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Krimi Roman

Christian Schleifer – Tod in Perchtoldsdorf

CN: Mord, Gewalt, Prostitution, Alkohol, sexuelle Handlungen, Glücksspiel


Ablenkung war dringend nötig und so griff ich zu diesem Lokalkrimi, den ich mir vor Kurzem aus dem offenen Bücherschrank mitgenommen hatte. In Perchtoldsdorf war ich ja letzten Herbst mit dem Aufsteiger zum Geocachen, da fand ich es nicht unlustig, dass es selbst aus diesem „Vorort“ von Wien einen Lokalkrimi gibt (und zwar nicht nur einen, es ist eine Reihe mit mittlerweile 5 Bänden). Im Buch wird immer wieder auf einen früheren Fall in Schladming verwiesen, wo die Hauptfigur Charlotte ihre Liebhaberin Andrea kennen gelernt haben soll. Das fand ich einigermaßen nervig, weil ich dachte, den ersten Band der Reihe in der Hand zu haben und jetzt stellt sich raus, dass ich online gar nichts finde zu diesem früheren Fall/Buch. Kommt das später als Prequel?

Jedenfalls spielt sich das Kriminaldrama hier während der Perchtoldsdorfer Festspiele und einer mehr oder weniger erfundenen Fußball-Europameisterschaft statt, bei der sich Deutschland und Österreich im Finale gegenüber stehen, nachdem Österreich im Halbfinale Italien besiegt haben soll … Fußballfans wissen besser als ich, wie illusorisch das ist …

Die Sommerspiele Perchtoldsdorf im Burghof gibt es hingegen tatsächlich. Der Lokalkrimi spart nicht mit Beschreibungen der Lokalitäten, der Wehrturm als Wahrzeichen der Marktgemeinde wird immer wieder erwähnt und auch die Heurigen-Tradition der Gegend kommt nicht zu kurz. Auch die Sprache ist deutlich niederösterreichisch geprägt, ich erfreute mich immer wieder an Dialektausdrücken wie etwa „Heckenklescher“. Mit der aus der gesprochenen Sprache übernommenen Gewohnheit unserer Region, alle Personen mit einem Artikel vor dem Vornamen in der dritten Person zu nennen (zum Beispiel „die Charlotte schenkte noch ein Glas Wein ein“) hatte ich so zu Beginn meine Schwierigkeiten, geschrieben klingt das dann doch irgendwie falsch, obwohl ich mich selbst immer mit dem Artikel vor dem Vornamen vorstelle („ich bin die Eva“).

Alles in allem „cozy crime“ mit Lokalkolorit, perfekt geeignet für die Ablenkung, die ich so dringend nötig hatte.

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Roman

Etaf Rum – Evil Eye

CN: Nahostkonflikt, Flucht, Rassismus, Beziehungsgewalt


Leider habe ich diesen Post verschleppt, das wird dem Buch nicht gerecht, denn ich fand es sehr gut geschrieben und sehr wichtig zugleich. Es erzählt, wie die Protagonistin Yara sich mit den Erwartungen ihrer Familie, der Gesellschaft und ihren eigenen Ansprüchen an sich selbst auseinandersetzt und dabei einen langen Weg zu gehen hat. Ihre Eltern sind aus Palästina geflüchtet, Yara selbst ist in New York geboren. Sie möchte anders leben als ihre Mutter, sie möchte sich nicht mit der Tradition fesseln lassen und ihren eigenen Weg gehen, eine andere Frau sein: „creative, expressive, free“.

An der Oberfläche hat Yara es geschafft: sie hat eine abgeschlossene College-Ausbildung, sie hat einen Mann geheiratet, der ihr den Freiraum lässt, sich auch beruflich zu verwirklichen (solange sie ihm den Rücken frei hält und am Abend das Essen auf dem Tisch steht). Sie arbeitet an einem College als Fotografin, Web Designerin und lehrt einen Kunstkurs für Anfänger:innen. Doch im Verlauf der Geschichte fällt das immer mehr auseinander, sie wird konfrontiert mit rassistischer Voreingenommenheit ihrer Kolleg:innen ihrer Herkunft bzw. Kultur gegenüber und will sich doch nur selbst beweisen, dass sie es geschafft hat, dass sie frei ist.

