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Kurzgeschichten

Etgar Keret – Pizzeria Kamikaze / Der Busfahrer, der Gott sein wollte

FlowerPower(c)jusone/SXC

„Sag mal“, forschte Uzi nach, „stimmt das, was gesagt wird, dass sie dir bei euch, bevor du so eine Aktion startest, siebzig geile nymphomanische Jungfrauen in der nächsten Welt versprechen? Nur für dich, Solotanz?“ – „Tun sie“, erwiderte Nasser, „und schau dir an, was daraus wird. Ich bin auf Alkohol herabgesackt.“ – Dann warst du am Ende also der Depp, Nasser“, sagte Uzi schadenfroh. „Bei Gott“, Nasser nickte, „und du, was haben sie dir versprochen?“

Es wird an der Zeit, wieder mal ein uneingeschränktes Loblied zu singen und niemand hätte es mehr verdient, als der geniale Etgar Keret. Allein schon die Idee, eine Geschichte in einer Welt spielen zu lassen, die nur von Selbstmördern bevölkert wird. Menschen, die aus einer ihnen unwirtlich gesinnten Welt fliehen, landen in einer Welt, die auch um nichts besser ist und noch dazu zusammen mit lauter Menschen, die ebenfalls keinen Sinn im Leben sehen. Wer würde sich da nochmal umbringen? Freundschaften entwickeln sich, die Bewohner dieses seltsamen Ortes werden schubladisiert nach der Art, in der sie sich töteten und demnach Körperschäden erlitten. Am besten haben es da die unversehrten Tablettenopfer. Als ob diese schräge Welt nicht schon genug wäre, bevölkert Keret diese auch noch mit Persönlichkeiten, die allesamt mehr oder weniger plausible Gründe zum Selbstmord hatten, und schickt diese in Situationen, die sie mit dem trockensten Humor bewältigen, den die Welt außerhalb Großbritanniens jemals erlebt hat.

Viele der weiteren Kurzgeschichten sind so kurz wie prägnant und amüsieren oder verstören, jedoch kaum etwas dazwischen. Je nachdem, welches Gefühl sich der Autor gerade ausgesucht hat, genau mit diesem lässt er den Leser zurück. Brutal oder poetisch beschreibt er menschliche Abgründe und scheiternde Existenzen. Ohne jedoch zu vergessen, dem Leser hin und wieder einen Lichtblick zu erlauben: Nicht alles auf der Welt ist schlecht. Betrachtet man das Leben und die Gesellschaft mit dem notwendigen Schuss schwarzen Humors, lässt sich aus jeder noch so sauren Zitrone ein sensationelles Gefühl ziehen. Pflichtlektüre. Punkt.

Weitere Informationen: Etgar Keret – personal websitePerlentaucherLyrikwelt

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Krimi Roman

Colin Cotterill – Dr. Siri sieht Gespenster

Puppe(c)oliviaebe/SXC

Er überquerte die staubige Kreuzung in der Dorfmitte und schlenderte zum Fluss hinunter. Dort angekommen, folgte er dem Wasserlauf, der sich cremigbraun dahinwälzte wie zähflüssiger Milchkaffee. Er achtete sorgfältig auf seine Schritte, um nicht versehentlich auf eine Hundefurzblume zu treten. Die sinkende Sonne wanderte am anderen Ufer vor sich hin und verschwand immer wieder hinter Bäumen. Die tristen Hügel vor den Toren Luang Prabangs waren mit frisch gedroschenen Feldern übersät, die von fern wie schmerzhafte Hautverpflanzungen aussahen.

Der unverwüstliche Pathologe Dr. Siri wird von einem neuen Abenteuer überwältigt. In diesem lernt er nicht nur den ehemaligen König kennen und wird als Schamane Yeh Ming wiederum von Geistern verfolgt. Auch seine Assistentin Dtui, die heimlich für ein Medizinstipendium büffelt, muss sich mit allerlei Geistern und Wertigern herumschlagen. Über den gemütlichen und spannenden Stil Colin Cotterills muss ich nach der ersten Rezension nicht mehr viel sagen. Die bekannten und sympathischen Figuren begegnen uns wieder und ein paar geisterbewohnte Puppen zeigen mehr Persönlichkeit als so mancher Mensch im kommunistischen Regime in Laos.

