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Roman

T.C. Boyle – Die Frauen

Olgivanna erkannte die Mopsnase, das feste Kinn, den zusammengekniffenen, unersättlichen Mund und den überdimensionalen Turban, der ihr über die Augenbrauen gerutscht war – und dann die Augen selbst, schreckhaft geweitet, als würde sie schon ihr Leben lang wieder und wieder mit einer Nadel gestochen.

Da stocherte ich wieder mal in der Onlinebibliothek der Büchereien Wien um, diesmal mit den Suchkriterien „Bestleiher“ und „verfügbar“. Stieß auf diesen Roman und dachte mir, bei T.C. Boyle kann ja nichts falsch sein. Und lag richtig und auch falsch. Falsch war an dieser Stelle jedoch nur der Zusammenhang von 560 Seiten und nur zwei Wochen Leihfrist, was mich einigermaßen ins Schwitzen brachte …

„Geh doch!“ schrie sie und rannte zur Tür, in der erhobenen Hand den Teller mit dem Bries, den sautierten champignons de laforêt und der Sherrysauce, die sie persönlich zubereitet hatte. „Geh doch, du Scheißkerl!“ Und dann flog der Teller ihm hinterher und beschrieb über dem mondbeschienen Vorgarten eine tropfende Parabel, bis er auf dem Bürgersteig zerschellte und das, was darauf gewesen war, den Vögeln und Eichhörnchen und Kreaturen der Nacht zum Fraß diente.

Als Hauptfigur erwählt T.C. Boyle den amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright und dessen Frauenbeziehungen sind das Thema des Romans. Er erzählt allerdings nicht chronologisch, sondern beginnt mit Wrights dritter Frau Olgivanna. Aus ihrer Sicht können wir auch bereits einen Blick auf ihre Vorgängerin Miriam werfen. Eine Drama Queen vom Feinsten, die wir schließlich noch näher kennenlernen und so etwas besser verstehen können, was Frank an dieser morphiumsüchtigen Verrückten finden konnte.

Ihm stand der Sinn vor allem nach Harmonie, und er war entschlossen, sie diesmal herzustellen und nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, denn er hatte die lange, zermürbende Qual ihrer Abwesenheit ertragen müssen. Wenn er sie verwöhnen musste, wenn er hier und da ein Kissen oder hin und wieder ein französisches Essen ertragen musste – na, wennschon.

Doch der wahre Höhepunkt ist schließlich die Geschichte von Mama. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Ehe lässt Frank seine erste Frau Kitty sitzen (ihre Geschichte erschien dem Autor offenbar nicht interessant genug), um mit seiner Seelenverwandten Mama ein neues Leben zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser bereits, dass diese Liebe in einer Katastrophe enden wird, kennt jedoch nicht die Details.

Und sie versicherte ihnen, dass er zurückkehren werde, sobald es ihm gelungen sei, sich zu bezwingen und die Schlacht zu gewinnen, die er nun heldenhaft schlagen werde, für sie und seine Kinder. Und dass, wenn er erst zurückgekehrt war – und sie glaubte tatsächlich, ganz unabhängig von der Leidenschaft des Augenblicks, an seine Rückkehr –, alles sein werde wie zuvor.

Allen Frauen, die mit Frank Lloyd Wright in Verbindung stehen, ist der Terror der Presse sicher. Die prüden Amerikaner verurteilen ihn wegen seiner Vorstellungen der Liebe, die über der Ehe steht. Sowohl Mama, als auch Miriam und Olgivanna erwarten zuerst, mit ihrer wahren Geschichte Verständnis von Presse und Bevölkerung zu ernten und werden doch nur durch den Schmutz gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein harter Preis, den sie für die Beziehung zu Frank zahlen müssen.

Die Geschichte nicht chronologisch zu erzählen erweist sich nicht nur als zufälliger Glücksgriff, sondern geradezu als eine sich aufdrängende Idee. Was könnte sich für den Schluss besser eignen als das flammende Inferno, das einen entscheidenden Wendepunkt im Leben des berühmten Architekten darstellt? Der Roman lehnt sich nur lose an die Lebensgeschichte des berühmten Architekten, zu ergründen, welche Teile nun Fakten darstellen, erscheint müßig. Wie so oft hat T.C. Boyle einen packenden Roman geschrieben, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt und das Leben an sich in allen seinen Facetten feiert.