Mehr und mehr wird klar, dass sie von ihrem Ehemann bei Weitem nicht so unterstützt wird, wie sie sich das wünscht und erhofft hat. Er versucht ihr immer wieder einzureden, dass es ihre eigene Schuld ist, dass sie mit ihrem Leben unzufrieden ist, dass sie allein das Problem ist.

It’s terribly difficult to feel like there’s something wrong with you, that everyone knows it, without you knowing exactly what it is.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wird klar, dass sie auch generationales Trauma ihrer Eltern aufzuarbeiten hat. Ihr Vater und ihre Schwiegermutter mischen sich immer wieder in ihr Leben ein, zumeist mit dem Argument „das kannst du so nicht machen, was sollen die Leute denken?“.

Yara entscheidet sich in einem lange andauernden Prozess schließlich für ihre Freiheit. Gerade dieser Prozess ist das Spannende, die Autorin lässt ihrer Protagonistin Zeit, an sich zu zweifeln und herauszufinden, was ihr am Wichtigsten ist. Das ist manchmal schmerzhaft, gerade wenn sie wieder unter der Last von Erwartungen unterzugehen droht. Es zeigt aber, dass es eben nicht so einfach ist, herauszufinden, wer wir sind und wie wir leben wollen. Wie wir aufgewachsen sind, beeinflusst uns enorm und gerade unausgesprochene gesellschaftliche Erwartungen können schwer auf uns lasten. Uns davon zu befreien, kann ein schwieriger Prozess sein, aber es lohnt sich, darauf hinzuarbeiten.

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Roman

Anna Weidenholzer – Der Winter tut den Fischen gut

CN: Arbeitslosigkeit, Suizidandeutung, Alter


Ich weiß zwar nicht, wie ich mit dir leben soll, aber ohne dich geht es auch nicht, sagt Walter und kniet nieder. Er hält einen Strauß Rosen in der linken Hand, mit der rechten holt er einen Ring aus der Hosentasche. Seine Haare sind gekämmt, aber die Arbeitshose hat er anbehalten.

Wieder mal ein Buch, das ich wegen eines Literatur-Geocaches gelesen habe. Die Autorin hatte ich schnell identifiziert, dann allerdings Schwierigkeiten, aus ihren drei Romanen den Richtigen auszuwählen. Da habe ich wohl was anderes unter dem Wort „Debütroman“ verstanden. Die anderen beiden Romane klingen aber auch sehr interessant, vielleicht lese ich die noch (und mache dann selbst einen Geocache daraus …).

Zum Buch: Die zeitlich ungewohnte Anordnung der Ereignisse im Buch wurde als wesentlicher Hinweis bereits in der Geocache Description erwähnt. Daraus können sich spannende Geschichten ergeben, wie es zum Beispiel im von mir sehr geschätzten Musical The Last Five Years meisterhaft umgesetzt wird. In dieser Geschichte wurde aber das Potenzial nicht genutzt, finde ich. Wir lernen die Protagonistin kennen, als sie gerade mit dem Jobverlust und dem Arbeitsamt ringt und lernen Stück für Stück, das die Aussichten für ihr Leben auch schon früher nicht besonders rosig waren (was das obige Zitat über den Heiratsantrag schön verdeutlicht).

Vielleicht bin ich auch etwas müde von den Geschichten über Frauen, die unter dem Patriarchat leiden (zB Lida Winiewicz – Späte Gegend oder Renate Welsh – Die alte Johanna). Hoffentlich finde ich bald einen Weg, wie ich die Mastodon-Empfehlungen (hier gesammelt) besser in meinen Lesefluss integrieren kann. Es wird Zeit für ein Update des Listenmanagements.

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Roman

Heimito von Doderer – Die Wasserfälle von Slunj

CN: sexuelle Handlungen, Erwähnung von Prostitution, Verwendung des Begriffs „Zigeuner“, Alkoholismus, Beziehungsgewalt, Depression


Damit fiel dem Pēpi vom aufgeschossenen Bäumchen seiner Erkenntnis eine Frucht von Blei auf den Kopf.