Diese Geste kannte er von dem kahlköpfigen König in dem Hollywoodfilm, der Siam beleidigt und die Pathet Lao deshalb über die Maßen begeistert hatte.

Und nicht nur mir ist die Hundefurzblume (die nicht existiert, was eine kurze Google-Suche offensichtlich macht) ins Auge gestochen. Auch die Deister- und Weserzeitung lobt die sprachliche Gewandtheit des Autors.

Weitere Informationen: Deister- und WeserzeitungKrimi-Couch.deLiteraturblog Duftender Doppelpunkt

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Roman

Paolo Giordano – Die Einsamkeit der Primzahlen

Viola(c)gklinek/SXC

Es waren die anderen, die zuerst bemerkten, was Alice und Mattia selbst erst viele Jahre später begreifen sollten. Sie lächelten nicht und blickten in verschiedene Richtungen, als sie das Zimmer betraten, doch sie hielten einander fest an den Händen, und so war es, als flössen ihre Körper durch die sich berührenden Arme und Finger unablässig ineinander über.

Alice und Mattia sind Außenseiter – beide leiden unter einem Kindheitstrauma und haben Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Das führt sie schließlich zusammen. Beide haben keine anderen Bezugspersonen und sind so gewissermaßen aufeinander angewiesen. Mattia hat als Kind seine Zwillingsschwester Michela im Park zurückgelassen und leidet deshalb an unüberwindbaren Schuldgefühlen. Alice erlitt bei einem Skiunfall eine Beinverletzung und hinkt seither. Ihre Komplexe bekämpft sie durch Magersucht. Mattia öffnet sich schließlich und erzählt Alice von seiner verlorenen Schwester. Kurz darauf nimmt er eine Stelle im Ausland an und lässt Alice zurück.

So saß er da und verlor langsam den Kontakt zu dem Geschriebenen; die Symbole, die kurz zuvor noch durch die Bewegung seines Handgelenks aufs Papier geflossen waren, kamen ihm nun fremd vor, erstarrt in einem Raum, zu dem ihm der Zugang verwehrt war. Im Dunkel des Zimmers füllte sich sein Kopf wieder mit düsteren, bedrängenden Gedanken, und meistens griff er dann zu einem Buch, schlug es an einer beliebigen Stelle auf und begann zu lernen.

Alice arbeitet in einem Fotogeschäft und heiratet den jungen Arzt Fabio. Als dieser jedoch Kinder haben möchte, zerbricht die Beziehung. Der Kontakt zwischen Alice und Mattia ist langsam abgerissen. Als Alice jedoch glaubt, Mattias Schwester gesehen zu haben, ruft sie ihn zurück und Mattia kommt prompt.

So sah man es in Filmen, und so geschah es in der Wirklichkeit, tagtäglich. Die Menschen nahmen sich, was sie haben wollten, klammerten sich an die meist wenigen Gemeinsamkeiten und bauten darauf ihr Leben auf. Hier bin ich, musste er zu Alice sagen oder wieder gehen, abreisen mit dem ersten Flug, verschwinden, zurück an jenen Ort, wo er in all den Jahren keinen festen Grund unter die Füße bekommen hatte.

Die düstere Stimmung dieses Romans reicht bis zur letzten Seite, ein Happy-End ist den beiden einsamen Protagonisten nicht vergönnt. Bis ins kleinste Detail beschreibt er die Abgründe, die sich in den Seelen seiner Personen auftun. Auch wenn beide schließlich einen Weg finden, ein scheinbar normales Leben zu führen, bleiben ihre Beziehungen zu anderen Menschen stets oberflächlich und unbefriedigend. Ein trauriges Stück, das unsere Gesellschaft widerspiegelt, in der unangepasste Menschen kaum eine Chance haben.

Weitere Informationen: Paolo Giordano @ Wikipediaaus.gelesenRezension und ausführliche Inhaltsangabe von Dieter Wunderlich

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Klassiker Roman

Leonhard Frank – Die Räuberbande

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Über der Stadt hing Rauch und Dunst. Es war schon fast dunkel. Eine Kirchenglocke läutete. Oldshatterhand war bedrückt; er spannte alle Muskeln an und hielt den Atem zurück, bis die Luft „pfa!“ aus seinem Munde fuhr. Es wurde ihm aber nicht leichter davon.