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Roman

Kazuo Ishiguro – Damals in Nagasaki

Margeriten

„So war mein Mann eben, Etsuko. Sehr streng, und sehr patriotisch. Er war nie besonders rücksichtsvoll. Aber er kam aus einer sehr angesehenen Familie, und meine Eltern hielten ihn für eine gute Partie. Ich habe mich nicht gewehrt, als er mir verbot, Englisch zu lernen. Es schien mir schließlich gar nicht mehr sinnvoll.“

Es ist eine seltsame Welt, die sich in diesem Roman entfaltet. Mich verstörte ziemlich von Anfang an die Distanz, mit der die Autorin die Geschehnisse schildert. Durch die unterschiedlichen Zeitebenen – die Mutter Etsuko mit ihrer Tochter Niki in England, die junge Etsuko, schwanger mit ihrem ersten Kind in Japan, hoffnungsvoll in die Zukunft blickend – scheint die Hauptfigur Etusko in Distanz zu ihrem eigenen Leben zu stehen. Wie man es vielleicht in so einer Situation – mehr als 20 Jahre später, am anderen Ende der Welt lebend – selbst empfinden könnte.

Seit Langem habe ich wieder ein Buch vom Wühltisch gekauft, im Kurzurlaub in Klagenfurt. Angezogen hat mich der bunte Umschlag, dann der Titel, japanische Kultur hat ja auf die Nerdgemeinde seit Längerem eine große Anziehungskraft und ich schließe mich da selbst nicht aus. Es scheint Japan in vielem eine andere Welt zu sein. Die hohe Selbstmordrate, die hohen Ansprüche, die die Menschen an sich selbst stellen, die Höflichkeit, ständige Achtsamkeit, um nur niemanden zu beleidigen. Selbst im Streit vollkommene Umgangsformen zu bewahren, das kennt man in Europa und speziell in Österreich so nicht. Diese Höflichkeit prägt in zweiter Linie die Geschichte in diesem Buch.

Der Klappentext verspricht schließlich, dass Etsuko „sich ihrer Vergangenheit stellen“ muss, das konnte ich jedoch im Buch eher nur in der Theorie erahnen. „Erschüttert taucht sie ein in eine Welt der Erinnerungen, Träume und Illusionen und blickt zurück auf die Zeit damals in Nagasaki, nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Welt, die sie kannte, in Trümmern lag …“. Von diesen Trümmern bekommt man als Leser nicht recht viel mit, auch der Konflikt, wegen dem Etsuko schließlich Japan verlassen hat, wird nur angedeutet. Probleme werden nicht thematisiert, selbst in emotionalen Momenten ist Zurückhaltung angesagt. In diesem Sinn ist das Buch vielleicht authentisch, vielleicht aber auch nicht. Als Außenstehender kann man das nicht beurteilen. Und so mag die Geschichte Einsichten liefern oder auch nicht. Kryptisch.

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Roman

Haruki Murakami – Kafka am Strand

Misstrauische Katze

„Ich verstehe sehr gut, was du fühlst“, sagt er. „Doch darüber musst du selbst nachdenken und befinden. Niemand kann das an deiner Stelle tun. So ist es eben mit der Liebe, junger Kafka. Himmelhoch jauchzend bist du allein, zu Tode betrübt bist du auch allein. Dein Körper und dein Herz müssen es ertragen.“

Der Begleiter meines unfreiwilligen Tagesaufenthalts am Pariser Flughafen Orly. In diesen Stunden hab ich nur das erste Drittel dieses Buchs geschafft, aber danach konnte ich es beinahe nicht mehr aus der Hand legen. Verflochten sind die Geschichten des 15-jährigen Kafka Tamura und des alten Nakata. Obwohl zwischen den beiden hauptsächlich Gegensätze bestehen, verbindet sie eine seltsame  Fügung des Schicksals.

Kafka verlässt sein Zuhause, um vor seinem Vater und dem Ödipus-Fluch, den dieser ihm auferlegt hat, zu fliehen. Seine Reise nach Takamatsu ist nur die erste Station einer Entwicklung. Sein Weg führt ihn in die Komura-Gedächtnisbibliothek, wo er sich in eine Frau verliebt, die im buchstäblichen Sinn seine Mutter sein könnte. Erst langsam werden die Verbindungen enthüllt.

