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Biografie

Erni Mangold – Lassen Sie mich in Ruhe

Das Selbstbewusstsein ist trügerisch. Es macht uns vor, es ist da, aber es ist ein Leben lang ein wackliges Gerüst. Das Wackeln finde ich gar nicht schlecht, denn nur daraus lernt man, weiß, wer man ist, und was man kann.

Etwa in der Zeit, als ich die Susi-Nicoletti-Biografie gelesen hatte, spülte mir die Twitter-Timeline dieses Interview mit Erni Mangold in die Timeline. Ich hatte sie schon vorher als interessante Persönlichkeit wahrgenommen gehabt, dieses Interview machte mich dann aber endgültig neugierig auf ihre Lebensgeschichte.

Im Buch spiegelt sich dann – wie im Interview – sehr gekonnt ihre Persönlichkeit und ihre allgemeine Einstellung zum Leben wider. Nicht zu viel nachdenken, einfach machen. Das Leben nehmen, wie es kommt, und dann das Beste daraus machen. Nicht zu oft fragen, was andere denken, sondern danach handeln, was man selbst für richtig hält. Nach den Sternen greifen und trotzdem am Boden bleiben. Natürlich ist das hier verkürzt dargestellt, aber die Langversion findet sich eben im Buch. Der Leser erlebt eine gereifte Persönlichkeit, die Krisen durchgestanden und daraus gelernt hat. Nicht das schlechteste Vorbild, das ich mir ausdenken könnte.

Oberflächlichkeit spielt in dem Zusammenhang übrigens eine wichtige Rolle. Eine gewisse Oberflächlichkeit in dem Sinn, nicht alles an sich heranzulassen, sondern einmal gekonnt zu ignorieren, nicht wahrzunehmen, hilft durch schwierige Zeiten.

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Memoir

Ariel Levy – The Rules Do Not Apply

Every so often, I like to break up my stack of fiction and throw in a memoir by a real person reflecting on real life — preferably by a fantastic, unflinching writer, which Ariel Levy is.

Parnassus-Empfehlung

Seit ich im Rahmen der letzten Reading Challenge das Genre Memoir entdeckt habe, interessieren mich echte Lebensgeschichten beinahe mehr als erfundene. Es hat vielleicht mit einer Suche nach Vorbildern zu tun, nach Menschen, die in irgendeiner Form aus der Normalität herausfallen, trotzdem etwas aus ihrem Leben machen und dann darüber berichten. Die gesellschaftlichen Normen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert (Risikogesellschaft). Natürlich gibt es noch das vorherrschende Bild der normalen Familie, auf immer mehr Menschen trifft es jedoch nicht mehr zu. Neue Lebensformen entwickeln sich täglich und vermutlich orientiert sich jeder Mensch bis zu einem gewissen Grad an den Vorbildern anderer. Es braucht also auch Vorbilder für nicht mehrheitsfähige Lebensformen.

Daring to think that the rules do not apply is the mark of a visionary. It’s also a symptom of narcissism.

Dass es bei solchen echten Lebensgeschichten kein Happy End gibt, kann gleichzeitig eine gute wie auch eine schlechte Sache sein. Bei diesem Buch hatte ich das untrügliche Gefühl, dass es nur ein Lebensabschnitt war, der hier beschrieben wird und dass die Autorin noch viel mehr vor sich hat, als sie beschreibt. Ein Gefühl, dass sich bei keiner Autobiografie – oder eben amerikanisch Memoir – vermeiden lässt. Erst wenn die Person tatsächlich tot wäre, ließe sich ein ganzes Leben beschreiben, dann kann die Person aber nicht mehr selbst davon erzählen. Catch-22.

We want intimacy and autonomy, safety and stimulation, reassurance and novelty, coziness and thrills. But we can’t have it all.