Eine Gruppe von Jugendlichen träumt im verschlafenen Würzburg von der großen, weiten Welt. In einer Höhle horten die Räuber ihre Beute und verüben allerhand Jungenstreiche. Der Roman erzählt vom Erwachsenwerden der Buben und wie sich die Freundschaften verändern und letztendlich zerbrechen, da sich jeder in eine unterschiedliche Richtung orientiert. Da entwickelt sich der Bleiche Kapitän zum disziplinierten Bodybuilder und Mädchen werden zunehmend wichtiger als die ehemaligen Freunde.

Oldshatterhand versucht als Einziger, den Plan vom Hinausziehen in die große Welt Wirklichkeit werden zu lassen und in München die Malerei zu erlernen. Bis ans Meer nach Italien führt ihn schließlich sein Weg, doch gerade der Träumer scheitert am Leben und an der Welt.

Etwas Positives kann man über diese Geschichte kaum sagen, einerseits lässt man sich von der anfänglichen Beschreibung der jugendlichen Lebenswelten einlullen und muss sich dann mit der Enttäuschung von Oldshatterhand auseinandersetzen, als dessen Freunde zu neuen Ufern aufbrechen, während er noch rätselt, was er mit seinem Leben anfangen soll. Genau genommen sind die Probleme der Jugendlichen heute genau dieselben: Ziellosigkeit, fehlende Perspektiven. Und das macht das Ganze eigentlich noch trauriger.

Weitere Informationen: Ausführliche Inhaltsangabe und Rezension von Dieter WunderlichRezension von André HerrmannLeonhard Frank @ Wikipedia

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Sachbuch

Barbara Hodgson – Die Krinoline bleibt in Kairo

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Reisen ist … eines der traurigsten Vergnügen des Lebens. Wenn man sich in einer fremden Stadt wohl fühlt, so ist es immer, weil man schon anfängt, dort einheimisch zu werden. Aber unbekannte Länder durchstreifen, eine Sprache reden hören, die man nur notdürftig versteht, menschliche Gestalten sehen, die sich weder an unsre Vergangenheit noch an unsre Zukunft knüpfen: das ist Einsamkeit und Absonderung ohne Ruhe und ohne Würde. (Mme. de Stael)

Passenderweise hat mich dieses Buch auf meiner österlichen Wochenendreise begleitet. Von Stockerau aus über Wien, Linz, Golling-Abtenau nach München und anschließend wieder retour haben ausgereicht, um sich mit reisenden Frauen von 1650 bis 1900 zu beschäftigen. Nach heutigen Massstäben erscheint es äußerst faszinierend, dass Menschen sich ohne Notwendigkeit all diesen Strapazen aussetzten. Heute sind so viele Menschen ständig mit dem Auto unterwegs und finden die öffentlichen Verkehrsmittel unzureichend und unbequem. Da möchte man doch manchmal an die äußerst unbequeme Postkutsche erinnern, mit der man Wien nach Linz seinerzeit länger brauchte als heute von Wien nach New York.

Frauen unterschiedlicher Nationalitäten begaben sich bereits damals auf die Reise, um unbekannte Gegenden auf unserer Welt zu erforschen und schreckten im Ernstfall auch nicht davor zurück, sich ohne Begleitung durch den Amahonas-Dschungel zu quälen. Krankheiten forderten gerade auf Schiffsreisen oder in tropischen Gebieten unzählige Todesopfer unter den Reisenden. Gerade in fortgeschrittenem Alter mussten die Reisenden daher immer wieder damit rechnen, die Heimat nicht wiederzusehen. Und doch erlangten gerade die Reiseberichte von Frauen eine derartige Popularität, dass sich immer neue Pionierinnen fanden, die die Welt erkundeten.

Bei der Krinoline handelt es sich übrigens um den in dieser Zeit üblichen Reifrock, den man zur Besteigung der Pyramiden besser nicht tragen sollte.

NOTE: Erstes Buch im Kindle-App am iPhone (Kurt Vonnegut: Cat’s Cradle). Erste Eindrücke brauchbar, wenn auch nicht sonnengeeignet.

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Kurzgeschichten Roman

Friedrich Torberg – Die Tante Jolesch

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Man könnte freilich auch sagen, dass das Kaffeehaus etwas von der Tante Jolesch abbekommen hat, dass sie das missing link zwischen talmudischer Ghettotradition und emanzipierter Kaffeehauskultur war, sozusagen die Stammmutter all derer, die im Kaffeehaus den Katalysator und Brennpunkt ihres Daseins gefunden hatten, ob sie’s wussten oder nicht, ob sie’s wollten oder nicht.

