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Roman

Jostein Gaarder – Vita brevis: Das Leben ist kurz

Schmetterlinge (c)Martin Ostheimer / PIXELIO

Denn du hast mir Leib und Seele gegeben, so, wie ich dir Leib und Seele verpfändet habe. Wo du warst, da war ich, und wo ich war, da wolltest auch du sein.

Die Rahmenhandlung bestreitet in diesem Roman Jostein Gaarder selbst: Er erzählt, wie er in einem Antiquariat eine Kassette findet, die ein scheinbar altes Schriftstück enthält. Geschrieben wurde es von Floria an Aurel Augustin, Bischof von Hippo. Schrieb Sie diesen Brief an den Bischof als Antwort auf seine Bekenntnisse, in denen er um das Jahr 400 seine endgültige Abkehr vom weltlichen Leben und seine vollständige Hinwendung zur Religion begründet.

Laut diesem Brief war Floria jahrelang Aurels Geliebte, die beiden hatten auch einen gemeinsamen Sohn, der bereits in jungen Jahren einer Krankheit zum Opfer fiel. Auch Aurels Mutter Monika steht zwischen ihnen, denn sie möchte den Sohn angemessen verheiraten. Floria schreibt sich hier ihren Ärger über Aurel von der Seele. Aus ihrer Sicht hat er nicht nur sie, sondern auch ihre Liebe und den gemeinsamen Sohn verraten.

Ich glaube, damals hast du wirklich angefangen, nach einer Wahrheit zu suchen, die deine Seele vor der Vergänglichkeit retten konnte. Ich sagte: Nimm mich in den Arm. Das Leben ist so kurz, und es steht nicht fest, ob es für unsere schwachen Seelen eine Ewigkeit gibt. Aber das wolltest du mir nicht glauben, Aurel. Du wolltest nichts unversucht lassen, eine Ewigkeit für deine Seele zu finden. Es schien dir wichtiger zu sein, deine Seele vor der Verdammnis zu retten als meine.

Noch immer leidet Floria unter dem Verlust des Geliebten, der sie aus ihrer Sicht durch seine Bekenntnisse auch verleugnet. Immer wieder führt sie seine Argumentation aus den Bekenntnissen ad absurdum. Gerade die Unsterblichkeit der Seelen, auf die Augustin nun durch den vollkommenen Verzicht auf alle leiblichen Genüsse zu erreichen hofft, erscheint ihr das falsche Ziel. Immer wieder bezieht sie sich auf die gemeinsamen Erinnerungen. Ihr Brief ist ein Befreiungsschlag und gleichzeitig ein Hohelied auf die Liebe.

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Roman

Ian McEwan – Abitte

Labyrinth (c)Henrik-Gerold-Vogel/pixelio

War eine Geschichte zu Papier gebracht, schienen die Blätter vor lauter Leben in ihrer Hand zu beben. Selbst ihrer Ordnungsliebe konnte sie frönen, ließ sich mit Worten doch jedes Chaos in geregelte Bahnen lenken.

Die Geschichte beginnt mit Briony, die an einem Theaterstück schreibt, mit dem sie ihrem Bruder eine Freude machen will, der an diesem Abend endlich wieder nach Hause kommen wird. So unschuldig dieser Abend beginnt, so verhängnisvoll wird er enden. Der ganze erste Teil des Buches beschäftigt sich mit den Geschehnissen eines einzigen Sommerabends, erzählt aus den unterschiedlichen Perspektiven der drei Hauptpersonen: Briony, ihrer Schwester Cecilia und Robbie, dessen weiteres Schicksal dann im zweiten Teil in den Krieg führt.

Doch, wenn sie abends, am Ende des Tages, im Nachthemd auf dem Treppenabsatz stand und über den Fluss auf die verdunkelte Stadt schaute, befiel sie wieder dieses Unbehagen, das dort unten in den Straßen weilte, so wie es hier auf den Stationen herrschte, und das die Düsternis selbst zu sein schien. Nichts in ihrem straffen Tagesablauf, nicht einmal Stationsschwester Drummond, konnte sie davor schützen.

Brionys Fehler bestimmt das weitere Leben aller drei. Ihre Liebe zu Geschichten macht der aufkeimenden Liebe zwischen Cecilia und Robbie ein jähes Ende. Beide Schwestern schlagen die Laufbahn als Krankenschwester ein, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Für Cecilia ist es der schnellste Weg, ihr Elternhaus zu verlassen und auf diesem Wege auch die Vergangenheit aus dem Weg zu schieben. Für Briony wird es zur Buße für ihren Fehler, der die Schwestern entzweit.

