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English Roman

Graeme Simsion – The Rosie Project

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‘You’re saying that I am the person in the faculty most likely to act unconventionally. And you want me to act more conventionally. That seems an unreasonable request to make of a scientist.’

Es wird sehr schwierig werden, über dieses Buch zu schreiben, ohne in Klischees abzudriften. Schon als ich dem Fotografen zu erklären versuchte, warum ich beim Lesen so herzlich lachen musste, wurde mir klar, dass hier sehr viel Fingerspitzengefühl vonnöten ist. Fingerspitzengefühl, das der Roman selbst auf der Oberfläche vermissen lässt, das zwischen den Zeilen aber die Großartigkeit dieser Geschichte bestimmt.

Nothing would change the fault in my brain that made me unacceptable.

Die Hauptprotagonist*innen sind Don und Rosie, die sich unter einem Haufen von Fehlannahmen auf beiden Seiten kennenlernen. Don passt in vieler Hinsicht nicht in die Welt, in der er leben muss. Gesellschaftliche Konventionen sind ihm ein Rätsel, er nimmt alle Aussagen wörtlich und bleibt stets bei der Wahrheit und den wissenschaftlichen Fakten. Subtile Hinweise kann er nicht deuten, was Mimik und Tonfall in Kommunikationen angeht, kann er nur rätseln, wenn ihm etwas auffällt, das ihm nicht zu der wörtlichen Aussage zu passen scheint. Er entscheidet sich für eine unkonventionelle Methode, um eine Partnerin zu finden, die zu ihm passt.

Rosie bereitet sich auf ihr PhD-Studium vor und arbeitet in einer Bar, um ihr Studium zu finanzieren. Don hält sie fälschlicherweise für eine Bewerberin für sein Partnerin-Projekt (von dem Rosie überhaupt nichts weiß) und stuft sie schnell als völlig unpassend ein. Trotzdem fühlen sich beide zueinander hingezogen und finden in der Suche nach Rosies biologischem Vater ein gemeinsames Projekt.

Es könnte eine Anhäufung von Klischees über Verhalten auf dem autistischen Spektrum sein. In manchen Situationen bleiben Erinnerungen an die schablonenhafte Charakterisierung von Sheldon Cooper in den ersten Staffeln der Big Bang Theory nicht aus. Die Methoden, mit derer Don versucht, sich besser in die Gesellschaft zu integrieren und unangenehme Situationen zu vermeiden, erinnerten mich allerdings schnell an meine eigenen Versuche in jüngeren Jahren, irgendwo besser dazu zu passen und vor allem nicht unangenehm aufzufallen. Akribische Vorbereitung, intensive Beobachtung (mit wechselnden Interpretationsergebnissen), Recherche über gesellschaftliche Konventionen, Lernen von Fakten und Themen … all das sind Handlungsweisen, die auch neurotypische Menschen nutzen können, wenn sie sich in (mancher) Gesellschaft unsicher fühlen.

Zusammenfassend handelt es sich um eine humorvolle und liebevolle Geschichte, die einen frischen Blick auf gesellschaftliche Konventionen wirft und uns ermöglicht, diese auch zu hinterfragen. Und es gibt zwei Fortsetzungen! \o/

‘If you really love someone,’ Claudia continued, ‘you have to be prepared to accept them as they are. Maybe you hope that one day they get a wake-up call and make the changes for their own reasons.’

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English Krimi Roman Thriller

Daniel Suarez – Change Agent

CN dieses Buch: Mord, Totschlag, Gewalt, Folter
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I’m arguing that what can happen will happen, but that it’s better that the research take place in the light of day rather than in the dark corners of the world.

Daniel Suarez schreibt ganz ausgezeichnete Technologiethriller (bisher gelesen: Daemon, FreedomTM, Kill Decision, Influx). Es ist erstaunlich, wie er sich immer wieder etwas ausdenkt, das einerseits gerade noch nicht möglich ist, aber andererseits mit aktuellen Thematiken dermaßen verknüpft ist, dass sich viele moralische und ethische Fragen zwischen den Zeilen verstecken lassen. Die Basis-Prämisse dieser Geschichte ist die Entdeckung einer Substanz, die die DNA von erwachsenen, lebenden Menschen verändern kann. Somit besteht die Möglichkeit, mit dem DNA-Profil einer anderen Person einen optischen und genetischen Klon zu erstellen. Was in erster Linie die Frage aufwirft, was eine Person eigentlich ausmacht. Kann die Veränderung von DNA und Physiognomie zu verändertem Verhalten führen? Oder ist es die extreme Situation, die den Protagonisten Kenneth Durand zu Handlungen treibt, die ihm vor seiner DNA-Veränderung vollkommen unmöglich erschienen?

