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Roman

Ingrid Noll – Kalt ist der Abendhauch

Charlotte erwartet Besuch von ihrem Schwager Hugo, für den sie schon als Jugendliche geschwärmt hat. Die nun 83-Jährige beginnt sich zu erinnern und gleichzeitig ihre Wohnsituation auf den Kopf zu stellen, um auf den alten Herrn nicht wie eine alte Schachtel zu wirken. Der Enkel Felix und seine Freunde starten eine umfassende Renovierung und bringen ganz schön Unruhe in Charlottes Alltag.

Stück für Stück erzählt Charlotte in Rückblenden ihre Familiengeschichte inklusive der dunklen Geheimnisse, die sie mit Hugo verbinden. Der Versuch, diese mit ins Grab zu nehmen, scheitert, letztendlich wird die jüngere Generation umfassend über die wahren Familienverhältnisse aufgeklärt. Eine angenehm unaufgeregte Familienerzählung mit einer charmanten Protagonistin, die nicht nur eine alte Dame, sondern eine beeindruckende Persönlichkeit ist.

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Roman

Gerbrand Bakker – Der Umweg

Eine Frau in einem einsamen Bauernhaus in Wales. Sie richtet sich ein und entwickelt eine Beziehung zu den Tieren, die um ihr Haus herum leben, den Schafen, die scheinbar von Geisterhand die Weiden wechseln und den Gänsen, die leider beharrlich verschwinden. Einen Moment fühlte ich mich an Die Wand erinnert. Diese Geschichte ist auch einsam, aber auf eine ganz andere Art.

Die Frau bleibt nicht allein. Der Besitzer der Schafe macht ihr seine Aufwartung und bleibt unerwünscht. Ein Junge mit einem Rucksack taucht auf und bleibt – zuerst unerwünscht, Stück für Stück macht er sich jedoch unersetzbar. Seine Motive bleiben unklar. Doch in Wirklichkeit ist es die Frau, die ein Geheimnis und düstere Absichten hat.

Stück für Stück wird diese Geschichte enthüllt, ein spannend geschriebenes Puzzle menschlicher Emotionen. Ein Schicksalsschlag kann in einem Menschen Teile der Persönlichkeit wachrufen, die vorher unbekannt waren. Oder auch: ein Schicksalsschlag verändert nicht nur die Lebensperspektive sondern auch den Menschen selbst.

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Roman

Christie Hodgen – Elegies for the Brokenhearted

Watching him you had a hungry look, your eye narrowed like an eagle’s, and it was clear in that moment that what you wanted from life was for someone to say the same to you, you wanted to be a part of something like that, to have friends you might meet on the street, friends calling out to you and you answering in mock rage. New York, Harlem, what you saw there you wanted to become, what you saw there was some long-forgotten dream brought back to life. What I remember most from our trip is this, this the moment we lost you.

Manchmal reihen sich thematisch verwandte Bücher wie zufällig aneinander, obwohl man es sich nicht so ausgedacht hat. In diesem Buch geht es um die Entwicklung eines Mädchens aus der amerikanischen Unterschicht. Mary Murphy wird in einer Kleinstadt geboren, über die Jahre werden die Fabriken der Stadt geschlossen, ein Großteil der Bevölkerung findet keine Arbeit mehr. Wer kann, verlässt die Stadt, die Zurückbleibenden haben kaum Chancen auf irgendeine Art von Aufstieg.

Die Geschichte wird in Form von Elegien erzählt, die Wikipedia definiert dies als Klagelied, jedoch auch römische Liebeselegien werden erwähnt. Für mich fühlte es sich während des Lesens wie eine Art Nachruf auf die Verstorbenen an. Der Titel der deutschen Übersetzung ist jedenfalls eine Schande: 5 Menschen, die mir fehlen.

„But don’t you think that desire,” I said, “is a dangerous thing? It’s a game that goes on and on. The satisfaction of a desire is the death of that desire, and so we just keep forming new ones and satisfying them, and then watching them die, and forming new ones, on and on, and we’re never happy. It’s better to be in the moment.”

