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Roman

Kathrin Gerlof – Alle Zeit

Osterschnee

Es ist erstaunlich, dass ich in diesem Buch keine Zitate gefunden habe, die ich als charakteristisch für die Geschichte empfinde. Andererseits kann man es auch so interpretieren, dass ich so in die Geschichte gezogen wurde, dass ich darauf einfach nicht mehr geachtet habe.

Die Sprache ist einfach, Alltagssprache sozusagen, Kathrin Gerlof erzählt eine Geschichte, wie sie die Familiengeschichte der Nachbarin sein könnte. Vier Frauen sind Protagonistin dieser Geschichte, sie repräsentieren 4 Generationen einer Familie. Die Älteste, Klara, lebt vereinsamt im Altenheim und verfällt zusehends der Demenz. Die jüngste, Juli, ist soeben selbst im zarten Teenageralter Mutter geworden und sucht nach der Urgroßmutter, die ihr tatsächlich so nah ist. Die beiden dazwischen, Julis Mutter Elisa sowie deren Mutter Henriette, sind kürzlich bei einem Autounfall verstorben. Doch auch ihre Geschichte wird in einer Rückblende erzählt. So entfaltet sich ein Familienpanorama, das Platz für unterschiedlichste Blickwinkel auf das Leben bietet. Nebenschauplätze sind die Krebserkrankung der Kellnerin, die im Park das Verbindungsglied zwischen Juli und Klara sein könnte, sowie die späte Liebe von Klara und Aaron, die sich aus dem Altenheim davonstehlen, um ein bißchen Glück zu erleben. Man fühlt mit allen beschriebenen Personen mit, Antagonisten fehlen vollkommen (sieht man von einer unfreundlichen Pflegerin im Altenheim ab), und doch ist die Geschichte reich an Konflikten unter den beschriebenen Frauen. Eine Meisterleistung, diese tief im Leben verwurzelte Geschichte, die den Blick öffnet für die Perspektiven der unterschiedlichen Generationen. Leseempfehlung.

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Roman

Ildefonso Falcones – Die Pfeiler des Glaubens

Mezquita (c) Daniel Vattay SXC

Sein ganzes Leben war immer gleich verlaufen, dachte er, während eine Dame in einem blauen Kleid auf ihn einsprach. Sein ganzes Leben lang war er dem Streit zwischen Christen und Muslimen machtlos ausgeliefert gewesen.

Nach Die Kathedrale des Meeres zögerte ich natürlich nicht lange, als mir bei den Neuerscheinungen in der virtuellen Bibliothek der Büchereien Wien zufällig dieser neue Roman von Ildefonso Falcones ins Auge stach. Die anfängliche Befürchtung, dass ich diesen Wälzer möglicherweise nicht in den vorgesehenen zwei Wochen Ausleihzeit schaffen würde, hat sich leider bewahrheitet. So musste ich das Buch mit einer Pause dazwischen zwei Mal ausleihen. Noch dazu musste ich jetzt feststellen, dass ich zwar meine Notizen im Bluefire Reader noch abrufen kann, allerdings nicht die gesamten Markierungen, die ich im Text vorgenommen hatte. Denn dieser ist eben schon abgelaufen …

Der Protagonist Hernando ibn Hamid verbringt sein Leben zwischen den Religionen. Der Islam wird in Spanien verboten, die Neuchristen müssen vorgeben, zum Christentum konvertiert zu sein und können ihren wahren Glauben nur heimlich leben und an ihre Kinder weitergeben. Hernando pendelt hier sein Leben lang zwischen den Extremen. Mit dem Alfaqui Hamid hält er den wahren Glauben am Leben, schließlich unterwirft er sich dessen Rat christlicher als jeder Christ zu sein, was ihm letztendlich allerdings die Verachtung der Islam-Gemeinde einbringt, die nicht glauben wollen, dass er noch immer Anhänger des wahren Glaubens ist. Sogar Hernandos Mutter Aisha verliert den Glauben an ihn, als sie ihn während einer Büßerprozession das Kreuz tragen sieht.