He suddenly wondered what Kenneth Durand was doing here. […] The Kenneth Durand he’d thought he was would never have considered this.

Womit wir bei der Technologie wären: wenn von einer Technologie, von der du denkst, dass es sie eigentlich gar nicht geben dürfte, dein eigenes Leben abhängt, was wirst du dann tun? Kenneth Durand bekämpft Verbrechen im Bereich der illegalen Genetik. Als er durch die neuartige Substanz genetisch und optisch in einen anderen Menschen verwandelt wird, gibt es für ihn jedoch keine Möglichkeit, sein altes Ich zurückzubekommen, ohne selbst diese Technologie zu nutzen und dadurch seine Werte in Frage zu stellen.

Beaming imagery directly onto a viewer’s retinas instead of spraying photons all over the place had many advantages – authentic augmented reality being one. Environmental sustainability another. Privacy another still.

Neuartige Technologien beamen nun Informationen direkt in die Retina der Menschen, die Datenbrille hat ausgedient. Sehr interessant fand ich auch die Nennung von Privatsphäre als Aspekt hier. Wenn dir die Inhalte direkt in die Augen gebeamt werden, kann dir auch niemand mehr über die Schulter schauen, wenn du zum Beispiel auf deiner Tastatur ein Passwort eintippst. Bei konkreterem Nachdenken würden uns vermutlich auch dabei Sicherheitslücken auf- bzw. einfallen, die unsere Privatsphäre wiederum gefährden.

Frey smirked. “You know what they say: when privacy is criminalized, only criminals will have privacy.”

Das obige Zitat beschreibt ein oft thematisiertes Problem bei der Einschränkung von Privatsphäre. Werden beispielsweise sichere Messenger verboten und somit kriminalisiert, schadet das allen. Menschen, die tatsächlich nichts Kriminelles vorhaben, werden nun anlasslos überwacht. Menschen, die Kriminelles vorhaben, werden Wege finden, die Überwachungskanäle zu umgehen.

Privatsphäre wird auch noch in einem anderen Zusammenhang genannt. In einer Welt, in der wir bei jedem Schritt überwacht werden, in der jeder Informationsabruf irgendwo gespeichert und zu Geld gemacht wird, wer würde da nicht eine neue Identität annehmen wollen? Wenn du morgen ein anderer Mensch werden kannst, ist es dann egal, was du heute tust?

DNA is DNA. Merely information. Which means that human beings are merely information. And there is a long-established legal precedent that information can be owned.

Firmen wie 23andme haben in den letzten Jahren bereits unzählige genetische Profile gesammelt. Der Nutzen für die Kund*innen wird mit einer genetischen Analyse beschrieben. Kund*innen erhalten Informationen über ihre genetischen Risiken für besondere Krankheiten und können unbekannte genetische Verwandtschaften finden. Dafür bezahlen sie den Konzern. Wodurch dieser aber eigentlich profitiert, sind die gesammelten genetischen Daten, die ausgewertet und verkauft werden. Dieser Artikel in Scientific American beschreibt diesen Prozess und die Problematik dahinter sehr ausführlich.

“Does one’s identity come from within our hearts or our DNA?”
Durand murmured, “Within our hearts.”
“And what is DNA?”
“Data.”

Ein anderes Buch, das sich ebenfalls in Krimiform mit dem Thema Genmanipulation auseinandersetzt, ist Helix von Marc Elsberg.

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English Erfahrungsbericht Memoir

Dani Shapiro – Inheritance

Meta: During the weeks of isolation I’ve been thinking a lot about a concept that I now call idyllic illusions. (I don’t know if anyone else uses this term in any other meaning.) As an example I want to describe the thoughts that I had about the perfect place to live. I was dreaming about a small house with a little garden (in Austria this is called Schrebergarten), so I could sit outside, enjoy the weather, grow vegetables and herbs in the garden and so on. Around easter I took a few hours to clean the balcony of my flat (I’m currently living in a flat on the first floor of a building with 6 other flats in the house). During these cleaning sessions I realized, how much work it would be to have a garden and how much I hate all the work that is involved with maintenance of a living space. I like the idea of growing vegetables (I’ve done so for the last few years in a raised bed at my parent’s place) but I don’t really like the work. The thought of lawn-mowing makes me cringe immediately.

The idyllic illusion of moments of this imagined life has been haunting me again and again in the past years. And it’s not the only one. The white dress and the perfect wedding day is another of these idyllic illusions. I have been to many weddings and I don’t wish to have that for myself anymore. But I still feel a longing for this idyllic illusion when I watch a wedding on TV.

