Categories
Krimi Roman Unterhaltung

Donna Leon – Endstation Venedig

Brunetti kam am nächsten Morgen um acht in die Questura, nachdem er unterwegs noch die Zeitungen gekauft hatte. Der Mord hatte es auf Seite elf des Corriere geschafft, der allerdings nur zwei Absätze dafür übrig hatte, in La Repubblica wurde er nicht erwähnt, verständlich am Jahrestag eines blutigen Bombenanschlags der sechziger Jahre, aber er war auf der ersten Seite des zweiten Teils von Il Gazzettino gelandet, gleich links neben einem Bericht – dieser mit Foto – über den tödlichen Unfall dreier junger Männer, die mit ihrem Auto auf der Autobahn zwischen Dolo und Mestre in einen Baum gerast waren.

Dieses Zitat verdeutlicht in einem die unterschiedlichen Aspekte, die ich zu diesem Krimi verdeutlichen möchte.

  • Donna Leons Krimis über den langweilig sympathischen Commissario Brunetti leben großteils vom italienischen bzw. venezianischen Lokalkolorit. Die versinkende Lagunenstadt übt auf viele eine faszinierende Anziehungskraft aus, was jeder dort spielenden Geschichte ebenfalls etwas Mysteriöses gibt.
  • Brunettis scheinbar normales Familienleben mag der Hauptfigur eine Basis geben, die die Auseinandersetzung mit den vielen Straftaten erträglicher macht. Manchmal ist es jedoch schlicht langweilig, wenn die Beschreibung des Abendessens gerade wieder ausufert. Das mag bei Eva Rossmann überzeugen, dies gilt jedoch nicht für Donna Leon.
  • Interessantestes Detail an diesem Werk ist der unterschwellig aktuelle (der Roman erschien erstmals 1993, aber die Thematik ist noch immer gültig) Bezug zur Umweltverschmutzung und die Kritik an der amerikanischen Regierung bzw. an Regierungen weltweit. Zu realistisch jedoch der Ausgang dieser Verknüpfung, indem natürlich die übliche Vertuschung vorgenommen wird.

Wie bereits in meinem Beitrag zu Stieg Larssons Verblendung angemerkt, sei vom anschließenden Genuss eines Donna Leon-Krimis abgeraten, da man sich unnötig langweilt, wenn man erstmal Bekanntschaft mit Stieg Larsson gemacht hat. Ich überlege jetzt, ob ich überhaupt weitere Brunettis lesen sollte, es heißt so oft, einer wäre wie der andere. Da würden mich durchaus andere Meinungen zu diesem Thema interessieren.

Categories
Roman

Eva Menasse – Vienna

„Die Tränen, die er nie geweint hat“, sagte mein jüngerer Vetter nachdenklich. „Mein Gott, was bist du für ein Pathetiker“, ächzte mein älterer Vetter, und mein Vater tat, als habe er von dieser ganzen Lainz-Burma-Geschichte überhaupt nichts mitbekommen. In meiner Familie schämt man sich für Emotionen bis auf die Knochen.

Liest man diese unterhaltsamen Familiencharakteristik, kommt einem nicht eine einzige Sekunde in den Sinn, es könnte der erste Roman der Journalistin Eva Menasse sein. Eine Sammlung von Familienanekdoten fügt sich Stück für Stück zu einem Portrait von unterschiedlichsten Figuren über mehrere Generationen zusammen. Wirklich erfassen kann man die Familie wohl nur, wenn man sich während des Lesens die Zeit nimmt, den Familienstammbaum zusammenzustellen. Über den Krieg, die Geschichten der Großeltern und der resoluten Tante Gustl bis zum jüdischen Fundamentalismus des Bruders und der Vettern breitet sich die Familiengeschichte zu einem Panoptikum aus skurrilen und doch liebenswerten Persönlichkeiten aus.

Meine Schwester schien ihn anfangs gar nicht zu bemerken. Sie, deren Schönheit nun allerorten gepriesen wurde – „a fesche Katz“, gestanden sogar die Würfelmonster zu –, gab sich gerne den Anstrich hoheitlichen Desinteresses. Sie glaubte wohl selbst, daß auf sie jemand ganz Besonderer warte, eine Art Märchenprinz für die verwöhnte Prinzessin.