Geprägt ist Hernandos Leben natürlich von den Frauen in seinem Leben: seine Mutter Aisha, seine erste Frau Fatima, die von ihm vor der Sklaverei gerettete Christin Isabel und schließlich seine zweite Frau Rafaela. Stets lenken sie aus dem Hintergrund seine Schritte und Entscheidungen. Wie so oft im Leben steht hinter jedem Mann oft sogar mehr als eine starke Frau. Das dürfte auch als Botschaft zum Mitnehmen gelten: Wahre Liebe überwindet selbst religiöse Auffassungsunterschiede.

Auch die Mezquita existierte nicht mehr als solche, war jetzt eine christliche Kathedrale, aber es hieß, man könne noch die Arabesken und den gewaltigen maurischen Säulenwald in der alten Gebethalle mit den doppelten Hufeisenbögen sehen, die sie zu einem so einzigartigen Bauwerk machten.

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Roman

Caryl Phillips – Jener Tag im Winter

Smoke

Seit er in die Jahre kommt, fällt es ihm zunehmend schwerer, sei es größere Menschenmengen, sei es laute Musik, die jeden Versuch einer Unterhaltung vereitelt, zu ertragen. Merkwürdig, denkt er, diese erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen. Er trinkt einen Schluck Wein und stellt sein Glas dann wieder auf die hölzerne Tischplatte.

„Jener Tag im Winter“ erzählt eine weitläufige Familiengeschichte, so vielschichtig, wie sie üblicherweise in der Realität geschrieben wird, allerdings sehen wir sie selten in allen Facetten. Der Protagonist Keith ist der Sohn eines Einwanderers, sein Vater Earl kam aus der Karibik nach England, um zu arbeiten, hat sich aber nie wirklich einleben können. Keith selbst lebt von seiner Frau getrennt, der gemeinsame Sohn Laurie steckt kurz vor seinem Schulabschluss und scheint zunehmend in schlechte Gesellschaft zu geraten. Der Alptraum aller Eltern. Trotz dieser bereits sich abzeichnenden Krisensituation wird die Stimmung zunehmend emotionsloser. Der Protagonist Keith scheint sich von der grausamen Welt abzuwenden.

Ich bin erst 22, mit einer dünnen Jacke und so einem albernen Strohhut, und die Leute auf dem Schiff streiten sich, ob der Frühling schon da ist ober ob’s noch Winter ist, aber ich spür, wie mir eine solche Kälte durch die Knochen geht, dass mir egal ist, ob die mich runterschmeißen und mich da direkt totmachen gleich am ersten Tag, sodass mir England, noch bevor ich von dem verdammten Schiff steig, auf Seele und Körper eindrischt, dass ich gleich von vornherein weiß, was für ‘ne Sorte Land das ist.

Erst als Keiths Vater mit einem Herzanfall ins Spital eingeliefert werden muss erklärt sich schrittweise, warum dieser alte, mürrische Mann so ist, wie er ist. Wie so oft zeigen sich die persönlichen Hinter- und Beweggründe erst spät oder nie. Was in Schweine züchten in Nazareth offen ausgesprochen bzw. geschrieben wurde, erschließt sich hier auf einer deutlich tiefer liegenden Ebene.

Die Kurzbeschreibung „Das einfühlsame Psychogramm eines Menschen in der Krise“ ist meiner Meinung nach zu oberflächlich. Natürlich ist es aus Sicht von Keith eine Krise. Aber wer würde nicht in eine Krise geraten, würde er mit solchen Veränderungen in seinem Leben konfrontiert? Wer möchte, kann auch die Folgen sehen, die Migration auf das Familiengefüge haben kann. So wie Earl nie Fuß fassen konnte in England, scheint nun auch Keith entwurzelt zu sein ohne Chance auf einen ruhigen Platz in seinem Leben. Letztendlich weiß er nicht mehr, wohin er gehört. Oder hat er es je gewusst?

