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Roman

Evelyn Grill – Das Antwerpener Testament

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Ein paar Tage später, zu Ulrichs Geburtstag, tranken sie zusammen Sekt, und Onkel Ferdinand las ihm und Tante Nelli ein Kapitel aus Gogols Tote Seelen vor. Das Buch liebte er besonders, weil die in ihm enthaltene Philosophie sich mit der seinen in vielen Punkten berührte. Er liebte es überhaupt, den jeweils im Häschen Versammelten vorzulesen, mit besonderer Vorliebe aus den Abenteuern des braven Soldaten Schwejk, dessen Humor er so kongenial wiederzugeben verstand.

Eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und Familien aus drei Ländern. Nahezu unaufgeregt erzählt die Autorin, wie die Protagonisten vor dem Naziregime aus Deutschland fliehen, wie manche von ihnen es bis nach Amerika schaffen, andere in Amsterdam hängen bleiben, und schließlich wie das titelgebende Antwerpener Testament das Famlienglück nachhaltig torpediert.

Im Zentrum stehen Ann und Ulrich. Die Engländerin Ann verliebt sich in den Deutschen Ulrich. Anns dominante Mutter will es nicht ertragen, dass ihre Kinder ihr eigenes Leben führen und sabotiert die keimende Beziehung zwischen Ann und Ulrich nachhaltig. In Rückblenden erzählt die Autorin, wie die verschiedenen Zweige der Familie sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln: Ulrichs Cousine ist mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert, die Inkarnation der sprichwörtlichen bösen Schwiegermutter – Anns Mutter Henriette Stanley – wurde in jungen Jahren von ihrem Bruder mit dem englischen Reeder Stanley verheiratet und hat diesem nicht verziehen, dass er sie in seinem Testament nicht ausreichend bedacht hat. Dieses Testament beschäftigt sie für den Rest ihres Lebens, erst lange nach ihrem Tod kann der inzwischen vereinsamte und gebrochene Ulrich die Familiengeschichte aufdecken.

Immer wieder überrascht der ruhige Erzählstil, mit dem die Autorin Evelyn Grill in ihren Rückblenden selbst dramatischen Szenen wie tödlichen Unfällen die Dynamik nimmt. Sie erzählt die Geschichte nicht im Entstehen sondern in Erinnerungen. Alles ist bereits passiert, nichts lässt sich mehr ändern, der Leser kann nur zur Kenntnis nehmen, was den Protagonisten geschieht, man nimmt keinen Anteil. Teils scheint dies eine geeignete Erzählform für eine Geschichte aus dieser Zeit, die für heutige Generationen gefühlsmäßig ebensoweit zurückliegt wie die Antike. Aber in gewissen Momenten wünscht man sich schon eine Spur mehr Emotion, vielleicht sogar etwas Mitgefühl für die Protagonisten. Die Autorin bleibt erbarmungslos und lässt die Familiengeschichte letztendlich über die Menschen triumphieren.

NOTE: Bei den Bildern handelt es sich um einen Belichtungstest, den ich mit meiner neuen Kamera durchgeführt hab. Spontan entdeckte ich beim Spätheimkommen von der Arbeit ein spannendes Mond-Schatten-Spiel, das ich abzulichten versuchte. Die Bilder sind vom GorillaPod-Stativ aus gemacht, mit Belichtungszeit 1,2,3,4,5,6 und 8 Sekunden. Das letzte Bild ist schon zu verschwommen, weil sich die Wolken schneller bewegten als der Auslöser. Bei 6 Sekunden zeigt sich schon in etwa das Bild, das sich tatsächlich den Augen bot. Leider trotzdem nicht ganz so spektakulär wie die Realität.

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Klassiker Roman

Leonhard Frank – Die Räuberbande

Wald(c)ezagury/SXC

Über der Stadt hing Rauch und Dunst. Es war schon fast dunkel. Eine Kirchenglocke läutete. Oldshatterhand war bedrückt; er spannte alle Muskeln an und hielt den Atem zurück, bis die Luft „pfa!“ aus seinem Munde fuhr. Es wurde ihm aber nicht leichter davon.

Eine Gruppe von Jugendlichen träumt im verschlafenen Würzburg von der großen, weiten Welt. In einer Höhle horten die Räuber ihre Beute und verüben allerhand Jungenstreiche. Der Roman erzählt vom Erwachsenwerden der Buben und wie sich die Freundschaften verändern und letztendlich zerbrechen, da sich jeder in eine unterschiedliche Richtung orientiert. Da entwickelt sich der Bleiche Kapitän zum disziplinierten Bodybuilder und Mädchen werden zunehmend wichtiger als die ehemaligen Freunde.