Die Autorin beschreibt ihr Leben bis zu einem großen Einschnitt, durch den alles, was sie sich aufgebaut hatte, mit einem Schlag vernichtet wird. Sie erzählt selbst von den (vermutlich) schlimmsten Momenten ihres Lebens in einer Klarheit, einer Art emotionalen Distanz, die dem Geschehen scheinbar die Schwere nimmt. Das zeugt entweder von einer intensiven therapeutischen Auseinandersetzung mit den Ereignissen oder von großem literarischen Können. Oder beidem.

And it had certainly never crossed my mind that my reaction – my suffering – was mine: something I had come up with, not something I needed to blame on anyone else.

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Sachbuch

Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim – Fernliebe

Die Beiträge zur Gesellschaftstheorie, die heute international die größte Aufmerksamkeit finden, folgen einem anderen Muster. Ihr Ziel ist es, angesichts eines Chaos sozialer Ereignisse und Phänomene, die uns überrollen, einen konzeptionellen Orientierungsrahmen zu schaffen mit den Mitteln einer generalisierten Diagnose der sich rapide verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Ulrich Becks Risikogesellschaft ist mir dann auch dieses Buch in die Hände gesprungen, das zum Glück deutlich einfacher zu lesen war. Die Autoren entwerfen hier das soziologische Konzept der Weltfamilien und erläutern in unzähligen Variationen, wie solche Weltfamilien entstehen, was sie von traditionellen Familien unterscheidet und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben. Dabei werden auch viele gesellschaftliche Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte gestreift, deren Zusammenhänge für den Nicht-Soziologen oft nicht auf der Hand liegen.

…, den verschiedenen Varianten von Weltfamilien ist eines gemeinsam, eine Irritation: Sie passen nicht zusammen mit unseren bisherigen Vorstellungen von dem, was den Charakter der Familie ausmacht, was zur „Natur der Familie“ gehört, immer und überall. Sie stellen einige unserer vertrauten, als selbstverständlich vorausgesetzten Grundannahmen von Familie in Frage.

Die Themen sind fast ausschließlich solche, die sehr polarisierende Gefühle hervorrufen. Zum Beispiel Heiratsmigration gibt es etwa sehr reißerische Medienberichte, die das schlimme Schicksal von Frauen ausschlachten, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben als Katalogbräute in ein westliches Land verschachert werden. Selten wird jedoch hinterfragt, welches Leben diese Frauen führen würden, wären sie in ihrem Herkunftsland geblieben.

Eine andere Art der Weltfamilie bilden Familien, in denen ein oder sogar beide Elternteile im (reicheren) Ausland arbeiten, um die zurück gelassenen Kinder zu ernähren. Ihren eigenen Kindern entfremdete Mütter kümmern sich als Kindermädchen um die Kinder reicher Eltern, damit diese ihrem Beruf nachgehen können. Diese reichen Familien können sich dabei noch der Illusion hingeben, einen Beitrag zur Entwicklungshilfe zu leisten.

„Appetit wird geweckt von der Möglichkeit“, hat der Technikphilosoph Hans Jonas schon vor Jahrzehnten gesagt. Dies belegt die gegenwärtige Expansion des Kinderwunsches. Mit der Pluralisierung der Lebensformen erweitert sich die Klientel der Reproduktionsmedizin.

Die Möglichkeiten und Folgen der Reproduktionsmedizin hat Ulrich Beck schon in Risikogesellschaft besprochen. Hier werden noch detaillierter die Entwicklungen im Bereich Familie beleuchtet. Die Tatsache, dass Menschen heutzutage auch noch in höherem Alter Kinder bekommen können, verändert die Gesellschaft auf vielfältige Weise. Die Entscheidung für eine Familie wird oft verschoben bis zu dem Zeitpunkt, an dem es auf natürlichem Wege nicht mehr klappt.