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Roman

Amanda Stehrs – Schweine züchten in Nazareth

Pflanze Silhouette made with CAM+

Letzte Woche saß ich im Zug (ich lebe in Flugzeugen oder in Zügen, in denen ich neue Stücke schreibe, derentwegen ich wieder Flugzeuge und Züge nehmen muss). Da waren zwei ausgelassene Kinder, die sich ein Sandwich geteilt haben. Das jüngere Kind versuchte das Stück des Bruders aufzuessen, der mit seiner Gabel lauerte und so tat, als würde er nicht zögern, den anderen aufzuspießen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie die beiden gelacht haben. David an seine Schwester Annabelle

Briefromane fand ich schon immer attraktiv. Es sind überschaubare Häppchen, man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen. Hier schreibt sich eine zerrüttete Familie wild durcheinander Briefe und E-Mails. Daraus ergeben sich Geschehnisse, die jede einzelne Person in aller Deutlichkeit charakterisieren.

Wir haben noch nie wirklich miteinander reden können. Bei dir weiß ich nicht, wie das geht. Schon als du klein warst, hast du mir Angst eingejagt. Monique über ihre Tochter Annabelle

Es ist irgendwie seltsam, dass die Personen hier in den Briefen alles gerade heraus schreiben, was man normalerweise sorgfältig zwischen den Zeilen versteckt. Weil man einerseits hofft, dass der Empfänger sowieso blind versteht, was man denkt und fühlt und andererseits darauf wartet, dass der andere zuerst seine Gefühle offenbart.

Wenn das reale Leben seine Geschichte überholt, ist David verloren. Er setzt Geschichten oben drauf. Eine Sandburg bauen, um die Welle ungeschehen zu machen. Ohne daran zu denken, dass die nächste kommen wird. Annabelle über ihren Bruder David

Zeitweise wird es dann zu poetisch, um noch glaubwürdig zu sein. Wenn die Sandburgen in den Wellen aus der Feder des Schriftstellers kämen, würde man als Leser vermutlich überbordende Fantasie als Charaktereigenschaft identifizieren. Bei der flatterhaften Schwester, die verzweifelt nach Liebe sucht, scheint es mehr ein kitschiges Luftschloss zu sein.

Ich will frei sein, befreit von dir, von Papa und Annabelle. Ich nehme an, es ist nicht möglich. Ihr seid meine Gefangene und ich bin euer. Wir sind eine Familie. Eine Familie, die sich schreibt, die sich nicht berührt, die keine Kochgerüche in der Küche des anderen einatmet, aber dennoch eine Familie. David an seine sterbende Mutter

Vater Harry lebt entgegen der jüdischen Gesetze in Israel und züchtet dort Schweine. Er kann die Homosexualität seines Sohnes nicht akzeptieren und hat daher den Kontakt zu diesem abgebrochen. Tochter / Schwester Annabelle sucht nach einem Fixplatz in dieser Welt und bleibt letztlich ohne Mann an der Seite ihrer sterbenden Mutter zurück. Die sprachlose Mutter Monique, der die Zeit schließlich davonläuft. Leseempfehlung.

NOTE: Es hat sich wiederum eine neue Quelle erschlossen. Bei den Büchereien Wien kann man jetzt auch ebooks ausleihen. Das Angebot ist bis dato nicht überragend, aber auch nicht zu verachten, ich habe auf Anhieb drei (aktuelle) Bücher gefunden. Das hier besprochene war sofort verfügbar, ein weiteres habe ich vorbestellt und wenige Tage später bekommen. Die Jahreskarte kostet 22 Euro (Ermäßigungen natürlich für Schüler, Studenten und andere Begünstigte), für iPhone und iPad gibt es ein Ausleih-App, zum Lesen benötigt man dann den Bluefire Reader, der mit dem verwendeten Adobe DRM umgehen kann. Die Experience ist nicht zu bejubeln, aber auch nicht zu beweinen, das Umblättern im Bluefire Reader ist nicht ganz so soft wie bei Kindle App oder iBooks, aber ok. Im weiteren Sinne des Einsparens von Papier werde ich mich auch dieses Angebots weiter bedienen. Wenn ich dort nur drei Bücher im Jahr ausleihe (die ich sonst kaufen würde), hat sich der Jahresbeitrag schon gelohnt.