Trotz der in ihrem Tagebuch skizzierten Typen glaubte sie nicht länger an Charaktere. Das waren schnurrige Kunstgriffe, die ins neunzehnte Jahrhundert gehörten. Schon das Konzept einer handelnden Figur basierte auf einem Irrtum, was die moderne Psychologie schließlich längst bewiesen hatte. Und die Handlung selbst war auch nur eine rostige Maschine, deren Zahnräder nicht mehr recht ineinandergreifen wollten.

Sowohl der Inhalt der Geschichte als auch der Schreibstil lassen den Leser mit der Zeit vergessen, dass es sich um einen Roman von Ian McEwan handelt. Hätte man mir das Buch vorgelegt und ich müsste den Autor erraten, hätte ich eher auf John Irving getippt. Zwar zeigt die Detailgenauigkeit der Beschreibung des Abends, an dem die Geschichte beginnt, deutlich die Handschrift McEwans. Der weitere Verlauf hingegen, der sich schließlich über ein Leben ausdehnt, erinnert sehr an die Art wie John Irving die Lebensgeschichten seiner Protagonisten entwirft. Dies gerät dem Roman jedoch in keinster Weise zum Nachteil. Man fiebert zusehends mit, ob es letztendlich zu einer Aufklärung der verhängnisvollen Geschehnisse kommen wird. Nicht alles findet zu einem befriedigenden Ende und doch bleibt ein Gefühl der Zufriedenheit zurück, wenn man die letzte Seite umblättert. Eine Kunst, die nur wenige Autoren mit dieser Virtuosität beherrschen.

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Roman Unterhaltung

Lauren Weisberger – Die Partyqueen von Manhattan

Ich weiß bis heute nicht, warum ich mich umgedreht habe. Es gab keinen Grund, keinen Anlass, wenn man einmal davon absieht, dass ich von einem übergeschnappten, metrosexuellen Promi auf einer Vespa entführt wurde. Trotzdem sah ich noch einmal zurück, bevor wir losdüsten. Penelope stand auf dem Bürgersteig, meinen Schal über dem starr ausgestreckten Arm. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke, dann gab Philip Gas, und weg waren wir.

Lauren Weisberger wurde in erster Linie mit ihrem Moderoman „Der Teufel trägt Prada“ und der gleichnamigen Verfilmung mit Anna Hathaway und Meryl Streep bekannt. In „Die Partyqueen von Manhattan“ bleibt sie ihrer Erfolgsstory weitgehend treu.

Heldin ist Bette, die ihren langweiligen Job bei einer Investmentfirma hinschmeißt und daraufhin auf Empfehlung ihres Onkels bei einer Eventagentur anheuert. Dort rutscht sie von einem Moment auf den anderen mitten in die mittlere High Society und hüpft von einem Fettnäpfchen ins andere. Die Bekanntschaft mit dem Frauenschwarm und begehrten Junggesellen Philip Weston bringt ihr in dieser Gesellschaft Pluspunkte. Ihre Freunde stößt sie jedoch ein ums andere Mal vor den Kopf, sogar die Verlobungsparty ihrer besten Freundin Penelope (siehe Zitat oben) verpasst sie wegen ihres neuen Jobs, der natürlich mit den ganzen Partys, auf denen sich Bette quasi beruflich herumtreiben muss, nicht immer wie Arbeit aussieht. Bei all diesen Problemen wird sie auch noch von einer Society-Journalistin verfolgt, die sich auf Bettes Kosten selbst wichtig macht.

Dass dies schließlich in einer menschlichen Katastrophe enden muss, braucht nicht extra gesagt zu werden. Auch das Bette letztendlich erkennt, was wirklich wichtig ist, haben wir bereits in Der Teufel trägt Prada gesehen. Trotz allem beherrscht Weisberger einen erfrischenden Stil, der durchaus wie die Geschichten von Suzan Elizabeth Phillips zu einem dauerhaften Erfolg im Genre der Frauenliteratur werden könnte.

