig hoffnungsloser, ein weiterer Revolutionsversuch scheitert aufgrund von Verrat, Artons Exkursionsgruppe verliert ihr Fluggerät und wird im Dschungel zurückgelassen. Ohne zu spoilern möchte ich sagen, dass mich das Ende sehr überrascht hat. Der Weg dorthin war vielleicht etwas länger als nötig, aber die Auflösung war sehr überraschend.
Weitere Erkenntnisse aus unserer Buchclub-Besprechung trage ich demnächst nach.
You will be alone; you have to be alone to get lost and see everything. There are some cities, and this is one, where any kind of company is a burden. You wander here as if among thoughts, hands in your pocket, a twinge in your heart.
Während ich darauf wartete, dass endlich das zweite Buch für unsere kleine Buchclubgruppe für mich frei würde, suchte ich nach einem Zwischenbuch, das kurz und noch dazu leicht zu lesen sein sollte. Bei der Suche nach einem Bookshop-Buch fiel mir dieses ins Auge. So leicht zu lesen war es dann gar nicht, aber dafür umso interessanter.
Auf zwei Zeitebenen wird die Geschichte eines fiktiven Buchgeschäfts in Algier erzählt. Gegründet von Edmond Charlot im Jahr 1935 wurde das Geschäft und der Verlag ein Ort der Zusammenkunft für Literat:innen und freie Denker:innen der damaligen Zeit. Der echte Edmond Charlot hat zwar einen Verlag gegründet, das Buchgeschäft ist aber soweit ich herausfinden konnte, eine Erfindung der Autorin Kaouther Adimi.
In Tagebuchform geben Charlots (fiktive) Texte Einblick in die algerisch-französische Politik vor und während des 2. Weltkriegs. Von 1830–1962 wurde Algerien von Frankreich besetzt und beherrscht. In kurzen Einträgen werden die politischen Veränderungen in dieser turbulenten Zeit beschrieben, unter anderem die Schwierigkeit, überhaupt an bedruckbares Papier zu gelangen.
Die moderne Zeitebene erzählt von der Demontage des fiktiven Orts im Jahr 2017. Protagonist Ryad kommt aus Paris nach Frankreich, um im Auftrag eines Investors das Geschäft auszuräumen und für sein neues Leben als Beignet-Shop vorzubereiten. Mit Büchern hat Ryad nichts am Hut. Das ändert sich auch im Verlauf der Geschichte nicht wirklich. Ryad lernt die Nachbarschaft und den früheren Hüter des Buchgeschäfts kennen, die im Klappentext angekündigte Veränderung (he begins to understand that a bookshop can be much more than just a shop that sells books) seiner Sichtweisen konnte ich jedoch nicht nachvollziehen.
Obwohl das Buch völlig anders war als von mir erwartet/erhofft, habe ich es gern gelesen. Auch die schwärmerischen Beschreibungen der heutigen Stadt Algier (siehe obiges Zitat) haben mir sehr gut gefallen. Letztendlich zeichnet die Autorin ein Bild eines Orts, an dem Gedanken und Wörter einen Platz haben und sich darauf eine Gemeinschaft gründet. Bücher können Menschen verändern. Und Menschen können die Welt verändern. Wenn sie sich zusammentun und an ein gemeinsames Ziel glauben. Ein hoffnungsvoller Ausblick.
CN: Dieses Buch erzählt (oberflächlich im Rahmen eines Reiseberichts) von verschiedenen Episoden der europäischen Geschichte, darunter Krieg, Vertreibung, Antisemitismus, Holocaust. Im Blog Post erwähne ich auch aktuellere politische Entwicklungen (Covid-19-Pandemie, Ukraine/Russland, Hamas/Israel/Gaza).
Letztens war ich in Augsburg zu Besuch und bin von dieser Reise mit mehr Büchern heimgekommen als ich mitgenommen hatte. Bei Angy’s Haferl Antik- An und Verkauf musste ich mir die Bücher anschauen, die auf einer Bank draußen vor dem Schaufenster standen und da fiel mir dieses in die Hand. Als Bahnreisende konnte ich dieses Angebot mit dem Untertitel „Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen“ unmöglich ausschlagen. Das Geschäft und die Inhaberin sind super sympathisch und es wachte dort auch eine Katze, die von einem sicheren Platz aus das Geschehen beobachtete.
