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Roman

Maeve Binchy – Ein Cottage am Meer

Ausblick auf die Türme der Sagrada Familia, Barcelona

Die Aufgabe, ein Buch zu finden, das an einem Ort spielt, den ich immer schon mal besuchen wollte, war gar nicht so einfach. Mein Sehnsuchtsort war immer Barcelona gewesen, seit dem Musical Gaudi faszinierte mich diese Stadt und der Architekt, der für so viele bekannte Bauten dort verantwortlich ist, unter anderem die bis heute unvollendete Sagrada Familia. Im August 2010 war ich dort. Ein Stück weit wurden meine Vorstellungen erfüllt, aber auch der Zauber verflog zu einem guten Teil. Doch schließlich fiel mir Irland ein. Eine gute Freundin hat vor vielen Jahren ein paar schöne Monate dort verbracht und wir hatten auch mal gemeinsam Pläne geschmiedet, einen Urlaub dort zu verbringen, zur Umsetzung kam es jedoch nie. Jetzt plane ich eine Reise nach Dublin. Und hoffe, dass es klappt.

ein Vorsprung an der Fassade der Sagrada Familia, dort liegt ein verlassener Teddy

Nach dem arbeitsbedingt anstrengenden Juni und den großteils schwierigen und traurigen Büchern der letzten Zeit wollte ich etwas Entspannendes lesen und mich einfach nur unterhalten lassen. Auf Goodreads suchte ich dann nach einem Buch, das in Irland spielt und Maeve Binchy ist wohl eine der bekanntesten irischen Autorinnen. Meine Hoffnung, eines ihrer Werke in der Bücherei verfügbar zu finden, wurde schnell bestätigt.

Am Anfang plätscherte mir die Geschichte noch zu sehr dahin. Erzählt wird zuerst aus der Perspektive der Auswandererin Chicky Starr, die mit einem jungen Amerikaner ihre Heimat an der Westküste Irlands verlässt. Nach nur wenigen Monaten ist die junge Liebe verflogen und Chicky steht allein da. Vor ihrer Familie schämt sie sich jedoch so sehr, dass sie ihnen Lügen über Lügen auftischt. Erst nach vielen Jahren lässt sie den vermeintlichen Ehemann Walter bei einem tragischen Autounfall versterben und kehrt in ihr Heimatdorf zurück, um dort ein Hotel zu eröffnen.

In weiterer Folge wechselt die Perspektive, wir lernen Chickys Familie kennen und schließlich alle Gäste, die Stone House in der ersten Woche beehren. Jeder von ihnen hat seine eigenen Dämonen, seine eigene Vergangenheit, seine eigene Geschichte mit nach Stoney Bridge gebracht. Bis auf eine einzige Ausnahme können sie von ihrer Zeit in Stone House profitieren und schlagen teilweise sogar neue Kapitel in ihrem Leben auf. Entspannende Sommerlektüre für zwischendurch.

Reading Challenge: A book set somewhere you always wanted to visit

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Roman

Emmi Itäranta – Der Geschmack von Wasser

Schon wieder ein zutiefst gesellschaftskritischer Roman. Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft, die Protagonistin Noria und ihre Familie blicken immer wieder zurück auf die „Alte Zeit“ und fragen sich, warum die Menschen damals so sorglos mit den Ressourcen der Erde umgegangen sind. Ölkriege haben große Teile der Erde unbewohnbar gemacht, viele Rohstoffe finden sich nur noch auf Mülldeponien, Trinkwasser wird immer knapper und von der Armee verwaltet und rationiert.

Norias Vater ist Teemeister, er pflegt die alte Tradition der Teezeremonie, Noria als einziges Kind wird als seine Nachfolgerin ausgebildet. Schon zu Beginn erfährt Noria von ihrem Vater das Familiengeheimnis: als Teemeisterin ist sie auch für den Schutz der geheimen Quelle verantwortlich, aus der ihre Familie den Großteil des Wassers für die Teezeremonien und ihren Garten bezieht. Das Wissen um und die Verwendung dieses Wassers sind illegal, ein „Wasserverbrechen“. Jede illegale Wasserleitung wird bestraft, was mit den Menschen geschieht, bleibt jedoch im Dunkeln.

Schnell ist klar, dass diese Quelle kein Geheimnis bleiben kann, die Not wird größer, der Wassermangel treibt die Menschen zu immer verzweifelteren Taten. Noria versucht, „das Richtige“ zu tun und steht bald vor der Frage, ob es richtig ist, sich an die Gesetze zu halten oder an ihr eigenes Moralgefühl.