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Roman

Petra Balzer de Garcia – Die Reben von Scala Dei

„Dass der Herr auch den Kelch Wein nimmt und ihn den Seinen reicht, zeigt, dass er uns nicht nur das geben will, was wir unbedingt brauchen. Er denkt uns auch zu, was uns Freude macht. Wie das Brot für all das steht, was wir zum Leben nötig haben, so der Wein für das, was uns des Lebens froh werden lässt.“

Es scheint ein recht feiner historischer Roman zu sein. Der junge Maure Raschid muss fliehen, denn die Christen erobern die Stadt Siurana, über die bisher seine Mutter Azia herrschte. Raschid muss sich als Christ ausgeben, um zu überleben. Der Weinhändler Bobo nimmt den Jungen als Lehrling unter seine Fittiche.

Raschids neues Leben nimmt seinen Lauf, schließlich verliebt er sich sogar in die schöne Alba, die mit Guillem, dem Sohn des Eroberers von Siurana, verheiratet wird. Und genau dieser Aspekt macht den Roman in weiterer Folge unglaubwürdig. Die Autorin verfängt sich in ihrer Geschichte, in die sie alles reinpacken will. Der religiöse Konflikt von Raschid, der mit seinem späteren Mentor Prior Père die Kartause Scala Dei gründet und deren Weinberge bewirtschaftet, bleibt vollkommen außen vor. Natürlich gelingt ihm letztendlich die Rache und alles wendet sich zum Guten, dies geschieht jedoch in furchterregender Geschwindigkeit und wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen unglaubwürdig. Als wäre der Abgabetermin nahegerückt und daher musste der Deus ex machina die Geschichte zu einem guten Ende bringen.

Raschid war übel vor Unruhe und Furcht. Sicher, er war frei. Doch einen Tag zuvor war er dem Tod noch so nah gewesen. Nichts war von Dauer, dessen war er sich so gewiss wie nie zuvor.

Die Handlung ist in Katalonien angesiedelt (was mich ursprünglich veranlasst hat, zu dem Roman zu greifen). Hier wäre eine Übersichtskarte hilfreich, um die Reise von Raschid verfolgen zu können. Die Städte Siurana und Barcelona sind als Schauplätze auch heute zu finden. Auch die Eroberung der maurischen Stadt Siurana durch die Christen ist historisch bekannt. An diesen Fakten lehnt sich Petra Balzer de Garcia mit ihrem Roman an, die von ihr entworfene Liebesgeschichte über die Grenzen der Stände hinweg kann jedoch nicht überzeugen, so sehr ihre Beschreibungen des Weinbaus und Raschids Entwicklung zum Weinbauer auch gefallen.

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Roman

Marc Levy – Zurück zu dir

Man sagt, um von einer Liebesgeschichte geheilt zu werden, braucht man die halbe Zeit ihrer Dauer. Dann, eines Morgens, wacht man auf, und die Last der Vergangenheit ist wie durch Zauberhand verschwunden.

Die Liebesgeschichte zwischen Arthur und Lauren, die in „Solange du da bist“ ein so überraschendes und unbefriedigendes Ende fand, findet in „Zurück zu dir“ seine Fortsetzung. Aber auch diesmal gibt es keinen einfachen Weg für die beiden und Arthurs Freund Paul hat auch so einiges durchzustehen. Mit Arthurs neuer Nachbarin Miss Morrison gibt es außerdem einen wirklich interessanten Charakter, der etwas Leben in die stückweise doch sehr trockene Hin-und-Her-Geschichte bringt. Sie ist es auch, die Laurens Mutter letztendlich dazu bewegt, ihrer Tochter die Wahrheit über das Koma zu sagen.

Ich hatte nicht das Glück, Kinder zu haben, und im Gegenteil zu dem, was ich vorhin gesagt habe, um mich gelassen zu geben, können Sie sich nicht vorstellen, wie sehr mir das fehlt. Aber wegen der vielen Beziehungen glaubte ich mich nicht in der Lage dazu – das zumindest war meine Entschuldigung, um mich nicht mit meinem Egoismus konfrontiert zu sehen.

Natürlich wird die Geschichte in der Fortsetzung nicht wirklicher und der erste Teil hatte schon deutlich mehr den Effekt des Originellen zu bieten. Aber immerhin ist es ihm gelungen, den Geist seiner Charaktere einzufangen und ein weiteres Hohelied auf die Liebe zu dichten.