Der britische Reisejournalist Tom Chesshyre nahm die Brexit-Verhandlungen nach dem Referendum 2016 zum Anlass, eine Bahnreise durch Europa zu unternehmen. In zehn Kapiteln beschreibt er seine Fahrt von Mortlake in der Nähe von London bis nach Venedig. Dabei nimmt er jedoch nicht den schnellsten Weg sondern lässt sich durch möglichst viele europäische Länder treiben, um Länder und Leute kennenzulernen. Seine Aufenthalte sind immer nur kurz, er verbringt jeweils eine Nacht in einer Stadt und nutzt die Stunden zwischen Ankunft und Nachtruhe oder zwischen Nachtruhe und Abfahrt für Stadterkundungen. Dabei ist natürlich keine Zeit, eine Stadt wirklich intensiv kennenzulernen, dass dies nicht das Ziel dieser Reise war, stellt der Autor aber auch von Anfang an klar. Es geht um die Eisenbahn und um Europa, um die verschiedenen Länder und Kulturen, die sich mit einem Interrail-Pass erkunden lassen; es geht um Einblicke in die Vielfalt der europäischen Kultur und deren Geschichte.
Brügge, Belgien, Mai 2023
Manche Orte, die Tom Chesshyre in diesem Buch besucht, habe ich selbst schon bereist. Das beginnt früh in seiner Reise, als er nach der Fährüberfahrt von Dover nach Calais den touristisch überlaufenen Ort Brügge besucht. Ich war selbst nur für einen Tagesausflug in Brügge und fand die Menschenmassen auch ziemlich anstrengend. In Maastricht lässt sich der Autor den Tisch zeigen, an dem 1992 der Vertrag von Maastricht – der Gründungsvertrag der Europäischen Union – unterschrieben wurde. Beeindruckt zeigt er sich vom Bahnhof Leipzig (mein Besuch in Leipzig 2017) und interessanterweise auch von der Effizienz der Deutschen Bahn, die in den letzten Jahren ja Ziel immer härterer Kritik geworden ist (ein Überblick zum Beispiel bei Deutschlandfunk Nova).
Katowice, Polen, April 2019
Einen Zwischenstop auf der Reise nach Osten legt er auch in Katowice ein, einer wie er selbst schreibt, wenig besuchten Stadt, die ein Teil meiner Polen-Reise im Jahr 2019 war. Dorthin transportierte mich seine Beschreibung des Spodek-Stadions „(im Volksmund Untertasse oder fliegende Untertasse genannt)“, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist.
Ljubljana, Slowenien, Jänner 2025
In Ljubljana besuchte der Autor auch das Eisenbahnmuseum, von dem ich leider nur die Außenbereiche sehen konnte, weil ich mit dem Hund nicht in die Gebäude durfte. Neidvoll lese ich, dass der Autor eine Runde mit einer Dampflok auf den alten Schmalspurschienen rund um den Lokschuppen fahren durfte.
Für mich war es faszinierend, wie nah und gleichzeitig fern sich diese Reise zeitlich anfühlte. Anhand eines Hinweises auf die Hochzeit von Prince Harry und Meghan Markle konnte ich seine Reise auf den Mai 2018 datieren. Das ist aktuell sieben Jahre her. Diese Reise hat der Autor also unternommen, bevor eine Pandemie (ab 2019/2020) die Welt entscheidend verändert hat, bevor Russland 2022 die Ukraine überfallen hat (obwohl die Annexion der Halbinsel Krim 2014 bereits ihre Schatten bis nach Odessa warf), bevor die Terrororganisation Hamas im Oktober 2023 einen Terrorangriff auf Israel unternommen hat. Eine Reise vor der Pandemie fühlt sich für mich wie eine Reise aus dem vorjährigen Jahrhundert an. Als der Autor dann einen Journalisten trifft, der an der Aufarbeitung der Paradise Papers (2016) mitgearbeitet haben will, kommt mir das hingegen vor, als wäre es gestern gewesen. Ich finde es sehr interessant, wie sich manche Ereignisse in der Erinnerung viel deutlicher verankern als andere.