Schön beschrieben finde ich die Szenen, in denen Noria und ihre Freundin Sanja alte Geräte reparieren, die sie auf der Mülldeponie finden. Ein paar CDs („silberne Scheiben“) bringen die beiden Mädchen auf die Spur eines alten Geheimnisses. Hier wird Hackermentalität vom Feinsten porträtiert.

In der Bücherei hatte ich das Buch überraschend in der Abteilung Jugendliteratur gefunden (die Systematik in der Bücherei überfordert mich noch immer, ich muss mal jemanden bitten, mir das zu erklären). Für mich ist es aber eines jener Jugendbücher, die zum Nachdenken anregen auf eine Art, die Erwachsene oft auch sehr dringend gebrauchen könnten. Einem aufmerksamen Jugendlichen wird die Kritik nicht entgehen, die uns daran erinnern soll, aufmerksam mit unserer Welt, unserer Erde umzugehen. Für einen Erwachsenen sollte es jedoch genauso ein Weckruf sein, vielleicht sogar noch wichtiger, da Erwachsene meist größere Gestaltungsmöglichkeiten haben.

In diesem Zusammenhang ist mir auf Twitter kürzlich diese Petition über den Weg gelaufen. Gerade Konzerne wie Nespresso sind es, die des Profits wegen alle Bedenken über Bord werfen. Verändern kann dies nur der einzelne Mensch, in dem er dieses Produkt nicht kauft. Auch der Preis kann kein Grund sein, denn die Kaffeekapseln sind aufs Kilo gerechnet deutlich teurer als ein Kilo Fairtrade-Kaffee aus dem Weltladen. Nur wenn jeder Einzelne nachdenkt, seinen eigenen Lebensstil immer wieder hinterfragt und nach Alternativen sucht, kann eine Zukunft, wie sie in diesem Buch geschildert wird, abgewendet werden. Jeder Einzelne zählt.

Reading Challenge: A book set in the future

Randnotiz: Auf Goodreads hatte ich wegen eines anderen Reading Challenge Themas geschmökert und dann auch geschaut, in welcher Kategorie ich dieses Buch unterbringen könnte. Dabei ist mir aufgefallen, dass das Titelbild der englischen Ausgabe deutlich sprechender und verstörender gestaltet ist, als das der deutschen Ausgabe, auf der man nur den blauen Kreis sieht, mit dem die Häuser der Wasserverbrecher gekennzeichnet werden.

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Roman

Pia Ziefle – Länger als sonst ist nicht für immer

Der Weg in die Küche wurde ihm zu weit, und die wenigen Minuten, die er warten musste, bis der Kaffee gebrüht war, erschienen ihm wie Verschwendung. Was man tun könnte in vier oder fünf Minuten! Zeitung lesen, aufs Klo gehen, die schmutzigen Tassen vom Vorabend auswaschen, die Weingläser kurz mit dem Tuch polieren, wo war noch mal das Tuch? In der Wäsche, unten im Keller, das dauerte zu lange, um innerhalb des Zeitfensters wieder zurück zu sein – und dann stand einer da und starrte zum Fenster hinaus, und hinter ihm türmten sich die Möglichkeiten, versammelten sich die verpassten Chancen, und er scheiterte sogar daran, vier oder fünf Minuten sinnvoll zu nutzen. Wie sollte er da eine halbe Stunde bewältigen oder eine ganze oder gar einen Tag?

Die Autorin erzählt in dieser Geschichte von zwei Familien, der gemeinsame Strang sind die verlassenen Kinder. Die Brüder Lew und Manuel wurden von ihren Eltern zurückgelassen. Als Lew als Erwachsener die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhält, entscheidet er sich, den Vater in Indien zu besuchen, um die Wahrheit herauszufinden. In vielen Rückblenden wird Stück für Stück aufgelöst, was damals geschah. Vieles bleibt aber auch im Dunkeln. Der zweite Erzählstrang erzählt die Geschichte von Ira und ihrer bunt zusammen gewürfelten Familie. Evi in der Bäckerei, der von seiner Mutter verlassene Fido, der mit seinem Großvater Tadija aus der Heimat nach Deutschland gekommen ist.

Obwohl sich die Geschichte mit komplizierten und schwierigen Familienverhältnissen auseinandersetzt, ist sie in einem völlig unaufgeregten Ton geschrieben, als wäre es ein Märchen oder etwas, was vor langer Zeit passiert wäre, woran sich kaum jemand mehr erinnert. Die Wunden sind verheilt und sind es doch nicht und vielleicht ist es das, was mich nicht richtig reinrutschen hat lassen in diese Lebenswelt. Seltsam distanziert fühlte mich mich beim Lesen.

Die Dinge entscheiden sich von ganz allein, wenn man ihnen nur genügend Zeit lässt.

Reading Challenge: A book recommended by a friend

Empfohlen von der Kaltmamsell. Wir sind nicht direkt befreundet, aber ich lese ihren Blog schon so lange, dass es sich so anfühlt.