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Roman

Margit Schreiner – Haus, Frauen, Sex

Nähen (c) Rainer Sturm / PIXELIO

Da habe ich mir gedacht: Die Resi ist eine Prinzessin, und eines Tages baue ich ihr ein Haus mit einem Garten und einem Teich in der Mitte. Und im Haus lege ich ihr einen roten Steinboden im Flur. Das habe ich mir damals geschworen, als du schwanger warst mit meinem Sohn.

Margit Schreiner beschreibt in diesem Roman die Trennung eines Paars nach langjähriger Ehe aus der Sicht des verlassenen Mannes. Vieles, was er über seine Frau denkt, scheint seinem eigenen verletzten Ego zu entspringen. Dinge, die er niemals aussprechen würde, wenn seine Frau noch seine Frau wäre, und vor ihm stehen würde. Und das obwohl er selbst beschreibt, was er bereits alles ausgesprochen hat und auch, dass er seine Frau im Affekt geschlagen hat.

Seine eigenen Taten spielt er herunter, alle Fehler werden der Frau zugeschoben, das Funktionieren der Ehe hängt scheinbar allein von ihrem Versagen ab. Er hält sich selbst für fehlerlos und mokiert an seiner Frau über viele Seiten, dass sie nicht imstande ist, den Herd oder eine Holzkommode nach seinen Vorstellungen korrekt zu putzen.

Vieles, was hier zur Sprache kommt, scheint direkt dem männlichen Egodenken entnommen, man wundert sich immer wieder, wie eine Frau zu derartigen Erkenntnissen gelangen kann. Wo die männliche Seele der Frau immer als Buch mit sieben Siegeln erscheint, trotz allem ausgedehnten Analysieren, geht Margit Schreiner hier den Grenzweg zwischen grausamer Wahrheit und übertriebener Fiktion. Das Ergebnis ist ein grausames Charakterportrait, das man gar nicht ernst nehmen will, weil es ein so schmerzhafter Blick in die gekränkte Seele eines verlassenen Mannes zu sein scheint.

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Roman

Nick Hornby – Juliet, Naked

CD (c) Günter Havlena/PIXELIO

„Du ziehst aus“, sagte Annie. „Oh. Hoppla. Wow. Nein, nein, nein, davon habe ich nicht gesprochen“, protestierte Duncan. „Du vielleicht nicht. Aber ich spreche davon. Ich habe mein halbes Leben an dich vergeudet, Duncan. Oder zumindest das, was von meiner Jugend noch übrig geblieben war. Ich werde keinen weiteren Tag vergeuden.“ Sie ging zu ihrer Tasche, zog eine Zehnpfundnote hervor, warf sie auf den Tisch und ging hinaus.

Mit diesem Roman kehrt Nick Hornby wieder zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Im Zentrum steht ein Rocksänger, der zuerst nur aus dem Blickwinkel seines Fans Duncan und dessen Freundin Annie in Erscheinung tritt. Deren Beziehung gerät ins Wanken durch unterschiedliche Meinung über das neue Album des Rocksängers Tucker Crowe, den Duncan wie einen Gott verehrt. Annie zweifelt an den vergangenen 15 Jahren ihres Lebens und sucht nach neuen Wegen.

„Nun, viele Menschen, die ich kenne, führen eine unglückliche oder frustrierende Ehe. Oder eine langweilige.“ – „Und?“ – „Sie sind trotzdem eigentlich ganz zufrieden.“ – „Sie sind glücklich in ihrem Elend.“ – „Sie haben sich damit arrangiert, ja.“

Haiauge, Herzinfarkt und Farmer John begleiten Annie, Tucker und Duncan auf ihrer gemeinsamen Suche nach einem neuen Leben. Und natürlich die Musik. Bei Duncan kann man zwar den Lerneffekt nicht so eindeutig feststellen, aber zumindest Annie und Tucker haben am Ende des Buches dazugelernt und können von nun an hoffentlich mehr aus ihrem Leben machen.

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Roman

Richard Powers – Das Echo der Erinnerung

Kanadakranich (c) Miroslaw/PIXELIO

Für Japaner erfüllt sich ein Wunsch, wenn sie tausend Papierkraniche falten. Sadako Sasaki, zwölf Jahre alt und ein Opfer der „Atombombenkrankheit“, schaffte 644. Kinder von überall auf der Welt schicken ihr Tausende, Jahr für Jahr. Kraniche tragen die Seele ins Paradies. Kranichbilder stehen in den Fenstern der Trauerhäuser, und Schmuckstücke in Kranichgestalt begleiten die Toten. Die Kraniche sind Seelen, die einst Menschen waren und vielleicht wieder Menschen werden, nach vielen Leben.