Anders betrachtet entspringen aus den Möglichkeiten der Samenspender und Leihmütter Kinder, die sich später nach den Grundlagen ihrer Identität fragen. Die genetischen Anlagen können nicht außer Acht gelassen werden. Auch wenn ein Kind zwei vollwertige „soziale“ Elternteile hat, wird irgendwann die Frage nach den biologischen Eltern ein Thema. Die Reproduktionsmedizin wird kritisch beleuchtet: Unterschiedliche gesetzliche Regelungen erlauben ein beinahe unkontrolliertes Ausnutzen der medizinischen Möglichkeiten. Die in westlichen Gesellschaften verbotene Leihmutterschaft etwa ist in Indien erlaubt und hat sich zu einem regelrechten Wirtschaftszweig entwickelt. Die psychologischen Folgen für die Leihmütter, die die Kinder, die sie 9 Monate in ihrem Körper wachsen lassen, oft nicht mal zu Gesicht bekommen, werden von der anderen Seite, den Wunsch-Eltern scheinbar nicht bedacht.

Was im Verständnis der Mehrheitsgesellschaft „Integration“ heißt, bedeutet im Verständnis der Minderheit: Wieviel Vergessen der eigenen Sprache und Herkunft ist notwendig, um dazuzugehören? Wie wird es möglich, sich dem zu widersetzen?

Ein wichtiger Teil der Kategorie Weltfamilien sind Ehegemeinschaften zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer und/oder nationaler Herkunft. Sie sind mit spezifischen Problemen konfrontiert. Neben den tatsächlich bestehenden Konflikten, die sich aus der unterschiedlichen Herkunft und damit der Sozialisation in unterschiedlichen Kulturen ergeben, haben sie auch mit Anfeindungen der Gesellschaft zu rechnen. Der Verdacht der Scheinehe schwebt oft nicht nur angedeutet über ihnen, viele Hürden sind zu überwinden, bevor eine solche Ehe überhaupt geschlossen werden kann. Und eine Ehe ist oft nötig, damit die Partner zusammenleben können. Dies kehrt den Prozess, der sich in westlichen Gesellschaften etabliert hat – kennenlernen, zusammenleben, ausprobieren, wie und ob das gemeinsame Leben funktioniert, dann erst Ehe, Haus, Kinder – um, und macht eine Ehe notwendig, damit das gemeinsame Leben und Ausprobieren überhaupt erst stattfinden kann.

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen in einem größeren Kontext hat mir bis jetzt einige interessante Erkenntnisse gebracht. Dabei stelle ich mir auch die Frage, ob sich so mancher Konflikt vermeiden ließe, wenn mehr Menschen einen Blick über den Tellerrand ihres eigenen Lebens wagen und sich intensiver mit den Schicksalen anderer Menschen auseinander setzen würden. Die modernen Medien liefern uns dazu alle Möglichkeiten, es gibt keine Ausrede mehr dafür, sich zu verstecken und den Kopf in den Sand zu stecken.

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Sachbuch

Ulrich Beck – Risikogesellschaft

Zu Beginn meines Weiterbildungsprojekts im vergangenen Jahr hatte ich die mit dieser Thematik verbundenen Bücher hier ausgeklammert. Inzwischen möchte ich aber nicht darauf verzichten, zumindest die thematisch verwandten Bücher hier zu dokumentieren, weil es für mich eine völlig neue spannende Richtung und Sichtweise auf das Leben und die Gesellschaft darstellt.

Zu Beginn etwas Kontext: Der deutsche Soziologe Ulrich Beck erlangte mit seinem 1986 erschienenen Buch Risikogesellschaft internationale Beachtung. Er thematisiert darin umfassend die gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich in Verbindung mit zunehmenden Umweltproblemen und der Globalisierung ergeben. 31 Jahre nach seiner Erscheinung ist dieses Werk noch immer ein vergleichsweise aktueller Beitrag im Bereich der Sozialisationstheorien. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die der Autor analysierte, sind inzwischen weit fortgeschritten, viele seiner Prognosen können als erfüllt angesehen werden.

