Categories
English Fantasy Roman

N. K. Jemisin – The Fifth Season

CN: Rassismus, Gewalt, Tod, Mord, Folter


“You think you matter?” All at once he smiles. It’s an ugly thing, cold as the vapor that curls off ice. “You think any of us matter beyond what we can do for them? Whether we obey or not.”

Für den Jahresanfangsurlaub hatte ich mir vom Radfahrer ein Buch erbeten. Ich hatte an ein anderes gedacht, er hat mir dann dieses vorgeschlagen und ich kann es nicht erwarten, den zweiten und dritten Teil zu lesen. Jeder Teil dieser Trilogie wurde separat mit einem Hugo Award ausgezeichnet und das (vermutlich) völlig zu recht. Der erste Teil hat mich jedenfalls sehr in diese Welt hinein gerissen. Der Cliffhanger am Ende ist äußerst unerfreulich. Zum Glück habe ich den zweiten Teil bereits hier und der Radfahrer liest gerade den dritten Teil, sodass ich bald erfahren werde, wie die Geschichte weiter geht.

Am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich in die Gegebenheiten dieser Welt einzulesen, die gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen. Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt und entfaltet sich auch auf unterschiedlichen Zeitebenen. Zentral ist die Existenz von Menschen, die besondere Kräfte haben, so genannte Orogene. Bereits als Kind haben sie diese Kräfte, können sie jedoch nicht kontrollieren und dadurch ungewollt großen Schaden anrichten, weshalb sie oft verbannt oder ermordet werden, wenn ihre Kräfte in Erscheinung treten. Einen Ort gibt es jedoch, wo diese Menschen ausgebildet werden, um ihre Kräfte zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Dort werden sie gleichsam von Guardians bewacht. Dass sich dahinter ein System an struktureller Ausbeutung verbirgt, wird im ersten Buch immer wieder angedeutet bzw. hinterfragt (siehe obiges Zitat), es bleibt aber vieles im Unklaren.


Ein großartiger Start in eine Trilogie, die eine interessante Fantasiewelt mit starken und differenzierten Charakteren bevölkert. Ich bin begeistert und freue mich schon sehr auf den zweiten und dritten Teil.


In den Weihnachtsferien hatte ich das Glück, Kind5 und Kind6 in die aktuelle Mitmach-Ausstellung „Kunst und Spiel“ im Zoom Kindermuseum begleiten zu dürfen. Museumspädagogik ist ja ein Nischenbereich, der mich seit meines (inzwischen abgebrochenen) Bildungswissenschaftsstudiums immer wieder anzieht. Die Mitmach-Ausstellungen sind daher für mich auch eine Gelegenheit, zu beobachten, wie die Mitarbeiter:innen die Ausstellungsobjekte erklären und vermitteln und wie die Kinder verschiedenen Alters das Angebot annehmen.

Für mich war es die dritte Mitmach-Ausstellung, davor hatte ich bereits „Von Kopf bis Fuß“ zum Thema Körper (mit Kind3 und Kind4) und „Mit und ohne Worte“ zum Thema Kommunikation (mit Kind5) besucht. Im Vergleich muss ich leider sagen, dass mir bei der aktuellen Ausstellung des Öfteren der Bezug zur Kunst gefehlt hat, auch Kind5 hat gefragt, was dieses oder jenes denn nun mit Kunst zu tun hatte. Das Thema ist zweifellos sperriger als die Themen der beiden Ausstellungen, die ich vorher schon gesehen hatte. Gleichzeitig ist Spiel in einem Kindermuseum sowieso irgendwie immer mitgedacht. Vielleicht hätte es hier mehr Erklärung der Zusammenhänge gebraucht.

