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Karl Bruckner – Sadako will leben

CN dieses Buch: Krieg, Krankheit, Sterben, Hunger
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Und sie starrten alle mit versteinerten Gesichtern blicklos ins Leere, gebannt und gelähmt von dem leisen Erahnen einer Katastrophe, wie die Welt sie noch nie erlebt hatte.

Letztens habe ich angefangen, mein Bücherregal etwas auszudünnen und Bücher, die ich wohl nicht mehr lesen werde, in den offenen Bücherschrank zu tragen. Dabei fiel mir dieses Buch aus meiner Kindheit in die Hände. In meiner Erinnerung war es Schullektüre, eine von denen, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Obwohl ich mich schon frage, ob ich damals wirklich die ganze Tiefe verstehen habe können.

„Auch ich habe nur meine Pflicht getan! Nur meine Pflicht! Mich darf man nicht anklagen. Mich nicht! Ich war ein treuer Soldat meines Kaisers.“

Die ersten zwei Drittel des Buches erzählen semifiktional über die Kriegszeit knapp vor dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945. Viele historische Details sind erhalten (der US-Stützpunkt Tinian, der Name des abwerfenden Flugzeugs Enola Gay). Aus unterschiedlichen Perspektiven beschreibt der Autor diese Kriegszeit, in der manche Japaner schon wussten, dass sie kurz vor der Kapitulation stehen, während andere einfach nur gegen den Hunger und ums Überleben kämpften. Er lässt die beteiligten Personen an ihren Handlungen zweifeln und sich vor sich selbst rechtfertigen. Die Pflicht, gehorsam zu sein und Befehle auszuführen, spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Und sieh mich an! Bin ich ein böser Mensch? Du sagst nein, aber ich sage dir – wäre ich im Krieg ein Bombenschütze gewesen und man hätte mir befohlen, mit einem Flugzeug aufzusteigen und eine Atombombe auf eine Stadt zu werfen, hätte ich gehorchen müssen.

Im letzten Drittel schließlich wird die Zeit des Aufbaus nach dem Ende des Kriegs thematisiert. Sadakos Vater gelingt es, sein Geschäft wieder aufzubauen, die Familie scheint gesund zu sein, bei den meisten Menschen bricht die Strahlenkrankheit innerhalb von fünf Jahren nach der Strahlenbelastung aus. Sadako jedoch ist krank. Im Krankenhaus will sie 1000 Kraniche aus Goldpapier falten. Wenn sie 1000 Kraniche gefaltet hat, wird sie überleben. Das ist der Teil des Buchs, der mir in all diesen Jahren am besten in Erinnerung geblieben ist. Diese falsche Hoffnung, dieser Glaube an ein Wunder, an eine Rettung, selbst wenn jeden Tag die Fakten dagegen sprechen. Diese falsche Hoffnung, die aber gleichzeitig einen Menschen am Leben halten kann, länger, als der Körper eigentlich erlaubt.

Das Buch werde ich zurück ins Regal stellen. Wir dürfen einfach niemals vergessen, was für ein unvorstellbares Leid damals so vielen Menschen zugefügt wurde. Das darf nie wieder passieren.

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Roman

Richard Powers – Das Echo der Erinnerung

Kanadakranich (c) Miroslaw/PIXELIO

Für Japaner erfüllt sich ein Wunsch, wenn sie tausend Papierkraniche falten. Sadako Sasaki, zwölf Jahre alt und ein Opfer der „Atombombenkrankheit“, schaffte 644. Kinder von überall auf der Welt schicken ihr Tausende, Jahr für Jahr. Kraniche tragen die Seele ins Paradies. Kranichbilder stehen in den Fenstern der Trauerhäuser, und Schmuckstücke in Kranichgestalt begleiten die Toten. Die Kraniche sind Seelen, die einst Menschen waren und vielleicht wieder Menschen werden, nach vielen Leben.

Richard Powers ist ein Geschichtenerzähler ersten Ranges. Bereits der Vorgänger „Der Klang der Zeit“ beeindruckte Kritiker und Leser. Mich jedoch hat „Das Echo der Erinnerung“ noch nachhaltiger berührt.

Karins Bruder Mark erleidet einen Unfall, sein Wagen kommt von der Straße ab, erst nach mehreren Stunden kann er von der Polizei befreit werden. Lange ist unsicher, ob er überleben wird. Als er schließlich zu sich kommt, hält er seine Schwester für eine Schauspielerin. Für Karin wird dadurch der Genesungsprozess zu einem Spießrutenlauf. Obwohl sich Marks Zustand zu bessern scheint, leidet Karin immer mehr darunter, dass er zwar andere Personen erkennt, jedoch auch sein Haus und seinen Hund für blasse Kopien hält. Schließlich wendet sich Karin an den berühmten Neurowissenschaftler Gerald Weber, der sich auch bereit erklärt, Mark zu besuchen. Jedoch verfolgt er dabei seine eigenen Motive. Sein drittes Buch bleibt hinter den Erfolgen der Vorgänger zurück. In der Beschreibung von Weber und seiner Frau Sylvie ist mir jedoch eine bestimmte Passage aufgefallen, die mich an eine Zeile aus dem Song „Both Ways“ von Quietdrive erinnert hat: „I think I’ve found the perfect way to grow old“. In weiterer Folge zeigt sich, dass auch Webers scheinbar perfekte Ehe ins Wanken gerät, aber diese Passage kann einen trotzdem glauben lassen, dass es möglich ist:

Wenn man einmal von der absurden Puderdose absah, die tat, als sei sie ein Telefon, hätten sie ebenso gut wieder im College sein können, wo sie bis spät in die Nacht über ihre Erfahrungen geredet hatten, lange nachdem die Sperrstunde jeden von ihnen in ihre getrennten Wohnheime gescheucht hatte. Er hatte sich am Telefon in Sylvie verliebt. Immer, wenn er auf Reisen war, erinnerte er sich daran. Sie verfielen in ihren Rhythmus, redeten, wie sie fast jeden Abend ihres Lebens geredet hatten, ein Dritteljahrhundert lang.

Weber kann Mark nicht helfen, er lässt Karin mit dem Rat zu einer Verhaltenstherapie zurück. Sein eigenes Leben gerät zusehends auseinander. Auch Karin wird zwischen ihrem ehemaligen Freund Karsh, Daniel, der früher Marks Freund war und nun mit Karin zusammen ist, und ihrem Bruder Mark aufgerieben. Als Nebenhandlung entsteht außerdem noch ein spannender Wirtschaftskrimi über die in der Gegend verbreiteten Kraniche, die einem Touristenzentrum weichen soll. Karsh kämpft dafür, Daniel dagegen. Karin vergräbt sich weiter in die Psyche ihres Bruders und ignoriert ihr eigenes Leben.

Das Bewusstsein erzählt eine Geschichte, und diese Geschichte ist in sich geschlossen, zusammenhängend und stabil. Wenn diese Geschichte abbricht, schreibt das Bewusstsein sie neu. Jede revidierte Fassung erhebt den Anspruch, das Original zu sein. Und so sind wir oft die Letzten, die es erfahren, wenn Krankheit oder Unfall uns zerstören.

Obwohl man das Buch nicht als Krimi bezeichnen kann, ist es dieser Spannungsfaden, der einen nicht mehr loslässt und schließlich beide Erzählebenen auflöst. Kein Happy End. Fragen bleiben offen. Ich könnte mir kein besseres Ende vorstellen.