Möglichst kurz gefasst könnte man sagen, dass Beck den Glauben an den Fortschritt kritisiert. Er beschäftigt sich ausführlich damit, dass viele technologische Entwicklungen einfach umgesetzt werden, ohne an die Veränderungen zu denken, die sich daraus für die Umwelt und die Gesellschaft ergeben. Ein damals aktuelles Thema war das Waldsterben aufgrund von Luftverschmutzung und unkontrollierter Abgabe von Giftstoffen an das Grundwasser. Aus heutiger Sicht hat sich zumindest in den entwickelten Gesellschaften Mitteleuropas einiges in diesem Bereich verbessert, gleichzeitig hat die Leugnung des Klimawandels in vielen anderen Ländern nach wie vor Hochkonjunktur. Der Autor führt umfassend aus, welche Rolle die Wissenschaft, die Forschung und die in diesem Bereich tätigen Unternehmen spielen. Er deckt die Verflechtungen auf und argumentiert etwa, dass die Festlegung von Schadstoff-Grenzwerten gleichzeitig eine Legitimation eines bestimmten Maßes an Umweltverschmutzung darstellt.

Im sozialen Bereich beschäftigt sich der Autor mit den Veränderungen, die das Fortschreiten der Industrialisierung für die Lebensformen der einzelnen Menschen mit sich gebracht hat. Die Emanzipation der Frau hat zu umfassenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geführt, die Politik hinkt diesen Veränderungen immer hinterher. Er argumentiert sehr pointiert, dass viele moderne Männer zwar inzwischen in Worten selbstverständlich die Gleichstellung der Frau proklamieren, in der Praxis hängen jedoch Mann und Frau doch zumeist in ihren traditionellen Rollen fest. An dieser Tatsache hat sich nach meiner Ansicht auch bis heute nicht viel verändert.

Ein Ausblick in die Zukunft ist stets eine schwierige Sache, meine eigene Einschätzung ist jedoch, dass wir uns heute mit der Digitalisierung bereits mitten in der nächsten Phase der gesellschaftlichen Veränderung befinden. Auch jetzt schreitet die technologische Entwicklung schneller voran, als der einzelne Mensch und die Politik mithalten können. Es bleibt spannend, zu beobachten, welche gesellschaftlichen Veränderungen sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen werden.

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Erzählung

Nick Flynn – Bullshit Nights

Jedes Jahr seines Lebens ist ein Kapitel, das Leben selbst ist ein Buch.

Was tun, wenn der eigene Vater obdachlos wird? Selbst wenn dieser Vater abwesend war, keine Alimente zahlte, sich nicht um seine Kinder kümmerte, bleibt er doch der Vater? Diese Frage stellt sich der Autor Nick Flynn, der in diesem Buch (laut Klappentext) seine eigene Lebensgeschichte in manchmal blumige (ein Theaterstück über betrunkene Weihnachtsmänner und ihre Töchter) und manchmal weniger blumige (die Beschreibungen der Prozeduren im Obdachlosenheim) Worte fasst.

Auch hier zeigt ein Episodencharakter, dass es sich um Erinnerungen handelt und nicht um eine stringente Romanhandlung: Fragmente von Kindheitserinnerungen, Geschichten und Fotos, Momentaufnahmen eines Lebens, an die man sich auch Jahrzehnte später noch erinnert, weil sie sich emotional eingegraben haben. Bei den geradlinig erzählten Kapiteln stellt sich so schnell das Gefühl ein, hier einen erfundenen oder zumindest geschönten Teil vor sich zu haben.

Zwischen den Zeilen findet sich dann die wahre Geschichte: die Ziellosigkeit, die mit Obdachlosigkeit einhergeht. Es gibt keine Zukunft jenseits der Nacht, die der Obdachlose überstehen muss, ohne dass ihm auch noch die letzten Besitztümer geraubt werden. Dieselbe Ziellosigkeit prägt auch die Mitarbeiter des Obdachlosenheims. Nur sehr wenige Obdachlose schaffen es nach einer längeren Zeit auf der Straße wieder zurück in ein geregeltes Leben. Die Arbeit im Obdachlosenheim besteht also auch nur im Erhalten eines unbefriedigenden Status quo. Eine Verbesserung, irgendwelche Möglichkeiten für die Zukunft sind nicht in Sicht. Und doch muss es jeden Tag weiter gehen. Je nach Blickwinkel eine hoffnungslose oder hoffnungsvolle Aussicht. Es kommt immer ein neuer Tag.