Gleich neben dem Eingang ist ein Schiff aufgebaut, in dem die Kinder herumklettern und von dessen Deck sie Papierflieger in den Raum starten lassen können. Weiter hinten im Raum befindet sich eine Kegelbahn. Erst kurz vor Ende unserer Zeit in der Ausstellung wurde mir klar, dass die Art, wie die Kugel auf die Kegel trifft, in den neben der Bahn an der Wand befindlichen Bilderrahmen als generative Kunstwerke dargestellt wird. Eine großartige Verbindung von Kunst und Spiel, die aber leider null erklärt wurde.

ein Regal mit Basteleien aus Knetmasse, von oben hängen an Schnüren Sonne und Planeten herab, an der hinteren Wand aus Knetmasse geformten Buchstaben das Wort „Weltraum“, unten eine bunte Landschaft mit mittig einem grünen Alien

In einem etwas abgetrennten Bereich können sich große und kleine Besucher:innnen mit Knetmasse austoben. Da hat sich mein inneres Kind ganz ordentlich gefreut. Auf den umstehenden Regalen waren unzählige Werke früherer Besucher:innen ausgestellt, teilweise thematisch gruppiert zum Beispiel „Essen“ oder „Weltraum“.

Im hintersten Raum waren Boden, Decke und Wände mit einem schwarz-weißen Raster tapeziert. An einem langen Tisch konnten die Kinder aus Bierdeckel-großen Kartonscheiben ihre eigenen Kreisel gestalten. Der Twist: auf dem Tisch waren Drehscheiben befestigt, darin eine Vertiefung für die Kartonscheiben. Wenn nun die Kartonscheibe auf der Drehscheibe gedreht wird, kann mit einem Stift von oben ein Spiralmuster auf der Kartonscheibe erzeugt werden. Anschließend werden die Kartonscheiben gelocht und mit einem Holzstab zu einem Kreisel verwandelt. Beim Drehen verwischen die Farben miteinander, das Auge kann aufgrund der Bewegung die einzelnen Farben nicht mehr unterscheiden. Hier wurden die Kinder vom Personal auch auf das Mischen von Farben miteinander aufmerksam gemacht.

auf einer goldenen Tischplatte liegen bemalte Kartonscheiben in verschiedenen Farben, teilweise mit Holzstäben zu Kreiseln gebastelt

Im schwarz-weiß-gerasterten Raum gab es in der Mitte auch noch einen versteckten Geheimraum (den wir ohne den Hinweis eines Mitarbeiters vermutlich nicht gefunden hätten). Darin erzeugten Spiegel eine Unendlichkeitsillusion. Hat mir mehr Spaß gemacht als den Kindern, die waren in aller Kürze schon wieder draußen.

Im abschließenden Gespräch mit den Mitarbeiter:innen fanden wir dann heraus, dass es wohl noch eine versteckte Spielebene gab, in der das anfangs erwähnte Schiff vor irgendeinem Unglück gerettet werden musste. Ein geheimes Rätsel, das mich vermutlich auch interessiert hätte, hätte ich auch nur irgendwas davon mitbekommen.

Insgesamt fand ich das Thema „Kunst und Spiel“ sehr spannend, wir haben wohl auch nicht alles gesehen bzw. ausprobiert (ich hätte auch gern ein Bild gekegelt, aber die Kegelbahn war konstant belagert). Die Ausstellung ist noch länger zu sehen, auf der Webseite steht aktuell kein Enddatum. Die nächste Mitmach-Ausstellung soll sich dann mit dem Thema „Donau“ befassen, so wurde uns zum Abschluss verraten.

Categories
Roman

Julia Armfield – Our Wives Under The Sea

CN: Anxiety, Suizid, Trauma


The ocean, I had to remind myself, was a place I felt safe and thinking about the ocean was the method by which I felt safest.

Leider wurde dieser Blog Post durch die insgesamte Überforderung der letzten Woche verschleppt. Gerade habe ich mir nochmal die Empfehlung für dieses Buch durchgelesen, um herauszufinden, was mich daran so interessiert hat. So würde ich das Buch ganz und gar nicht beschreiben … und dann passt es vielleicht wieder doch:

Leah is a marine biologist who is used to undersea expeditions, but when she and her colleagues embark on what should be a routine field excursion, their vessel sinks and they are stuck at the bottom of the ocean for months. When Leah finally gets free and returns home to her worried and loving wife, Miri, she is changed. The woman Miri once loved is now comprised of silence, darkness, and weight, refusing to reveal what happened under the water, turning inward and away from Miri. Our Wives Under the Sea meditates on whether it is possible to share the full truth of our hearts with others, what it means to leave, and most of all, what it means to stay. –JH (Lithub)