Schon lange war ich nicht mehr so froh, mit einem Buch endlich fertig zu sein … ich hätte es nicht beenden müssen, aber bis ich die benötigten Informationen für den Geocache zusammen hatte, war ich dann doch schon zu weit drin, um es noch aufzugeben. Aber das war echt nicht meins …

Das Format miteinander verbundener Personen und jeweils Einblicke in deren Leben gefällt mir eigentlich sonst ganz gut, aber hier waren es einerseits zu viele verschiedene Personen, als dass ich die Verbindungen noch im Kopf behalten hätte können und andererseits waren mir die Protagonist:innen teilweise einfach zu austauschbar. Zu Beginn verwendet der Autor sehr viel Mühe, die „trojanischen Pferdchen“ Fini und Feverl zu charakterisieren, diese liebevolle Behandlung wird später kaum einem der Charaktere zuteil. Auf der positiven Seite fand ich einige schöne metaphorische Formulierungen, wie die folgende Eisenbahn-Metapher:

Er hätt’ es im Grunde anders erwartet, nach solcher Entgleisung, oder mindestens Zugverwechslung mit falschem Einsteigen.

Fazit: Wäre es nicht wegen des Geocaches gewesen, hätte ich dieses Buch zuerst nie zur Hand genommen und dann sicher nicht fertig gelesen. Nur muss ich mir jetzt für die Lösung des Geocaches auch noch das Fragment der Fortsetzung zu Gemüte führen, das hoffentlich nicht so viele Seiten aufweist …

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Roman

Arto Paasilinna – Das Jahr des Hasen

CN: Gewalt, Gewalt gegen Tiere (Jagd), Rassismus, Waldbrand, Geburt (bei einer Kuh), Alkoholmissbrauch


Ein weiteres Buch, das mir über die Verbindung meiner beiden Hobbies Lesen und Geocaching zugeflogen ist. Mit diesem Buch konnte ich sogar zwei Mystery Geocaches lösen, wobei einer davon sich deutlich entfernt befindet, bis ich dort hin komme, kann es also noch einige Zeit dauern.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Protagonist Vatanen mit seinem Kollegen im Auto unterwegs ist. Es kommt zu einem Zusammenstoß mit einem Hasen. Dieser Moment löst in Vatanen eine spontane Abkehr von seinem bisherigen Leben aus. Er kümmert sich um den verletzten Hasen und bricht gegen den Widerstand seiner Ehefrau und seines Chefs alle Verbindungen ab. Das folgende Jahr verbringt er als Vagabund und Gelegenheitsarbeiter auf Wanderschaft und erlebt dabei allerhand absurde Geschichten:

  • Ein fanatischer Anhänger der „wahren finnischen Religion“ stiehlt den Hasen, um ihn zu opfern.
  • Ein Rabe erweist sich als aggressiver Fressfeind, der immer neue Wege findet, um Vatanens Vorräte zu stehlen, bis dieser schließlich zu drastischen Maßnahmen greift.
  • Vatanen gerät in die Gesellschaft einer Delegation, die auch ausländische Gäste beinhaltet. Der Hase wird dabei zum Objekt des Interesses einer schwedischen Besucherin. Bis zu dem Moment, als sie Hasenkötel in ihrem Suppenteller findet.
  • Seine Wanderschaft endet nach langer Verfolgung eines räuberischen Bären (der eine Leidenschaft für Tomatenketchup hat) in Russland, wo er wegen diverser Verbrechen festgenommen wird. Wie Captain Ahab jagt Vatanen auf Skiern tagelang hinter dem Bären her, ohne sich um irgendetwas anderes zu kümmern.

Interessant fand ich neben den Beschreibungen der für mich unbekannten Landschaften auch den Hinweis auf eine finnische Ur-Religion, hier als „Fennismus“ bezeichnet. Die deutsche Wikipedia hat dazu keinen Eintrag und auch sonst konnte ich zu diesem Wort kaum etwas finden. Bei meiner diesbezüglichen Recherche stieß ich zuallererst auf Johan Vilhelm Snellman, finnischer Philosoph und Politiker, der sich für die finnische Währungsunabhängigkeit und die Anerkennung des Finnischen als Amtssprache einsetzte. Weiter zurück in die Vergangenheit las ich, dass Finnland lange unter schwedischer Regentschaft stand, bis sich 1809 die russische Armee durchsetzte und Finnland fortan unter russischer Herrschaft stand. Diese endete erst 1918, als Russland unter Lenin die Unabhängigkeit von Finnland anerkannte.