Oldshatterhand versucht als Einziger, den Plan vom Hinausziehen in die große Welt Wirklichkeit werden zu lassen und in München die Malerei zu erlernen. Bis ans Meer nach Italien führt ihn schließlich sein Weg, doch gerade der Träumer scheitert am Leben und an der Welt.

Etwas Positives kann man über diese Geschichte kaum sagen, einerseits lässt man sich von der anfänglichen Beschreibung der jugendlichen Lebenswelten einlullen und muss sich dann mit der Enttäuschung von Oldshatterhand auseinandersetzen, als dessen Freunde zu neuen Ufern aufbrechen, während er noch rätselt, was er mit seinem Leben anfangen soll. Genau genommen sind die Probleme der Jugendlichen heute genau dieselben: Ziellosigkeit, fehlende Perspektiven. Und das macht das Ganze eigentlich noch trauriger.

Weitere Informationen: Ausführliche Inhaltsangabe und Rezension von Dieter WunderlichRezension von André HerrmannLeonhard Frank @ Wikipedia

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Roman Unterhaltung

Heinz G. Konsalik – Der Wüstendoktor

Wuestenpflanze(c)olga meier sander/PIXELIO

In den Straßen tobten bereits die Kämpfe, Panzer sperrten die Zufahrten ab – als der Konvoi näher kam, hörte man deutlich das Knattern der Maschinengewehre und die Abschüsse von Granatwerfern und kleinen Kanonen. Dann war die Nacht da – schnell, wie wenn man einen Vorhang vorzieht, und mit dem Untergang der Sonne verflog auch die Wärme.

Wer Konsalik unbesehen als Schnulzenautor abtut, liegt nicht vollkommen richtig. Bereits 1981 erschien dieser Roman, indem erwartungsgemäß ein attraktiver Mann zwischen zwei nicht minder großartig geschilderten Frauen steht. Aber das ist nicht alles. Kulisse für die Geschichte von Dr. Ralf Vandura ist eine Revolution in Jordanien, die zwar nicht wie im Buch beschrieben, stattgefunden hat, aber jederzeit heute noch stattfinden könnte. Die Zeiten entführter Flugzeuge voll mit „unschuldigen“ Touristen mögen momentan vorbei sein, aber an den Ereignissen in Ägypten und Syrien in den vergangenen Monaten lässt sich deutlich ablesen, dass Revolutionen nahe jederzeit und überall ausbrechen können.

Die tatsächliche Liebesgeschichte entfaltet sich jedoch irgendwie frustrierend. Der Held Vandura verliebt sich in Katja Hellersen, die von ihrem Mann misshandelt wird. Sie stiftet ihn an, ihren Mann zu töten, Vandura weigert sich. Bruno Hellersen stirbt trotzdem, Vandura gerät unter Verdacht und ergreift die Flucht. In Beirut wird er vom Rebellenführer Karabasch aufgegriffen und landet als Arzt in deren Lager. Dort verliebt er sich in die Wüstenschönheit Laila, die ihn seine unglückliche Liebe zu Katja jedoch nicht vollständig vergessen lassen kann. Laila schreckt vor nichts zurück und ist dem Töten von Menschen noch weniger abgeneigt. Beide Frauen tragen Persönlichkeitsaspekte, die einem dem Leben verpflichteten Arzt, wie Dr. Vandura geschildert wird, eigentlich unangenehm sein müssten. Der Held heiratet am Schluss die Frau, die ihn bereits im ersten Buchdrittel angestiftet hat, ihren Mann zu töten. Die Revolutionärin Laila mag auch keine sehr angenehme Frau sein, aber Katja Hellersen, die ihrem Mann den Tod wünscht anstatt zur Polizei zu gehen, zeigt ebenfalls äußerst fragliche Charakterzüge. Von „happy end“ und heiler Welt kann hier also keine Rede sein.

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Klassiker Roman

Anette von Droste-Hülshoff – Die Judenbuche

Buche(c)Günter Havlena/PIXELIO

Diese Verwahrlosung ist umso mehr zu beklagen, da es auch dem letzten nicht leicht an Talenten und geistigen Mitteln gebricht und seine schlaue Gewandtheit, sein Mut, seine tiefen unbändigen Leidenschaften und vor allem seine reine Nationalität, verbunden mit dem markierten Äußern, ihn zu einem allerdings würdigen Gegenstand der Aufmerksamkeit machen.