Mein Vater, der in einem Pappkarton geschlafen hat, besteht auf zwei Millionen, besteht auf eine Scheune, um das Projekt, das sein ganzes Leben bestimmt, das Buch, an dem er schon vor meiner Geburt schrieb, anfangen oder vollenden zu können.

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Roman

Lars Gustafsson – Frau Sorgedahls schöne weiße Arme

Warum dieses Gerede vom ewigen Leben? Der Mensch hat ja ein ewiges Leben, so lange er nicht tot ist. Ist er tot, kann er ja nicht leben. Aus dem einfachen Grund, weil es ihn nicht gibt. Und wozu sollte es gut sein, nach dem Tod weiterzuleben?

Wegen eines Buches zu einer Projektthematik (von dem ich noch nicht sicher bin, ob es hier auftauchen wird) musste ich in die Bücherei-Zweigstelle Philadelphiabrücke, wo ich unter anderem dieses Buch (ein weiteres Überbleibsel der Zeit-EM-Tipps) mitnahm, das in der Hauptbücherei nicht verfügbar ist.

Ich will nicht sagen, dass diese Erinnerungen eines alten Mannes an seine Jugend keinen Charme hätten, nur irgendwie kam ich nicht so recht in die richtige Stimmung. Der Erzähler springt zwischen den Zeiten und oft auch zwischen einzelnen Themen hin und her, den roten Faden muss der Leser mit der Lupe suchen. Einige hübsche Altersweisheiten, schwärmerische Aromen wie die Zimtbirne und eindrucksvolle Wetterbeschreibungen – die Erinnerungsfetzen eines alten Mannes. Das Interessanteste dabei war für mich die Frage, woran ich mich wohl noch erinnern werde, wenn ich mal alt werden sollte.

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Roman

Bernard Cornwell – Die dunklen Krieger

Als literarische Beilage zu diesem alle Erwartungen erfüllenden Stück Genreliteratur, das mich drei Nächte lang ausgezeichnet unterhalten hat, gibt es einen ausführlichen Artikel, der anhand von Bourdieus Schriften zu Kapital, Klassen und Habitus die Standesdünkel von Literaturkritikern analysiert. Jedem das Seine.

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Roman

Ornela Vorpsi – Das ewige Leben der Albaner

Auch wenn der Titel anders klingt: Ornela Vorpsi ist eine Meisterin der poetischen Verknappung. Ihre Szenen der albanischen Kindheit der 1980er Jahre leuchten. Erstaunlich, bei der kommunistischen Agonie, von der sie erzählen. (Zeit.de)

Irgendwie bringe ich bei diesem Buch die Beschreibungen von anderen mit der Realität nicht in Einklang. Der obige Absatz aus den Zeit.de-Empfehlungen aus verschiedenen Ländern zu Fußball-EM-2016 bezieht sich hauptsächlich auf den humoristischen Aspekt, den manche der Episoden tatsächlich enthalten. Mir fiel es jedoch schwer, angesichts der vielen harten, kalten und grausamen Details ein Leuchten in den Szenen zu sehen. Auch der Klappentext verspricht Ähnliches (die schreiben doch voneinander ab, oder?).

Ornela Vorpsi erzählt vom Heranwachsen eines aufgeweckten Mädchens in der archaisch-verrückten Welt Albaniens.

Einen roten Faden bildet die Geschichte des abwesenden Vaters, der als politischer Gefangener im Gefängnis sitzt. Nach seiner Entlassung findet er keinen Zugang mehr zu seiner Familie, die Kluft der Erlebnisse, die zwischen ihnen liegt, scheint unüberwindbar.