Obwohl die titelgebende Tante Jolesch nur im ersten Kapitel in persona auftritt, schwebt sie doch als Typus einer ausgestorbenen Generation über all den Anekdoten, die Friedrich Torberg hier versammelt hat. Allerlei Skurrilitäten, die in ihrer geballten Surrealität wesentlich kompakter wirken, als sie sich vermutlich ereignet haben dürften.

Einer der sechs Brüder hatte sich – noch zu des Vaters Lebzeiten – von einem Aufenthalt in Paris allerlei Modetorheiten mitgebracht, … und eine Vorliebe für Artischocken, was nun vollends als mondäne Verstiegenheit gewertet wurde. … Daran gewöhnte sich allmählich auch das skeptische Familienoberhaupt, ohne indessen seine abweisende Haltung zu ändern. Wie tief sie in ihm verwurzelt war, erwies sich, als man sich eines Sonntags um den Tisch versammelte und die Artischocke noch nicht auf dem üblichen Platz stand. „Mutter!” rief da der Vater Taussig in die Küche. „Wo ist das Gestrüpp für den Buben?“

Zentrales Thema und Schauplatz ist das Kaffeehaus, das in dieser Form hauptsächlich in Wien existiert und international zwar kopiert werden mag, aber das Wiener Flair niemals erreichen wird. Gleichzeitig behaupte ich, dass das Kaffeehaus in seiner damaligen Form nicht mehr existiert. Heute wohnen nicht mal die Bohemians, die per Laptop im WLAN arbeiten, wirklich im Kaffeehaus. Damals hatten die Literaten wohl tatsächlich nichts anderes zu tun als den Austausch von Neuigkeiten im Kaffeehaus. Zumindest vermittelt uns Torberg, der auch als Journalist tätig war, diesen Eindruck.

In ihrer Wohnung schliefen sie nur. Ihr wirkliches Zuhause war das Kaffeehaus.
Warum ist es das nicht mehr? Auch für jene nicht, die konstitutionell dafür geeignet wären? Liegt es an ihnen, dass sie im Kaffeehaus nicht mehr arbeiten können? Liegt es am Kaffeehaus?

Der titelgebenden Tante Jolesch werden im Volksmund allerhand Aussprüche zugeschoben, als Beispiel sei hier das Thema Männer, Affen und Luxus genannt. Torbergs Anekdotensammlung hat jedoch einiges mehr als die bekannten Sprüche zu bieten und hat mir mehr als einmal ein Lächeln auf in mein Gesicht gezaubert. Hier handelt es sich definitiv um einen Klassiker, der seine Zeit bei weitem überlebt hat und auch heute noch begeistern und unterhalten kann.

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Roman

Eric-Emmanuel Schmitt – Mein Leben mit Mozart

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Man verlässt nicht einfach eine Welt, auf der man so wunderbare Dinge hören kann, man bringt sich nicht so einfach um auf einer Erde, die solche und andere ähnliche Früchte hervorbringt.

Eric Emmanuel-Schmitt begleitet mich schon länger und auch mit diesem dünnen Band trifft er wieder mitten ins Herz. Er beschreibt in Briefform, wie Mozart ihm durch schwierige Momente seines Lebens geholfen hat. Er beschreibt hingebungsvoll seine Liebe zur Musik, speziell zur Musik von Mozart und wie sie sein Leben immer wieder in positiver Weise beeinflusst hat.

Dass Musik einem das Leben erleichtern kann, dürfte außer Frage stehen, auch, dass uns Musik in schwierigen Situationen wie ein Freund zur Seite steht, möchte ich einfach mal behaupten. Natürlich muss man sich heute die Frage stellen, welche Musik noch die Qualität erreichen kann, die es dazu braucht. Kann das „Getöse“, das sich so viele Jugendliche täglich in die Ohren dröhnen, auch eine derartige Funktion erfüllen? Oder dient sie nur dazu, sich von der Umwelt abzuschotten? Die wenigsten von uns haben die Zeit, sich hinzusetzen und ohne Ablenkung einer Oper oder einem Klavierkonzert zu lauschen.