Charmante Wiener Eigenarten bilden die charakteristische Grundlage der Familientradition. Die Bridge-süchtige Großmutter und der Tennisclub prägen die Generationen über Jahrzehnte hinaus. Im Tennisclub sind auch die so genannten „Würfelmonster“ – dem Würfelspiel verfallene ältere Damen mit erbarmungslos scharfen Zungen – zuhause, so manche Episode nimmt hier ihren Ausgang.

Wenn das begann, wenn die alten Familiengeschichten zum tausendsten Mal heraufbeschworen, durchgekaut und neu interpretiert wurden, flüchteten sich die angeheirateten Frauen theatralisch eine Weile lang in die Küche, weil sie es angeblich „nicht mehr hören konnten“, England, Burma, Fußball, Film, das ‘Weißkopf’, die abgefeimte Tante Gustl und der Sohn, der irgendwelche klebrigen Mehlspeisen gestohlen hat. Aber sie kamen bald wieder zurück, denn obwohl sie es nie zugegeben hätten, liebten sie es längst genauso, das mehrstimmige Pointenfeuerwerk, die nicht endenwollende Serie ‘echter Königsbees’, die ganze Heimeligkeit dieses familiären Sagengutes, in das wir uns lustvoll einwickelten, weil es unser flüchtiges Zusammensein mit einer kurzen, aber kräftigen Wurzel in der Vergangenheit verankerte.

Doch nicht die so bekannte jüdische Jammerei über Benachteiligungen und Kriegsblessuren prägen diesen Roman, nicht die nervtötende Neurotik einer Lily Brett, nicht die intellektuelle Kulturkritik einer Siri Hustvedt. Die Familie ist das beherrschende Thema und dass diese Familie uns unser ganzes Leben lang begleiten wird, ob uns das nun gefällt oder nicht. Eine gleichzeitig beängstigende und beruhigende Schlussfolgerung, die jeden die Schrulligkeiten der eigenen Familienmitglieder für einen kurzen Moment mit anderen Augen sehen lässt.

Categories
Krimi Roman Thriller Unterhaltung

Stieg Larsson – Verblendung

„Wir sind jetzt beim Kern meines Anliegens angekommen. Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer in der Familie Harriet ermordet und danach fast vierzig Jahre versucht hat, mich in den Wahnsinn zu treiben.“

Selten kann man sich an einem Krimi erfreuen, der mit einer derartigen Präzision mehrere Handlungsebenen miteinander veknüpft und auf keiner einzigen dieser Ebenen scheitert.

Über die Handlung möchte ich an dieser Stelle nicht allzu viel sagen, dass ich diesen Roman jedem herzlich empfehlen möchte und daher nicht die Spannung zerstören möchte. Ein Handlungsverlauf durch mehrere Länder garantiert einen Spannungsbogen, der die Schicksale der Hauptpersonen sowohl auf beruflicher als auch privater Ebene immer wieder neu miteinander verwebt.

Aber nicht nur die Geschichte selbst ist ein Meisterwerk der Verknüpfung der Handlungsebenen, sondern auch und gerade die Gestaltung der Hauptpersonen macht diesen Roman zu dem Vergnügen, das sich auf beinahe 700 Seiten ausbreitet. Im Vordergrund steht in erster Linie der Journalist Mikael Blomkvist, der sich zwar mit Scharfblick auszeichnet, jedoch scheinbar ohne Emotionen durch die Betten der Frauen hüpft, die sich ihm auf seinem Weg ergeben. Seine Geschäftspartnerin und langjährige Geliebte Erika Berger – mit einem anderen verheiratet – ist ihm als langjährige Freundin eine wichtige Stütze auf seinem Weg, spielt jedoch emotional nur eine Nebenrolle.