Halbzeit: Im ersten Halbjahr 2015 habe ich 20 Bücher geschafft. Zum Vergleich habe ich mir die Statistik des Jahres 2013 angeschaut. Da hatte ich im ersten Halbjahr 27 Bücher gelesen, deutlich mehr als im zweiten Halbjahr, wo es nur 20 waren. Aber ich gebe nicht auf und habe bereits viele weitere Bücher für die Reading Challenge ausgesucht und geplant. Und kürzlich habe ich mich ernsthaft gefragt, wie ich eigentlich sonst die Bücher ausgesucht habe, die ich lesen möchte. Die Reading Challenge verändert die Lesegewohnheiten und erweitert den Horizont.

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Roman

T. C. Boyle – América

Und worum ging es bei alledem? Um Arbeit, sonst nichts. Um das Recht zu arbeiten, einen Job zu haben, sich das tägliche Brot und ein Dach über dem Kopf zu verdienen. Er wurde zum Verbrecher allein dadurch, dass er es wagte, das ebenfalls zu wollen, und für das schlichte menschliche Existenzminimum alles auf Spiel setzte, und jetzt verwehrten sie ihm sogar das noch. Es stank zum Himmel. Wirklich.

Mit T. C. Boyle kann man eigentlich nie etwas falsch machen, alle seine Bücher (Die Frauen, Drop City, Dr. Sex) haben mich in der Vergangenheit gut unterhalten. Erstaunlich ist auch die Themenvielfalt, es geht immer um völlig unterschiedliche Gesellschaften und Lebenswelten.

In América stellt der Autor zwei dieser Lebenswelten einander gegenüber. In Südkalifornien lebt der Schriftsteller Delaney Mossbacher mit seiner Frau Kyra und seinem Sohn in einer reichen Wohngegend, Kyra arbeitet als Immobilienmaklerin, die Familie ist wohlhabend. Den Gegenpart bilden Cándido und América, die illegal aus Mexiko nach Kalifornien geflüchtet sind, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. In ihrer Heimat gibt es keine Arbeitsplätze, keine Perspektiven, keine Chancen.

Schonungslos stellt der Autor diese beiden Existenzen einander gegenüber. Beide Familien müssen einen Schicksalsschlag nach dem anderen hinnehmen, nur wiegt jeder Rückschlag für Cándido und América tausend Mal schwerer. Das mühsam ersparte Geld wird ihnen geraubt, wieder müssen sie von vorne anfangen mit dem Traum einer kleinen Wohnung und einem geregelten Arbeitsleben. Trotz eines hohen Zauns um ihr Grundstück (an dessen Errichtung Cándido mitarbeitet) werden innerhalb weniger Wochen beide Hunde der Mossbachers Opfer eines Kojoten. Während Delanay sich zu Beginn gegen die Mauer stellt, die seine Nachbarn um die reiche Wohngegend bauen wollen, lässt er sich Stück für Stück von seinem Freund Jack vereinnahmen und wird schließlich zum erbitterten Gegner der Einwanderer.

Als ich am Abend in einem Café die letzten Seiten lese, spricht mich der Kellner darauf an und möchte wissen, wie es mir gefällt. Er hat es selbst vor Kurzem gelesen, es wurde 2013 im Rahmen der Aktion EineStadt.EinBuch ausgegeben. Er meint, es hätte ihm gut gefallen, nur die Thematik wäre ja bei uns in Österreich nicht in diesem Sinne aktuell. Meine spontane Reaktion war, es könnte nicht aktueller sein, denn viele Flüchtlinge und Asylwerber sind in ähnlichen Situationen wie Cándido und América.

Bei all den politischen Querelen darüber, welches Bundesland und welche Gemeinde die Asylquote erfüllt und ob es angebracht ist, die Flüchtlinge in Zeltlagern einzuquartieren anstatt im überfüllten Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen und vielen anderen natürlich wichtigen Themen, wird immer wieder vergessen, dass es hier um Menschen geht, die ihre Heimat verlassen MUSSTEN. Niemand nimmt leichtfertig das Risiko auf sich, in einem offenen Schlauchboot über das Mittelmeer zu reisen, keine Mutter und kein Vater würden ihre Kinder so einem Risiko aussetzen, wenn sie nicht absolut überzeugt wären, dass es die einzige Chance für sie ist. Es geht um Menschen, die sich nur ein besseres Leben wünschen und die meisten von ihnen wären vermutlich mit wesentlich weniger zufrieden als der durchschnittliche Österreicher hat. Sie suchen Sicherheit und Arbeit, sie suchen Hoffnung auf ein besseres Leben. Dass es in unserem Land Abgeordnete gibt, die sich diesem Streben mit Gewehrläufen und Mistgabeln in den Weg stellen wollen, ist erbärmlich. Man kann unsere Politiker nicht oft genug daran erinnern, darüber nachzudenken, was sie sich für ihre Kinder wünschen würden, wenn diese aus ihrer Heimat flüchten müssten.

