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English Roman

Gabrielle Zevin – Tomorrow, and Tomorrow, and Tomorrow

CN: Tod eines Hauptcharakters, Gewalt, toxische Beziehung, sexuelle Belästigung, Suizid, Depression, Essstörung, Sexismus


Ein wundervoller Roman über eine wundervolle Freundschaftsbeziehung, kreativen Austausch und Videospiele. Wenn euch das irgendwie anspricht, dann hört hier auf und lest lieber das Buch ;-)

Im Weiteren werde ich ein paar Dinge beschreiben, die mir besonders gefallen haben (und versuchen, dabei nichts von der Geschichte zu verraten, aber siehe oben …).

Mir hat gefallen, wie Sams Behinderung nicht nur die Geschichte beeinflusst, sondern dass auch erklärt wird, wie sie sich auf seine Emotionen und Beziehungen auswirkt. Er möchte nicht schwach auf seine Mitmenschen wirken und gleichzeitig ist er so frustriert über seinen Körper, der ihn immer wieder im Stich lässt. An einer Stelle wird das so formuliert, dass Sam sich am glücklichsten fühlt, wenn er vergessen kann, überhaupt einen Körper zu haben. Dieses Unwohlsein in seinem eigenen Körper, diese große Verletzlichkeit bringt er in die Spiele ein, die er mit Sadie entwickelt.

Sometimes she didn’t even like him, but the truth was, she didn’t know if an idea was worth pursuing until it had made its way through Sam’s brain, too. It was only when Sam said her own idea back to her – slightly modified, improved, synthesized, rearranged – that she could tell if it was good.

Sadie und Sam lernen sich als Jugendliche kennen. Als sie als junge Erwachsene ihr erstes eigenes Spiel veröffentlichen, wird Sadie mit dem Patriarchat in der Gaming-Industrie konfrontiert. Sie fühlt sich nicht ernst genommen, die Verdienste werden Sam zugeschrieben, schließlich macht sie selbst Sam dafür verantwortlich, sie in den Hintergrund gedrängt zu haben. Gabrielle Zevin hat ein ausgezeichnetes Gespür dafür, wie sich strukturelle Ungerechtigkeiten auf eine kreative Freundschaftsbeziehung auswirken können. Sadies Unsicherheit über ihre eigenen kreativen Entscheidungen (wie sie sich im obigen Zitat auch widerspiegeln) gepaart mit der sexistischen Atmosphäre der Gaming-Industrie führen in ihrer kreativen Freundschaft langfristig immer wieder zu Konflikten.

She had thought she arrived. But life was always arriving. There was always another gate to pass through. (Until, of course, there wasn’t.)

Sadies Frustration mit ihren (Miss-)Erfolgen kann ich gut nachvollziehen. Ich muss mich immer wieder erinnern, dass es keinen Zustand geben wird, den ein Mensch erreichen kann und dann ist alles gut. Es bleibt alles immer im Fluss.

Auch der Titel wird im Buch ausgezeichnet erklärt: Ein Spiel kann immer wieder von vorn begonnen werden. Es ist eine unendliche Serie von Tomorrows, beim nächsten Versuch könnten wir gewinnen.

Für mich war besonders schön, dass der Fokus auf der kreativen Freundschaftsbeziehung zwischen Sadie und Sam lag. Es wird verdeutlicht, dass romantische Beziehungen nicht zwingend immer das Wichtigste im Leben sein müssen. Wie die gemeinsam ausgelebte Kreativität sich in Sadies und Sams Leben in Erfolge und Misserfolge verwandelt, wie diese Zusammenarbeit kreativer Geister ihrer beider Leben prägt, zeigt eindrucksvoll, dass romantische Gefühle nicht das Einzige sind, das Menschen fürs Leben aneinander binden kann. Herrlich illustriert wurde das auch in der Szene, als Sam von Sadie und Marx im Krankenhaus besucht wird und die diensthabende Krankenschwester rätselt, in welcher Beziehung die drei wohl zueinander stehen.

Große Empfehlung meinerseits!

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English Sachbuch

Janetta Rebold Benton – How To Understand Art

CN: Es wird von den Lebenserfahrungen verschiedener Künstler:innen berichtet, dazu gehören auch (chronische) Krankheiten, Gewalt und Suizid. Im Blog Post kommen diese Themen aber nicht weiter vor.


Dieses Buch habe ich 2022 bei meinem letzten Besuch in London gekauft, im Museumsshop des National Maritime Museum. Gerne hätte ich das Museum auch besucht, aber das Wetter war einfach zu schön und es gab zu viel zu sehen. Mit Kunst habe ich mich also vor drei Jahren schon befasst und spezifisch hatte mich offenbar die Frage im Titel dieses Buchs beschäftigt. Ich hatte schon einmal begonnen, es zu lesen, dann allerdings gemerkt, dass ich nichts mitnehmen konnte. Dann stand es eine Zeitlang im Regal, bis ich es nun in meinen Alltag und auf Reisen mitnahm und mir in meinem Notizbuch viele Zitate und Erkenntnisse aufgeschrieben habe.