In den 5 Kapiteln erlebt der Leser, wie Mary Murphy sich vom schüchternen, zurückgezogenen Kind zu einer hoffnungs- und ziellosen Jugendlichen entwickelt. Schließlich gelingt ihr der Sprung an die Universität, wo sie jedoch kaum etwas mit sich anzufangen weiß. Nach ihrem Abschluss begibt sie sich auf die Suche nach ihrer Schwester und landet im Küstenstädtchen Ogunquit, Maine (der Name ist so lustig, dass ich nachschauen musste, ob es diese Stadt wirklich gibt).

Mich hat die scheinbare Plan- und Ziellosigkeit der Protagonistin lange davon abgelenkt, dass es eigentlich mehr um die Beziehungen zwischen Menschen geht und darum, dass es nicht immer nur auf die Familienbande ankommt, ob ein Mensch für uns wichtig ist oder wird. Viele Gemeinsamkeiten finden sich gerade bei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind und gerade von denen, die einen deutlich anderen Lebensweg hinter sich haben, können wir oft am meisten lernen.

We had all known joy and then lost it, had blindly sought after it again; we had taken up burdens and carried them for a time, then stumbled beneath them; we had made strides and then lapsed; we had taken strange paths that sometimes delivered us to safety and sometimes led us astray; we had despaired, tried again, despaired, tried again. Through it all we had somehow felt ourselves alone, misunderstood. In the end you believed you had failed; you seemed to have died in despair.

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Roman

Justin Torres – Wir Tiere

Wir schlugen immer weiter; wir durften sein, was wir waren, verängstigt, rachsüchtig – kleine Tiere, die sich an das krallten, was sie brauchten.

Lange habe ich nicht wirklich gewusst, was ich über dieses Buch schreiben soll, dann kam mir die Wrintheit mit @holgi und @silentiffy dazwischen. Da wurde unter anderem über Begabungen gesprochen. Gibt es genetisch veranlagte Begabungen oder entstehen diese nur durch entsprechende Förderung?

Wir Tiere beschreibt die Kindheit und Jugend dreier Brüder aus der Sicht des Jüngsten. Die Buben wachsen in einer amerikanischen Unterschicht-Familie auf, bleiben oft unbeaufsichtigt, lernen sich durchzuschlagen, lernen auch, dass Gewalt und Aggressionen im täglichen Leben auf der Tagesordnung stehen. Der jüngste Bruder zeigt andere Anlagen als die beiden älteren Buben, er ist sensibler, er zeigt Potential in der Schule, je älter er wird, umso mehr wird ihm und auch seinen Brüdern klar, dass er anders ist, nicht wie sie. Das Finale kommt überraschend und vieles bleibt offen.

Auch im Roman bleibt die Frage offen, was aus dem Buben werden hätte können, wäre er in ein anderes Umfeld hineingewachsen. Hätte er sich anders entwickeln können, wenn seine Eltern mehr Zeit gehabt hätten, sich um die Kinder zu kümmern? Wieviel von der Entwicklung des einzelnen Menschen wird von der genetischen Veranlagung bestimmt und wieviel im täglichen Leben erlernt? Mit diesem Thema möchte ich mich definitiv weiter beschäftigen.

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Krimi Roman

Bernhard Aichner – Totenfrau

Ganz ohne Spoiler wird es in diesem Fall nicht gehen, jedoch wird dies das Lesevergnügen nicht trüben. Viele Entwicklungen erwiesen sich im Nachhinein als vorhersehbar, wenn man sich mit dem Genre schon etwas länger beschäftigt.