Was der Klappentext also archaisch-verrückt nennt, klang für mich eher wie die Beschreibung eines grausamen Alltags, in dem weder für Freude noch für jegliches Abweichen vom Althergebrachten Platz ist. Eine Gesellschaft, die mir kein guter Platz für aufgeweckte Mädchen zu sein scheint.

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Erfahrungsbericht

Clay Byars – Will and I

The zygote is what we call the cell created by the sperm and egg, when they join. So, it’s postfertilization. It divides, in the case of twins, but before it divides, it exists there in the womb as an entity, the original zygote, the product of the man and the woman. There was a moment before Will and I split apart that we were literally one being.

Immer wieder spült mir Lithub interessante Bücher entgegen, der Artikel ist schon beinahe ein Jahr alt. Ich hatte das Buch zuerst auf der Liste, dann in einem Einkaufsschub für den Kindle gekauft und bei meiner letzten Reise begonnen.

Clay Byars beschreibt in seiner autobiographischen Erzählung, wie er sich nach einem schweren Unfall Stück für Stück ins Leben zurückkämpfen musste. Alle Beziehungen, die er vor dem Unfall hatte – seine Eltern, sein Zwillingsbruder Will, seine Schwester, seine Freunde – sind von seinem neuen Leben mit Behinderung beeinflusst.

I don’t know what I wrote that night, but I know that it was the beginning of a new life, one in which I would no longer try to talk myself out of reality.

Er beschreibt aber nicht nur seine Transformation sondern auch, was ihm dabei geholfen hat: das Schreiben. Die schreibende Auseinandersetzung – eine Tätigkeit, die er trotz seiner körperlichen Einschränkungen ohne Hilfe ausüben konnte – hilft ihm, das Trauma zu verarbeiten.

Our twinship wasn’t broken, but it was redefined, physically and in ways that were harder to pin down.

Einen wichtigen Punkt bildet auch die Auseinandersetzung mit seinem Bruder. Vor seinem Unfall waren sich die beiden in vielen Punkten ähnlich, lebten ein überschaubar ähnliches Leben mit Schule und Freunden. Nach dem Unfall lebte Will dieses Leben weiter, während Clay damit beschäftigt war, sein Leben neu zu erlernen. Zwischen den Zeilen schwingt immer wieder die Frage mit, was gewesen wäre, wenn nicht er selbst sondern sein Bruder in diesem Unfall beinahe getötet worden wäre. Eine Frage, die letztendlich nicht beantwortet werden kann.

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Roman

Gayle Forman – Just one year

I have wondered: If you could know going in that twenty-five years of love would break you in the end, would you risk it? Because isn’t it inevitable? When you make such a large withdrawal of happiness, somewhere you’ll have to make an equally large deposit. It all goes back to the universal law of equilibrium.

Fortsetzungen können nie so gut sein wie das Original, das trifft auch auf diese Fortsetzung von Just one day zu. Es kann wohl kaum als Spoiler gelten, dass Willem im ersten Teil Allyson natürlich nicht absichtlich sitzen hat lassen. Am Ende des ersten Teils wissen wir bereits, dass er im Krankenhaus war, dass ihn irgendetwas gehindert hat, zurückzukommen. Im zweiten Teil erfahren wir den Rest der Geschichte aus Willems Sicht und seine eigene Entwicklung in diesem Jahr bis zu dem Moment, als Allyson plötzlich vor seiner Wohnungstür steht.

Tatsächlich erlebt Willem in seinem Leben eine im Vergleich zu Allyson umgekehrte Veränderung. Während Allyson sich von ihrer Familie (bzw. von ihrer überbehütenden Mutter) ablöst, findet Willem einen neuen Zugang zu seiner Mutter. Der rastlose Reisende wird zum Suchenden und findet schließlich etwas ganz anderes, als er selbst denkt und als der Leser erwartet. Auch das Ende ist gelungen, obwohl ich mir wirklich sehr einen Epilog (oder ein weiteres Buch) gewünscht hätte.

It’s like that moment of pause when I step out of a train station or bus station or airport into a new city and it’s nothing but possibility.