Das Buch wird zum großen Teil erzählt von der zurückgebliebenen Miri, die ihre Frau Leah vermisst und von der Organisation, die diese Forschung betreibt, keinerlei verwertbare Informationen erhält. Kurze Zwischenteile werden aus Leahs Perspektive erzählt, daraus erfahren die Leser:innen, was Miri bis zum Ende des Buchs nicht weiß: Leah, Jelka und Matteo sind auf ihrem Forschungstrip damit konfrontiert, dass plötzlich alle Steuerungsmechanismen ihres U-Boots ausfallen. Das Gefährt sinkt zum Meeresboden. Die drei Forscher:innen können aufgrund der Vorräte und des Wasser- und Luftfiltersystems monatelang in dieser Situation ausharren. Aber wie sollen sie gerettet werden? Sie befinden sich in einer Tiefe, die nur von wenigen Gefährten überhaupt erreicht werden kann. Und wie sollen sie gefunden werden, wenn sie nicht kommunizieren können?

The comms went out before the system died, like they switched us off externally. We know all this, we know this.

Die Uhren bleiben stehen, die drei wissen längst nicht mehr, wie viel Zeit schon vergangen ist, seit die Steuerung ausgefallen ist. Sie leben in einer Eintönigkeit von Essen, Trinken und Schlafen, die immer deutlichere Spuren hinterlässt. Der Verdacht, dieser technische Fehler könnte von der Organisation absichtlich herbeigeführt worden zu sein, um an ihnen zu experimentieren, kann nicht bestätigt werden. Jedoch weist auch Miris Kommunikation nach Leahs Rückkehr, wo es um Therapien und Versicherungen geht, deutlich daraufhin, dass hier vieles nicht in Ordnung ist.

Nach monatelanger Abwesenheit ist Leah zurück bei Miri. Aber sie ist nicht mehr dieselbe Leah (Miri: my Leah). Sie ist abwesend, kann über das Erlebte nicht sprechen, scheint sich auch kaum noch an die Zeit vor ihrem Aufenthalt auf dem Meeresboden zu erinnern. Das Erlebte steht wie eine Mauer zwischen Miri und Leah. Während Miri versucht, die Verbindung aufrecht zu erhalten, scheint Leah Stück für Stück zu verschwinden.

Erwähnen möchte ich auch, dass die lesbische Beziehung von Miri und Leah hier in keiner Form zum Thema wird. Es ist einfach eine Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen. Es sollte nicht notwendig sein, das hervorzuheben, es ist mir jedoch trotzdem wichtig.

Ein Fazit fällt mir schwer. Bildet euch eure eigene Meinung.

Categories
Roman

Elena Ferrante – Frau im Dunkeln

CN dieses Buch: sexuelle Handlungen, Gewalt
CN dieser Post: –


Ich schlug ein Buch auf, aber inzwischen empfand ich ein Wirrwarr feindseliger Gefühle, die sich mit jedem Ansturm neuer Geräusche, Farben, Gerüche weiter verstärkten.

Elena Ferrante habe ich auf Lithub entdeckt, wo viel geschrieben wurde über ihr Pseudonym, ihre(n Wunsch nach) Anonymität und die übergriffigen Versuche von Stalkern (anders kann ich das wirklich nicht nennen), die versuchten, ihr Geheimnis zu lüften. Ihre Neapolitanische Saga war zu diesem Zeitpunkt in den Online-Bibliotheken nicht verfügbar (und es ist es auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig). Daher setzte ich mir ihren Debütroman auf die Leseliste.

Das überschaubare Werk spielt in einer italienischen Küstenstadt, in der die Protagonistin Leda urlaubt. Die Leser*in erfährt, dass Leda allein auf Urlaub ist, ihre erwachsenen Töchter sind vor Kurzem zum getrennt lebenden Vater nach Kanada gezogen. Aus Ledas Betrachtung einer neapolitanischen Großfamilie, die am selben Strand ihre Zelte aufschlägt, schält sich Stück für Stück die gespaltene Beziehung heraus, die Leda zu ihren Töchtern und vor allem zu ihrer eigenen Mutterschaft hat. Ihre jungen Töchter hat sie als Belastung empfunden, so sehr, dass sie sie für drei Jahre verlassen hat, um ihrem eigenen Leben nachzugehen.