„Die Judenbuche“ gehört im österreichischen Literatur-Unterricht zu den Standwerken, mit denen sich die Schüler langweilen müssen. In diesem Werk findet sich tatsächlich wenig Spannendes für die „heutige Jugend“. Ein Sittenbild der damaligen Gesellschaft in einer deutschen, ländlichen Gegend, wo das Urteil der Dorfbewohner mehr zählt als das Gesetz.

In den weiteren Erzählungen in diesem Band beschreibt die Autorin ländliche Bräuche wie sie etwa bei Hochzeiten damals geübt wurden. Oft ist es spannend, sich solche Werke in ihrem Kontext anzusehen, um zu erfahren, wie sie sich in die damalige Zeit einfügen. Wie das Werk ursprünglich aufgenommen wurde, geht allerdings weder aus der Wikipedia, als aus anderen Artikeln zum Werk hervor. Auch im Anhang des Buches findet sich dazu nur eine kurze Notiz:

Im Sommer 1844 gelang es jedoch Guido Görres, die Dichterin zu einer anonymen Veröffentlichung der Skizzen in den von ihm geleiteten „Historisch-politischen Blättern“ zu bewegen, wo sie in Band 16 (1845) unter dem Titel „Westfälische Schilderungen aus einer westfälischen Feder“ erschienen. Sie riefen in Westfalen heftige Kritik hervor, die im einzelnen nicht immer unberechtigt war, im ganzen jedoch die Absicht der Dichterin verkannte.

Über die „Absicht der Dichterin“ schweigt sich der Anhang leider aus. Welche Motivation steckte hinter dem Werk? Wollte Droste-Hülshoff Missstände aufzeigen, die mangelnde Moral oder die Selbstjustiz auf dem Lande anprangern? Fragen, die sich Generationen von Schülern Jahr für Jahr stellen müssen. Zum Glück muss ich sie nicht erschöpfend beantworten, sondern kann mich übergangslos angenehmeren Werken zuwenden.

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Roman

Florian Illies – Generation Golf zwei

Golf(c)hisks/SXC

Wir waren so skeptisch geworden, dass wir es am Ende sogar für möglich hielten, dass die Osama-Bin-Laden-Berghöhlenvideos vor den Steinen in Bad Segeberg gedreht wurden, dort, wo die Karl-May-Spiele stattfinden, und die letzten Saddam-Videos mit jubelnden Menschen vor staubigen Fassaden in der Goldgräberstadt aus Winnetou II.

Während der erste Teil der Generation Golf sich mehr mit Stil und grundsätzlicher Lebenseinstellung einer Zwischengeneration auseinandersetzte, zeigt sich hier schon zu Beginn ein deutlicher politischer Bezug. Hier wird eine Epoche charakterisiert anstatt einer Generation. Oder hat sich die Generation verändert und interessiert sich jetzt mehr und anders für Politik und das Weltgeschehen als zuvor?

Kein Wunder, dass Die fabelhafte Welt der Amélie zum Film der Stunde wurde. Alle sehnten sich gerade so sehr nach einem Vorbild, das in die Getreidesäcke greift, die Körner einzeln durch die Finger rinnen lässt und sich an den Wolken freut, weil sie so sinnlich sind.

Auch zu diesem Thema stellt sich die Frage, ob nicht einfach das Älterwerden den Blick auf die Welt verändert. Interessierten wir uns (höchstens) bis zum Alter von 25 hauptsächlich für das Wochenende, durchtanzten die Nächte und verschliefen die Tage, so wuchs der Wunsch nach wirklicher Erholung von der Arbeit im selben Maße wie die Anzahl der Thermen und Kuschelhotels im Burgenland.

Dann wird Harry ein bisschen traurig, es war schon aufregend damals, sagte er, als man abends im Mauerprak saß, schaukelte, Rotkäppchensekt trank und die Sonne glühend untergehen sah – und dabei noch keine Angst haben musste, vom Spiegel Fotografen für die nächste Geschichte über die „Boomtown Berlin“ fotografiert zu werden.

Der Mauerpark scheint diese Generation mühelos überlebt zu haben, denn dort ist die Zeit stehengeblieben, wie ich im vergangenen Juni selbst erleben durfte. Rotkäppchensekt war dabei zwar nicht im Spiel, aber die untergehende Sonne hinter den Rauchschwaden der Grillfeuer entfaltete ihre Wirkung wie eh und je.