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Krimi Roman

Donna Leon – Nobilta

Venedig (c) robe68/SXC

Das altrömische Thema fand drinnen seine Fortsetzung, denn Patta saß im Profil und präsentierte seine wahrhaft römische Imperator-Nase. Als er den Kopf zu Brunetti umwandte, wich das Kaiserliche etwas eher Schweinsähnlichem, was daher kam, dass Pattas Augen mit der Zeit immer tiefer in dem ewig gebräunten Gesicht verschwanden.

Wie man auch meinen vorherigen Posts zu den Brunetti-Krimis entnehmen kann, fällt mir meistens nicht viel ein. Würde man das beschriebene Verbrechen nacherzählen, wäre der ganze Spaß verdorben. Wie so oft ergibt sich die Auflösung erst auf den letzten Seiten, während vorher Kapitel über Kapitel nichts zu passieren scheint. Es bleibt ein ums andere Mal nur dies zu sagen: wer diese Art von Krimis schätzt, wird daran nichts auszusetzen haben. Ich selbst zähle mich bedingt zu dieser Gruppe. Für mich ist ein Brunetti-Krimi eine willkommene Abwechslung, wo nicht allzuviel Denkarbeit nötig ist, denn das Tempo, indem Brunetti die Kriminalfälle löst, reicht im Allgemeinen aus, um den Leser gerade beim Thema zu halten, aber nicht zu sehr zu beschäftigen. So kann man auch mal eine Woche Pause machen und hat keine schlaflosen Nächte, weil man den Mörder noch nicht kennt. Schließlich entfaltet sich auch hier eine Ebene unter dem offensichtlichen Mord, Motive, die mit dem Opfer nur bedingt zu tun haben. Ein geschickt getarnter, manchmal etwas langatmig aufgedeckter Kriminalfall für Kommissar Brunetti.

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Roman

Jonathan Safran Foer – Extrem laut und unglaublich nah

Rote Blätter in der untergehenden Herbstsonne / made with Cam+

Inzwischen ist es anders, aber früher war ich Atheist, und das bedeutet, dass ich nur an Dinge gelglaubt habe, die ich auch sehen konnte. Ich habe geglaubt, wenn man tot ist, ist man tot und fühlt nichts mehr und träumt auch nichts mehr. Es ist auch nicht so, dass ich jetzt an etwas glauben würde, das ich nicht sehen kann, bestimmt nicht. Inzwischen glaube ich eher, dass alles unglaublich kompliziert ist.

Während Jonathan Safran Foer im Jahr 2011 hauptsächlich mit seinem Sachbuch Eating Animals Schlagzeilen machte, griff ich zu seinem bereits 2005 veröffentlichten Roman Extrem laut und unglaublich nah. Protagonist der Geschichte ist Oskar Schell, dessen Vater Thomas bei den Terroranschlägen des 11. September 2001 umgekommen ist. Oskar selbst spricht in diesem Zusammenhang nur vom „schlimmsten Tag“. Ein zweiter Erzählstrang beschäftigt sich mit einer anderen Ebene des Familienstammbaums der Schells. Seinen Großvater hat Oskar nie kennengelernt, denn dieser verließ seine Frau bereits vor der Geburt von Oskars Vater. Oskars Großvater hat also seinen nun verstorbenen Sohn nie kennengelernt. Erst die Katastrophe führt die Familie näher zusammen.

Oskar selbst erinnert mich an eines der Winterbücher des Vorjahres: Die Karte meiner Träume. Oskar ist ein hochintelligenter Junge, der sich mit vielen Themen ernsthaft auseinandersetzt. Er schreibt regelmäßig Briefe an Stephen Hawking mit der Bitte, sein Assistent werden zu dürfen, enthält jedoch immer nur Formbriefe als Antwort. Seine Erlebnisse sammelt er in Bildern, die er mit der Kamera seines Großvaters (!) erstellt oder aus dem Internet ausdruckt, in einem Album. Als er im Schrank eine Vase findet, in der sein Vater ihm die scheinbare Nachricht Black zusammen mit einem Schlüssel hinterlassen hat, macht sich Oskar auf die Suche nach dem dazugehörigen Schloss. Sein Ansatz: alle Menschen namens Black abzuklappern und nach der Herkunft des Schlüssels zu befragen.

