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Krimi Roman

Colin Cotterill – Totentanz für Dr. Siri

Sunset (c) Piotr Matlak/SXC

Allein der Umstand, dass er sich wie ein Rindvieh benommen hatte, bewahrte sie davor, in seine Arme zu sinken und zu flöten: „Ja, ja, Liebster. Nimm mich.“ Aber konnte nicht auch ein Widerling einen guten Ehemann abgeben? Und würde sie sich wirklich so sehr verbiegen müssen, um an der Seite dieses hohlen, hirn- und charakerlosen Ekels zu bestehen?

Auch der dritte Roman um Doktor Siri und seine wackeren Kollegen Dtui und Geung erfüllt die inzwischen hoch gesteckten Erwartungen. Der schrullige Doktor, in dessen Körper ein schamanischer Geist wohnt, deckt wiederum Mordfälle lückenlos auf. Auch ein kubanischer Priester der vermeintlich schwarzen Magie kann den Pathologen nicht in die Flucht schlagen. Krankenschwester Dtui fliegt in diesem Fall das Glück nur so zu, sie erhält nicht nur einen Heiratsantrag sondern auch die Zusage zum ersehnten Medizinstudium in Russland. Der arme Geung fällt einer Krise zum Opfer und wird aus dem Leichenschauhaus verschleppt, sein nicht klein zu kriegendes Pflichtbewustsein lässt ihn allerdings so manche Schwierigkeiten überwinden. Mehr kann ich nicht sagen, denn ich bin Fan und somit befangen. Hoffentlich ist Doktor Siri ein ähnlich langes Leben beschieden wie seinem italienischen Krimikollegen Brunetti.

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Roman

Amanda Stehrs – Schweine züchten in Nazareth

Pflanze Silhouette made with CAM+

Letzte Woche saß ich im Zug (ich lebe in Flugzeugen oder in Zügen, in denen ich neue Stücke schreibe, derentwegen ich wieder Flugzeuge und Züge nehmen muss). Da waren zwei ausgelassene Kinder, die sich ein Sandwich geteilt haben. Das jüngere Kind versuchte das Stück des Bruders aufzuessen, der mit seiner Gabel lauerte und so tat, als würde er nicht zögern, den anderen aufzuspießen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie die beiden gelacht haben. David an seine Schwester Annabelle

Briefromane fand ich schon immer attraktiv. Es sind überschaubare Häppchen, man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen. Hier schreibt sich eine zerrüttete Familie wild durcheinander Briefe und E-Mails. Daraus ergeben sich Geschehnisse, die jede einzelne Person in aller Deutlichkeit charakterisieren.

Wir haben noch nie wirklich miteinander reden können. Bei dir weiß ich nicht, wie das geht. Schon als du klein warst, hast du mir Angst eingejagt. Monique über ihre Tochter Annabelle

Es ist irgendwie seltsam, dass die Personen hier in den Briefen alles gerade heraus schreiben, was man normalerweise sorgfältig zwischen den Zeilen versteckt. Weil man einerseits hofft, dass der Empfänger sowieso blind versteht, was man denkt und fühlt und andererseits darauf wartet, dass der andere zuerst seine Gefühle offenbart.

Wenn das reale Leben seine Geschichte überholt, ist David verloren. Er setzt Geschichten oben drauf. Eine Sandburg bauen, um die Welle ungeschehen zu machen. Ohne daran zu denken, dass die nächste kommen wird. Annabelle über ihren Bruder David

Zeitweise wird es dann zu poetisch, um noch glaubwürdig zu sein. Wenn die Sandburgen in den Wellen aus der Feder des Schriftstellers kämen, würde man als Leser vermutlich überbordende Fantasie als Charaktereigenschaft identifizieren. Bei der flatterhaften Schwester, die verzweifelt nach Liebe sucht, scheint es mehr ein kitschiges Luftschloss zu sein.

Ich will frei sein, befreit von dir, von Papa und Annabelle. Ich nehme an, es ist nicht möglich. Ihr seid meine Gefangene und ich bin euer. Wir sind eine Familie. Eine Familie, die sich schreibt, die sich nicht berührt, die keine Kochgerüche in der Küche des anderen einatmet, aber dennoch eine Familie. David an seine sterbende Mutter

Vater Harry lebt entgegen der jüdischen Gesetze in Israel und züchtet dort Schweine. Er kann die Homosexualität seines Sohnes nicht akzeptieren und hat daher den Kontakt zu diesem abgebrochen. Tochter / Schwester Annabelle sucht nach einem Fixplatz in dieser Welt und bleibt letztlich ohne Mann an der Seite ihrer sterbenden Mutter zurück. Die sprachlose Mutter Monique, der die Zeit schließlich davonläuft. Leseempfehlung.