Reading Challenge: A book with a one-word title

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Roman

Viktor Martinowitsch – Paranoia

Zur Vermeidung ungewollter Straftaten ruft der Autor dazu auf, von der Lektüre dieses Buches Abstand zu nehmen, wohl wissend, dass er es im Grunde besser gar nicht erst geschrieben hätte.

Für die Reading Challenge brauchte ich auch ein verbotenes Buch, das erschien mir zuerst wie eine schwierige Aufgabe, in Österreich werden heutzutage wohl kaum noch Bücher verboten. Doch schon recht bald spülte mir der Newsfeed eine Meldung entgegen, die ich mir für diesen Zweck notierte: Viktor Martinowitsch auf der Verbotsliste.

Der Roman beginnt mit einigen Observierungsprotokollen des Ministeriums für Staatssicherheit. In einer leeren Wohnung werden Briefe unter der Tür durchgeschoben. Im nächsten Kapitel beginnt der regimekritische Schriftsteller Anatoli Newinski eine Affäre mit einer unbekannten Frau, die er in einem Café kennenlernt. Der romantisch veranlagte Anatoli wirft liebeskrank all sein Dasein in dieses Verhältnis. Bis er entdeckt, dass die geliebte Jelisaweta Beziehungen zu höchsten Regierungskreisen hat.

Von diesem Punkt an erfährt der Leser die Geschichte wieder aus Observierungsprotokollen. Anatoli und Jelisaweta setzen ihre Affäre in einer Wohnung fort, die vom Ministerium für Staatssicherheit komplett überwacht wird. Stück für Stück kann man beobachten, wie auch die geheimen Treffpunkte der beiden (wo wir Seifenblasen gemacht haben) von den Observierenden entschlüsselt werden. Die Liebenden verstecken sich in dieser Wohnung und fühlen sich wie in einer Seifenblase. Sie ahnen, befürchten bereits, wissen aber nicht, wollen nicht wissen, dass alle ihre Bewegungen und Gespräche aufgezeichnet werden, ja, sogar ihr Müll durchsucht wird.

Ihr ganzer Schrecken und ihre Allwissenheit sind nur aus unserer Paranoia geboren. Wir müssen nur aufhören, uns vor ihnen zu fürchten, schon können wir sie nicht mehr ernst nehmen. Was kann uns denn passieren? Im schlimmsten Fall?

Anatoli wird herausfinden, was im schlimmsten Fall passieren kann. Die überraschende Wendung, die das Buch im letzten Drittel nimmt, ist so verstörend, dass ich nichts vorwegnehmen will. Nach meiner Meinung sollte dieses Buch dringend in Schulen gelesen werden. Vor 15 Jahren (aktuelle Informationen dazu habe ich nicht) wurde in der Oberstufe versucht, mittels 1984 den Jugendlichen die Gefahren eines totalitären Staates und der damit einhergehenden Überwachung zu verdeutlichen. Bei mir kam das Verständnis dafür erst Jahre später an. Zu dystopisch, zu weit weg, vielleicht sogar zu weichgespült ist Orwells Vision im Vergleich zu den knallharten Observierungsprotokollen in Paranoia. Der Leser erlebt ein reales Land im heutigen Europa. Der Autor selbst wurde bei einer Lesung verhaftet und wartet nun auf die Anklage. Er sagt dazu: „Ich weiß bis heute nicht, was mir vorgeworfen wird.“ Neuere Informationen zu dieser Anklage habe ich im Netz nicht finden können. Was auch wiederum einiges aussagt.

Interessante Einblicke bietet auch dieser Tagesspiegel-Artikel (Spoiler-Alarm: am Ende des Artikels wird vom Inhalt deutlich mehr verraten als hier).

Pflichtlektüre sollte Paranoia auch für alle sein, die nichts zu verbergen haben. Selbst dann, wenn man sich tatsächlich nach den herrschenden Gesetzen und den eigenen Moralvorstellungen nichts vorzuwerfen hat, ist es für Außenstehende mit Zugang zu den privatesten Informationen und Gesprächen (und damit ausgesprochenen Gedanken) ein Leichtes, bekannte Fakten zu verdrehen und daraus eine vollständig andere Situation zu konstruieren. In Martinowitschs Paranoia gibt es keine Privatsphäre mehr. Die beobachteten Subjekte bemühen sich um Heimlichkeit und werden doch vom ersten Moment an ständig beobachtet. Die Geschichte erläutert ganz deutlich, wie sich das Gefühl des Beobachtet-Seins auf die Psyche auswirkt.