Auch die beschriebene Gegend interessierte mich sehr, besonders gegen Ende, wo russische Städte wie Kandalaksha (der Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia ist sehr kurz, beinhaltet aber ein Foto der Bahnstation) und Arkhangelsk (Hafenstadt am Weißen Meer) erwähnt werden.

Mir gefällt sehr, dass ich mich durch das Lesen eines Buchs animiert fühle, die beschriebenen Landschaften und Orte nach zu recherchieren und dabei sogar noch etwas über die Geschichte des Landes aufschnappe. In dieser Richtung wird es demnächst einen weiteren Post geben. Ich habe nämlich in der Bücherei herum gestöbert und bin dabei wieder mal im Bereich der Reiseliteratur gelandet. Mehr dazu in einem späteren Post.

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English Roman

Jenni Fagan – Luckenbooth

CN: Gewalt, Mord, Drogenmissbrauch, Xenophobie, Mysogynie, Homophobie, Beziehungsgewalt, Pandemie (Spanische Grippe), Weltkrieg, Erwähnung von Konzentrationslagern und Holocaust


This building is a psychic vampire – it drinks human essence.

Mit diesem Buch verbinde ich sehr gemischte Gefühle. Drei Anläufe habe ich gebraucht, bis ich überhaupt rein gekommen bin. Der Anfang ist dermaßen sperrig, dass ich Gefühle hatte, die ich sonst von Science-Fiction-Romanen kenne. Da habe ich manchmal Schwierigkeiten, die Welt zu verstehen, die verwendeten Begrifflichkeiten, die Lebensrealität der Protagonist:innen. Hier ist der Ort bald klar: Edinburgh, Schottland. Das jeweilige Jahr wird bei den einzelnen Kapiteln angegeben, also auch an der zeitlichen Einordnung gibt es nichts zu zweifeln. Und doch konnte ich mit der Tochter des Teufels, die das erste (und später noch zwei weitere) Kapitel als Protagonistin bestreitet, nicht einordnen, was ich vor mir habe.

Auf der positiven Seite möchte einige Punkte hervorheben:

  • Alle Protagonist:innen sind in irgendeiner Weise marginalisiert: obdachlos, drogensüchtig, queer, jenseits des Gesetz arbeitend, psychisch krank, oft mehreres davon und weitere Merkmale, die die Protagonist:innen von der Mehrheitsgesellschaft abheben oder sogar von dieser isolieren.

Revellers interrupting the murdered, the lost and the damned, the homeless or the cold and hungry, the addicted – those wary of living this life. These are Dot’s people – if there have ever been any to call her own. It’s where she comes from.

It is all wrong, what is going on in this world, what people do to other people.

  • Das Ende ist einfach herrlich. Mehr kann ich kaum sagen, ohne zu spoilern, aber selten habe ich ein so gelungenes Ende für ein Buch gelesen.

Mir ist klar, warum das Buch als brilliantly strange bezeichnet und von vielen Medien gefeiert wurde. Für mich war’s aber nicht so wirklich richtig.

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Roman

Jessica Lind – Mama

CN: Geburt, Einsamkeit, Gewalt gegen Tiere


Es war ihr, als wäre die Hütte losgelöst von der Zeit. Es ist auch eine Erklärung dafür, warum sie hier den anderen begegnet ist.

  • Vibes von Marlen Haushofers „Die Wand“ schweifen durch diese Geschichte (jedoch ohne die fürs Überleben notwendigen Alltagsdinge).
  • Verwoben ist die Einsamkeit im Wald mit einem Verlust von Zeit und Verstand (?) ausgelöst durch Kinderwunsch und Geburt. Es könnte als Allegorie auf postpartale Depression verstanden werden.
  • Auch die Hündin und der Jäger stellen Symbole dar, die ich jedoch nicht (für mich) zufriedenstellend entschlüsseln konnte. Die Hündin als Symbol für die Angst, dass dem eigenen Kind etwas Schlimmes zustoßen könnte? Dass vielleicht sie selbst das Schlimme sein könnte, das ihrem Kind zustößt? Der Jäger als Symbol für den Vater, der trotz Anwesenheit nie dieselbe Verbindung zu dem Kind haben kann wie die Mutter, die es monatelang in ihrem Körper mit sich getragen hat?