Die Autorin Janetta Rebold Benton ist Kunsthistorikerin und beginnt mit einer Abgrenzung der in diesem Buch behandelten Kunst: Sie befasst sich mit den visual arts (bildnerische Kunst?) mit einem Fokus auf Gemälde und Skulptur und nimmt sich zum Ziel, die Fundamente zu analysieren, die allen Arten der bildnerischen Kunst zugrundeliegen. Dazu zählt sie ästhetische Prinzipien und Stile sowie Materialien und Techniken. Das Buch soll die Leser:in anleiten, einen Referenzrahmen zu entwickeln, der es ermöglicht, die in bildnerischer Kunst ohne Worte transportierten Konzepte zu verstehen. Der Kontext des jeweiligen Kunstwerks – die Epoche, die Lebensumstände des Künstlers/der Künstlerin, die vielfältigen Einflüsse, die das jeweilige Leben prägen – ist dabei essentiell, um die künstlerisch verarbeiteten Themen zu verstehen.

But is his Bull’s Head in a museum because it is art, because it is clever, or because it is by Picasso?

Wie viele andere bin auch ich schon vor Kunstwerken gestanden (oder habe sie in Medien gesehen), bei denen ich mir dachte: Das könnte ich aber auch und warum ist das Kunst und wer entscheidet überhaupt, was Kunst ist und was nicht? Dennoch sind meine Berührungspunkte mit Kunst in meinem Leben immer noch kaum mehr als ein Eintauchen des kleinen Zehs ins weite Meer. Meine eigene grafische Arbeit, die ich sowohl als Erwerbsarbeit als auch in ehrenamtlicher Form ausübe, habe ich immer ganz klar als Handwerk und nicht als Kunst bezeichnet und empfunden. Meine Werke hatten immer eine Funktion, die über purer Ästhetik oder kreativer Expression steht. Ich habe auch mit Künstler:innen zusammengearbeitet, deren kreative Expression im Widerspruch zu meinem persönlichen Empfinden von Ästhetik und/oder Funktionalität standen. Auf manche dieser Konflikte Meinungsverschiedenheiten blicke ich heute mit Interesse zurück.

Der Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk widmet auch die Autorin einige Gedanken. Laut ihren Angaben wurde das Konzept fine art im Europa des 18. Jahrhunderts definiert. Dabei wird auf eine hohe ästhetische Qualität wertgelegt. Angewandte Kunst (applied arts) wird mehr mit dem Erschaffen und Dekorieren von funktionellen Objekten in Verbindung gebracht.

In European academic traditions, fine art (or, fine arts) is made primarily for aesthetics or creative expression, distinguishing it from popular artdecorative art or applied art, which also either serve some practical function (such as pottery or most metalwork) or is generally of limited artistic quality in order to appeal to the masses. (Wikipedia)

Eine anderer Zugang zur Definition von Kunst betrifft die Intention, die hinter einem (Kunst-)Werk steht:

If the person who created the work did not consider it art, can it nevertheless legitimately be proclaimed to be art by curators and critics at a later date?

Spoiler: Diese und viele andere Fragen bleiben im Großen und Ganzen unbeantwortet, weil es wohl auch keine einfachen Antworten darauf gibt. Für mich bleibt die Erkenntnis, dass sich Kunst einfach nicht bis ins kleinste Detail erklären lässt. Müssen Kunstwerke schön sein? Sind sie mehr oder bessere Kunst, wenn sie bei der Betrachter:in starke Emotionen auslösen? Soll ein Kunstwerk der Betrachter:in alles sagen, alles klar und deutlich zeigen oder versteht die betrachtende Person mehr davon, wenn sie sich tatsächlich mit dem Werk intensiver befassen und auseinandersetzen muss? Dazu gibt es auch ein Zitat von Edgar Degas, das mir in einem anderen Umfeld während der Lektüre dieses Buchs über den Weg gelaufen ist (The Socratic Method analysiert dieses Zitat von einem philosophischen Standpunkt her, ich könnte diesen Text immer wieder lesen):

Art is not what you see, but what you make others see.

Schon relativ zu Beginn des Buchs war mir aufgefallen, dass klassische Kunst schon gehörig eurozentristisch bzw. westlich daher kommt. Später im Buch betont die Autorin konkret, dass Menschen „open-minded“ an die Werke herangehen und sich auch mit unbekannten Kulturen, Zeiten und Ideen einlassen sollen. In diesem Zusammenhang erklärt sie auch, dass die Bewertung von „craft“ oder „folk art“ als weniger wertvoll eine rein westliche Einstellung ist, die in den Kulturen, auf die diese Bewertung angewandt wird, unbekannt ist. Auch wenn der Fokus der in diesem Buch gezeigten und erläuterten Kunstwerke auf den Werken europäischer Männer liegt, wird zumindest versucht, den Blick zu öffnen und auch weniger bekannten Kulturen einen Raum zu geben.