One reason for this is maybe the concept of the moment. Isolated moments can seem perfect and it’s easy to imagine them. What we usually don’t imagine is the whole thing. The whole day, week, month, year, life around these solitary perfect moments. Until now this insight hasn’t helped me to let go of these idyllic illusions but it may be one step on the way.


You’ll never know was unacceptable. You’ll never know simply could not be what I was left with in the end. Who was I without my history?

Sucessful author Dani Shapiro takes a genome test and discovers that her father is not really her biological father. What follows are months of searching for her identity and trying to find out about the circumstances of her own conception. Both her parents have died some years ago, asking them directly is out of the question.

Instead of a false narrative, there would be an infinity of narratives.

She describes a feeling of losing herself, as if the family she knew to be hers had vanished in the one moment she found out about her genetic heritage. Her jewish roots now seem at least half wrong although the rabbi confirms that she „is still jewish“.

It would be easy to fantasize that this would have been better. But we can never know what lies at the end of the path not taken.

The author wonders a lot about why her parents never told her the truth or if they even knew it themselves. How could they have kept such a secret through all those years? Dani Shapiro finally has to settle on presumptive evidence. Lots of research on the practice of artificial insemination leads her to a place where she is able to accept that whatever her parents knew, they made their decisions out of love and longing for a child.

That book idea that I mentioned in the last post, I don’t think I will be able to write it. While I admire how many memoir writers dissect their lifes and feelings I can’t imagine making myself vulnerable in such a way.

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Roman Thriller

Marc Elsberg – Helix

Wenn ich nichts anklicke, dachte Helen, entscheidet der Zufall.

Im Bereich Geocaching geht ja ansonsten aufgrund der Jahreszeit kaum etwas weiter, aber immerhin komme ich mit der Leseliste für Literatur-Geocaches gut voran. Die beiden anderen Werke dieses Autors, die ich hierfür brauche, habe ich tatsächlich schon gelesen und dieses war gerade in der Onleihe verfügbar.

Die Geschichte nachzuerzählen würde einerseits zu lange dauern und andererseits den Interessierten das Lesevergnügen verderben. Wie der Titel schon andeutet, dreht sich die rasante Geschichte um die Manipulation des Genoms, der genetischen Ausstattung. Die CRISPR/Cas-Methode (so genannte Gen-Schere) hat in den letzten Jahren breite Bekanntheit erlangt und somit fällt es auch der mit den Details der Genforschung nicht vertrauten Leserin nicht schwer, sich vorzustellen, woran im Geheimen vielleicht tatsächlich bereits gearbeitet wird. Ein großer Teil des Reizes dieser Geschichte liegt darin, dass ein Einblick in einen Bereich strengster Geheimhaltung gewährt wird, von dem die Öffentlichkeit niemals erfährt.

Wie auch schon in den vorigen Büchern des Autors werden viele ethische Aspekte aufgeworfen, die bei dieser Thematik noch stärker zum Tragen kommen. Es werden viele Argumente genannt, warum die Manipulation des menschlichen Genoms nur noch ein weiterer Schritt in eine ohnehin unabwendbare Zukunft sein soll. Die tatsächlichen Ereignisse des Buches sprechen jedoch eine deutlich andere Sprache. Die manipulierten Kinder sind zwar hoch intelligent und ihren „Erzeugern“ in vielen Bereichen überlegen. Es zeigt sich jedoch deutlich, dass ihre sozialen Fähigkeiten weit hinter ihren anderen Qualitäten zurückbleiben. Sie können aufgrund mangelnder Lebenserfahrung die soziale Tragweite ihrer Aktivitäten nicht abschätzen. Lebenserfahrung lässt sich nicht im selben Maße beschleunigen, wie es die Gentechnik möglicherweise bei Muskelwachstum oder Krankheitsresistenz kann.

Sind diese Kinder noch Menschen im herkömmlichen Sinn? Wenn nicht, was sind sie dann? Sind auf sie die Menschenrechte anzuwenden?

Ein anderer Aspekt, den ich hervorheben möchte, ist die Unmittelbarkeit, mit der diesen Kindern die Menschenrechte abgesprochen werden. Noch lange bevor die Machenschaften der betroffenen Kinder aufgedeckt werden, wird ihre Menschlichkeit bereits angezweifelt. Es wird im Buch zwar nicht näher ausgeführt, aber allein dieser kurze Hinweis lädt dazu ein, sich mit der Frage zu befassen, was Menschen eigentlich zu Menschen macht. Neben der Frage, wie weit die Gentechnik gehen dürfen soll, darf auch diese Frage nicht in den Hintergrund geraten.