Florian Illies betrachtet die Welt mit offenen Augen und es wäre spannend, zu erfahren, wie er die Welt heute sieht und wie sich seine Generation weiter entwickelt hat. Vielleicht gibt das Nachfolgewerk: Anleitung zum Unschuldigsein
einen Einblick in dieses Thema. Vielleicht war es die letzte Generation, die sich noch auf einen halbwegs gemeinsamen Nenner bringen ließ. Die Vielfalt der Jugendkulturen scheint im neuen Jahrtausend explodiert zu sein, so sieht es zumindest vom Standpunkt der Älteren aus. Wer erklärt heute den Älteren und Älterwerdenden die Jugend?

Weitere Informationen: Florian Illies bei Zeit Online

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Krimi

Volker Kutscher – Der stumme Tod

Kiwi(c)naliha/pixelio.de

„Sie sind aber’n janz hellet Köpfchen, wa? Heut Nacht bei Osram jeschlafen?“
So ähnlich fühlte Rath sich tatsächlich, als er wieder ins Auto stieg.

Der widerspenstige Kommissar Gereon Rath gerät diesmal in die Ermittlungen um ermordete Schauspielerinnen. Der Tonfilm erobert gerade das Filmbusiness und nicht allen Betroffenen behagt diese neue Entwicklung. Unter Verdacht stehen die konkurrierenden Produzenten Oppenberg und Bellmann, auf die Spur des Mörders führt jedoch die chinesische Frucht Yangtao (erst eine Internet-Recherche im Rahmen dieses Blog-Posts hat mich übrigens darauf gebracht, dass es sich dabei um die bei uns vollkommen alltagsgewohnte Kiwi handelt, die vor 80 Jahren jedoch noch eine chinesische Spezialität dargestellt haben dürfte).

Alte Bekannte aus dem ersten Rath-Roman Der nasse Fisch begegnen uns wieder: Engelbert Rath meldet sich aus Köln, um seinen Sohn auf dem Karriereweg zu unterstützen, Raths Journalistenfreund Weinert kann ihn nicht vor schlechter Presse bewahren, der Unterwelt-Boss Marlow tut Rath einen Gefallen und die Jus studierende Stenotypistin Charlotte Ritter verdreht Rath ein ums andere Mal den Kopf. Ihretwegen verprügelt Rath sogar einen Kollegen, das erste von vielen Dienstvergehen, die schließlich dazu führen, dass Rath sogar vom Dienst suspendiert wird.

Viel Berliner Lokalkolorit würzt Raths Erlebnisse im Vorkriegsberlin, nur wenige Hinweise zeigen den Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes. Es bleibt zu hoffen, dass Volker Kutscher noch viele weitere spannende Kriminalfälle für seinen Kommissar in petto hat.

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Krimi Roman

Volker Kutscher – Der nasse Fisch

Berlin, Alexanderplatz(c)Jim Pfeffer/PIXELIO.jpg

„Mein erster Einsatz als Betonarbeiter“, meinte Schwartz, als er ab den Obduktionstisch trat.
„Das glaube ich, Leichen in Beton sind eher selten, nicht wahr?“ Rath hoffte, dass Schwartz ihm die Nervosität nicht anmerkte, mit der er hier hereinspaziert war.
„Darauf würde ich nicht wetten, mein Freund“, entgegnete Schwartz. „In Berlin wird viel gebaut. Und so manchem Toten gönnt man kein ordentliches Grab.“

Dass Kriminalkommissat Gereon Rath den Toten selbst auf dem Gewissen hat, weiß der Pathologe natürlich nicht und dieses Geheimnis muss Rath auch noch lange allein mit sich herumtragen. Wegen eines Schusswechsels mit Todesfolge wurde er auf Betreiben seines Vaters von Köln nach Berlin versetzt – zur Sitte, wo ihm nach Ansicht seines Vaters nichts zustoßen kann. Rath mischt sich jedoch schnell in die Mordermittlungen ein, mit dem Ziel die Abteilung Sitte alsbald zu verlassen. Dadurch gefährdet er nicht nur die aufkeimende Beziehung zur Stenotypistin Charlotte Ritter, sondern gerät auch in einen Bandenkrieg, der sich schließlich als Korruptionsskandal entpuppt.