Schließen möchte ich mit diesem Snowden-Zitat:

Arguing that you don’t care about the right to privacy because you have nothing to hide is no different than saying you don’t care about free speech because you have nothing to say.

Reading Challenge: A banned book

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Roman

David Nicholls – One Day

Erst kürzlich habe ich mich gefragt, ob diese Reading Challenge so eine gute Idee war. Nach knappen 5 Monaten zeichnet sich kein großer Erfolg ab, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass ich über den Sommer so viel aufholen werde können, dass sich das irgendwie ausgeht.

Andererseits hat es mir einen neuen Blick in manche Nischen beschert. Da ich in meinen eigenen Beständen und Listen kein Buch mit einer Zahl im Titel finden konnte, habe ich an einem Abend eine entsprechende Liste auf Goodreads durchgeblättert und mich schließlich für dieses Buch entschieden. Hauptsächlich, weil es im englischen Original in der Wiener Hauptbücherei verfügbar war. Und damit habe ich einen echten Glücksgriff getätigt, zu dem ich auf anderem Wege vermutlich nicht gekommen wäre.

Das Buch beschreibt das Leben von Emma und Dexter über einen Zeitraum von insgesamt 20 Jahren. Der dramaturgische Kniff dabei: wir sehen Emma und Dexter jeweils an einem Tag des Jahres, dem 15. Juli, die Zeit dazwischen wird teilweise nacherzählt, großteils jedoch ausgeblendet. Es beginnt am Tag der Abschlussparty, als Emma und Dexter nach einer Party die Nacht miteinander verbringen. Und endet 19 Jahre später. In dieser Zeit erleben beide viele Wendungen in ihrem Leben, auch ihr Verhältnis zueinander erlebt Ups and Downs, andere Menschen treten in die Leben der beiden und verlassen es wieder.

Es gab so viele Momente, in denen ich buchstäblich laut aufseufzen musste, weil eine Chance verpasst wurde oder eine Situation sich so vertraut anfühlte, dass man beim Lesen körperlichen Schmerz verspürt. Das liegt zum einen an der lockeren Sprache, flott und witzig geschrieben, zum anderen daran, dass einem beide Hauptpersonen (obwohl sich Dexter teilweise zu einem ziemlichen Mistkerl entwickelt) so sympathisch sind, dass man sie gerne glücklich sehen will. Ob zusammen oder allein.

Der Autor beschreibt etwa launig Emmas Gefühle bezüglich der in ihrem Freundeskreis multipel auftretenden Familiengründungen. Die freie Singlefrau Anfang 30, scheinbar beneidet von den unausgeschlafenen Müttern:

Of course, she can’t say any of this out loud. There’s something unnatural about a woman finding babies or, more specifically, conversation about babies, boring. They’ll think she’s bitter, jealous, lonely. But she’s also bored of everybody telling her how lucky she is, what with all that sleep and all that freedom and spare time, the ability to go on dates or head of to Paris at a moment’s notice. It sounds like they’re consoling her, and she resents this and feels patronized by it. It’s not like she’s even going to Paris!

Die Bewertung, ob sich Männer eher mit der männlichen Hauptfigur Dexter identifizieren können, muss ich anderen überlassen, mir persönlich war Emma deutlich sympathischer. Sie ist zwar nicht fehlerlos gezeichnet (was ja an sich schon wieder unsympathisch wäre), jedoch macht sie keine offensichtlich gravierenden Lebensfehler wie Dexter, der durch seine TV-Karriere in eine Alkohol- und Drogensucht hineinrutscht, die sein Leben über mehrere Jahre dominiert. Oft hatte ich als Leser das Gefühl, Dexter hätte mehr Glück, als er verdient, während ich Emma jede Wendung zu ihren Gunsten von Herzen vergönnen konnte.

Abschließend sei zu sagen (hoffentlich ohne zu spoilern), dass sich der Autor nicht um ein Ende herumdrückt. Im letzten Drittel hatte ich die dringende Befürchtung, es kann nur auf ein Happy End (im Sinne von endlich zusammen, happily ever after …) hinauslaufen. Diese hat sich nicht bestätigt, das Ende passt perfekt. Leseempfehlung.

Reading Challenge: A book with a number in the title

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Roman

Mitch Albom – The First Phone Call from Heaven

The living can’t speak to the dead! If they could, don’t you think I would? Wouldn’t I trade my next hundred breaths for one word from my wife? It’s not possible. There is no God who does such things. There is no miracle in Coldwater.