Grandios gelungen ist jedoch das Charakterportrait von Lisbeth Salander. In jedem Kapitel entwickelt sie neue Facetten, jede einzelne überzeugend und konsequent illustriert. Als „schwieriges Kind“ aufgewachsen, ihre Mutter heute dement im Altersheim, sie selbst unter der Vormundschaft eines Anwalts, der ihre finanziellen Verhältnisse verwaltet. Gleichzeitig ist sie hochintelligent, kann die komplexesten Vorgänge entwirren und tummelt sich als Hackerin in den Welten des Internet. Als private Ermittlerin ist sie sehr erfolgreich, weshalb es auch zur Zusammenarbeit mit Mikael Blomkvist kommt, über den sie zuvor ein ausführliches Dossier erstellt hat, dass ihm selbst die Sprache verschlägt, als er es zu Gesicht bekommt. Sie allein trägt alle Emotionen in sich, die Stieg Larsson seinen Personen zugesteht, und diese lebt sie auch immer wieder grenzenlos aus. Gleichzeitig handelt sie nach raffinierter Planung mit kühler Präzision, wenn die Situation dies erfordert. Mit diesem grandiosen Charakterportrait allein hat Stieg Larsson eine großartige Leistung abgeliefert. Die Verfilmung werde ich mir wohl kaum ansehen, schon allein, weil mir einige Szenen sicher Alpträume verursachen würden. In den Trailern (Beispiel) macht die schwedische Schauspielerin Noomi Rapace einen soliden Eindruck, ob es ihr jedoch gelingt, die emotionale Tiefe dieser Figur auch zu verkörpern, muss jeder selbst beurteilen.

Eine Warnung sei jedoch anschließend ausgesprochen: Nach der Lektüre dieses Werkes könnte einem ein Brunetti und selbst ein Wallander etwas blass erscheinen.

Categories
Roman Unterhaltung

Rocko Schamoni – Dorfpunks

Wir waren auf dem Weg zur anderen Seite. Fort von den geraden Pfaden, Schule, Sportverein, Tanzstunde, hin zu dem Gefühl, anders zu sein als die meisten anderen. Warum wir so waren, fragten wir uns nicht. In uns klafften wachsende Löcher, eine bodenlose Leere breitete sich aus, das Fehlen der kindlichen Geborgenheit, aufkeimende Sexualität und die absolute Ahnungslosigkeit über die eigene Identität erzeugten eine schmerzhafte Säure aus Langeweile, Angst und Ablehnung, die durch unsere Adern floss.

Mit steigendem Alter erinnert sich jeder gerne in verklärter Weise an seine Jugend. Unangenehme Erinnerungen werden verdrängt oder glorifiziert. Aus einem Konzert vor Freunden und Bekannten, das in einer großen Zerstörung endet, wird in der Erinnerung der glanzvollste Abend der Jugend.

„Dorfpunks“ ist genau das: eine glorifizierende Erinnerung. Der Leser darf sich bei den amüsanten Teenagergeschichten an seine eigene Jugend erinnern. An die eigenen Fehler, an wilde Partys, bunte Haare und Stylingdesaster. An Konzerte in Bruchbuden, die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und schließlich das Gefühl, dass die Jugend langsam vorbei geht.

Mit alldem machten wir uns lustig über die Erwachsenenwelt, Musikantenstadl, Hitparade, Schlager, Mainstream, Starverehrung. Wir waren keine Stars, wir waren gute Freunde mit neuen Ideen füreinander. Wir äfften die hässliche Welt nach, wir waren Müllsammler und recycelten die Splitter ihrer geborstenen Oberfläche.

Über all diesen Geschichten aus einer Jugend auf dem Dorf in Norddeutschland schwebt stets das Wissen, dass dieses Jugendleben ein Ablaufdatum hat. Lange bevor in den letzten Kapiteln schließlich die Freunde sesshaft werden und sich paarweise zurückziehen, weiß jeder, der dieses Alter hinter sich hat, dass diese Zeit schneller vorbeigehen wird, als es einem lieb ist. Wie schnell die Jugend vorbei ist, merkt man erst, wenn sie dann vorbei ist. Aber dann bleibt einem immer noch die glorifizierende Erinnerung. Manche packen sie in ein Fotoalbum, andere in einen Roman, der nicht nur Punk sondern auch die Erinnerung an sich glorifiziert.

Categories
Roman

Petra Balzer de Garcia – Die Reben von Scala Dei

„Dass der Herr auch den Kelch Wein nimmt und ihn den Seinen reicht, zeigt, dass er uns nicht nur das geben will, was wir unbedingt brauchen. Er denkt uns auch zu, was uns Freude macht. Wie das Brot für all das steht, was wir zum Leben nötig haben, so der Wein für das, was uns des Lebens froh werden lässt.“

Es scheint ein recht feiner historischer Roman zu sein. Der junge Maure Raschid muss fliehen, denn die Christen erobern die Stadt Siurana, über die bisher seine Mutter Azia herrschte. Raschid muss sich als Christ ausgeben, um zu überleben. Der Weinhändler Bobo nimmt den Jungen als Lehrling unter seine Fittiche.