Vollends unterstreichen kann ich den Abschlussappell des Autors: Steigt in einen Zug, lasst euch treiben und erkundet die Welt. Es ist gar nicht notwendig, in ein Flugzeug zu steigen und an weit entfernte Orte zu fahren, schon das Nachbarland bietet viel Interessantes zu sehen, wenn mensch mit offenen Augen und Ohren und mit offenem Herzen durch die Welt zieht.
CN: Es werden rassistische, antifeministische und homophobe Einstellungen der Epoche 1900–1930 thematisiert.
Ende November letzten Jahres besuchte ich mit dem Fotografen eine Fotoausstellung in der Galerie Westlicht (Bericht hier unter der Buchbesprechung). Der Fotograf musste sich natürlich auch die vielen Fotobildbände im Shop der Galerie ansehen. Also blätterte ich auch kurz durch die Bücher und dann fiel mir dieses in die Hände. Es handelt sich um einen Begleitband zur Ausstellung „Von der Pose zum Ausdruck. Theaterfotografie von 1900 bis 1930“ des Österreichischen Theatermuseums. Das Buch versammelt also Fotografien, die in dieser Ausstellung zu sehen waren und kombiniert sie mit Texten, die verschiedene Aspekte von Theater und Fotografie behandeln.
Es werden unterschiedliche Entwicklungsstufen der Fotografie behandelt, die mit ihren technischen Gegebenheiten die Möglichkeiten der fotografischen Aufnahmen prägten. Während frühe Theateraufnahmen ausschließlich im Atelier gestellt wurden (die Darsteller:innen durften sich nicht bewegen), konnten mit fortschreitender technologischer Entwicklung (inkl. besserer Beleuchtung der Theaterräume) auch tatsächliche Szenenbilder aufgenommen werden. Dabei fand ich interessant, dass die Fortschritte laut einem Text von Gerald Pfiffl zumeist aus der Riege der leidenschaftlichen Amateurfotograf:innen stammten:
Technische und bildmäßige Innovationen gingen immer von Amateuren und ihren Vereinen aus, denen vor allem der technische Fortschritt wichtig war. […] Das Gros der Berufsfotografen war dem konstant guten Bildergebnis verpflichtet. Sie konnten es sich nicht leisten, sich auf Experimente mit neuen Methoden einzulassen.
Im selben Text thematisiert Gerald Pfiffl auch eine Kontroverse bezüglich der Gestaltung von Theateraufnahmen aus dem Jahr 1926. Während der Amateurfotograf Hans Böhm sein System der Aufnahme von Szenenbildern mit Authentizität verteidigte, wurde er von Maximilian Kartitschnigg intensiv kritisiert. Kartitschnigg vertrat eine Position, die dem Fotografen einen wesentlichen gestalterischen Anteil an einer Fotografie zusprach. Er wollte das Licht für eine Aufnahme neu einrichten und überflüssige oder störende Elemente aus der Komposition entfernen. Ohne diese persönliche Einflussnahme wären die entstandenen Fotografien rein „technisch“ und nicht „künstlerisch“.
In dieser Phase der umfassenden Orientierungslosigkeit, geprägt von der Krise nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs, die gleichermaßen alte Werte und Wertesysteme ungültig macht, werden zugleich Möglichkeiten und Räume eröffnet, in Frage gestellt und Alternativen geschaffen.
Sehr interessant fand ich einen Textbeitrag von Julia Danielczyk, in dem es um „Problemstücke der zwanziger Jahre“ geht. Als problematische Themen werden hier unter anderem Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch, die sich verändernde Rolle der Frau und die Nutzung so genannter Schauobjekte angesprochen. Als Schauobjekte versteht die Autorin hier schwarze Statist:innen, während die weiße Hauptdarstellerin schwarz angemalt wird, um als – in der damaligen Diktion – „Halbblut-Negerin“ aufzutreten.
An diesem Text gefällt mir auch sehr gut, wie die Autorin aus den Bildern herausliest. Aus der Pose zweier Darsteller:innen liest sie zum Beispiel einen eindeutigen „Verweis auf eine außergewöhnlich gefährliche Macht dieser Unbekannten, inszeniert eine dämonische Stimmung“. Diese Art der Bildbeschreibung versuche ich selbst in meinem Alternativtexten umzusetzen und auch in Bilderzählungen, wenn ich etwas aus Urheberrechtsgründen nicht zeigen darf.