Viel Interpretationsspielraum in dieser Geschichte um Elternschaft und die damit verbundenen Ängste und Sorgen.

Randnotiz: Der Multichecker hat mir im Browser auf dem Smartphone stets eine falsche Antwort angezeigt. Beim Versuch am Computer hingegen hat alles gestimmt. Erkenntnis: dem Multichecker ist auch nicht immer zu trauen.

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English Roman

Sang Young Park – Love in the Big City

CN: Alkoholmissbrauch, Schwangerschaftsabbruch, Homophobie, Krankheit (Krebs, HIV), Tod eines Elternteils, Gewalt Suizidversuch, sexuelle Handlungen


Each of us is a universe and, as part of the large universe, we live and move and have relations with each other isn’t that fascinating?

Der Autor erzählt aus dem Leben homosexueller Männer in Seoul. Auch wenn Homosexualität in Südkorea mit Einschränkungen legal ist, spielen Diskriminierung und Ausgrenzung eine große Rolle. Eine Szene existiert, in der sich Männer vernetzen und doch haben manche homosexuelle Männer auf der Straße Angst, als solche erkannt zu werden.

These words came up to my mouth, but I couldn’t let them out. I had a feeling that they would kill what we had in an instant, that such words would only drive us further apart.

Im Verlauf des zweiten Teils (von vier) kämpfte ich kontinuierlich mit der Frage, ob das jetzt dieselbe Erzählperson ist wie im ersten Teil. Am Ende des zweiten Teils hatte ich diese Frage immer noch nicht gelöst und verlor die Geduld. Der Verlagstext bestätigt, dass es sich um dieselbe Person handeln soll. In den Acknowledgements am Ende schreibt der Autor jedoch „Young, who narrates the four stories in this book, is simultaneously the same person and different people“. So betrachtet hatte ich mich dann doch wiederum nicht getäuscht und meine Verwirrung war angebracht. Insofern lassen sich die vier Teile als episodische Beschreibungen von queerem Leben in Südkorea begreifen.

Richtig erraten hatte ich dann endlich auch, dass der Begriff hyung etwas wie Bruder meint, wobei dabei im Slang dann eher Bro gemeint sein dürfte.

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Roman

Verena Rossbacher – Mon Chéri und unsere demolierten Seelen

CN: Erwähnung sexueller Handlungen (keine grafischen Beschreibungen), Erwähnung von rassistischen Produktnamen in der Vergangenheit, Depression, Tod eines Elternteils, Krankheit (Krebs), Sterben, Tod, Erwähnung von Krieg und Konzentrationslagern


  • Dieses Buch hab ich mir aufgrund der Empfehlung der lieben Sonja auf die Leseliste gesetzt. Und ich kann mich ihrer kurzen Bewertung („Lesen! Super! Aber bitte nicht vorher die Buchbeschreibung lesen.“) nur vollinhaltlich anschließen.
  • Wir sind vermutlich die Zielgruppe, bei denen dieses Buch besonders gut ankommt: Menschen, die in den 80ern bzw. 90ern aufgewachsen sind und bei der Erwähnung von Inspektor Gadget oder Mixtapes nostalgisch warme Gefühle entwickeln. Das letzte Mal hatte ich sowas bei Minigolf Paradiso von Alexandra Tobor erlebt.

Das waren die Achtzigerjahre. […] Klingt, als wäre das hundert Jahre her, was? Aber ich bin dabei gewesen! Es war kurz nach dem Mittelalter und ich war mittendrin!