„Die Welt ist nicht schrecklich“, sagte er und setzte sich eine Maske aus Kambodscha auf, „aber sie wimmelt von schrecklichen Menschen!“

Wenn man solche Geschichten liest, wo ein kleiner Junge nur nette Leute kennenlernt, indem er einfach bei Leuten mit dem Namen Black anlautet, wünscht man sich doch selbst mehr Offenheit im Leben. Nur leider begegnet man in der Realität kaum Menschen, die sich so verhalten würden wie die Blacks in diesem Roman. Und dann scheint es wieder so, als würde der Autor selbst nicht an so nette Menschen glauben.

Weißt du noch, wie wir vor ein paar Wochen Eislaufen waren und wie ich mich abwandte, nachdem ich dir gesagt hatte, ich würde Kopfschmerzen davon bekommen, den Leuten beim Eislaufen zuzuschauen? Unter dem Eis sah ich aufgereiht die Toten liegen.

Selten wurde eine fehlende Person in einer Familie so anwesend gemacht. Das Zusammentreffen von Oskar und seinem Großvater sowie die anschließend ausgeheckte gemeinsame Unternehmung scheinen beiden bei der Überwindung ihrer Traumata zu helfen. Erst als Oskar sich auf diese Weise mit dem Tod seines Vaters auseinandersetzt, kann er auch die Trauer seiner Mutter verstehen.

EDIT: Hier die andere Meinung der Kaltmamsell

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Roman

Luanne Rice – Was allein das Herz erkennt

Rose In Madrid, Rosengarten im Parque de Retiro

May blickte auf das Eis, bemüht, sich auf die letzten Minuten des Spiels zu konzentrieren, aber ihre Augen kehrten immer wieder zu den Lippenabdrücken ihres Mannes auf der alten, zerkratzten Plexiglasscheibe zurück. Sie wünschte sich, dass alles, was sie in diesem Augenblick besaß – das Vertraute und das Neue – für immer andauern möge.

Es fällt mir immer schwer, die Liebesromane zu beschreiben, die ich zur Unterhaltung zwischendurch lese. Bei diesem ist das nicht anders, obwohl er sich vom allzu bekannten Schema – Mädchen trifft Junge, sie können sich erst nicht leiden und verlieben sich dann – deutlich abhebt. Die Kerngeschichte in diesem Liebesroman ist mehr, wie sich zwei Menschen, die beide schlechte Erfahrungen in ihrem vergangenen Leben durchgemacht haben, zusammenraufen. Zwischen ihnen steht ein lebendes und ein totes Kind. Das lebende Kind stellt die Verbindung her, die es den beiden überhaupt erst ermöglicht, sich kennenzulernen. Das tote Kind ermöglicht schließlich, dass beide über sich hinauswachsen. Erst als eine Katastrophe über die Familie hereinbricht, gibt dies den Ausschlag, die Wunden zu heilen. Auf diese Art und Weise verbreitet der Roman ein wärmendes Gefühl – wie Kerzenlicht an einem düsteren Winterabend.

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Roman

Shalom Auslander – Eine Vorhaut klagt an

Solewasserbehälter BadHall

Ich blickte auf Avrumis leeren Stuhl. Avrumi war ein pummeliger Junge mit schwerer Kieferfehlstellung und üblem Mundgeruch, aber jetzt hatte ich plötzlich großen Respekt vor ihm. Ich überlegte, was er wohl getan hatte, um den Tod seines Vaters zu verursachen. Was es auch war, es musste ziemlich schlimm gewesen sein.

Schon nach den ersten Seiten drängt sich die Frage auf: warum betrachten vom Glauben (im strengen Sinn verstanden) abgefallene Juden ihre Religion mit soviel mehr Humor als „Abtrünnige“ anderer Religionen? Ist der schwarze Humor genauso tief verwurzelt wie die strengen Traditionen, oder entwickelt er sich durch die koschere Ernährung? Oder muss ich mich wirklich mal mit diesem David Safier (Jesus liebt mich) beschäftigen, der ja angelich ganz lustig schreiben soll? Und hat das überhaupt etwas mit Religion zu tun?