Julia Danielczyk thematisiert in ihrem Text auch die weiter oben beschriebene Unterscheidung zwischen Kunst und Technik und schlägt sich dabei auf die Seite von Maximilian Kartitschnigg. Für sie ist es ein besonderer Wert, wenn Fotos nicht nur als Dokumente der tatsächlich stattgefunden habenden Vorstellung dienen:
Das bedeutet die Reflexion der Wirkung des Bildes bei der Konzeption, so dass das Arrangement der Personen nicht dem zufälligen Moment eines Theaterabends unterlag, sondern gezielt für den Augenblick der Aufnahme eingerichtet wurde. Und genau hier tritt eine Duplizierung ein: Ziel ist die Inszenierung des Ausdrucks, die Zurschaustellung der großen, theatralischen Geste, die Abbildung, das Festhalten eines Zeitgefühls. Die Bilder verfügen über eine eigenständige Aussagekraft, über die Dokumentation einer Inszenierung hinaus. Sie stellen selbst gezielt inszenierte Posen dar.
Dazu bietet auch ein Text von Herausgeberin Barbara Lesak noch eine Verbindung an. Hier befasst sie sich mit Theaterexpressionismus und magischem Realismus in Berlin, einer Epoche, die nur von 1917 bis etwa 1924 dauerte, für die Theaterfotografie jedoch einen bedeutenden Fortschritt darstellte:
Die fotografische Abbildung und das Bildhafte der expressionistischen Szene standen in engster Beziehung zueinander. Fast schien es, als wäre die expressionistische Bildsprache nur dafür entworfen, um speziell ins fotografische Medium umgesetzt zu werden. In kongenialer Weise bedingten sie einander: Der Fotograf war konfrontiert mit einer ganz und gar künstlichen Welt, wie sie außerhalb der Theatermauern nicht vorzufinden war, und konnte daher exklusive und ungewöhnliche Bilder machen, während im Gegenzug dazu die expressionistische Scheinwelt in der fotografischen Abbildung an Realität und Glaubwürdigkeit gewann.
Trotz der Tatsache, dass ich mit dieser Epoche des Theaters bisher nur wenig Berührungspunkte hatte, fand ich auch einige für mich interessante Fakten:
Zwei Fotos aus einem Schauspiel namens „Chicago“ von M. Watkins, das tatsächlich die Grundlage für das spätere Musical ist. Sie wurden 1928 in den Wiener Kammerspielen aufgenommen und erinnerten mich sofort an das Musical. Auf dem ersten Foto ist eine der Protagonistinnen zu sehen, sie steht erhöht inmitten einer Gruppe von Männern in Anzügen, die ihr allesamt Geldscheine entgegen strecken. Darunter ein Foto aus dem Zellenblock, auf dem fünf Frauen in unterschiedlichen Positionen zu sehen sind.
Ein Text von Dagmar Saval beschäftigt sich mit Aspekten der Revue oder Revue-Operette. Diese in den 1920er-Jahren sehr beliebte Unterhaltungsgattung zeichnet sich unter anderem durch kreative Kostüme aus, weshalb dieser Text mit sehr interessanten Bildern illustriert ist. Darsteller:innen sind hier zum Beispiel als Parfumflakon und Lippenstift kostümiert. Spektakulär finde ich ein Bild einer Darstellerin, die als Stephansdom verkleidet ist (aus der Revue Alles aus Liebe von Karl Farkas und Ernst Marischka, Stadttheater, Wien 1927). Auf dem Kopf trägt sie den überdimensionalen Südturm des Stephansdoms, links und rechts ihrer Hüften erstreckt sich das Kirchenschiff mit dem charakteristischen Zickzack-Dachziegel-Muster. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sich diese Darstellerin noch bewegen konnte.
Im letzten Text fiel mir das (mir unbekannte) Wort Kubofuturismus ins Auge. Dazu Wikipedia:
Der Kubofuturismus ist eine Stilrichtung der Bildenden Kunst, die sich in Russland in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte. Dabei wurden Erfahrungen und Elemente des Kubismus und des Futurismus miteinander verschmolzen. Typisch für den Kubofuturismus ist die Zerlegung eines gegenständlichen Motivs in zylindrische Formelemente.