NOTE: Es hat sich wiederum eine neue Quelle erschlossen. Bei den Büchereien Wien kann man jetzt auch ebooks ausleihen. Das Angebot ist bis dato nicht überragend, aber auch nicht zu verachten, ich habe auf Anhieb drei (aktuelle) Bücher gefunden. Das hier besprochene war sofort verfügbar, ein weiteres habe ich vorbestellt und wenige Tage später bekommen. Die Jahreskarte kostet 22 Euro (Ermäßigungen natürlich für Schüler, Studenten und andere Begünstigte), für iPhone und iPad gibt es ein Ausleih-App, zum Lesen benötigt man dann den Bluefire Reader, der mit dem verwendeten Adobe DRM umgehen kann. Die Experience ist nicht zu bejubeln, aber auch nicht zu beweinen, das Umblättern im Bluefire Reader ist nicht ganz so soft wie bei Kindle App oder iBooks, aber ok. Im weiteren Sinne des Einsparens von Papier werde ich mich auch dieses Angebots weiter bedienen. Wenn ich dort nur drei Bücher im Jahr ausleihe (die ich sonst kaufen würde), hat sich der Jahresbeitrag schon gelohnt.

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Roman

Paulo Coelho – Der Sieger bleibt allein

Thirty Seconds to Mars, 26. November 2011, Stadthalle Wien

In der wirklichen Welt aber sind die Mächtigen gerade dabei, ihre E-Mails zu checken, sich darüber zu beklagen, dass die Partys hier in Cannes alle immer gleich sind, dass die Freundin ihres Konkurrenten kostbareren Schmuck getragen hat als ihre eigene und dass dessen Jacht viel prächtiger ist als ihre, und sie fragen sich, wie das nur möglich ist.

Es fällt mir einigermaßen schwer, zu präzisieren, warum dies kein typischer Coelho-Roman ist. Eine Bewertung, ob das nun gut oder schlecht ist, bleibt sowieso jedem selbst überlassen. Es scheinen die plakativen Botschaften zu fehlen. Wobei plakativ sowieso das falsche Wort sein dürfte, da Paulo Coelho seine Botschaften im Allgemeinen in Geschichten verpackt, aus denen sie dann wiederum als Diamanten herausstrahlen. Hier fehlt zwar nicht die Botschaft, jedoch ist sie weniger deutlich erkennbar, es besteht deutlich mehr Interpretationsspielraum.

Schauplatz ist das Filmfestival in Cannes, die Welt der Celebrities, der Schönen und Reichen. Mehrmals wird betont, dass die Filme unwichtig sind, dass es darum geht, zu sehen und gesehen zu werden sowie die richtigen Hände zu schütteln. Im Verlauf der Geschichte vermischen sich Gesellschaftsschichten: die „nicht mehr ganz junge“ (25) Schauspielerin Gabriela etwa, die von Casting zu Casting hetzt und hofft, in Cannes endlich das große Los gezogen zu haben. Das hat sie zwar nicht in dem Sinne, in dem sie sich das vorstellt, doch letztendlich liegen Verlieren und Gewinnen oft sehr nahe beisammen. Gabriela gehört zu denen, die es schaffen wollen, die sich abrackern, die trotz aller Enttäuschungen daran glauben, es schaffen zu können. Gleichzeitig weiß sie nichts über die wahre Welt der Schönen und Reichen. Geschäfte werden ganz nah unter der Oberfläche gemacht, der so begehrte rote Teppich ist eine unzureichende Tarnung für die Geldmengen, für Macht und Einfluss, um die es eigentlich geht.

Zur Gesellschaft derer, die es geschafft haben, gehören Ewa und Hamid, beide im Modebusiness erfolgreich, verheiratet und scheinbar ein Traumpaar. Ihnen auf den Fersen ist Ewas Exmann Igor, der als „Racheengel“ schließlich nicht nur das Schicksal dieses Dreiecksgespanns entscheidend beeinflusst. Ein ungewöhnlicher Blickwinkel ist wiederum ein bekanntes Merkmal der Coelho-Romane, dem der Autor auch hier treu bleibt. Mit seinen Betrachtungen zum Thema Burn-Out, dem Spannungsfeld Arbeit–Leben sowie der Frage, was für den Einzelnen wirklich wichtig ist, entspricht dieser Roman durchaus dem Zeitgeist. Die geruhsame Erzählweise, die selbst die spannenden Momente verlangsamt, spricht somit eine ganz eigene Sprache.