Der Autor betrachtet seine Kindheit und seine Entwicklung zu einem eigenverantwortlichen Menschen, der sich tagtäglich mit seiner Religion auseinandersetzt, aus einem äußerst amüsanten und schonungslosen Blickwinkel. Allein die Beschreibung kreativer Streitvermeidungstechniken wie spontaner Comedy-Einlagen oder das routinierte Umstoßen von Gläsern, die er sich angewöhnt hat, um den Vater von irgendeinem Ärger abzulenken, unterhält bestens.

Bin ich der Nächste? Meine Lehrer sagten mir, es sei eine Sünde – zu bestrafen mit dem Tod von oben –, wenn ein Jude das jüdische Volk beschäme, was, wie ich fürchte, diese Geschichten tun. Doch ich atme tief durch und rufe mir in Erinnerung, dass es Aaron Spelling ganz gut geht, und wenn er das jüdische Volk nicht beschämt, dann weiß ich auch nicht.

Von Eltern und Lehrern aufgestellte Regeln werden von Jugendlichen immer in Frage gestellt, welcher Religion sie sich nun auch (mehr oder weniger) zugehörig fühlen. Doch unser Autor/der Ich-Erzähler stellt sich auch ständig die Frage, wie Gott ihn für die begangenen Regelverletzungen und Missetaten bestrafen wird. Typisch Gott. Wer wird sterben müssen, um diese Sünde zu sühnen? Eine gute Woche ist vergangen, welche ausgleichenden Negativereignisse sind nun zu erwarten? Doch schließlich scheint eine Befreiung aus der Denkspirale nicht nur möglich sondern lebensnotwendig.

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Roman

Evelyn Grill – Das Antwerpener Testament

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Ein paar Tage später, zu Ulrichs Geburtstag, tranken sie zusammen Sekt, und Onkel Ferdinand las ihm und Tante Nelli ein Kapitel aus Gogols Tote Seelen vor. Das Buch liebte er besonders, weil die in ihm enthaltene Philosophie sich mit der seinen in vielen Punkten berührte. Er liebte es überhaupt, den jeweils im Häschen Versammelten vorzulesen, mit besonderer Vorliebe aus den Abenteuern des braven Soldaten Schwejk, dessen Humor er so kongenial wiederzugeben verstand.

Eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und Familien aus drei Ländern. Nahezu unaufgeregt erzählt die Autorin, wie die Protagonisten vor dem Naziregime aus Deutschland fliehen, wie manche von ihnen es bis nach Amerika schaffen, andere in Amsterdam hängen bleiben, und schließlich wie das titelgebende Antwerpener Testament das Famlienglück nachhaltig torpediert.

Im Zentrum stehen Ann und Ulrich. Die Engländerin Ann verliebt sich in den Deutschen Ulrich. Anns dominante Mutter will es nicht ertragen, dass ihre Kinder ihr eigenes Leben führen und sabotiert die keimende Beziehung zwischen Ann und Ulrich nachhaltig. In Rückblenden erzählt die Autorin, wie die verschiedenen Zweige der Familie sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln: Ulrichs Cousine ist mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert, die Inkarnation der sprichwörtlichen bösen Schwiegermutter – Anns Mutter Henriette Stanley – wurde in jungen Jahren von ihrem Bruder mit dem englischen Reeder Stanley verheiratet und hat diesem nicht verziehen, dass er sie in seinem Testament nicht ausreichend bedacht hat. Dieses Testament beschäftigt sie für den Rest ihres Lebens, erst lange nach ihrem Tod kann der inzwischen vereinsamte und gebrochene Ulrich die Familiengeschichte aufdecken.