CN: Es wird von den Lebenserfahrungen verschiedener Künstler:innen berichtet, dazu gehören auch (chronische) Krankheiten, Gewalt und Suizid. Im Blog Post kommen diese Themen aber nicht weiter vor.
Dieses Buch habe ich 2022 bei meinem letzten Besuch in London gekauft, im Museumsshop des National Maritime Museum. Gerne hätte ich das Museum auch besucht, aber das Wetter war einfach zu schön und es gab zu viel zu sehen. Mit Kunst habe ich mich also vor drei Jahren schon befasst und spezifisch hatte mich offenbar die Frage im Titel dieses Buchs beschäftigt. Ich hatte schon einmal begonnen, es zu lesen, dann allerdings gemerkt, dass ich nichts mitnehmen konnte. Dann stand es eine Zeitlang im Regal, bis ich es nun in meinen Alltag und auf Reisen mitnahm und mir in meinem Notizbuch viele Zitate und Erkenntnisse aufgeschrieben habe.
Die Autorin Janetta Rebold Benton ist Kunsthistorikerin und beginnt mit einer Abgrenzung der in diesem Buch behandelten Kunst: Sie befasst sich mit den visual arts (bildnerische Kunst?) mit einem Fokus auf Gemälde und Skulptur und nimmt sich zum Ziel, die Fundamente zu analysieren, die allen Arten der bildnerischen Kunst zugrundeliegen. Dazu zählt sie ästhetische Prinzipien und Stile sowie Materialien und Techniken. Das Buch soll die Leser:in anleiten, einen Referenzrahmen zu entwickeln, der es ermöglicht, die in bildnerischer Kunst ohne Worte transportierten Konzepte zu verstehen. Der Kontext des jeweiligen Kunstwerks – die Epoche, die Lebensumstände des Künstlers/der Künstlerin, die vielfältigen Einflüsse, die das jeweilige Leben prägen – ist dabei essentiell, um die künstlerisch verarbeiteten Themen zu verstehen.
But is his Bull’s Head in a museum because it is art, because it is clever, or because it is by Picasso?
Wie viele andere bin auch ich schon vor Kunstwerken gestanden (oder habe sie in Medien gesehen), bei denen ich mir dachte: Das könnte ich aber auch und warum ist das Kunst und wer entscheidet überhaupt, was Kunst ist und was nicht? Dennoch sind meine Berührungspunkte mit Kunst in meinem Leben immer noch kaum mehr als ein Eintauchen des kleinen Zehs ins weite Meer. Meine eigene grafische Arbeit, die ich sowohl als Erwerbsarbeit als auch in ehrenamtlicher Form ausübe, habe ich immer ganz klar als Handwerk und nicht als Kunst bezeichnet und empfunden. Meine Werke hatten immer eine Funktion, die über purer Ästhetik oder kreativer Expression steht. Ich habe auch mit Künstler:innen zusammengearbeitet, deren kreative Expression im Widerspruch zu meinem persönlichen Empfinden von Ästhetik und/oder Funktionalität standen. Auf manche dieser Konflikte Meinungsverschiedenheiten blicke ich heute mit Interesse zurück.
Der Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk widmet auch die Autorin einige Gedanken. Laut ihren Angaben wurde das Konzept fine art im Europa des 18. Jahrhunderts definiert. Dabei wird auf eine hohe ästhetische Qualität wertgelegt. Angewandte Kunst (applied arts) wird mehr mit dem Erschaffen und Dekorieren von funktionellen Objekten in Verbindung gebracht.
In European academic traditions, fine art (or, fine arts) is made primarily for aesthetics or creative expression, distinguishing it from popular art, decorative art or applied art, which also either serve some practical function (such as pottery or most metalwork) or is generally of limited artistic quality in order to appeal to the masses. (Wikipedia)
Eine anderer Zugang zur Definition von Kunst betrifft die Intention, die hinter einem (Kunst-)Werk steht:
If the person who created the work did not consider it art, can it nevertheless legitimately be proclaimed to be art by curators and critics at a later date?