Raschids neues Leben nimmt seinen Lauf, schließlich verliebt er sich sogar in die schöne Alba, die mit Guillem, dem Sohn des Eroberers von Siurana, verheiratet wird. Und genau dieser Aspekt macht den Roman in weiterer Folge unglaubwürdig. Die Autorin verfängt sich in ihrer Geschichte, in die sie alles reinpacken will. Der religiöse Konflikt von Raschid, der mit seinem späteren Mentor Prior Père die Kartause Scala Dei gründet und deren Weinberge bewirtschaftet, bleibt vollkommen außen vor. Natürlich gelingt ihm letztendlich die Rache und alles wendet sich zum Guten, dies geschieht jedoch in furchterregender Geschwindigkeit und wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen unglaubwürdig. Als wäre der Abgabetermin nahegerückt und daher musste der Deus ex machina die Geschichte zu einem guten Ende bringen.

Raschid war übel vor Unruhe und Furcht. Sicher, er war frei. Doch einen Tag zuvor war er dem Tod noch so nah gewesen. Nichts war von Dauer, dessen war er sich so gewiss wie nie zuvor.

Die Handlung ist in Katalonien angesiedelt (was mich ursprünglich veranlasst hat, zu dem Roman zu greifen). Hier wäre eine Übersichtskarte hilfreich, um die Reise von Raschid verfolgen zu können. Die Städte Siurana und Barcelona sind als Schauplätze auch heute zu finden. Auch die Eroberung der maurischen Stadt Siurana durch die Christen ist historisch bekannt. An diesen Fakten lehnt sich Petra Balzer de Garcia mit ihrem Roman an, die von ihr entworfene Liebesgeschichte über die Grenzen der Stände hinweg kann jedoch nicht überzeugen, so sehr ihre Beschreibungen des Weinbaus und Raschids Entwicklung zum Weinbauer auch gefallen.

Categories
Roman

Marc Levy – Zurück zu dir

Man sagt, um von einer Liebesgeschichte geheilt zu werden, braucht man die halbe Zeit ihrer Dauer. Dann, eines Morgens, wacht man auf, und die Last der Vergangenheit ist wie durch Zauberhand verschwunden.

Die Liebesgeschichte zwischen Arthur und Lauren, die in „Solange du da bist“ ein so überraschendes und unbefriedigendes Ende fand, findet in „Zurück zu dir“ seine Fortsetzung. Aber auch diesmal gibt es keinen einfachen Weg für die beiden und Arthurs Freund Paul hat auch so einiges durchzustehen. Mit Arthurs neuer Nachbarin Miss Morrison gibt es außerdem einen wirklich interessanten Charakter, der etwas Leben in die stückweise doch sehr trockene Hin-und-Her-Geschichte bringt. Sie ist es auch, die Laurens Mutter letztendlich dazu bewegt, ihrer Tochter die Wahrheit über das Koma zu sagen.

Ich hatte nicht das Glück, Kinder zu haben, und im Gegenteil zu dem, was ich vorhin gesagt habe, um mich gelassen zu geben, können Sie sich nicht vorstellen, wie sehr mir das fehlt. Aber wegen der vielen Beziehungen glaubte ich mich nicht in der Lage dazu – das zumindest war meine Entschuldigung, um mich nicht mit meinem Egoismus konfrontiert zu sehen.

Natürlich wird die Geschichte in der Fortsetzung nicht wirklicher und der erste Teil hatte schon deutlich mehr den Effekt des Originellen zu bieten. Aber immerhin ist es ihm gelungen, den Geist seiner Charaktere einzufangen und ein weiteres Hohelied auf die Liebe zu dichten.

Categories
Krimi Roman

Henning Mankell – Die falsche Fährte

Raps (c) Barbara Thomas / PIXELIO

Er sah plötzlich etwas ein, was er vorher übersehen hatte. Hinter dem toten Mädchen standen andere Menschen. Die um sie trauern würden. In deren Köpfen sie für immer als lebende Fackel laufen würde, auf eine ganz andere Weise als in seinem. In ihren Köpfen würde das Feuer seine Spuren hinterlassen. Für ihn würde es langsam verblassen wie ein böser Traum.