Richard Powers ist ein Geschichtenerzähler ersten Ranges. Bereits der Vorgänger „Der Klang der Zeit“ beeindruckte Kritiker und Leser. Mich jedoch hat „Das Echo der Erinnerung“ noch nachhaltiger berührt.

Karins Bruder Mark erleidet einen Unfall, sein Wagen kommt von der Straße ab, erst nach mehreren Stunden kann er von der Polizei befreit werden. Lange ist unsicher, ob er überleben wird. Als er schließlich zu sich kommt, hält er seine Schwester für eine Schauspielerin. Für Karin wird dadurch der Genesungsprozess zu einem Spießrutenlauf. Obwohl sich Marks Zustand zu bessern scheint, leidet Karin immer mehr darunter, dass er zwar andere Personen erkennt, jedoch auch sein Haus und seinen Hund für blasse Kopien hält. Schließlich wendet sich Karin an den berühmten Neurowissenschaftler Gerald Weber, der sich auch bereit erklärt, Mark zu besuchen. Jedoch verfolgt er dabei seine eigenen Motive. Sein drittes Buch bleibt hinter den Erfolgen der Vorgänger zurück. In der Beschreibung von Weber und seiner Frau Sylvie ist mir jedoch eine bestimmte Passage aufgefallen, die mich an eine Zeile aus dem Song „Both Ways“ von Quietdrive erinnert hat: „I think I’ve found the perfect way to grow old“. In weiterer Folge zeigt sich, dass auch Webers scheinbar perfekte Ehe ins Wanken gerät, aber diese Passage kann einen trotzdem glauben lassen, dass es möglich ist:

Wenn man einmal von der absurden Puderdose absah, die tat, als sei sie ein Telefon, hätten sie ebenso gut wieder im College sein können, wo sie bis spät in die Nacht über ihre Erfahrungen geredet hatten, lange nachdem die Sperrstunde jeden von ihnen in ihre getrennten Wohnheime gescheucht hatte. Er hatte sich am Telefon in Sylvie verliebt. Immer, wenn er auf Reisen war, erinnerte er sich daran. Sie verfielen in ihren Rhythmus, redeten, wie sie fast jeden Abend ihres Lebens geredet hatten, ein Dritteljahrhundert lang.

Weber kann Mark nicht helfen, er lässt Karin mit dem Rat zu einer Verhaltenstherapie zurück. Sein eigenes Leben gerät zusehends auseinander. Auch Karin wird zwischen ihrem ehemaligen Freund Karsh, Daniel, der früher Marks Freund war und nun mit Karin zusammen ist, und ihrem Bruder Mark aufgerieben. Als Nebenhandlung entsteht außerdem noch ein spannender Wirtschaftskrimi über die in der Gegend verbreiteten Kraniche, die einem Touristenzentrum weichen soll. Karsh kämpft dafür, Daniel dagegen. Karin vergräbt sich weiter in die Psyche ihres Bruders und ignoriert ihr eigenes Leben.

Das Bewusstsein erzählt eine Geschichte, und diese Geschichte ist in sich geschlossen, zusammenhängend und stabil. Wenn diese Geschichte abbricht, schreibt das Bewusstsein sie neu. Jede revidierte Fassung erhebt den Anspruch, das Original zu sein. Und so sind wir oft die Letzten, die es erfahren, wenn Krankheit oder Unfall uns zerstören.

Obwohl man das Buch nicht als Krimi bezeichnen kann, ist es dieser Spannungsfaden, der einen nicht mehr loslässt und schließlich beide Erzählebenen auflöst. Kein Happy End. Fragen bleiben offen. Ich könnte mir kein besseres Ende vorstellen.

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Roman

Robert Menasse – Don Juan de la Mancha

Kerzen (c)Carsten Grunwald/pixelio.de

Wie Professor Poppe in die Reihen der Studenten blickte – ich sah, dass er nichts mehr sah, nur noch eine Gesichterwand, eine Menschenmauer. Er konnte nicht wissen, ob jetzt nicht der Nächste aufsteht, und dann wieder einer. Ja, er hatte Angst.