Die Geschichte illustriert deutlich den Konflikt, dem Mütter immer ausgesetzt sind, egal, wie fortschrittlich und frei sie sich selbst vor der Geburt der Kinder fühlen: Darf eine Mutter eigene Bedürfnisse haben oder macht sie das automatisch zur Versagerin? Ist völlige Selbstaufgabe die einzige Möglichkeit, als gute Mutter zu gelten und vor allem sich selbst als solche zu fühlen? Aus Leda spricht unendliches schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht in der Lage sah, diesen Erwartungen gerecht zu werden. In der Bekanntschaft zur jungen Mutter Nina erlebt sie erneut ihre eigenen Zweifel und Kämpfe gegen gesellschaftliche Vorgaben.

Auch wenn dieses Thema bei Weitem nicht neu ist, scheint mir dieser Blickwinkel (eine Mutter, die tatsächlich ihre Kinder verlassen hat) eher selten im literarischen Diskurs zu sein. Die Tatsache, dass hauptsächlich Frauen hier im Mittelpunkt stehen und die männlichen Figuren kaum mehr als Statisten abgeben, hat mir auch gefallen.

Categories
Roman

Selja Ahava – Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

CN dieses Buch: Andeutung sexueller Handlungen, Demenz, Sterben, Tod, Verlust, Trauer
CN dieser Post: Demenz


Jemand schlich ihr hinterher, leise und unabweislich, und aß Stücke ihres Gedächtnisses auf. Wo Stücke fehlten, wurden Steine hineingestopft, und dann wurden die Löcher zugenäht. Darum kollerte und klapperte es in ihr, sie fühlte sich ausgehöhlt.

Dieses Buch habe ich in der Reihe finnische Literatur-Geocaches gefunden. Interessant ist bei diesen Büchern immer, dass ich vorher absolut keine Ahnung habe, was mich eigentlich erwartet. Bisher (Tommi Kinnunen – Wege, die sich kreuzen, Johanna Sinisalo – Finnisches Feuer) war es immer interessant und auch irgendwie besonders.

Das zeichnet auch dieses Buch aus. Da ich die ersten drei Antworten für den Literatur-Geocache gleich mal überlesen habe (bei diesen Literatur-Geocaches passiert mir das häufiger, weil die Formulierungen so gewählt sind, dass sich nicht einfach nach den Antworten suchen lässt), durfte ich auch den Beginn zum Abschluss nochmal lesen, was einige Klarheit in die Geschichte gebracht hat.

Protagonistin Anna erzählt aus ihrem Leben, vom Leben mit ihrem Mann Antti auf der Insel, vom Leben nach seinem unerwarteten Unfalltod, von der Einsamkeit und Trauer, von der Demenz, die schließlich Stück für Stück ihr Gedächtnis und ihre Erinnerungen auffrisst. Die Demenz wird nicht nur aus der Perspektive der betroffenen Person erzählt, sie wird auch in der Sprunghaftigkeit der Episoden, dem Wechsel zwischen Erinnerung und (scheinbarer) Gegenwart verdeutlicht. Was zu Beginn des Buches verwirrend wirkt, löst sich gegen Ende auf: gerade diese Verwirrung ist es, die in der Struktur des Textes zum Ausdruck kommen soll. Somit lässt die Autorin die Leser:in selbst erleben, wie sich die Verwirrung und der Verlust des eigenen Lebens anfühlen können.

Categories
English Sachbuch

Helen Scales – The Brilliant Abyss

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


Dieses Buch ist mir versehentlich unter gekommen. Auf meine Liste hatte ich tatsächlich ein anderes zum selben Thema geschrieben (Below the Edge of Darkness: A Memoir of Exploring Light and Life in the Deep Sea) und als ich dieses Buch dann in der Liste der Neuerscheinungen in der OverDrive Library sah, kam es zu einer folgenschweren Verwechslung. Wobei die Folge wohl eher sein dürfte, dass ich beide Bücher lesen werde, weil das Thema einfach sehr interessant ist.