Man soll ja nicht mit Superlativen um sich werfen, aber das ist definitiv der beste Wallander-Krimi, den ich bisher gelesen habe. Alles beginnt mit einem Mädchen, das sich in einem Rapsfeld selbst in Brand steckt. Scheinbar ein Selbstmord, der mit dem anschließenden Geschehen nichts zu tun hat. Da Wallander dran bleibt und das Mädchen identifizieren kann, ist natürlich bald klar, dass sie doch auf eine Art und Weise mit dem „Skalp-Mörder“ zu tun hat.

Ich verrate nicht zuviel, wenn ich sage, dass es dem Leser kalt den Rücken hinunterläuft, wenn Wallander dem von ihm gesuchten Mörder gegenübersteht und nichts Böses ahnt. Wenn auch seine Tochter Linda wieder in Gefahr gerät, ohne auch nur das Geringste davon zu ahnen. Man wartet sehnlichst auf den Moment, an dem Wallander endlich den Mörder erkennt und mit der tatsächlichen Jagd beginnen kann.

Ein gelungener Griff ins Krimi-Regal für alle Fans des schwedischen Kommissars!

Categories
Roman

David Gilmour – Unser allerbestes Jahr

„Genau das will ich sagen. Wenn sie es mit keinem anderen Mann macht, macht sie es auch nicht mit mir. Und deshalb habe ich dich mit ihr bekommen und nicht mit einer anderen Frau.“ – „Du hast gewusst, dass ihr euch trennt?“ – „Ich will sagen, ich finde es okay, mit einem Miststück ins Bett zu gehen, aber man soll nie mit einem Miststück ein Kind haben.“ – Da war er still.

Schon noch 20 Seiten fällt es schwer, das Buch aus der Hand zu legen (mich hat es genau zwei Abende lang beschäftigt). David Gilmour versteht es, den Leser sofort in seine Geschichte hineinzuziehen, er fackelt nicht lange mit Beschreibungen der Lebenswelten (diese werden mit der Zeit ohnehin immer klarer), sondern kommt sofort zum Wesentlichen: Der Beziehung zu seinem Sohn.

„Über eine Frau wegzukommen, ist ein Prozess, der seinem eigenen Zeitplan folgt, Jesse. Wie Fingernägel, die wachsen. Du kannst machen, was du willst – Tabletten, andere Mädchen, ins Fitnesscenter gehen, nicht ins Fitnesscenter gehen, trinken, nicht trinken – letztlich spielt das alles keine Rolle. Du kommst nicht eine Sekunde schneller ans Ziel.“

Den besonderen Charme des Buches macht gleichzeitig seine Einfachheit als auch seine Ehrlichkeit aus. Gilmour beschreibt seinen eigenen Sohn Jesse, der sich in der Schule so langweilt, dass er stets negativ auffällt. Nach langem Überlegen entschließt er sich, seinem Sohn den Schulabbruch zu erlauben, mit der Auflage, dass sie sich von jetzt an gemeinsam wöchentlich drei Filme ansehen. Anhand der Filme versucht er seinem Sohn etwas beizubringen. Daraus lernt er einerseits viel über Filme, aber natürlich auch Einiges übers Leben. Gilmour beschreibt grandios den Trennungsschmerz nach dem Ende einer Beziehung, einerseits mit Blick auf die Teenagerliebe seines Sohnes, aber auch anhand seiner eigenen Erfahrungen. Man möchte in die Hände klatschen und ausrufen: „Ja, genau so war es auch bei mir“, wenn er den Punkt beschreibt, an dem man plötzlich feststellt, dass der Schmerz verschwunden ist.

Als wäre die Kette am Anker gerissen (man kann sich nicht mehr erinnern, wo man war oder was man gemacht hat), merkt man plötzlich, dass die eigenen Gedanken wieder einem selbst gehören, das Bett ist nicht mehr leer, sondern einfach das eigene Bett, in dem man Zeitung lesen kann oder schlafen oder … was wollte ich heute noch erledigen? Ah, ja, der neue Haustürschlüssel.