Er hatte begriffen, dass im Gegensatz zu dem, was die Menschen dachten, die totale Macht totale Versklavung bedeutete. Wer so weit kommt, will nie mehr zurück. Es gibt immer einen neuen Konkurrenten, der entweder überzeugt oder ausgeschaltet werden muss.

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Sachbuch

Wolfgang Greisenegger, Tadeusz Krzeszowiak – Schein werfen: Theater, Licht, Technik

Mahnmal im Otto-Wagner-Spital, Silvester, 2011

Erst durch die elektrische Beleuchtung wurde es möglich, dass sich das Licht nach der Handlung richtet und es als Begleitung der Darsteller an jeder Stelle der Bühne besteht. Man kann mit diesem Licht, sowohl bei den Darstellern als auch bei den Dekorationen, bestimmte Teile besonders hervorheben oder unterdrücken und so dem Theaterbesucher die Wirklichkeit eines beliebigen Ortes ankündigen oder seinen Blick unmerklich auf einen anderen Ort der Bühne lenken.

Licht ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und doch einer, dem wir selten Aufmerksamkeit schenken. Es ist einfach da und wird erst vermisst, wenn es fehlt, etwa, wenn der Strom ausfällt oder ein langer Winter sich negativ auf unsere Gemütslage auswirkt. Im Theater ist es ähnlich. Im Mittelpunkt stehen stets die Darsteller und im besten Fall wirken diese mit allen anderen Elementen zusammen, um eine Geschichte zu erzählen. Im Musical kommt noch die Musik dazu, in meinen Augen ein Bestandteil, der einer Geschichte oft erst den entscheidenden Drive gibt.

So gesehen schenken wir wohl auch dem Theaterlicht zu wenig Aufmerksamkeit. Das Licht ist da, um die Kulissen zu erhellen, im Finstern wären sie nutzlos. Es kann aber auch entscheidende Impulse für die Geschichte setzen, bestimmte Elemente erhellen oder im Dunkeln lassen. Erst die moderne Theatertechnik hat hier viele neue Möglichkeiten eröffnet. Von diesen Veränderungen handelt die Textsammlung zum Thema „Theater – Licht – Technik“, die im Jahr 2000 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum erschienen ist.

Als einziges Manko könnte ich die deutliche Fokussierung auf die Geschichte der Theaterbeleuchtung nennen, den aktuellen Techniken wird deutlich weniger Platz gewidmet. Fotos von Scheinwerferbefestigungen, Seilzügen und ähnlicher Technik in aktuellen Theatern wären beispielsweise interessant gewesen. Perspektiven, die der Theaterbesucher üblicherweise nicht sieht. Tadeusz Krzeszowiak erklärt zwar ausführlich und interessant etwa die Funktionsweise kopf- und spiegelbewegter Scheinwerfer, jedoch die Illustrationen könnten hier mehr von der Verwendung in Theatern zeigen. Auch die psychologischen Wirkungen, die durch unterschiedliche farbliche Ausleuchtung beim Besucher entstehen können, werden leider nicht behandelt. Im Ganzen bietet der Band jedoch einen guten Überblick über die Geschichte des Theaterlichts und kann als Einstieg dienen, sich mit diesem Thema etwas näher zu beschäftigen.

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Krimi Roman

Donna Leon – Nobilta

Venedig (c) robe68/SXC

Das altrömische Thema fand drinnen seine Fortsetzung, denn Patta saß im Profil und präsentierte seine wahrhaft römische Imperator-Nase. Als er den Kopf zu Brunetti umwandte, wich das Kaiserliche etwas eher Schweinsähnlichem, was daher kam, dass Pattas Augen mit der Zeit immer tiefer in dem ewig gebräunten Gesicht verschwanden.