Spoiler: Diese und viele andere Fragen bleiben im Großen und Ganzen unbeantwortet, weil es wohl auch keine einfachen Antworten darauf gibt. Für mich bleibt die Erkenntnis, dass sich Kunst einfach nicht bis ins kleinste Detail erklären lässt. Müssen Kunstwerke schön sein? Sind sie mehr oder bessere Kunst, wenn sie bei der Betrachter:in starke Emotionen auslösen? Soll ein Kunstwerk der Betrachter:in alles sagen, alles klar und deutlich zeigen oder versteht die betrachtende Person mehr davon, wenn sie sich tatsächlich mit dem Werk intensiver befassen und auseinandersetzen muss? Dazu gibt es auch ein Zitat von Edgar Degas, das mir in einem anderen Umfeld während der Lektüre dieses Buchs über den Weg gelaufen ist (The Socratic Method analysiert dieses Zitat von einem philosophischen Standpunkt her, ich könnte diesen Text immer wieder lesen):
Art is not what you see, but what you make others see.
Schon relativ zu Beginn des Buchs war mir aufgefallen, dass klassische Kunst schon gehörig eurozentristisch bzw. westlich daher kommt. Später im Buch betont die Autorin konkret, dass Menschen „open-minded“ an die Werke herangehen und sich auch mit unbekannten Kulturen, Zeiten und Ideen einlassen sollen. In diesem Zusammenhang erklärt sie auch, dass die Bewertung von „craft“ oder „folk art“ als weniger wertvoll eine rein westliche Einstellung ist, die in den Kulturen, auf die diese Bewertung angewandt wird, unbekannt ist. Auch wenn der Fokus der in diesem Buch gezeigten und erläuterten Kunstwerke auf den Werken europäischer Männer liegt, wird zumindest versucht, den Blick zu öffnen und auch weniger bekannten Kulturen einen Raum zu geben.
Im Anschluss folgen noch ein paar Zitate, die ich für mich selbst hier zum Nachschlagen aufheben möchte (jedes Zitat stammt aus dem Buch):
“[…] art is not a science.” (Seite 38)
Renaissance: “Now believing that artistic inspiration was divine in origin, society regarded artists as favoured by God and thus different from other people.” (Seite 24)
Tradition vs. innovation: “Is ist possible to create art according to rules and theories, […]?” (Seite 27)
Basic elements of visual art: colour, line, texture, light, space, composition (made up of balance, proportion, unity), emotion (Seite 38)
“If line pleased the mind, while colour pleased the eye, was the purpose of painting to educate and elevate our intellect or to provide visual pleasure?” (Seite 43)
Mosaic: “The mosaicist varied the size of the tesserae, using smaller pieces for the faces then for the background.” (Seite 72)
“The term decorative arts refers to items that have both aesthetic beauty and practical purpose. Included are enamel work, stained glass, tapestry, ceramics, jewelry and furniture.” (Seite 85)
“The French term for still live is nature morte, literally ‘dead nature’” (Seite 107)
“Pop Art does not oppose or criticize. Instead, Pop Art encourages the viewer to look at ordinary things with fresh eyes.” (Seite 160)
“[…] abstract art has no connection to the visible world” (Seite 62)
“The viewer’s role in interpreting non-representational art is personal and cerebral, for without definite clues from the artist, each individual’s understanding of the artwork will vary. The viewer must make an effort to arrive at an interpretation and may therefore get more out of participating in the process than by being a passive, unquestioning observer.” (Seite 122)
“Abstract art appeals to our emotions, memories and experiences – what is deeply moving for one person may be meaningless to another.” (Seite 122)
In meiner Leseliste habe ich übrigens auch ein Buch mit dem Titel How To Enjoy Art, das ich bisher immer vor mir her geschoben hatte, weil ich ja zuerst die Kunst verstehen müsste (dachte ich). Außerdem habe ich gerade einen neuen Versuch gestartet, mehr Kreativität (und vielleicht sogar Kunst?) in meinen Alltag zu bringen. Es ist also gut möglich, dass es hier bald mehr Erkenntnisse Gedanken über Kunst zu lesen gibt.
