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English Roman

David Benioff – City of Thieves

They have decided nothing can kill them but God himself, and they don’t even believe in him.

Allem anderen voran sei gesagt: es heißt immer wieder, das wichtigste Element für einen guten Film (oder ein gutes Theaterstück oder ein gutes Musical) ist ein gutes Buch. Die Story muss stimmen. Ohne eine gute Story kann man noch so viel Glitzer und Licht und Effekte drauf werfen, es wird niemals ein gutes Endprodukt rauskommen. Hier stimmt die Geschichte. Sie ist so großartig, dass das Fehlen jeglichen Glitzers (bzw. das Ignorierend des Glitzers im Angesicht von Hunger und Entbehrung) die Geschichte eher noch besser macht. Warum mein Eingangszitat so wichtig ist, wird man erst erkennen können, wenn man die Geschichte zu Ende gelesen hat. Es wird schwierig werden, nicht zu spoilern.

I’ve always envied people who sleep easily. Their brains must be cleaner, the floorboards of the skull well swept, all the little monsters closed up in a steamer trunk at the foot of the bed.

Lev lebt mit seinen Freunden in der belagerten und beschossenen Stadt Leningrad. Es gibt kaum noch essen, der Schwarzmarkt blüht. Als eines Nachts ein toter deutscher Soldat mittels Fallschirm in ihrer Straße landet, wird Lev verhaftet und landet in einer Zelle mit dem vermeintlich desertierten Soldaten Kolya. Anstatt erschossen zu werden, erhalten sie vom General die Aufgabe, für die Hochzeit seiner Tochter ein Dutzend Eier zu beschaffen. Ein Ding der Unmöglichkeit in der ausgehungerten Stadt.

„What’s the second thing you asked for?” –
“Hm?” –
“You said if I win, first he sets us free. So what’s the second thing you asked for?”
He looked down at me, his eyebrows tilted toward each other, incredulous that I could not guess.
“Isn’t it obvious? A dozen eggs.”

Ihr Weg führt sie auf den Schwarzmarkt, in die Arme von Kannibalen, aufs Land zu den Rebellen und schließlich in die Arme der deutschen Besetzer. Womit fast schon zu viel gesagt ist. Natürlich ist es eine Geschichte von Auszehrung, von Hunger, von Krieg, von Brutalität und Grausamkeit. Aber sie enthält dermaßen viel Witz und Lebensfreude, das der Leser an den Buchstaben hängt. Ein Roman für alle. Ein frühes Highlight des Lesejahrs 2014.

There is a place beyond hunger, beyond fatigue, where time no longer seems to move and the body’s misery no longer seems fully your own.

RANDNOTIZ: Es dürfte inzwischen zu spät sein, dass diese Folge noch im Podcast Verzeichnis zu haben ist. Im Ö3 Frühstück bei mir vom 5. Jänner 2014 erzählt Skisprungtrainer Alexander Pointer von der Depressionserkrankung seines Sohnes, er selbst hatte ebenfalls mit einer Depression zu kämpfen. Claudia Stöckl verharmlost in diesem Interview mehrmals diese ernsthafte Krankheit mit den Begriffen „schwermütig“ bzw. „es ging ihm nicht gut“. Ihre gesamte Haltung zu diesem Thema klingt danach, als ob es sich um eine kurzfristige Verstimmung handelt, wie ein Schnupfen, der mit Medikamenten zwar leichter zu ertragen ist, aber sowieso nach einer Woche wieder verschwindet. Gerade im Mainstream-Radio wäre es wichtig, diese Krankheit deutlich als solche zu bezeichnen. In vielen Fällen sind Medikamente der einzige Ausweg. Noch immer wird die Depression tabuisiert, Betroffene und Angehörige werden diskriminiert, trauen sich nicht, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Ich empfehle allen, die wissen wollen, wie sich eine Depression anfühlt und wie schwer der Heilungsprozess sein kann, das Buch Mängelexemplar von Sarah Kuttner. Rat für Betroffene und Angehörige gibt es zum Beispiel bei Nein zur Depression.

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English Roman

James Frey – A Million Little Pieces

I turn and I slowly walk away and I don’t look back. It has always been a fault of mine, but it is the way I am. I never look back. Never.