Helen Scales beschäftigt sich in diesem Sachbuch mit den Tiefen des Ozeans. Der tief gelegene Meeresgrund wird als letzte Wildnis auf unserem Planeten beschrieben (the last frontier), als von Menschen weitgehend unberührte Natur, in der sich Lebewesen tummeln, wie wir sie uns kaum vorstellen können. Manche von uns haben vielleicht ein Bild von einem Tiefsee-Anglerfisch im Kopf. Viele andere Lebewesen in der Tiefsee sind jedoch viel kleiner und weniger bedrohlich, aber deshalb nicht weniger interessant. Das Buch erzählt von knochenfressenden Bakterien, die auf Walkarkassen leben, biolumeniszenten Mikroorganismen, die bei Nacht aus der Twilight-Zone an die Oberfläche schwimmen, um sich zu ernähren; von Quallen und anderen Arten, die aufgrund ihrer körperlichen Fragilität schwierig zu fangen und zu studieren sind und von den Gefahren, die diesen Ökosystemen drohen.

After specimens have been brought up from the deep, microbiologists take mashed extracts and test them to see whether they might halt cancers or neurodegenerative diseases, or to see if they kill specific pathogens, such as those that cause malaria and tuberculosis.

Besonders interessant fand ich auch das Kapitel, das sich mit der Nutzung von Tiefseeorganismen in der medizinischen Forschung beschäftigt. Neu entdeckte Arten werden im Labor daraufhin getestet, ob ihre genetischen Codes gegen bekannte Krankheiten wirksam sein könnten.

‘The MSC doesn’t certify sustainable fisheries, it certifies managed fisheries.’ The two, as Le Manach points out, are not necessarily the same. […] Nothing prevents a fishery from picking a certifier that has a good track record in giving favourable outcomes, which creates an incentive for certifying agencies to leniently interpret the MSC’s standards. The certifier gets paid; the fishery gets its eco-label.

Informativ fand ich auch die detaillierten Einblicke in die Organisationen, die sich mit dem Schutz und der Regulierung des Meeres befassen. Noch nie gehört hatte ich etwa von der International Seabed Authority. Das MSC-Siegel (Marine Stewardship Council) wiederum kenne ich von den gefrorenen Fischprodukten im Supermarkt, habe mich aber noch nicht im Detail damit beschäftigt, was dieses eigentlich konkret aussagt. Die Autorin hat diesbezüglich mit Expert:innen gesprochen und unterschiedliche Perspektiven beleuchtet. Die Problematik dabei ist, dass ein Gütesiegel nur so gut sein kann, wie die Standards, nach denen es vergeben wird. Wenn diese Standards bei der Zertifizierung dann noch lasch interpretiert werden, dann bleibt von dem gut gemeinten Hintergrundgedanken in der Praxis nicht mehr viel übrig. Gütesiegel können daher eigentlich nur das Gewissen beruhigen, entbinden uns aber nicht von der Verantwortung, uns selbst darüber zu informieren, welche Arten von Überfischung betroffen oder bedroht sind.

Leider musste ich beim Lesen dieses Buchs feststellen, dass die Libby-App bei einem Sachbuch dieser Art an ihre Grenzen stößt.

  • Der Inhalt verweist auf Fußnoten und Quellen, beides ist mit Hochzahlen markiert, somit kann die Leserin nicht unterscheiden, ob die aktuelle Zahl nun auf eine Fußnote oder auf eine Quelle verlinkt.
  • Die Zahlen verlinken auf die jeweiligen Seiten mit der Zusatzinformation, jedoch sind sie teilweise unfassbar schwer zu treffen. Selbst in der größten Schrifteinstellung brauchte ich manchmal mehrere Versuche, bis ich die Zahl so antippen konnte, dass auch tatsächlich der erwünschte Effekt eintritt.
  • Das Buch beinhaltet auch Abbildungen von Tiefseetieren, darauf bin ich jedoch nur aus Zufall gestoßen. Auf die Abbildungen wird nicht verwiesen und auch nicht verlinkt, sie sind allesamt am Ende des Buchs nach den Quellen versammelt und gehen somit komplett unter.

Bei Romanen sehe ich eigentlich schon lange keinen Grund mehr, diese auf Papier zu lesen. Bei Sachbüchern schaut die Lage aus unter anderem den oben genannten Gründen dann doch noch anders aus.

Categories
English Roman

Mitch Albom – The Stranger in the Lifeboat

CN dieses Buch: Sterben, Unfall
CN dieser Post: Sterben, Unfall


At that moment, I sensed my insignificance more than at any other moment in my life. It takes so much to make you feel big in this world. It only takes an ocean to make you feel tiny.