Genau diese Ehrlichkeit macht es zu so einem überzeugenden Buch. Für mich sind es zwar nicht Filme, die mein Leben als Leidenschaft ausfüllen, aber Ähnliches ließe sich über Bücher sagen, die einem in verschiedenen Lebensphasen genau den Kick geben, den man gerade braucht. Dieses Buch kann einem einerseits über das Ende einer Beziehung hinweghelfen. Auf eine schräge Art ist es aber auch ein Loblied auf die Elternschaft – gleichzeitig ehrlich und verklärend. Und nicht zuletzt zeigt es uns, dass wir manchmal entgegen besseres Wissen auf unser Herz hören müssen.

Categories
Roman

Margit Schreiner – Haus, Frauen, Sex

Nähen (c) Rainer Sturm / PIXELIO

Da habe ich mir gedacht: Die Resi ist eine Prinzessin, und eines Tages baue ich ihr ein Haus mit einem Garten und einem Teich in der Mitte. Und im Haus lege ich ihr einen roten Steinboden im Flur. Das habe ich mir damals geschworen, als du schwanger warst mit meinem Sohn.

Margit Schreiner beschreibt in diesem Roman die Trennung eines Paars nach langjähriger Ehe aus der Sicht des verlassenen Mannes. Vieles, was er über seine Frau denkt, scheint seinem eigenen verletzten Ego zu entspringen. Dinge, die er niemals aussprechen würde, wenn seine Frau noch seine Frau wäre, und vor ihm stehen würde. Und das obwohl er selbst beschreibt, was er bereits alles ausgesprochen hat und auch, dass er seine Frau im Affekt geschlagen hat.

Seine eigenen Taten spielt er herunter, alle Fehler werden der Frau zugeschoben, das Funktionieren der Ehe hängt scheinbar allein von ihrem Versagen ab. Er hält sich selbst für fehlerlos und mokiert an seiner Frau über viele Seiten, dass sie nicht imstande ist, den Herd oder eine Holzkommode nach seinen Vorstellungen korrekt zu putzen.

Vieles, was hier zur Sprache kommt, scheint direkt dem männlichen Egodenken entnommen, man wundert sich immer wieder, wie eine Frau zu derartigen Erkenntnissen gelangen kann. Wo die männliche Seele der Frau immer als Buch mit sieben Siegeln erscheint, trotz allem ausgedehnten Analysieren, geht Margit Schreiner hier den Grenzweg zwischen grausamer Wahrheit und übertriebener Fiktion. Das Ergebnis ist ein grausames Charakterportrait, das man gar nicht ernst nehmen will, weil es ein so schmerzhafter Blick in die gekränkte Seele eines verlassenen Mannes zu sein scheint.

Categories
Roman

Nick Hornby – Juliet, Naked

CD (c) Günter Havlena/PIXELIO

„Du ziehst aus“, sagte Annie. „Oh. Hoppla. Wow. Nein, nein, nein, davon habe ich nicht gesprochen“, protestierte Duncan. „Du vielleicht nicht. Aber ich spreche davon. Ich habe mein halbes Leben an dich vergeudet, Duncan. Oder zumindest das, was von meiner Jugend noch übrig geblieben war. Ich werde keinen weiteren Tag vergeuden.“ Sie ging zu ihrer Tasche, zog eine Zehnpfundnote hervor, warf sie auf den Tisch und ging hinaus.

Mit diesem Roman kehrt Nick Hornby wieder zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Im Zentrum steht ein Rocksänger, der zuerst nur aus dem Blickwinkel seines Fans Duncan und dessen Freundin Annie in Erscheinung tritt. Deren Beziehung gerät ins Wanken durch unterschiedliche Meinung über das neue Album des Rocksängers Tucker Crowe, den Duncan wie einen Gott verehrt. Annie zweifelt an den vergangenen 15 Jahren ihres Lebens und sucht nach neuen Wegen.

„Nun, viele Menschen, die ich kenne, führen eine unglückliche oder frustrierende Ehe. Oder eine langweilige.“ – „Und?“ – „Sie sind trotzdem eigentlich ganz zufrieden.“ – „Sie sind glücklich in ihrem Elend.“ – „Sie haben sich damit arrangiert, ja.“

Haiauge, Herzinfarkt und Farmer John begleiten Annie, Tucker und Duncan auf ihrer gemeinsamen Suche nach einem neuen Leben. Und natürlich die Musik. Bei Duncan kann man zwar den Lerneffekt nicht so eindeutig feststellen, aber zumindest Annie und Tucker haben am Ende des Buches dazugelernt und können von nun an hoffentlich mehr aus ihrem Leben machen.