Categories
Roman

Ian McEwan – Am Strand

Sie war wie von Sinnen, irrsinnig sogar, denn eigentlich wollte sie nichts lieber, als aus dem Zimmer laufen, durch den Garten, den Weg hinunter zum Strand, um dort allein zu sein.

Ein Buch, das schon so lange auf meiner Liste steht, dass ich nicht mehr weiß, wie es dorthin gekommen ist. Das englische Original ist 2007 erschienen und auch wenn ich mir nicht ganz vorstellen kann, dass es schon so lang her ist, so sind es doch zumindest einige Jahre gewesen.

Die Hochzeitsnacht von Florence und Edward ist ein einziges großes Missverständnis. Oder ein Symbol dafür, dass ihre gesamte Beziehung ein einziges großes Missverständnis war. Beide ersticken nahezu an ihrer Angst, etwas falsch zu machen; Florence hat eigentlich kein Bedürfnis nach dem körperlichen Teil der Ehe, will ihren Edward aber nicht enttäuschen; Edward fürchtet sich davor, die Kontrolle zu verlieren. In Rückblenden werden weitere Begebenheiten erzählt, die beiden Personen erklärende Charaktereigenschaften verleihen.

Und was stand ihnen im Weg? Ihr Charakter und ihre Vergangenheit, Unwissen und Furcht, Schüchternheit und Prüderie, innere Verbote, mangelnde Erfahrung oder fehlende Lockerheit, und dann noch der Rattenschwanz religiöser Verbote, ihre englische Herkunft, ihre Klassenzugehörigkeit und die Geschichte selbst.

Eine andere Interpretation könnte auch sein, dass ihnen Kommunikationsfähigkeiten fehlten. Für mich fühlte sich die Beschreibung der Hochzeitsnacht von Anfang bis Ende wie eine Aneinanderreihung von Missverständnissen an. In meinem Kopf hörte ich Jason Robert Brown: „Can we please for a minute Stop blaming and say what you feel?“ Und als Florence sich schließlich ein Herz fasst, hat sie Edward bereits um Welten überholt, sodass dieser ihr nicht mehr folgen kann. Ihr mutiger Vorschlag eines alternativen Beziehungsmodells bringt das bereits wacklige Beziehungsgerüst endgültig zum Einsturz.

Wären die beiden in der Lage gewesen, ihre Gefühle auszudrücken, ohne Angst vor Ablehnung haben zu müssen, hätte diese Geschichte anders ausgehen können. Aber vielleicht bin ich noch immer zu optimistisch, was das Gelingen von Kommunikation angeht.

Categories
Roman

Erica Bauermeister – Das Liebesmenü

Paprika (c) chirnoaga/SXC

Sie steckte die Hülse auf ihren Stift und sah ihm in die Augen. „Eigentlich“, sagte sie, „wäre ich viel lieber ein Buch, glaube ich.“
Und als er nickte, als wäre dies die logischste Antwort der Welt, lächelte sie, und Carl begriff, dass es genauso für den Rest seines Lebens bleiben würde.

Was für ein perfektes Buch für kalte Tage. In Lillians Kochkurs treffen sich eine unterschiedliche Charaktere. Sie sind aus unterschiedlichen Motivationen hier. Stück für Stück wird die Vorgeschichte der Kochschüler entfaltet. Das Paar Carl und Helen, ihre Vergangenheit wird aus beiden Perspektiven geschildert. Wie sich beide voneinander entfernen und schließlich so fest zusammenhalten, dass sie nun gemeinsam im Kochkurs die Gedanken des anderen erraten. Antonia und Ian, die in ihren Jobs an Grenzen stoßen und nun im Kochkurs Abwechslung suchen und letztendlich mehr als das finden.

Danach hörte Tom auf zu sprechen. Es war, als hätten all die Gespräche, die schwierigen, als sie noch am Leben war, und die prosaischen nach ihrem Tod, alles aufgebraucht, was er jemals sagen wollte. Es war schlicht und ergreifend zu aufwendig, den Mund zu öffnen, darüber nachzudenken, was sein Gegenüber vielleicht hören wollte oder sollte. Sein Verstand arbeitete ununterbrochen, doch er hätte niemandem sagen können, womit er beschäftigt war.

Am meisten berührte mich die Geschichte von Tom. Seine Frau zeigte ihm die Welt der Lebensmittel und des Kochens, das gemeinsame Essen verband die beiden bis zum Schluss. Doch sie starb an Krebs, Tom begleitete sie bis zum Schluss. Gerade für ihn stellt der Kochkurs – ein Geschenk – eine Art Rückkehr ins Leben dar. Simple Pasta mit Tomatensauce ist oft wertvoller als Champagner und Kaviar.

„Wir sind alle nur Zutaten, Tom. Was zählt, ist die Anmut, mit der du die Mahlzeit zubereitest.“

Nach diesem Gleichnis wäre das Leben eines Menschen die Mahlzeit? Wenn ein Mensch eine Zutat ist, wie kann er dann gleichzeitig die Mahlzeit zubereiten? Jeder ist der Koch seines eigenen Lebens? Nicht alle Fragen werden beantwortet in diesem charmanten, warmherzigen Roman, der nicht nur die Freude am Kochen weckt sondern an kalten Winterabenden ein Gefühl der Wärme hinterlässt. Und Hoffnung, wenn man diese braucht.

NOTE: Dies war das erste Buch, das ich komplett auf dem Amazon Kindle gelesen hab. Aus heutiger Sicht hätte ich mir längst einen kaufen sollen, es ist ein wunderbares Lesegerät, die Leichtigkeit – das geringe Gewicht – erschrecken mich jedes Mal wieder. Allein die Tatsache, dass sich damit auch dicke Wälzer mühelos in der Schnellbahn lesen lassen, sollte dem Kindle und seinen Brüdern und Schwestern langfristig zum Durchbruch verhelfen. Nicht, dass ich nun sofort vollständig auf bedruckte Bäume verzichten wollte, aber in meinen Augen ist ein eBook-Reader und speziell der Amazon Kindle mehr als nur einen Blick Wert.