Von Mitch Albom habe ich schon einiges gelesen (Dienstags bei Morrie und One More Day vor dem Beginn dieses Blogs, Der Stundenzähler, The First Phone Call from Heaven und zuletzt The Magic Strings of Frankie Presto). Was in seinen Büchern und Geschichten niemals fehlt, ist die Frage nach der eigenen Bedeutung im Gesamtgeflecht der Welt und der Dehnbarkeit der Zeit. Das spezielle Thema dieses Buchs ist jedoch das Überleben.

It had survived. And witnessing survival can make us believe in our own.

Nach einem Schiffsunglück finden sich einige Überlebende in einem Rettungsboot wieder. Während sie auf ihre Rettung warten, ziehen sie einen weiteren Schiffbrüchigen aus dem Meer, den jedoch keine:r von ihnen je auf der gesunkenen Yacht gesehen hat. Der Fremde stellt sich als Gott vor. Stück für Stück zeigt sich, wie die einzelnen Personen mit ihrer düsteren aber nicht aussichtslosen Situation umgehen. Während die eine alles tut, um das Überleben der anderen zu sichern, gibt sich der andere dem Glauben an die Rettung hin, die ihm aufgrund seiner hohen Stellung ja wohl zusteht. Während der eine an alles glauben möchte, was ihm das Überleben sichert, will die andere keinesfalls von ihren bisherigen Lebenseinstellungen abweichen. Das Thema Überleben hat mich an ein anderes Buch erinnert: Travelling with Ghosts.

This was the story he told himself, and the stories we tell ourselves long enough become our truths.

In einer parallelen Zeitlinie wird das leere Rettungsboot über ein Jahr nach dem Unfall am Strand einer karibischen Insel gefunden. Es gibt keine Spur von jeglichen Überlebenden. In einer Tasche des Rettungsboots findet der örtliche Polizeikommandant das Tagebuch, das Benji, einer der Überlebenden, an Bord geführt hat und das die Leser:innen abwechselnd mit Nachrichtenschnipseln über die vermissten Personen und den Nachforschungen des Polizeinspektors zu lesen bekommen. Dieser rasche Wechsel zwischen kurzen Kapiteln aus mehreren Perspektiven wirkte auf mich stellenweise zerfleddert. Vielleicht ist das aber auch ein bewusster stylistischer Mechanismus, um die Zerfaserung des (Über-)-Lebens auch in der geschriebenen Sprache zu verdeutlichen. Letztendlich gibt es nur den einen Weg, wie Überleben funktionieren kann:

Survive this voyage. And once you do, find another soul in despair. And help them.

Categories
Erfahrungsbericht Memoir

Torre DeRoche – Love with a Chance of Drowning

CN dieses Buch: –
CN dieser Post: –


You’ll never feel a hundred percent ready. You just have to go.

Wenn mich jetzt mal wieder die Reiselust packt, dann greife ich meistens zu einem der vielen Reisebücher, die ich auf meiner Liste gesammelt habe. In diesem Buch beschreibt die Autorin, wie sie ihren Partner Ivan kennenlernt, der gerade eine ausgedehnte Segeltour im Südpazifik vorbereitet. Obwohl sie mit dem Segeln bisher keine Berührung hatte und auch die Seekrankheit sie sehr plagt, entschließt sie sich schließlich zum Sprung ins kalte Wasser: Sie wird Ivan auf seinem Trip begleiten.

I did it! It seems so hard to believe. All of the pain, discomfort, and torture it took to get here is beginning to face. I faced my greatest fears and I’m still alive. The buzz of this accomplishment brings on a deeply satisfied joy that I’ve never felt before. Even if I never go to sea again, I can keep this sense of empowerment for life.

In vieler Hinsicht geht es immer wieder um die Frage, welche Risiken wollen wir im Leben eingehen. Wie gut können oder müssen wir uns vorbereiten? Und wann ist es Zeit, endlich los zu segeln und darauf zu vertrauen, dass sich für alle auftretenden Probleme immer eine Lösung finden wird?

“You’re here for a good time, not for a long time.” I’ve tried to remind myself of this more than once out on the ocean.