Mitch Albom ist immer wieder ein Garant für inspirierende Geschichten, obwohl mich beim Lesen immer das Gefühl begleitet, keines seiner späteren Bücher käme an Die 5 Menschen, die dir im Himmel begegnen (gelesen lange vor dem Start meiner Aufzeichnungen) heran. Es kann jedoch gut sein, dass meine Erinnerung diesbezüglich etwas verklärt ist, es passte damals einfach sehr gut zur Situation und würde ich es heute lesen, fände ich es vielleicht gar nicht mehr so toll. Natürlich habe ich es längst verschenkt ;-)

In Coldwater erhalten mehrere Menschen Anrufe – scheinbar aus dem Jenseits. Verstorbene Angehörige sprechen mit Zurückgebliebenen, diese nehmen die Botschaften aus dem Jenseits unterschiedlich auf. Die gläubige Katherine Yellin erzählt schließlich in ihrer Pfarre davon, nach ihr trauen sich auch andere, öffentlich zuzugeben, dass sie kontaktiert wurden. Katherine Yellin ist überglücklich über die Botschaften ihrer verstorbenen Schwester und führt nur zu gerne den aus dem Jenseits erteilten Auftrag aus: Erzähl allen Menschen über den Himmel, er ist wunderschön.

Die Reaktionen auf das Wunder sind gemischt, Coldwater wird von einer Masse an Gläubigen und Zweiflern überschwemmt. Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt der Autor, wie sich das Wunder und dessen Folgen auf die Betroffenen auswirkt. Sowohl auf die Glücklichen, die die Anrufe erhalten, als auch auf jene, die ebenfalls jemanden verloren haben, aber nicht kontaktiert werden. Warum wurden sie nicht auserwählt? Stück für Stück analysiert der Autor den Glauben der Menschen und wie sich dieser durch das Wunder verändert.

Höhepunkt ist die TV Show, in der Katherine Yellin live einen Anruf ihrer verstorbenen Schwester mit der Welt teilt. Die Kritik an der Sensationslust der Medien wird verkörpert durch die Reporterin Amy Penn, die in der Geschichte zuerst ihre große Chance sieht, endlich bekannt zu werden, und schließlich vor der großen TV Show erkennt, dass es im Leben um mehr als nur einen erfolgreichen TV-Auftritt geht. Im furiosen Finale wird alles Vorhergegangene wieder über den Haufen geworfen. Der folgende Absatz erscheint mir als passende Zusammenfassung:

At one point after the call had abruptly ended, Elias asked his pastor. “Does this prove, what we believe?” and Warren softly said, “If you believe it, you don’t need prove.” Elias didn’t say much after that.

Reading Challenge: A book from an author you love that you haven’t read yet

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Roman

Edwin A. Abbott – Flatland

Manche Bücher fliegen einem überraschend zu und begleiten einen dann recht lange. Mit diesem eigentlich sehr dünnen Band habe ich Wochen verbracht. Unter anderem weil ich mich einfach in lauter Umgebung nicht auf die Schwierigkeiten konzentrieren konnte: Altmodische englische Sprache, das mathematische Thema, zwischen den Zeilen zu lesen …

Beschrieben wird zuerst die Welt der zweiten Dimension: Flatland. Hier sind Frauen Linien, Männer unterschiedliche Arten von Polygonen. Je Mehr Ecken ein Mann hat, desto höher steht er in der Rangordnung, ein Polygon mit über 500 Ecken wird als Kreis angesehen und gehört zur höchsten Ordnung.

Protagonist ist ein Quadrat, das zuerst seine Welt der zweiten Dimension erklärt, dann einen Ausflug in die erste Dimension – Lineland – macht, wo es mit dem dortigen König aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten aneinander gerät. Der König von Lineland kann sich keine weitere Dimension vorstellen, sieht vom Quadrat nur eine Seite / Linie und will keinesfalls akzeptieren, dass es noch mehr gibt, als die Welt, die ihm bereits bekannt ist.

‘Bass-voiced monstrosity! yes,’ replied the king. ‘How else could the balance of the sexes be maintained, if two girls were not born for every boy? Would you ignore the very Alphabet of Nature?’

Im Vorwort wird unter anderem erklärt, dass das Buch nicht frauenfeindlich gemeint sein soll. Warum es diesbezüglich Beschwerden gab, wird klar, wenn man erstmal ein paar Kapitel hineingelesen hat. In Spaceland sind die Frauen Linien, sie sind den Männern unterlegen, aber doch gefährlich, denn mit ihren spitzen Enden könnten Frauen leicht einen Mann aufspießen, weshalb sie ständig Friedensschreie von sich geben müssen, damit niemand gefährdet wird. Höhere Fähigkeiten haben Frauen vor langer Zeit verlernt, die Männer sprechen mit den Frauen eine einfachere Sprache als miteinander.