Dieses Buch hab ich vor einigen Jahren bei einem sommerlichen Besuch im nordwestlichen Niederösterreich bei einem Flohmarkt aufgegriffen. Der Titel hat mich einfach gepackt (vielleicht war ich auch hungrig …). Der Untertitel „Die wundersamen Zutaten der modernen Küche“ gibt einen deutlichen Hinweis auf die Inhalte des Buchs, was sich jedoch erst Seite für Seite erschließt.
Ernährungsinformationen aus einem 26 Jahre alten Buch (Veröffentlichung der Erstausgabe 1999) sind sowieso nur mit Vorsicht zu genießen.1 Erschwerend kommt für mich hinzu, dass der Autor zwar oft nationale oder internationale Organisationen (zB Deutsche Gesellschaft für Ernährung oder die von WHO und FAO gegründete Codex Alimentarius Commission), Medien (zB Handelsblatt), Gesetzestexte (zB das deutsche Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz [LMBG], heute Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch) oder Personen aus Handel und Industrie direkt oder indirekt zitiert, nachprüfbare Quellenangaben jedoch weitläufig fehlen. Genau genommen fehlen sie nicht direkt, es gibt ein Quellenverzeichnis im Anhang, nur ist leider nicht nachvollziehbar, welche Informationen welcher Quelle zuzuordnen sind.
Das Buch spart nicht mit Kapitalismuskritik und lässt auch an den regulatorischen Vorschriften der Europäischen Union und den Aktivitäten der Lobbyist:innen kein gutes Haar. Allerdings bleibt unausgesprochen, dass die im Buch gegebenen Ernährungsempfehlungen selbst für Menschen, die in „Wohlstandsländern“ leben, oft gar nicht umsetzbar sind. Das zeigt sich schon daran, dass an einer Stelle empfohlen wird, den Konsum von tierischem Eiweiß auf ein bis zwei Mal die Woche zu beschränken; an anderer Stelle wird angegeben, dass es sinnvoll sei, zwei Mal die Woche Seefisch zu essen, um den Jodbedarf zu decken. Dass Menschen in armen Binnenländern wohl kaum zwei Mal die Woche Seefisch essen können, wird nicht thematisiert.
Herzlich lachen musste ich bei diesem Zitat, wo es darum geht, dass der Import eines Johannisbeerlikörs verboten werden sollte, weil er zu wenig (!) Alkoholgehalt hatte. Es gewann jedoch die Argumentation einer großen Lebensmittelkette, die mit der „Wahlfreiheit des Verbrauchers“ argumentierte (ausführlich bei Wikipedia unter Cassis-de-Dijon-Entscheidung):
Der Europäische Gerichtshof in Den Haag folgte dieser Auffassung und verwies darauf, dass alkoholärmere Spirituosen tendenziell besser für die Volksgesundheit seien. Genießer könnten nun ein Originalprodukt mit weniger Alkoholgehalt zu sich nehmen.
Interessant fand ich etwa die (formulierte) Unterscheidung zwischen natürlichen, naturidentischen und künstlichen Aromen:
Natürliche Aromastoffe werden durch physikalische (Destillation, Extraktion) oder enzymatische bzw. mikrobiologische Verfahren (Fermentation) produziert. Ausgangsstoffe müssen vom Menschen verzehrbare Waren sein.
Naturidentische Aromastoffe hingegen werden durch chemische Verfahren gewonnen. Sie sind von der Formel her identisch mit ihren natürlichen Vorläufern. […]
[Bei künstlichen Aromastoffen] handelt [es] sich um Substanzen, welche eine Geschmacksverbesserung bewirken, die aber nicht Bestandteil von Lebensmitteln sind.
Manche Informationen sind natürlich offensichtlich überholt (das Kapitel über Gentechnik habe ich übersprungen, da habe ich neuere und bessere Informationen aus anderen Quellen), andere zeigen, dass sich die Welt nicht so schnell verändert, wie wir oft denken oder fühlen. Monsanto hat schon in den 1990er-Jahren versprochen angekündigt, durch genmodifiziertes Saatgut den Herbizid-Verbrauch des bis heute umstrittenen Glyphosats zu reduzieren. Ein Verbot innerhalb der EU wurde jedoch bis heute nicht umgesetzt.