Aber trotzdem habe ich selbst immer wieder das Gefühl, dass Musik unser Leben besser macht. Wenn man einen Song hört, der einen aus der Arbeit herausreißt, der die Seele dermaßen anspricht, dass die Musik sich vom Hintergrund in den Vordergrund des Bewusstseins drängt. Und das muss jetzt nicht Mozart sein. Mein aktueller Favourite: das neue Yellowcard-Album When you’re through thinking, say yes. Anspieltipp: Soundtrack.

Was ich da höre, ist kein Instrument, es ist das Erbeben einer Seele. Die Stimme eines Kindes übertönt allen Lärm und alles Getöse der Welt. Sie ist es. Die Frau, die ich geliebt habe, ist mit ihrem zarten Gesicht und ihren leuchtenden Augen mit einem Mal wieder gegenwärtig. Sie sieht mich liebevoll an. So finden wir einander wieder.

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Krimi Roman

Henning Mankell – Die Brandmauer

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„Ich glaube nichts. Aber wir müssen uns Klarheit darüber verschaffen, was Falk eigentlich trieb. Wer war er? Heute kommt es mir so vor, als bekämen Menschen allmählich elektronische Identitäten.“

Johanna Rachinger trifft es in ihrer Buchkolumne „Die besten 100 Bücher der letzten 100 Jahre“ auf den Punkt: „Viele Krimis – abgesehen von den ganz Großen – altern schlecht und verlieren schon bald ihren Reiz.“ „Die Brandmauer“ erschien erstmals 1998, in Computerzeitrechnung ist das natürlich Jahrhunderte her. Im Vergleich dazu erschien jedoch Stieg Larssons erster Teil der Millennium-Trilogie (dt. Verblendung) bereits 2005. Seine Romane haben deutlich weniger Staub angesetzt als die Abenteuer des computerscheuen Wallander.

Und doch ist dieser Wallander deutlich anders als seine Vorgänger. Erst auf Seite 228 (in der deutschen Übersetzung) lässt Mankell uns diesmal einen Blick in die Gedanken des Täters werfen. Er weicht damit von seiner üblichen Linie ab, was dem komplexen Fall ein weiteres erfrischendes Spannungsmoment verleiht.

Es war unwahrscheinlich, dass jetzt noch jemand kommen würde. Vorsichtig trat er aus dem Schatten und überquerte die Straße. Er schloss die Haustür auf und stieg mit lautlosen Schritten die Treppen bis zum Dachgeschoss hinauf. Er trug Handschuhe, als er aufschloss.

Am Ende lässt Mankell seinen Wallander ein bitteres Resümee ziehen – nicht nur über die schwedische Gesellschaft oder den Polizeiapparat, sondern über den Gesamtzustand der Welt.

Daneben ereignete sich eine andere Revolution. Die Revolution der Verwundbarkeit, in der immer mächtigere, doch gleichzeitig immer anfälligere elektronische Knotenpunkte zu Schaltstellen der Gesellschaft wurden. Die Effektivität wuchs um den Preis dessen, dass man sich wehrlos machte gegenüber Kräften, die Sabotage und Terror betrieben.

Damit gewährt Mankell auch seinem Kommissar einen Blick auf die Welt, die über den Kriminalroman hinausgeht. Selbst, wenn man nicht wüsste, dass es sich hier um ein (zumindest vorläufiges) Ende der Wallander-Reihe handelte, spürte man deutlich, dass hier etwas zu Ende geht.

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Roman Unterhaltung

Heinz G. Konsalik – Der Wüstendoktor

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In den Straßen tobten bereits die Kämpfe, Panzer sperrten die Zufahrten ab – als der Konvoi näher kam, hörte man deutlich das Knattern der Maschinengewehre und die Abschüsse von Granatwerfern und kleinen Kanonen. Dann war die Nacht da – schnell, wie wenn man einen Vorhang vorzieht, und mit dem Untergang der Sonne verflog auch die Wärme.