„Das heißt, wenn du im Wald bist, wirst du nahtlos zu einem Teil des Waldes. Wenn du im Regen stehst, wirst du Teil des Regens. Wenn es morgen ist, wirst du Teil des Morgens. Wenn du mit mir zusammen bist, wirst du ein Teil von mir. So eben. Einfach ausgedrückt.“

Mit fortschreitender Handlung gerät die Geschichte immer mehr ins Reich der Fantasie. Nakatas Kampf mit dem Katzenmörder Johnnie Walker scheint einem noch eine bizarre Episode oder ein Traum zu sein, auch, dass Nakata mit Katzen sprechen kann, wird eher als Spleen verbucht. Mit der Zeit muss der Leser jedoch erkennen, dass dies nur der Einstieg in diese andere Welt neben der Welt darstellt. Auch Nakata macht sich auf den Weg nach Takamatsu, er und Kafka treffen jedoch niemals aufeinander.

Sie sieht hinunter auf die Tasse, die sie mit beiden Händen umschlossen hält. „Nein, leider werde ich nicht mehr da sein.“ – „Aber was willst du dann, dass ich dort mache?“ – „Insbesondere eines.“ Sie hebt den Kopf und sieht mir in die Augen. „Ich will, dass du dich an mich erinnerst. Solange du dich an mich erinnerst, können mich alle anderen ruhig vergessen.“

Kafka lernt auf seinem Weg nicht nur einiges über die Liebe und Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Sein Begleiter Oshima gibt allerlei Weisheiten mit auf den Weg. Und auch Hoshino, der Nakata auf seinem Weg begleitet, erkennt seine Fehler und lässt sich zum Besseren belehren. Wie seine Erkenntnis voranschreitet, ist beinahe noch interessanter, da Nakata seine Weisheit nicht mit Worten sondern mit Taten mitteilt.

„Wir alle verlieren ständig Dinge, die uns wichtig sind“, sagt er, nachdem das Klingeln aufgehört hat. „Wichtige Gelegenheiten und nachdem das Klingeln aufgehört hat. „Wichtige Gelegenheiten und Möglichkeiten, oder unwiederbringliche Gefühle. Das mach das Leben aus. Aber in unserem Kopf – oder vielleicht sogar der Kopf selbst – ist ein kleines Zimmer, in dem diese Dinge als Erinnerungen aufbewahrt bleiben. Ein Zimmer wie unsere Bibliothek. Und um über unseren genauen geistigen Zustand auf dem Laufenden zu sein, müssen wir die Karteikarten in diesem Zimmer ständig ergänzen. Wir müssen es reinigen, lüften und das Blumenwasser wechseln. Anders ausgedrückt, man lebt auf Ewigkeit in seiner eigenen Bibliothek.“

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Sachbuch

Zenkei Shibayama – Zen – Eine Blume spricht ohne Worte

Am nächsten Morgen nahm er alle seine Berichte und Aufzeichnungen über die Diamant-Sutra, die er mitgebracht hatte, verbrannte sie vor dem Kloster und erklärte: “Alles Wissen oder Lernen ist, verglichen mit der Tiefe der Erfahrung, wie ein Tropfen Wasser, der ins Meer fällt.”

“Jeder wird vor dem Spiegel in gleicher Weise behandelt. Er macht keinen Unterschied zwischen reich und arm. Er lässt nicht den Reichen und Vornehmen schön erscheinen, weil er etwas Besonderes sei. Er macht den Armen nicht besonders hässlich. Männer und Frauen, Alte und Kinder werden vor dem Spiegel gleich behandelt. ……… Ein solches unbeflecktes klares Bewusstsein, das durch und durch rein ist und völlig unparteiisch, ohne irgendeinen Unterschied, wird Buddha-dharma oder Selbst-Natur genannt. Zen lehrt, dass wir menschlichen Wesen ursprünglich diese Buddha- oder dharma-Natur in uns selbst besitzen.

Eines Tages ging er die Straße entlang und traf einen Bettler, dem er schon öfters begegnet war. Ohne viel zu überlegen, sagte er: “Guten Morgen!” Aus irgendeinem Grund antwortete der Bettler: “Gibt es einen Morgen, der nicht gut ist?”

Das Leben der Schönheit offenbart sich in der schöpferischen Kraft eines freien natürlichen Menschen, und diese Schöpferkraft erstrahlt aus der Tiefe seiner alles umfassenden Aktivität, in der er das zum Idol Erhobene vernichtet.

Eine grundlegende Einführung in den Zen-Buddhismus, der in China und Japan praktiziert wird und sich in erster Linie auf die Erfahrung stützt. Gleichnisse verdeutlichen, dass alles Wissen im Vergleich zur persönlichen Erfahrung unbedeutend ist. 

Fazit: Interessantes Thema, ansprechend aufbereitet.