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Roman

Arno Geiger – Alles über Sally

Vielleicht stimmte es, dass alles Friedliche eine unruhige Vergangenheit besitzt. Vielleicht wussten sie es nur nicht, weil wie so dumm waren wie das Leben selbst.

Wenn der Weihnachtsstress hereinbricht, kann einem diese Onlinebücherei ganz schön Stress verursachen … gerade hab ich’s noch geschafft, das Buch zu beenden, bevor es vorweihnachtlich verschimmelt. Und das noch mit einem unerwarteten Bug. Die Erstdatei mit allen meinen Bookmarks hat sich vor der Zeit selbst zerstört und daher sind meine ganzen Notizen und Highlights weg. Immerhin konnte ich es nochmal runterladen und wenigstens noch die letzten 15 Seiten lesen. Ich sah mich schon in der Buchhandlung stehen und dort zu Ende lesen …

Also … alles über Sally. Arno Geiger ist auch einer dieser österreichischen Autoren, die in den vergangenen Jahren so gehypt wurden, dass ich schon mal prinzipiell skeptisch bin, sie könnten abgehoben und metaphorisch sein, sodass man nichts versteht (mit Clemens J. Setz’ Söhne und Planeten konnte ich beispielsweise überhaupt nichts anfangen). Bei „Alles über Sally“ ist sich der Einstieg bei weitem nicht so kompliziert und auch wenn sich Sally oder ihr Mann Alfred manchmal in etwas zu ausgedehnten Grundsatzmonologen verlieren, wird es doch selten langweilig.

Arno Geiger zeichnet die Ehe von zwei gealterten Menschen, die in ihrer Jugend aus dem Establishment ausbrechen wollten (wollten wir das nicht alle?), die dann aus einem niemals thematisierten Grund den traditionellen Weg Heirat-Haus-Kinder einschlagen und 20 Jahre später ernüchtert feststellen, dass ihre Ehe unter der Last der Zeit zerbröselt. Während Alfred sich selbst versichert, alles nochmal genauso machen zu wollen, träumt Sally von Freiheit und fragt sich, ob sie nicht mehr vom Leben haben hätte können. Beide haben Affären, beide wissen von den Affären des anderen, beide wähnen sich in Sicherheit, beide schweigen.

Bedrückend ist die Realitätsnähe, die man auf jeder Seite spüren kann. Dieses Paar könnten unsere Nachbarn sein, dieses Paar könnten wir aber auch selbst noch werden, dieses Paar könnten wir gewesen sein (je nach Alter). Dieses junge, lebensfrohe Paar könnten wir gewesen sein wollen. Und doch steht niemals eine Trennung von Sally und Alfred wirklich im Raum. Sie hängen aneinander, an der Sicherheit, die sie sich gegenseitig geben. Vielleicht ist es diese Sicherheit, die eine Ehe ausmacht, die viele Ehen am Leben hält, während andere auseinandergehen. So schenkt ihnen der Autor auch zum Abschluss einen versöhnlichen, nachweihnachtlichen Moment der Stille.

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Sachbuch

Ilija Trojanow, Juli Zeh – Angriff auf die Freiheit

Anti ACTA Demo, 25. Februar 2012, vor dem Parlament, Wien

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie eine islamistische Zelle namens „Hessischer Dschihad“ bibbernd in einem Kellerraum in Gießen hockt und sich vor der Rasterfahndung versteckt – erstaunlich rat besaitet, die potentiellen Selbstmordattentäter. Ebenso erstaunlich, wie gut der Innenminister mit dem „islamistischen Potenzial“ und dessen intimen Sorgen ist.

In „Angriff auf die Freiheit“ setzen sich Ilija Trojanow und Juli Zeh ausführlich mit der Entwicklung Richtung Überwachungsstaat auseinander, vermeintlich ausgelöst durch den Terrorismus, der seit dem 11. September 2001 vermehrt durch die Köpfe der Menschen spukt. Der obige Ausschnitt bezieht sich auf die Aussage des deutschen Innenministers, das Instrument der Rasterfahndung hätte eine abschreckende Wirkung auf das so genannte „islamistische Potenzial“. Der Tonfall wird hier schon deutlich klar.

Diese auf den ersten Blick plausible Begründung erweist sich als abwegig, wenn man bedenkt, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren (2001 bis 2006) nicht mehr als sechs gefälschte Pässe des alten Modells in Umlauf kamen. Darüber hinaus ist kein einziger Fall bekannt, in dem Terroristen gefälschte Pässe bei sich trugen.

Stück für Stück nehmen die Autoren die Begründungen auseinander, die Politiker und Medien für die Verschärfung von Überwachungsmaßnahmen ins Feld führen. Dabei ist etwas der biometrische Reisepass, in dem unter anderem die Fingerabdrücke gespeichert werden, ein Thema. Der Bevölkerung wird suggeriert, dass diverse Maßnahmen ihre Sicherheit erhöhen würden, obwohl dies einerseits nicht der Fall ist – ja, die Sicherheit kann gar nicht erhöht werden, wie sicher kann man sein? – und andererseits der Datenschutz und die Privatsphäre des Einzelnen völlig außer Acht gelassen wird.

Ein Journalismus, der seine gesellschaftliche Verwantwortung in den Hintergrund treten lässt, schadet der Demokratie. Ein ins Bockshorn gejagter Bürger ist nicht „mündig“ und wird sich nicht als freier, aufgeklärter, selbstbewusster Mensch an politischen Prozessen beteiligen. … Angst ist das wichtigste Instrument von Diktaturen, die ihre Bevölkerung terrorisieren, um Ausbeutungsverhältnisse zu stabilisieren. Wo Angst zum Mittel der Politik wird, stimmt etwas nicht. Wirklich freie Medien dürfen nicht an den gleichen Strippen ziehen wie die Politik, und wenn hundertmal gilt: Angst sells.

Neben den (oft unwissenden) Politikern, die Überwachung den Vorzug vor Datenschutz geben, ist einerseits der Bürger, der (vermeintlich) „nichts zu verbergen hat“, andererseits der nach Schlagzeilen heischende Journalist das „Feindbild“ der Autoren. Es gilt, den mündigen Bürger zur Freiheit und zur Selbstbestimmung zu erziehen, da helfen Medien oft eher den Politikern, indem sie deren Aussagen unreflektiert weitergeben ohne die freie Meinungsbildung zu fördern und auch den Gegenargumenten Raum zu geben.

Ein Privatmann ist nicht wie der Staat an die Menschenwürde, an Verhältnismäßigkeit oder Unschuldsvermutung gebunden. In einer Notwehrsituation wird ihm als seltene und schwerwiegende Ausnahme zugestanden, in panischer Selbstverteidigung um sich zu schlagen. Doch ein Staat, der panisch um sich schlägt, richtet Verheerendes an. Er ist keine Demokratie, sondern ein Staat des Ausnahmezustands.

Gerade im Umgang mit Terroristen wird oft vergessen, dass es sich bei diesen auch um Menschen handelt. Die Politik und auch die Medien fördern diesen Unterschied gezielt. Wer kann sagen, dass er die in Guantanamo ohne Gerichtsverhandlung oder Verurteilung gefolterten und inhaftierten potentiellen „Terroristen“ als Menschen betrachtet, die auch als solche behandelt werden müssen? Jeder Einzelne muss sich Tag für Tag vor Augen führen, dass für jeden Menschen unabhängig von seinen Taten die Gesetze der Menschenwürde gelten müssen. Was immer dieser Mensch auch getan haben mag. Eine Botschaft, die nicht genug betont werden kann.