Immer wieder überrascht der ruhige Erzählstil, mit dem die Autorin Evelyn Grill in ihren Rückblenden selbst dramatischen Szenen wie tödlichen Unfällen die Dynamik nimmt. Sie erzählt die Geschichte nicht im Entstehen sondern in Erinnerungen. Alles ist bereits passiert, nichts lässt sich mehr ändern, der Leser kann nur zur Kenntnis nehmen, was den Protagonisten geschieht, man nimmt keinen Anteil. Teils scheint dies eine geeignete Erzählform für eine Geschichte aus dieser Zeit, die für heutige Generationen gefühlsmäßig ebensoweit zurückliegt wie die Antike. Aber in gewissen Momenten wünscht man sich schon eine Spur mehr Emotion, vielleicht sogar etwas Mitgefühl für die Protagonisten. Die Autorin bleibt erbarmungslos und lässt die Familiengeschichte letztendlich über die Menschen triumphieren.

NOTE: Bei den Bildern handelt es sich um einen Belichtungstest, den ich mit meiner neuen Kamera durchgeführt hab. Spontan entdeckte ich beim Spätheimkommen von der Arbeit ein spannendes Mond-Schatten-Spiel, das ich abzulichten versuchte. Die Bilder sind vom GorillaPod-Stativ aus gemacht, mit Belichtungszeit 1,2,3,4,5,6 und 8 Sekunden. Das letzte Bild ist schon zu verschwommen, weil sich die Wolken schneller bewegten als der Auslöser. Bei 6 Sekunden zeigt sich schon in etwa das Bild, das sich tatsächlich den Augen bot. Leider trotzdem nicht ganz so spektakulär wie die Realität.

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Klassiker Roman

Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandtschaften

Rathausturm Retz Ausblick, made with Cam+

„Das Bewusstsein, mein Liebster“, entgegnete Charlotte, „ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche für den, der sie führt; und aus diesem allen tritt wenigstens soviel hervor, dass wir uns ja nicht übereilen sollen. Gönne mir noch einige Tage; entscheide nicht!“

Obwohl Goethe in diesem Roman ein allgemeingültiges Thema behandelt und das auch noch sehr modern, ist die Staubschicht unmöglich zu ignorieren. Es fühlt sich an, wie etwas, das einem die Deutschlehrerin fürs Referat aufgedrückt hat, weil man frech war. Immerhin zeigen die wechselnden Beziehungsgeschichten, dass schon damals die Liebe nicht immer fürs Leben war.

Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.
Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

Charlotte und Eduard wissen ihre Beziehung zu schätzen, denn die beiden sind nicht direkt zusammen gekommen, sondern mussten erst abwarten, bis die Beziehung tatsächlich funktioniert. Doch als Eduards Freund – der im ganzen Verlauf der Geschichte immer nur „der Major“ genannt wird – und Charlottes Nichte Ottilie ins Leben der beiden treten, wird die gemeinsame Welt auf den Kopf gestellt. Es stellt sich heraus, das Charlotte und Eduard nicht so viel gemeinsam haben, wie sie bisher dachten und Stück für Stück scheinen die vier Personen andere Paare zu bilden. Charlotte bekommt ein Kind, wer tatsächlich dessen Vater ist, bleibt im Verlaufe des Romans stets nur angedeutet. Die junge Ottilie macht sich stets Gedanken über das Leben und bemüht sich nach bestem Gewissen, den Haushalt zu führen und Charlotte auch bei der Sorge fürs Kind zur Seite zu stehen. Erst ein schlimmer Unfall lässt Charlotte das bisherige Leben überdenken.

Doch was sag ich! Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen. Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht? Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?

Charlotte resigniert und will dem unglücklichen Eduard, der sich weiterhin nach Ottilie verzehrt, nicht mehr im Wege stehen. Doch beide Frauen gönnen sich das bißchen Glück nicht, das ihnen noch möglich wäre. Man könnte natürlich auch interpretieren, dass die Beteiligten für ihr sündhaftes Verhalten bestraft werden und dieser Roman uns nichts anderes sagen will, als dass die Ehe heilig ist und wer sich diesem Gesetz widersetzt, mit Strafe und Unglück zu rechnen hat. Goethe hatte angeblich im Sinn, „soziale Verhältnisse und die Konflikte derselben symbolisch gefasst darzustellen“. Das dürfte ihm gelungen sein, wenn auch eine derartige Patchwork-Familie heutzutage eher die Regel als die Ausnahme darstellt.