Die Protagonistin dieses Romans ist eine Selbstjustiz übende Psychopathin, eine Frau, die die Verbrecher tötet, von denen es zuerst scheint, dass man ihnen nichts nachweisen, sie nicht vor Gericht bringen kann. Als großer Fan von Criminal Minds schaue ich nicht zum ersten Mal durch die Augen einer Serienmörderin, doch die Art, wie diese Geschichte erzählt wird, ist mir neu. Wie sie ihre Kinder beschützt und gleichzeitig tiefer und tiefer in den Rachefantasien versinkt, wird mit zunehmender Leichenzahl beklemmender. Pate gestanden hat offenbar die Serie Dexter, die immerhin sogar im Buch erwähnt wird. Eine andere Perspektive im Bereich der Krimis und Thriller, für Fans dieses Genres durchaus empfehlenswert.

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Roman

Vea Kaiser – Makarionissi

Mit ihrem ersten Roman Blasmusikpop wurde Vea Kaiser einem größeren Publikum bekannt, mich hat das jedoch nicht interessiert, bis sie anlässlich der Veröffentlichung ihres zweiten Romans Makarionissi bei Claudia Stöckl im Frühstück bei mir zu Gast war. Dort hat sie erzählt, wie sie sich als attraktive Frau, die ihre Reize auch nicht verstecken will, teilweise bemühen muss, um in der Verlags- und Geschäftswelt ernst genommen zu werden.

Mit diesem Roman hat sie nun eine Familiengeschichte im Stil klassischer Heldensagen geschaffen, die einzelnen Kapital werden als Gesänge bezeichnet, Heldin und Held erleben eine wilde Irrfahrt durch die Welt und das Leben im Allgemeinen. Eleni und Lefti werden in einem griechischen Bergdorf an der albanischen Grenze geboren, ihre Familien haben bereits vor Elenis Geburt geplant, dass Cousin und Cousine später heiraten sollen, um das Familienvermögen zu erhalten. Doch Eleni hat nichts anderes im Sinn, als eine Amazone zu werden, eine Heldin, eine große Politikerin will sie werden, heiraten passt da gar nicht dazu.

Ein Abriss über die Familiengeschichte würde zu aufwändig, der Stammbaum auf den ersten Seiten wurde nicht umsonst aufgezeichnet. Am Ende (oder eigentlich schon auf dem Weg) erweist sich der Roman als so echt wie das Leben selbst: unvorhersehbar. Oft führt auch ein zuerst als falsch betrachteter Weg an ein Ziel, von dem man vorher noch gar nichts wusste. Manchmal erweisen sich scheinbare Katastrophen später als Glücksfall. So lange man sich selbst treu bleibt, kann man eigentlich nichts falsch machen. (Und aus den meisten Büchern kann man genau das herauslesen, was man gerade braucht.)

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Roman

Denis Thériault – The Peculiar Life of a Lonely Postman

And at that moment, for the first time in his life, really the very first time, he felt loneliness swooping down on him. It was like a huge wave submerging him, sending him down to the very depths of himself, driving him into the darkest reaches of the ocean depths, where an irresistible maelstrom swept him towards a monstrous, gaping chasm, a gigantic sewer grate, while he groped for something to cling to, anguished to the corner of his soul.

Der Postbeamte Bilodo hat ein seltsames Hobby: die wenigen privaten Briefe, die er in seinem Beruf zu verteilen hat (neben Rechnungen, Geschäftskorrespondenz und Werbung), nimmt er mit nach Hause, öffnet und kopiert sie, bevor er sie zustellt. Damit nimmt er an dem Leben anderer teil. Schon zu diesem Zeitpunkt wird klar, wie einsam sein eigenes Leben ist. Zum Verhängnis wird ihm schließlich eine Frau namens Ségolène, die eine spezielle Brieffreundschaft mit einem Mann namens Grandpré pflegt, der in Bilodos Nachbarschaft wohnt.

Die Briefe bestehen ausschließlich aus Versen und nach einiger Recherche findet Bilodo heraus, dass es sich um Haikus nach japanischer Tradition handelt. Granpré wird überraschend Opfer eines Autounfalls … und Bilodo kann den Gedanken, Ségolènes Briefe zu verlieren, nicht ertragen und versucht, die Identität des Toten anzunehmen, um die Brieffreundschaft aufrecht zu erhalten.