Wer Konsalik unbesehen als Schnulzenautor abtut, liegt nicht vollkommen richtig. Bereits 1981 erschien dieser Roman, indem erwartungsgemäß ein attraktiver Mann zwischen zwei nicht minder großartig geschilderten Frauen steht. Aber das ist nicht alles. Kulisse für die Geschichte von Dr. Ralf Vandura ist eine Revolution in Jordanien, die zwar nicht wie im Buch beschrieben, stattgefunden hat, aber jederzeit heute noch stattfinden könnte. Die Zeiten entführter Flugzeuge voll mit „unschuldigen“ Touristen mögen momentan vorbei sein, aber an den Ereignissen in Ägypten und Syrien in den vergangenen Monaten lässt sich deutlich ablesen, dass Revolutionen nahe jederzeit und überall ausbrechen können.

Die tatsächliche Liebesgeschichte entfaltet sich jedoch irgendwie frustrierend. Der Held Vandura verliebt sich in Katja Hellersen, die von ihrem Mann misshandelt wird. Sie stiftet ihn an, ihren Mann zu töten, Vandura weigert sich. Bruno Hellersen stirbt trotzdem, Vandura gerät unter Verdacht und ergreift die Flucht. In Beirut wird er vom Rebellenführer Karabasch aufgegriffen und landet als Arzt in deren Lager. Dort verliebt er sich in die Wüstenschönheit Laila, die ihn seine unglückliche Liebe zu Katja jedoch nicht vollständig vergessen lassen kann. Laila schreckt vor nichts zurück und ist dem Töten von Menschen noch weniger abgeneigt. Beide Frauen tragen Persönlichkeitsaspekte, die einem dem Leben verpflichteten Arzt, wie Dr. Vandura geschildert wird, eigentlich unangenehm sein müssten. Der Held heiratet am Schluss die Frau, die ihn bereits im ersten Buchdrittel angestiftet hat, ihren Mann zu töten. Die Revolutionärin Laila mag auch keine sehr angenehme Frau sein, aber Katja Hellersen, die ihrem Mann den Tod wünscht anstatt zur Polizei zu gehen, zeigt ebenfalls äußerst fragliche Charakterzüge. Von „happy end“ und heiler Welt kann hier also keine Rede sein.

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Klassiker Roman

Anette von Droste-Hülshoff – Die Judenbuche

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Diese Verwahrlosung ist umso mehr zu beklagen, da es auch dem letzten nicht leicht an Talenten und geistigen Mitteln gebricht und seine schlaue Gewandtheit, sein Mut, seine tiefen unbändigen Leidenschaften und vor allem seine reine Nationalität, verbunden mit dem markierten Äußern, ihn zu einem allerdings würdigen Gegenstand der Aufmerksamkeit machen.

„Die Judenbuche“ gehört im österreichischen Literatur-Unterricht zu den Standwerken, mit denen sich die Schüler langweilen müssen. In diesem Werk findet sich tatsächlich wenig Spannendes für die „heutige Jugend“. Ein Sittenbild der damaligen Gesellschaft in einer deutschen, ländlichen Gegend, wo das Urteil der Dorfbewohner mehr zählt als das Gesetz.

In den weiteren Erzählungen in diesem Band beschreibt die Autorin ländliche Bräuche wie sie etwa bei Hochzeiten damals geübt wurden. Oft ist es spannend, sich solche Werke in ihrem Kontext anzusehen, um zu erfahren, wie sie sich in die damalige Zeit einfügen. Wie das Werk ursprünglich aufgenommen wurde, geht allerdings weder aus der Wikipedia, als aus anderen Artikeln zum Werk hervor. Auch im Anhang des Buches findet sich dazu nur eine kurze Notiz:

Im Sommer 1844 gelang es jedoch Guido Görres, die Dichterin zu einer anonymen Veröffentlichung der Skizzen in den von ihm geleiteten „Historisch-politischen Blättern“ zu bewegen, wo sie in Band 16 (1845) unter dem Titel „Westfälische Schilderungen aus einer westfälischen Feder“ erschienen. Sie riefen in Westfalen heftige Kritik hervor, die im einzelnen nicht immer unberechtigt war, im ganzen jedoch die Absicht der Dichterin verkannte.

Über die „Absicht der Dichterin“ schweigt sich der Anhang leider aus. Welche Motivation steckte hinter dem Werk? Wollte Droste-Hülshoff Missstände aufzeigen, die mangelnde Moral oder die Selbstjustiz auf dem Lande anprangern? Fragen, die sich Generationen von Schülern Jahr für Jahr stellen müssen. Zum Glück muss ich sie nicht erschöpfend beantworten, sondern kann mich übergangslos angenehmeren Werken zuwenden.