Natürlich erscheint uns das vermehrte Auftauchen des Begriffes »natürlich« ein wenig übernatürlich. Aber das liegt natürlicherweise wohl in der Natur der Sache. Die Umschreibung »traditionelles Produkt«, hergestellt »mit modernen Mitteln«, ist jedenfalls ein brillanter dialektischer Kunst- (bzw. Natur-)griff.
Achtung Spoiler: Im nächsten Absatz folgt die Auflösung der Titelfrage.
Backmittel sorgen für die jahrein, jahraus gleichmäßige Teigherstellung. Emulgator-Backmittel aus Lecithin, Mono- und Diglyceriden, Glycolipide, Phospholipide oder Diacetylweinsäureester machen die Pizza tiefkühlsicher und mikrowellenbereit. […] Die Pizzasauce erhält ihre kälte- und hitzestabile, sämige Konsistenz durch modifizierte Stärke.
#12in2025: 4/12
Leider kann ich nicht versprechen, mir weitere Plattitüden zu verkneifen. ↩︎
Der Autor gibt übrigens im abschließenden Satz zur Tiefkühlpizza zu, dass sie ihm trotz Kenntnis der vielen Ergänzungsstoffe trotzdem schmeckt. ↩︎
CN: sexuelle Handlungen, Gewalt, Mordkomplott, Vernachlässigung eines Tiers (bis zum Tod), Sexismus
Nur wenn wir an Dylans Wort glauben, werden wir den Weg ins Licht finden. Es ist gänzlich egal, was auf dieser Welt passiert, es zählt allein die Erlösung, die auf uns wartet, wenn wir unbeirrt seinen Aussagen folgen.
Aus der Reihe: Gelesen wegen eines Literatur-Geocaches. Nach Ende der Lektüre bin ich ehrlich enttäuscht. Das hätte eine echt gute Geschichte werden können. Die Idee, dass eine Gruppe von Bob-Dylan-Anhänger:innen aus dessen Texten Befehle für das Weltgeschehen ableitet, verspricht viel Potenzial. Zu Beginn wird äußerst unterhaltsam argumentiert, mit welchen Textbestandteilen Bob Dylan etwa den Fall der Berliner Mauer oder den Erhalt des Nobelpreises für Literatur vorhergesagt haben soll. Selbst als der Protagonist (er teilt den Namen des Autors) von einem fanatischen isländischen Professor nach Washington D.C. geschickt wird, um dort mit Hillary Clinton an einem Mordkomplott gegen Donald Trump zu arbeiten, überwiegt noch der Unterhaltungsaspekt. Die Auflösung jedoch hat mich nicht überzeugt und das gilt auch für viele andere Teile der Geschichte.
Der Protagonist Stefan Kutzenberger stolpert durch die Geschichte, philosophiert immer wieder über das eigene Leben und die (Fehl-)Entscheidungen, die ihn dorthin geführt haben, wo er sich nun befindet. Dieses Philosophieren bringt ihn möglicherweise zur letztendlich moralisch richtigen (?) Entscheidung, kann aber zumindest die aus meiner Sicht völlig unnötigen Ereignisse wie den Tod des Kalbs oder die Episode im Bettkasten nicht ausgleichen. Dieser planlose Stefan Kutzenberger hat mehr schlechtes Gewissen, weil er einem Hotelpagen mangels (US-$-)Bargeld kein Trinkgeld geben kann, als wegen des verhungerten Kalbs. Dass er dann auf einmal entdeckt, dass von seiner Hand kein Mensch sterben darf, ist für mich nicht ausreichend nachvollziehbar.
Die Anhänger:innen der Bob-Dylan-Gesellschaft halten Kutzenberger für „auserwählt“ aufgrund von Fakten, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen eine herrliche Verschwörungstheorie einen mehr oder weniger überzeugendenVerschwörungsmythos ergeben. Von dieser satirischen Grundidee hätte ich gerne mehr gelesen und dafür weniger männliches Phantasieren über die Bedeutung des eigenen Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nichtsdestotrotz empfinde ich tiefes Mitleid mit dem Autor: Die aktuelle zweite Amtszeit Donald Trumps muss sich mit diesem Buch im eigenen Portfolio noch viel schlimmer anfühlen, als sie es ohnehin schon ist.