Dass dieses Buch direkt nach Elementarteilchen am Stapel lag, scheint eine Ironie des Schicksals zu sein. Denn wieder geht es um einen Mann, der keine Liebe empfindet, stets bleiben seine Gefühle ein wankelmütiges Strohfeuer, das sich einer Frau nach der anderen zuwendet. Dabei ist er nicht ganz so unglücklich wie Bruno in Elementarteilchen, aber doch so neben sich, dass er für seine Therapeutin einen schriftlichen Blick in die Vergangenheit wagt.

Dieses Werk liegt nun als Roman vor uns. Die Kündigung stürzt den Protagonisten in diese Depression, die schließlich zu einer intensiven Selbstreflexion führt.

Der Rasen meines Gartens verdorrte. In den Zeitungen und Fernsehnachrichten sprach man von einem Jahrhundertsommer. Ich hatte schon viele Jahrhunderte in Form von Jahrhundertsommern und Jahrhundertfrösten, Jahrhundertstürmen, Jahrhundertgewittern und Jahrhundertüberschwemmungen erlebt, und genauso fühlte ich mich, eine jahrhundertealte Schildkröte, ebenso behindert wie geschützt von einem schweren Panzer.

Bezeichnend für das Dilemma seines Lebens ist eine Geschichte aus der Anfangszeit seiner Tätigkeit in der Leben-Redaktion. Die skurrile Horoskopschreiberin berechnet aus seinen Geburtsdaten sein persönliches Horoskop, findet dort jedoch keine eindeutigen Angaben: „Bist du Grähnzfall.“ Nicht das eine, aber auch noch nicht das andere. So pendelt er in seinem Leben herum, auf der Suche, aber ohne zu wissen, wonach. Und doch gelangt er im Rahmen seiner Selbstreflexion zu Erkenntnissen über das Leben.

Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Na und? Das Schwierigste ist ohnehin der vierte, fünfte, hundertste Blick.

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Roman

Francois Lelord – Hector und die Geheimnisse der Liebe

Kastanienherz (c) Monika Tugcu / PIXELIO

„Liebe“, sagte er, „ist eine Verrücktheit des Blutes, in welche die Vernunft einwilligt. Dieser Ausspruch ist leider nicht von mir. Gewiß verschafft uns die Liebe unsere größten Freuden, und das Wort ist noch schwach gewählt, man könnte sogar sagen, unsere allerhöchsten Ekstasen … Diese Bewegung auf den anderen zu, dieser Augenblick, in dem unser Traum Wirklichkeit wird, dieser begnadete Zustand, in dem man endlich an etwas anderes denkt als an das eigene Ich, diese Vereinigung der Körper, die uns – wenigstens für Augenblicke – unsterblich macht, …“

Der nicht mehr ganz junge Psychiater Hector muss sich in dieser Geschichte mit den Irren und Wirren der Liebe auseinandersetzen. Erst wird er auf die Suche nach einem etwas verrückten Professor geschickt, der versucht, dem Geheimnis der Liebe auf chemischem Wege auf die Spur zu kommen. Mit Tieren macht er unterschiedliche Erfolge, jedoch sind die Ergebnisse der mit Placebos „behandelten“ Menschen eigentlich interessanter.

Hector muss die Trennung von seiner Freundin Clara verarbeiten. Dass sie eine Affäre hat, erfährt er erst, nachdem er selbst im Schmerz der Trennung Trost bei einer anderen Frau gesucht hat. Hector stellt sich Fragen nach den unterschiedlichen Gefühlen, die Liebe in Menschen auslösen kann und muss dabei leider feststellen, dass die Liebe auch für viele schlechte Gefühle verantwortlich ist.

Und so bleibt Ihnen jener Trostgedanke, den Sie hegen und pflegen: die ganze Geschichte mit dem geliebten Wesen hat Sie stärker und gelassener gemacht, und am Ende schaffen Sie es sogar, an den Wert dieser teuer erkauften Gelassenheit zu glauben – bis zu dem Augenblick, wo ein gewisser Ort, eine Melodie, ein Duft …

Von einem Happy End kann man an dieser Stelle nicht sprechen, doch Hector findet auch das Positive an der Liebe. Francois Lelord hat es geschafft, viele Facetten des Gefühls auszuloten und doch bleibt die große Ungewissheit erhalten, die auch unser Leben prägt. Keine großen Erkenntnisse, aber die muss ohnehin jeder selbst erleben.