Rath las die Akte in seinem Büro, in dem ihn heute nicht einmal Erika Voss störte. Die beiden Russen waren an jenem Tag in eine Schlägerei mit Kommunisten geraten. Und dabei hatten sie etwas zu gründlich zugelangt. Einer der Roten saß seitdem im Rollstuhl, dem anderen hatte man einen Arm amputieren müssen. Selenskij und Fallin hatten zugegeben, an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sein, aber bestritten, an den schlimmen Verletzungen Schuld zu tragen, und waren daher mit einem milden Urteil davongekommen. Kein Wunder, dass Böhm die Akte wieder weggestellt hatte.

Raths Karriere in der Mordkommission beginnt mit den Ermittlungen in einem Fall, den er sehr genau kennt: Er selbst ist der Mörder. Im Zuge der Vertuschungsaktion (schließlich will er den Fall möglichst schnell zu den „nassen Fischen“ – den ungelösten Fällen – stellen) stellt er nicht nur fest, dass die unwahrscheinlichsten Personen für die jeweilige Gegenseite tätig sind. Auch an weiteren Leichen wird nicht gespart, höchst langsam entwirrt sich das Gespinn an Fäden, das das Netz dieses Krimis bildet. Die stets bedrohlich im Hintergrund schwirrende politische Situation im Berlin des Jahres 1929 gibt dem Krimi eine zusätzliche Würze. Zum Glück hat Volker Kutscher seinen Kommissar Rath noch in weitere Ermittlungen verwickelt.

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Roman

Helga Hegewisch – Die Totenwäscherin

Grabengel(c)Dieter-Schütz/PIXELIO

Nur einmal noch ging Barbara zu ihrer Kate nach Gebbin. Sie holte aus dem Versteck hinter der Kartoffelkiste Magdalenas Erspartes heraus. Dann bat sie den Gebbiner Dorfschulzen, ihren Hof für sie zu verkaufen, was dieser auch tat. Der Erlös war gering, doch zusammen mit Magdalenas Talern war es genug, um Barbara ein wenig das Gefühl von Selbständigkeit zu geben.

„Die Totenwäscherin“ erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen. Magdalena Winkelmann beginnt die lange Verbindung der Familie mit dem Adelshaus der Siggelows, die das nahe gelegene Schloss besitzen, aber schon zu diesem Zeitpunkt unter Geldproblemen leiden. Die beiden Familiengeschichten bleiben miteinander verknüpft und werden später die Nachkommen Anton Wotersen und Emily McCloy um ihre Liebe bringen.

Bis zum zweiten Weltkrieg zieht sich die Geschichte schließlich hin, obwohl die Familie keine wirklichen jüdischen Wurzeln hat, hat die Heirat von Anton mit der Jüdin Hilda die Familie in Schwierigkeiten gebracht. Deren Tochter Antonia, nicht jüdisch erzogen und hauptsächlich mit der Großmutter Barbara aufgewachsen, heiratet unwissentlich einen Nazi, der sie und ihre Tochter in weiterer Folge vor dem Nazi-Regime in Sicherheit bringt. Während ihre eigene Familie verfolgt wird und sie nicht weiß, ob ihre Verwandten noch leben, kann sie selbst in Sicherheit leben, hat jedoch deshalb ein schlechtes Gewissen. Ihre Tochter wächst als braves regimetreues Mädchen heran und macht ihr dies später zum Vorwurf.

Diese Tochter Anna Barbara macht sich schließlich auf, um den Spuren ihrer Vorfahren zu folgen und Licht ins Dunkel der Familiengeschichte zu bringen. Diese Familiengeschichte zeigt eine Reihe an starken Frauen, die trotz schlechter Voraussetzungen ihren Lebensweg gehen und für ihre Kinder das Beste tun. Der Beruf als „Totenfrau“ bleibt dabei als verbindendes Element immer präsent, im Vordergrund steht jedoch die Familiengeschichte und das Meistern des Lebens unter widrigen Umständen.

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Roman Unterhaltung

Rocko Schamoni – Dorfpunks

Wir waren auf dem Weg zur anderen Seite. Fort von den geraden Pfaden, Schule, Sportverein, Tanzstunde, hin zu dem Gefühl, anders zu sein als die meisten anderen. Warum wir so waren, fragten wir uns nicht. In uns klafften wachsende Löcher, eine bodenlose Leere breitete sich aus, das Fehlen der kindlichen Geborgenheit, aufkeimende Sexualität und die absolute Ahnungslosigkeit über die eigene Identität erzeugten eine schmerzhafte Säure aus Langeweile, Angst und Ablehnung, die durch unsere Adern floss.