Das obige Zitat kann in meinen Augen sowohl ein Argument für eine solche Reise sein als auch dagegen. Wenn ich auf See die ganze Zeit seekrank bin, ist das wohl kaum eine gute Zeit … Da stellt sich dann wieder die Frage, ob die guten Momente – diese Highlights des Ankommens an einem traumhaften Strand – die Strapazen aufwiegen, die notwendig waren, um dorthin zu kommen. Monatelange Abwesenheit von Freund*innen und Familie geht einher mit der ersehnten Abgeschiedenheit von den Katastrophen der Gesellschaft. Abwesenheit von der Zivilisation bedeutet auch Einschränkungen in der Ernährung (mangels Kühlmöglichkeit auf dem Boot können die beiden frisches Obst und Gemüse immer nur vor Anker konsumieren, wenn es überhaupt zu bekommen ist).

Ich frage mich immer wieder, welche Arten von Reisen ich wohl noch machen werde, wenn das die Situation wieder erlaubt. Ein Segeltrip durch den Südpazifik wird eher nicht dabei sein.

Categories
Roman

Anja Kampmann – Wie hoch die Wasser steigen

CN dieses Buch: Tod, sexuelle Handlungen
CN dieser Post: –


Mit jedem Kapitel ist es mir schwerer gefallen, dieses Buch weiter zu lesen. Die Traurigkeit und die Einsamkeit und manchmal auch die Ausweglosigkeit triefen so dermaßen aus dem Text, dass es für mich beinahe nicht zu ertragen war. Ein richtiges Buch zur falschen Zeit.

Randnotiz: Alena Dillon schreibt in diesem Essay auf Lithub über ihre Schwierigkeiten, in ihrem Buch The Happiest Girl in the World über das Leben in der Welt der Sportgymnastik die schwierigen Themen wie körperliche Übergriffe anzusprechen (bzw. anzuschreiben). Der Text ist im Ganzen sehr interessant, besonders hervorzuheben finde ich allerdings die Argumentation, die sie schließlich dazu bewogen hat, diese Geschehnisse näher zu beschreiben:

Intentionally omitting the topic was, if not downright cowardly, blanching and inaccurate, not to mention a disservice, since readers in our culture could benefit from confronting this material while maintaining the distance of fiction.

Wenn wir uns auf Romanebene mit einem Thema beschäftigen, dann kann es gleichzeitig wahr und nicht wahr sein. Ein Roman kann uns heranführen an Themen, die uns „in der realen Welt“ so unvorstellbar und unerträglich erscheinen, dass wir uns nicht damit auseinandersetzen wollen. Als Beispiele dafür möchte ich unter anderem Octavia E. Butler und Nnedi Okorafor nennen.

Categories
English Erfahrungsbericht Memoir

Juli Berwald – Spineless. The Science of Jellyfish and the Art of Growing a Backbone

CN dieses Buch: Gewalt gegen Tiere
CN dieser Post: –


I’ve left those dreams to others. I turned and walked down the stairs, slipping into the space I’d begun to create for myself.

An diesem einen Abend hat es mich gepackt und ich wollte jetzt und gleich dieses Buch lesen, das irgendwo in der Mitte meiner To-Read-Tabelle seit einiger Zeit herumsteht. Die moderne Technik macht es möglich, tatsächlich ein eBook zu kaufen und sofort loszulesen. Nicht auszudenken, was ich während der aktuellen Situation getan hätte, wenn ich nicht so einfachen digitalen Zugriff auf Unmengen an Büchern hätte. Meistens muss ich sie nicht mal kaufen, weil ich sie digital ausleihen kann. Dankbarkeit für die kleinen Dinge, die uns das Leben erleichtern.

Beim Lesen dieses Buchs musste ich immer wieder im Internet nach Bildern suchen, weil ich mir die beschriebenen Arten von Jellyfish (das Wort ist einfach viel netter als das deutschsprachige Qualle) auf Bildern ansehen wollte. Da gibt es wirklich lustige Exemplare wie zB fried-egg jellyfish, aber auch riesige wie zB barrel jellyfish. Außerdem erinnerte mich die Beschreibung der sehr giftigen box jellys an Shannon Leone Fowler – Travelling with Ghosts, ein Buch, in dem die Autorin ihren Trauer- und Genesungsprozess nach dem Tod ihres Partners aufgrund eines Zusammenstoßes mit dieser Quallenart beschreibt.