Natürlich kann diese Geschichte kein gutes Ende finden, und doch kommt das Ende überraschend, obwohl gut vorbereitet daher. Dass Bilodo das Briefgeheimnis verletzt, erscheint dem Leser zuerst nicht weiter schlimm, er stellt die Briefe einen Tag später zu und scheinbar beeinträchtigt dies die Empfänger nicht. Erst Stück für Stück wird klar, wie instabil seine Persönlichkeit ist, seine Handlungen werden Seite um Seite irrationaler und man möchte ihm zurufen, er möge zur Vernunft kommen. Doch die Geschichte findet ihr unvermeidliches Ende. Und einen neuen Anfang.

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Roman

Ellen Sussmann – An einem Tag in Paris

Dieser Roman beschreibt den lebensverändernden Tag von drei Privatlehrern und ihren Schülern in Paris. Alle Schüler sind mit ihrem Leben unzufrieden, manche haben dazu mehr Grund, andere weniger. Durch gefinkeltes Lenken ihrer Figuren gelingt es der Autorin, alle Personen am Ende des Tages am selben Ort zusammenzubringen, wo sie sich jedoch nicht begegnen und doch irgendwie zusammen sind. Angenehm plätschernde Unterhaltungsliteratur mit nicht völlig belangloser Geschichte.

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Roman

Bernhard Aichner – Das Nötigste über das Glück

Das Wichtigste ist, dass ich nicht sagen kann, ob das Buch das Versprechen, das der Titel macht, einhält oder nicht. Zuerst meinte ich, nein, aber vielleicht hab ich die Ebene zuerst einfach nicht gesehen? Mit dem Ende bin ich nicht einverstanden, aber vielleicht war es so nicht gemeint? Das Nötigste über das Glück: dass man den Moment genießen sollte, weil es nicht von Dauer sein kann? Oder doch? Sei es, wie es sei, Leseempfehlung. Sollte nämlich jeder für sich selbst interpretieren.

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Fantasy Roman

Madeleine L’Engle – Die Zeitfalte

Meg überlegte wieder.
„Charles Wallace sieht doch überhaupt nicht anders aus!“ sagte sie schließlich.
„Nein, Meg. Aber nie darf man Menschen allein nach ihrem Äußeren beurteilen. Was Charles Wallace so anders macht, liegt nicht an seinem Aussehen, sondern in seinem Wesen.“

Reading Challenge: A book you were supposed to read in school, but didn’t

Im Prinzip kann ich diese Kategorie nicht erfüllen, ich hab tatsächlich alle Bücher gelesen, die wir von der Schule vorgeschrieben bekamen. Also habe ich mich entschlossen, eines aus meiner Schulzeit nochmal zu lesen und dieses ausgewählt, weil es Cece von problemsofabooknerd mal erwähnt hatte. Sie hatte es lobend erwähnt, ich meine mich zu erinnern, dass es mir in der Schulzeit nicht gefallen hätte.

Stellt sich raus: es gefällt mir immer noch nicht. Mit dieser trotzigen, besserwisserischen, wütenden Hauptfigur Meg kann ich mich einfach nicht identifizieren. Ständig macht sie ihrer Umgebung Vorwürfe, ohne jemals irgendwelche Fehler bei sich selbst zu suchen. Natürlich soll man nicht immer nur die Fehler bei sich selbst suchen, aber immer allen anderen die Schuld zuzuschieben, ist eben auch unsympathisch.

Auch das fantastische Setting, das Reisen auf fremde Planeten, die vielen Wesen, die Meg und ihre Familie kennenlernen, ist mir irgendwie zu abgehoben. Ganz schön viel Aufwand für die simple Message, dass wir uns nicht nur auf unsere Augen verlassen, sondern mehr auf unser Herz hören sollen.