Mit steigendem Alter erinnert sich jeder gerne in verklärter Weise an seine Jugend. Unangenehme Erinnerungen werden verdrängt oder glorifiziert. Aus einem Konzert vor Freunden und Bekannten, das in einer großen Zerstörung endet, wird in der Erinnerung der glanzvollste Abend der Jugend.

„Dorfpunks“ ist genau das: eine glorifizierende Erinnerung. Der Leser darf sich bei den amüsanten Teenagergeschichten an seine eigene Jugend erinnern. An die eigenen Fehler, an wilde Partys, bunte Haare und Stylingdesaster. An Konzerte in Bruchbuden, die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und schließlich das Gefühl, dass die Jugend langsam vorbei geht.

Mit alldem machten wir uns lustig über die Erwachsenenwelt, Musikantenstadl, Hitparade, Schlager, Mainstream, Starverehrung. Wir waren keine Stars, wir waren gute Freunde mit neuen Ideen füreinander. Wir äfften die hässliche Welt nach, wir waren Müllsammler und recycelten die Splitter ihrer geborstenen Oberfläche.

Über all diesen Geschichten aus einer Jugend auf dem Dorf in Norddeutschland schwebt stets das Wissen, dass dieses Jugendleben ein Ablaufdatum hat. Lange bevor in den letzten Kapiteln schließlich die Freunde sesshaft werden und sich paarweise zurückziehen, weiß jeder, der dieses Alter hinter sich hat, dass diese Zeit schneller vorbeigehen wird, als es einem lieb ist. Wie schnell die Jugend vorbei ist, merkt man erst, wenn sie dann vorbei ist. Aber dann bleibt einem immer noch die glorifizierende Erinnerung. Manche packen sie in ein Fotoalbum, andere in einen Roman, der nicht nur Punk sondern auch die Erinnerung an sich glorifiziert.

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Roman

Hermann Kant – Kino

Hamburg

Nicht bei Daniel Wischer! Ein Waffenschein reichte nicht, Gesundheitsbescheinigungen müssten her. Atteste wären gefragt, brauchten aber Zeit, weil Tests benötigt würden. So penibel die einen an den schwarzrotgoldgestreiften Pfählen wachten, so penibel verhielten sich die anderen, wenn es zu bestimmen galt, wer im blauweißgestreiften Kittel an den Goldbarsch durfte. Oder an die Hummersuppe. Kurz und gut, die Grenzbeamtin Anni hatte, wenn überhaupt, eher über lang als über kurz zum Doppelamt als Krebsbouillon-Ausgießerin und Sicherheitskraft kommen können.

An diesem (symbolischen) Wälzer hätte ich mir beinahe die Zähne ausgebissen. Tatsächlich habe ich nicht seit dem letzten Post daran gelesen, aber trotz allem brauchte es einige Zeit. Am ersten Zitat kann man schon den Erzählstil von Hermann Kant nachvollziehen, seine Schachtelsätze suchen ihresgleichen. Da braucht es Konzentration, um am Ende des Absatzes noch zu wissen, wie er angefangen hat.

In seinen ausführlichen Beschreibungen Beschreibungen der handelnden Personen geht auch die äußerst langsam fortschreitende Handlung immer wieder verloren. Wer sich jedoch in den sprachlichen Spitzfindigkeiten verliert, kann auf die tatsächliche Enthüllung, worauf eigentlich alles hinausläuft, auch bis zum Ende warten.

Es kann schon sein, dass wir im Alter Fremde waren. In der Jugend aber sind wir für lange Zeit wirklich unzertrennliche Freunde gewesen. Sie las weniger und andere Bücher als ich und wollte von denen, die gelesen hatte, nur in ausgewählten Teilen hören. In sehr, sehr ausgewählten Teilen. …  An Karl Mays Gesamtwerk, das ich ihr nahezubringen suchte, interessierte sie außer Hadschi Halef Omars vollständigem Namen nichts.

Symptomatisch ist die Beschreibung der Beziehung zur Schwester (siehe Zitat). Während die Menschen an dem scheinbar Obdachlosen im Schlafsack vorbeiziehen, hängt dieser seinen Gedanken nach und enthüllt dabei so manche schräge Parallele. Betrachtungen zu den Themen Familie, Geld, Wohltätigkeit und Gesellschaft im Allgemeinen in erschöpfender Form, die beim längeren Lesen auch entsprechend erschöpfen. Nichts für die nächtliche Heimfahrt im Zug, weil erhöhte Einschlafgefahr besteht. Fazit: Konzentration erforderlich.