Juli Berwalds Buch enthält viele verschiedene Aspekte zum Thema Jellyfish. Sie betrachtet das Thema aus wissenschaftlichen, ökologischen, ökonomischen Perspektiven. Indem sie sich mit Wissenschaftler*innen weltweit zu diesem Thema austauscht, lernt sie über die Bedeutung der Quallen im Ökosystem des Meeres, was ihre Verbreitung begünstigt aber auch was sie gefährdet (in erster Linie die Erwärmung und steigende Säuerung der Meere). Sie beschreibt ihre Reisen zu verschiedenen Orten, an denen sich Quallen beobachten lassen (Japan, Spanien, Israel, Italien – ich hätte gar nicht gedacht, dass es im Mittelmeer Quallen gibt …) und die Menschen, die sie auf diesen Reisen begleitet, was sie antreibt, warum sie sich mit dieser speziellen Tierart befassen und was sie daraus fürs Leben mitnehmen.

Es ist zugleich ein Sachbuch und ein Erfahrungsbericht. Mir hat dieses Format extrem gut gefallen. Ihr persönlicher Zugang hat dieses Thema für mich spannend gemacht, ich wäre sonst sicher nie auf die Idee gekommen, mir Bilder von unterschiedlichen Quallenarten anzusehen. Es gibt da eine unvorstellbare Vielfalt an Meeresbewohnern (sucht doch mal im Internet nach bloody-belly comb jelly …). Ihre Beschreibungen von rauhen Bootsfahrten mit Quallenfischern am untersten Zipfel von Japan oder Schnorcheltrips in Eilat am Golf von Akaba (die Stadt war mir bisher schon bei einem GeoGuessr-Spiel [ein Fernbeziehungsvergnügen] begegnet) haben in mir großes Fernweh entzündet. Ich hoffe wirklich, dass wir bald wieder reisen können, sonst komm ich nie dazu, all diese Orte zu besuchen, die ich bisher nur aus Büchern und Beschreibungen kenne.

As we age, our fire continues to burn, though sometimes the live coals become buried unter the ashes. The jellyfish helped me dig down to a fire inside.

Categories
Roman

Madeline Miller – Circe

Rage and grief, thwarted desire, lust, self-pity: these are emotions gods know well. Buit guilt and shame, remorse, ambivalence, those are foreign countries to our kind, which must be learned stone by stone.

Eine wunderschöne Geschichte, gewoben aus dem Stoff der griechischen Götter- und Heldensagen. Viel gelobt und auf allen Bestsellerlisten des letzten Jahres und zuletzt wieder mal in einem Podcast empfohlen (eigentlich im Rahmen einer Werbeeinschaltung für einen bekannten Hörbuchhändler).

Die Leserin erlebt Circe, die Zauberin der griechischen Mythologie, von ihrem Vater Helios dazu verbannt, allein auf einer Insel zu leben. Aufgewachsen ist sie im Palast ihres Vaters zwischen Göttern und Halbgöttern, ihr wahres Selbst entdeckt sie jedoch im Laufe der Jahrhunderte auf ihrer Insel. Die Einsamkeit prägt ihr Weltbild und entfernt sie schließlich immer mehr von ihrer göttlichen Herkunft, den grausamen Launen der Götter, die mit den Sterblichen spielen, um sich die Zeit zu vertreiben.

I stared into the horizon until my eyes blurred, hoping for some fishermen, some cargo, even a shipwreck. There was nothing.

Bei vielen besonders guten Romanen fällt es mir schwer, zu beschreiben, warum sie eigentlich so gut sind. Circe macht eine Entwicklung durch, sie zweifelt an sich selbst und wächst über sich hinaus. Besonders eindringlich beschreibt die Autorin die Freuden und Sorgen der Mutterschaft. Das Ende habe ich so nicht kommen sehen und es ist perfekt. Das ist etwas, was nur in sehr wenigen Romanen gelingt.

He does not mean that it does not hurt. He does not mean that we are not frightened. Only that: we are here. This is what it means to swim the tide, to walk the earth and feel it touch your feet. This is what it means to be alive.