… but behind their backs they are both regarded and spoken of – by all except the very young – as being little better than ‘mindless organisms’.

Man muss da wohl auch die Zeit in Betracht ziehen, 1884 war die Welt noch eine andere und der Stellenwert der Frauen in der Gesellschaft in keinster Weise mit der heutigen Situation vergleichbar.

Später erhält das wackere Quadrat Besuch aus der dritten Dimension – Spaceland. Eine kugelförmige Person dringt in seine Wohnung in Flatland ein, das Quadrat sieht zuerst nur einen Kreis und will nicht wahrhaben, dass ein Wesen aus einer anderen Dimension vor ihm steht. Erst Stück für Stück lässt sich das mathematisch bewanderte Quadrat überzeugen, dass es eine Welt außerhalb seiner eigenen Welt gibt, die ihm bisher verborgen war. Nach einigen Unterrichtsstunden will das Quadrat mehr wissen:

But, just as there was the realm of Flatland, though that poor puny Lineland Monarch could neither turn to left nor right to discern it, and just as there was close at hand, and touching my frame, the land of Three Dimensions, though I, blind senseless wretch, had no power to touch it, no eye in my interior to discern it so of surety there is a Fourth Dimension, which my Lord perceives with the inner eye of thought. And that it must exist my Lord himself has taught me.

An dieser Stelle wird es dem kugelförmigen Objekt zu bunt. Selbständiges Denken vom Unterlegenen, das muss man sich wirklich nicht bieten lassen. (Ironie Ende) Zurück in Flatland versucht das Quadrat, seine Mitbürger von der dritten Dimension zu überzeugen und landet wegen seiner aufrührerischen (um nicht zu sagen revolutionären) Ideen im Gefängnis. Es blitzt auch etwas Spitzes im Hinblick auf Religionen hervor, die in der Vergangenheit auch immer wieder versucht haben, andere von der Existenz ihrer Götter oder anderer Welten zu überzeugen, und das oft ohne Rücksicht auf Verluste. Satire aus einer anderen Dimension.

Reading Challenge:
A book more than 100 years old

(Preface to the Second and Revised Edition, 1884)

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Roman

John Irving – Lasst die Bären los

Für einen Moment lang schaltete ich den leisen Leerlauf, lauschte mit ihnen und hielt wie sie Ausschau nach dem einen hochbegabten Tier, das jede Sekunde auftauchen könnte – nachdem es den bestmöglichen Hinderniskurs gelaufen war. Nach dem einen hervorragenden Gibbon vielleicht, der im Handstandüberschlag das Krankenhausgelände durchqueren würde – umringt von Krankenschwestern, von den Balkons mit Rollstühlen bombardiert; schließlich in Gummiatemschläuche verstrickt und mit einem Stethoskop erdrosselt. Eine Gefangennahme, die sich das komplette Krankenhauspersonal und die Patienten als stolzen Verdienst anrechnen würden.

John Irvings erster Roman zeigt bereits alle seine Fähigkeiten in der überzeugenden Charakterisierung seiner Protagonisten. Meiner Ausgabe des Romans ist ein Interview mit dem Autor nachgestellt, in dem er unter anderem davon spricht, dass er die Obsessionen seiner Charaktere kennen muss. Wer eine Obsession hat, die er nicht kontrollieren kann, bricht aus der Norm aus und wird dadurch interessant. Diese Aussage scheint mir einer längeren Betrachtung wert, da steckt doch ein tieferer Sinn dahinter, der über die Erfindung von Romanfiguren hinausgeht.

Wie so oft steckt dahinter der Begriff „normal“ und die Frage, was ist überhaupt normal und kann überhaupt irgendetwas oder irgendjemand normal sein? Ist eine Mode automatisch normal, wenn sie von einer größeren Menge an Personen angenommen wird? Wie groß muss diese Menge sein? Welche Obsession treibt den an sich normalen Menschen aus seiner Normalität heraus? Wann wird eine Obsession so stark, dass der Mensch sie nicht mehr kontrollieren kann?

Der Roman erzählt von den Studenten Siggi und (Hannes) Graff. Siggi ist voller Energie und wirrer Ideen und überredet Graff zu einem Trip mit dem Motorrad. Graff ist ein eher stiller Typ, ein Mitläufer, der etwas ziellos durchs Leben stolpert und sich vom temperamentvollen Siggi mitreißen lässt. Siggi erfindet den Plan, die Tiere im Tiergarten Schönbrunn zu befreien. Graff nimmt ihn nicht ernst, doch nachdem Siggi bei einem Unfall ums Leben kommt, kann Graff an nichts anderes mehr denken, als Siggis verrückten Plan in die Tat umzusetzen. Bei der sich entfaltenden Katastrophe spielt der Asiatische Kragenbär eine wesentliche Rolle.