Hätte ich bei diesem Buch vorher auch nur ansatzweise gewusst, worum es geht, hätte ich vermutlich nicht zugegriffen. Aber die Erinnerung an das andere Buch dieses Autors, das ich voriges Jahr gelesen hatte – Strahlend schöner Morgen, nach wie vor würde ich diesen Roman beinahe jedem empfehlen – und der Titel, der mich gerade in diesem Moment auf eine besondere weiße angesprochen hatte, ließen mich blind auf „Jetzt kaufen“ klicken.

Dieser Roman ist autobiografisch geschrieben, er wird erzählt aus der Perspektive des 23-jährigen James Frey. Natürlich hat mich auch interessiert, ob er da wirklich aus seinem eigenen Leben schreibt. Die Wikipedia meint hierzu, er hätte zwar Erfahrungen mit Drogensucht und Entzug gemacht, jedoch hätte es auch Zweifel an der Authentizität der beschriebenen Erlebnisse gegeben. Mein erster Gedanke wäre zu diesem Thema, dass man sich Teile der grausamen Geschichten, die in A Million Little Pieces erzählt werden, nicht ausdenken kann oder nicht ausdenken möchte. Andererseits mag auch hier schlicht und einfach eine Melange aus eigenen Erlebnissen und den Geschichten anderer die Grundlage ergeben haben. Gefühlsmäßig würde ich annehmen, dass jeder Autor so arbeitet, zum Vorwurf machen kann man es wohl nur, wenn der Autor tatsächlich behauptet, er hätte alles erlebt. Doch so ist A Million Little Pieces nicht erzählt.

Will this song exist when the beating stops. Will one stay when one is gone, can one live without the other. Does it matter. It does. I have to believe in something. It is holding me together.

James landet als komplettes Wrack in der besten Entzugsklinik Amerikas. Er trinkt sich seit Jahren täglich ins Koma und hat auch bereits mit jeder anderen erhältlichen Droge Erfahrungen gemacht. Nach einem Sturz von der Feuertreppe ist sein Gesicht verletzt, einige Zähne sind an- oder ausgeschlagen. Unfähig, irgendwelche Entscheidungen zu treffen, lässt er den Entzug über sich ergehen. Die dramatischen Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung lassen James vorerst nachdenklich werden: wenn er mit seinem bisherigen Leben weitermacht, hat er keine 3 Monate mehr zu leben. Verlässt er die Entzugsklinik jetzt, kann er sich auch direkt ins Grab legen. Ein harter Schlag auch für James Eltern, die vom Ausmaß des Drogenkonsums ihres Sohnes bisher nichts wussten.

We have to hold on to what we have left. Fight for it. Cherish it. Try to survive it. Try to love it.

Weniger die tatsächlichen Erlebnisse in der Entzugsklinik sind das Spannende an diesem Roman. Vielmehr ist es der Einblick in die Gefühlswelt eines Süchtigen. In knappen Worten beschreibt der Autor den Rausch der Sucht, the fury, wie James es für sich nennt, die nahezu unüberwindbare Kraft, die ihn antreibt, die ihn nach einem Drink lechzen und vom Drogenrausch träumen lässt. Der Autor schont den Leser nicht, James komplexe Gefühlswelt gegenüber seinen Eltern und schließlich Lilly, in die er sich verliebt und die er in weiterer Folge entgegen aller Vorschriften retten wird, nachdem sie die Klinik verlassen hat.

When I see you the World stops. It stops and all that exists for me is you and my eyes staring at you. There’s nothing else. No noise, no other people, no thoughts or worries, no yesterday, no tomorrow. The World just stops, and it is a beautiful place, and there is only you. Just you, and my eyes staring at you.

Wenn man die Perspektive erweitert, geht es natürlich nicht um den Entzug an sich. Zu Beginn sieht James keinen Grund, am Leben zu bleiben. Mit jedem Tag fällt ihm das Leben leichter, er entscheidet sich für einen Versuch. Und findet schließlich alles, wofür es sich zu leben lohnt: Freundschaft und Liebe. Er entscheidet sich für das Leben.

I know I am strong. I know I am strong enough to confront what I fear and I know I am strong enough to hold on until the fear goes away. I believe this in my heart.