Wie man auch meinen vorherigen Posts zu den Brunetti-Krimis entnehmen kann, fällt mir meistens nicht viel ein. Würde man das beschriebene Verbrechen nacherzählen, wäre der ganze Spaß verdorben. Wie so oft ergibt sich die Auflösung erst auf den letzten Seiten, während vorher Kapitel über Kapitel nichts zu passieren scheint. Es bleibt ein ums andere Mal nur dies zu sagen: wer diese Art von Krimis schätzt, wird daran nichts auszusetzen haben. Ich selbst zähle mich bedingt zu dieser Gruppe. Für mich ist ein Brunetti-Krimi eine willkommene Abwechslung, wo nicht allzuviel Denkarbeit nötig ist, denn das Tempo, indem Brunetti die Kriminalfälle löst, reicht im Allgemeinen aus, um den Leser gerade beim Thema zu halten, aber nicht zu sehr zu beschäftigen. So kann man auch mal eine Woche Pause machen und hat keine schlaflosen Nächte, weil man den Mörder noch nicht kennt. Schließlich entfaltet sich auch hier eine Ebene unter dem offensichtlichen Mord, Motive, die mit dem Opfer nur bedingt zu tun haben. Ein geschickt getarnter, manchmal etwas langatmig aufgedeckter Kriminalfall für Kommissar Brunetti.

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Roman

Erica Bauermeister – Das Liebesmenü

Paprika (c) chirnoaga/SXC

Sie steckte die Hülse auf ihren Stift und sah ihm in die Augen. „Eigentlich“, sagte sie, „wäre ich viel lieber ein Buch, glaube ich.“
Und als er nickte, als wäre dies die logischste Antwort der Welt, lächelte sie, und Carl begriff, dass es genauso für den Rest seines Lebens bleiben würde.

Was für ein perfektes Buch für kalte Tage. In Lillians Kochkurs treffen sich eine unterschiedliche Charaktere. Sie sind aus unterschiedlichen Motivationen hier. Stück für Stück wird die Vorgeschichte der Kochschüler entfaltet. Das Paar Carl und Helen, ihre Vergangenheit wird aus beiden Perspektiven geschildert. Wie sich beide voneinander entfernen und schließlich so fest zusammenhalten, dass sie nun gemeinsam im Kochkurs die Gedanken des anderen erraten. Antonia und Ian, die in ihren Jobs an Grenzen stoßen und nun im Kochkurs Abwechslung suchen und letztendlich mehr als das finden.

Danach hörte Tom auf zu sprechen. Es war, als hätten all die Gespräche, die schwierigen, als sie noch am Leben war, und die prosaischen nach ihrem Tod, alles aufgebraucht, was er jemals sagen wollte. Es war schlicht und ergreifend zu aufwendig, den Mund zu öffnen, darüber nachzudenken, was sein Gegenüber vielleicht hören wollte oder sollte. Sein Verstand arbeitete ununterbrochen, doch er hätte niemandem sagen können, womit er beschäftigt war.

Am meisten berührte mich die Geschichte von Tom. Seine Frau zeigte ihm die Welt der Lebensmittel und des Kochens, das gemeinsame Essen verband die beiden bis zum Schluss. Doch sie starb an Krebs, Tom begleitete sie bis zum Schluss. Gerade für ihn stellt der Kochkurs – ein Geschenk – eine Art Rückkehr ins Leben dar. Simple Pasta mit Tomatensauce ist oft wertvoller als Champagner und Kaviar.

„Wir sind alle nur Zutaten, Tom. Was zählt, ist die Anmut, mit der du die Mahlzeit zubereitest.“

Nach diesem Gleichnis wäre das Leben eines Menschen die Mahlzeit? Wenn ein Mensch eine Zutat ist, wie kann er dann gleichzeitig die Mahlzeit zubereiten? Jeder ist der Koch seines eigenen Lebens? Nicht alle Fragen werden beantwortet in diesem charmanten, warmherzigen Roman, der nicht nur die Freude am Kochen weckt sondern an kalten Winterabenden ein Gefühl der Wärme hinterlässt. Und Hoffnung, wenn man diese braucht.

NOTE: Dies war das erste Buch, das ich komplett auf dem Amazon Kindle gelesen hab. Aus heutiger Sicht hätte ich mir längst einen kaufen sollen, es ist ein wunderbares Lesegerät, die Leichtigkeit – das geringe Gewicht – erschrecken mich jedes Mal wieder. Allein die Tatsache, dass sich damit auch dicke Wälzer mühelos in der Schnellbahn lesen lassen, sollte dem Kindle und seinen Brüdern und Schwestern langfristig zum Durchbruch verhelfen. Nicht, dass ich nun sofort vollständig auf bedruckte Bäume verzichten wollte, aber in meinen Augen ist ein eBook-Reader und speziell der Amazon Kindle mehr als nur einen Blick Wert.