Zwischen Siggis Plänen (Zoowache) erfahren wir seine Familiengeschichte. Dafür recherchierte sich John Irving tief in die jugoslawische Geschichte vor und während des zweiten Weltkriegs, um die Geschichte von Siggis Vater und dessen Reise nach Wien zu erklären. Siggis Familiengeschichte zeigt deutlich die Verzweiflung, die Ausweglosigkeit er Kriegsjahre, die sich wiederum auf die Gefangenschaft der Tiere im Tiergarten reflektieren lässt.

Zwischen den Zeilen darf Siggi auch noch einige Lebensweisheiten von sich geben, die sein sprunghaftes Wesen konterkarieren. Ecken und Kanten. Obsessionen. Ein von einem Amerikaner geschriebener und trotzdem zutiefst österreichischer Roman.

Die Zahlen ergeben eine bestimmte Summe, ganz egal, wie man sie addiert.

Reading Challenge: A book written by someone under 30
(zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buchs 1968 war John Irving, 1942 geboren, 26 Jahre alt)

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Roman

Joey Goebel – Ich gegen Osborne

Am liebsten hätte ich eingeworfen, dass Woolworth nur auf diejenigen herabsah, die es nicht anders verdient hatten, doch man musste sich an die Etikette halten.

Dieses Buch hatte ich schon seit Ewigkeiten auf der Liste, Joey Goebel hatte mich in der Vergangenheit noch nie enttäuscht (Heartland, Vincent). In der Bücherei hatte ich Glück und das Buch war gerade verfügbar.

Er hatte Recht. Ich war immer wieder erstaunt, wie grausam andere sein konnten.

Wir begleiten James Weinbach an einem Tag durch sein Highschool-Leben. James ist ein Außenseiter. Er ist in seine beste Freundin Chloe verliebt, sein Vater ist vor Kurzem gestorben, er trägt täglich einen Anzug seines Vaters und fällt allein schon deshalb aus der Rolle. Chloe, bis vor Kurzem selbst Außenseiterin, hat jedoch den Spring Break mit den coolen Kids an einer Party Location verbracht und nun werden über sie die wildesten Gerüchte verbreitet. Im Literaturkurs wird James Text kritisiert. Um nicht zu sagen von den anderen Schülern vernichtend auseinander genommen. James rastet aus.

Es ist schwierig, die Geschichte irgendwie zusammenzufassen, weil es eigentlich die Erkenntnisse sind, die zwischen den Zeilen stehen, die die Geschichte so faszinierend machen. Erst im letzten Drittel des Buches wurde mir klar, wie gefinkelt der Autor das alles angelegt und geplant hat. James ist ein totaler Gutmensch. Er hält sich selbst für besser und schaut auf seine Schulkollegen herab. Und ist deshalb ein arroganter Arsch. Und tatsächlich ist er gar nicht so viel anders als seine Schulkollegen, denn als seine Gefühle verletzt werden, schlägt er wild um sich und lässt seinen Rachegelüsten freien Lauf.

Mir missfiel, dass ich Chlors frühere Einstellung gegenüber Sweeney verraten hatte, was eine Kränkung Chlors und nicht gentlemanlike war. Er sorgte dafür, dass ich unter mein Niveau sank. Wie ich ihn hasste. … Das Gesicht eines Knaben, der wahrscheinlich Hass auf seine Eltern empfand, es war der Gesichtsausdruck eines Menschen, dessen Psyche in einer Art dauerhaftem Freitagabend feststeckte.

Der Leser hört James immer wieder darüber nachdenken, wie schlecht seine Kollegen nicht sind, wie niedrig ihre Sprache ist, wie er ihre niveaulose Musik und alle ihre niedrigen Aktivitäten verabscheut. Als Erwachsener kann man stückweise mit ihm mitfühlen, erkennt aber gleichzeitig, dass diese Einstellung zwangsläufig zu einer Katastrophe führen muss. James erkennt schließlich, dass er seine Mitschüler ständig be- und verurteilt, ohne ihre persönlichen Lebensumstände zu kennen.

Am Ende des Tages kommt es zu einem versöhnlichen Gespräch zwischen James und Chloe, in dem sie ihm diese Frage stellt:

Willst du denn nicht, dass die Leute frei sind?

Mit dem Unterton, dass die Menschen frei sein sollten, um auch schlechte Entscheidungen zu treffen. Mit der Botschaft, dass Menschen nur dann denken und selbständig leben können, wenn sie die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, und mögen es noch so schlechte Entscheidungen sein, die sie den Großteil der Zeit treffen. Gute Entscheidungen können genauso nur aus Freiheit entstehen.

Reading Challenge: A book set in high-school