Im Anschluss folgen noch ein paar Zitate, die ich für mich selbst hier zum Nachschlagen aufheben möchte (jedes Zitat stammt aus dem Buch):

  • “[…] art is not a science.” (Seite 38)
  • Renaissance: “Now believing that artistic inspiration was divine in origin, society regarded artists as favoured by God and thus different from other people.” (Seite 24)
  • Tradition vs. innovation: “Is ist possible to create art according to rules and theories, […]?” (Seite 27)
  • Basic elements of visual art: colour, line, texture, light, space, composition (made up of balance, proportion, unity), emotion (Seite 38)
  • “If line pleased the mind, while colour pleased the eye, was the purpose of painting to educate and elevate our intellect or to provide visual pleasure?” (Seite 43)
  • Mosaic: “The mosaicist varied the size of the tesserae, using smaller pieces for the faces then for the background.” (Seite 72)
  • “The term decorative arts refers to items that have both aesthetic beauty and practical purpose. Included are enamel work, stained glass, tapestry, ceramics, jewelry and furniture.” (Seite 85)
  • “The French term for still live is nature morte, literally ‘dead nature’” (Seite 107)
  • Pop Art does not oppose or criticize. Instead, Pop Art encourages the viewer to look at ordinary things with fresh eyes.” (Seite 160)

Über abstrakte Kunst:

  • “[…] abstract art has no connection to the visible world” (Seite 62)
  • “The viewer’s role in interpreting non-representational art is personal and cerebral, for without definite clues from the artist, each individual’s understanding of the artwork will vary. The viewer must make an effort to arrive at an interpretation and may therefore get more out of participating in the process than by being a passive, unquestioning observer.” (Seite 122)
  • “Abstract art appeals to our emotions, memories and experiences – what is deeply moving for one person may be meaningless to another.” (Seite 122)

In meiner Leseliste habe ich übrigens auch ein Buch mit dem Titel How To Enjoy Art, das ich bisher immer vor mir her geschoben hatte, weil ich ja zuerst die Kunst verstehen müsste (dachte ich). Außerdem habe ich gerade einen neuen Versuch gestartet, mehr Kreativität (und vielleicht sogar Kunst?) in meinen Alltag zu bringen. Es ist also gut möglich, dass es hier bald mehr Erkenntnisse Gedanken über Kunst zu lesen gibt.

#12in2025: 5/12

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Sachbuch

Cirque du soleil: The Spark: Igniting the Creative Fire That Lives Within Us All

Romanesco

„Well, think about it,“ he says. “If I’m playing cards, I’m going to start thinking about every nut and bolt we put together that day at work. But when I jump off a cliff at ten thousand feet, I cannot think about anything else now, can I? The world below melts away.“

Dieses Buch hab ich offenbar aus irgendwelchen Listen kreativer Bücher heraus bestellt, wo ich ja immer wieder zuschlage und mich dann, wenn ich das Buch aus dem Regal nehme, nicht mehr erinnere, warum ich es überhaupt gekauft habe. Diesmal geschehen, weil Kindle an meine Mutter verliehen. Inzwischen hat sie ihren eigenen eBook-Reader, es musste leider der von Weltbild sein, weil der um 40 Euro billiger ist …

1995 habe ich Saltimbanco in Wien gesehen, ich hatte damals gerade Musicalfeuer gefangen und Saltimbanco hatte so ziemlich alles, was Musical hat und noch Artistik dazu. Die Musik war mitreißend, die Kunst der Artisten faszinierend, die gesamte Atmosphäre überwältigend. Auch die nächste durch Europa tourende Show Alegria habe ich besucht, ich erinnere mich aber nicht mehr genau, warum hier der Funke nicht so übersprang wie bei Saltimbanco. Dass dort hochkreative Menschen arbeiten müssen, muss jedem klar sein. In diesem Buch ist viel versammelt, was man wissen oder können sollte, um kreative Projekte zu verwirklichen, viele Tipps von erfolgreichen Menschen, die ihren Job lieben, die tagtäglich Grenzen überschreiten und trotzdem ein normales Leben führen. Vieles, was man sich als Spruch ins Stammbuch schreiben könnte, um Tag für Tag auch das Besondere an seinem eigenen Job zu finden. Oder den Mut, zu einem neuen aufzubrechen. Kreativmotivation auf kreative Weise sozusagen.

Al Hirschfeld, the cartoonist, put it like this: ‘Everybody is creative, and everybody is talented. I just don’t think everybody is disciplined.’