  • Neben diesen Nostalgieeffekten zeichnet sich das Buch aber auch noch durch eine unfassbar sympathische Protagonistin aus: Selbstironisch, ständig am Stolpern, mäßig erfolgreich in allen ihren Lebensbemühungen. Gleichzeitig geht sie aber mit einer scheinbaren Leichtigkeit durchs Leben, die sich im Verlauf der Geschichte nur noch steigert. Beispielhaft seien hier ihre Versuche, ein passables Selfie zu erstellen, genannt, die beinahe ins Comichafte abgleiten, aber trotzdem nie herablassend oder verzweifelt wirken.
  • Ein zentrales Motiv ist ihre Freundschaft mit Herrn Schabowski, dessen Postengel-Service sie aufgrund ihrer Angst, die Post zu öffnen, in Anspruch nimmt. Aus dieser Geschäftsbeziehung entwickelt sich im Laufe der Geschichte eine tiefe Freundschaft, die für beide Beteiligten das Leben entscheidend verändert.
  • Natürlich kommen auch zwischenmenschliche Beziehungen abseits von Freundschaft (oder darüber hinaus) nicht zu kurz. Eine der besten Szenen des Buchs (Achtung, Spoiler): Die Protagonistin lädt die drei Männer, mit denen sie vor Kurzem körperlich intim war, zu einem gemeinsamen Abend bei sich ein, um allen dreien gleichzeitig reinen Wein einzuschenken. Dazu kommt es an diesem Abend jedoch nicht, weil die gemeinsame Begeisterung für das Instrument zur Gründung eines Ukulelenorchesters führt.
  • Implizit werden auch traditionelle Lebensmodelle hinterfragt, indem sich die Protagonistin einfach nicht zwingen lässt, irgendetwas auf eine bestimmte Art und Weise zu machen. Sie findet ihren eigenen Weg, auch wenn der manchmal Hindernisse und Rückschläge beinhalten mag.

Ich spürte, dass Stück für Stück diese Vorstellungen, wie etwas zu sein hatte, abfielen, und ich fühlte mich gut damit, ich fühlte mich befreit.

Das Buch wurde 2022 mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet.

Eine wunderbare Geschichte, humorvoll, feinfühlig und alles andere als oberflächlich. Große Empfehlung.

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English Roman

Khaled Hosseini – The Kite Runner

CN: Gewalt gegen Tiere, Erwähnung von Hitler und Holocaust, sexuelle Gewalt, Genozid, Massaker, Taliban, Mord, Steinigung, Krieg, Suizid, Terrorismus, Erwähnung von 9/11


Weil die Motivation zum Schreiben leider immer noch großteils fehlt, geht es weiter im Telegrammstil:

Afghans are an independent people. Afghans cherish custom but abhor rules. And so it was with kite fighting. The rules were simple: No rules. Fly your kite. Cut the opponents. Good luck.

  • Eine wechselhafte Beziehung zwischen Vater und Sohn. Später in der Geschichte stellt sich heraus, dass Erzähler Amir als Kind bereits die Schwingungen gespürt hat, die auf den komplizierten und geheimen Familienverhältnissen beruhen.
  • Ein Einblick in eine Kultur, die mir bisher völlig unbekannt war. Afghanistan war für mich bis zur ersten Machtübernahme der Taliban bestenfalls ein Name auf einer Landkarte. Das Buch erzählt vom Leben einfacher Leute in einem Land, das immer wieder von Kriegen und politischen Umbrüchen erschüttert wird.
  • Als wohlhabende Familie haben Amir und sein Vater die Möglichkeit, das Land zu verlassen und in die USA auszuwandern. Als Amir Jahre später (unfreiwillig) zurückkehrt, wird ihm vorgeworfen, er wäre schon immer ein Tourist gewesen, er hätte immer nur eine polierte Fassade seines eigenen Landes wahrgenommen. (That’s the Afghanistan I know. You? You’ve always been a tourist here, you just didn’t know it.)

A sadness came over me. Returning to Kabul was like running into an old, forgotten friend and seeing that life hadn’t been good to him, that he’d become homeless and destitute.

  • Amir hat als erwachsener Mensch mit den Fehlern seiner Jugend zu kämpfen. Viele Jahre später versucht er, die Ungerechtigkeiten wieder gut zu machen. Der Autor macht seinem Protagonisten die Sache nicht leicht, Amir erleidet sogar die körperlichen Verletzungen und Schmerzen, denen er in jugendlicher Feigheit ausgewichen ist.

A man who has no conscience, no goodness, does not suffer.

Eine umfangreiche, tiefgründige Geschichte, die Familie, die eigene Kultur, Treue, Verrat und Vergebung zu einem großen Gesamtbild verwebt.