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Roman

A. L. Kennedy – Das blaue Buch

Doch euer jeweiliges Selbst ist verschmolzen, verwischt, verbunden. Er hat ein vereintes Begehren aus dir gemacht, ein Stück Verzweiflung, nur durchs Dasein und Existieren – mühelos.

Da liest man den Klappentext. Man meint sich an ein anderes Werk der Autorin zu erinnern (mein Blog spuckt nichts aus und auch die Titel laut Wikipedia sagen mir nichts) und erwartet sich eine Lovestory, etwas Entspannendes für zwischendurch. Und wird enttäuscht. Aber auch nicht.

Das mag dir hässlich und unangenehm vorkommen, fremd – denn du besitzt Integrität, Unehrlichkeit passt einfach nicht zu dir, wie könnte sie auch? Aber kein Mensch nimmt es immer ganz genau, ist unablässig tapfer: Du kannst dich von diesem oder jenem Rand der Wahrheit abschrecken lassen – so wie jeder.

Anstatt einer entspannenden Kreuzfahrt-Liebesgeschichte bekomme ich also ein komplexes Psychogramm inkl. Rückblick in die Kindheit zwecks Ergründung der Entstehung der Persönlichkeitszüge der beteiligten Erwachsenen. Nicht erwartungsgemäß. Bis zum Schluss bleibt unklar, wem die Geschichte im blauen Buch erzählt wird. Es scheint stets ein Außenstehender zu sein. Der in der Geschichte noch nicht vorkam. Ein Irrtum.

Ich versuche nicht bloß, von ihnen wegzukommen, weg von der Hilfe, die sie womöglich anbieten, die mir nicht wirklich helfen kann und die ich nicht ertragen kann, weil mir nicht mehr zu helfen ist, ich mich aber nur ungern daran erinnern lasse. Ich laufe nicht bloß weg, ich suche. Ich suche ihn. Idiotin.

Die Situation erweist sich als spannend. Eine kluge Idee, die beiden Verschwörer durch Zahlen miteinander kommunizieren lassen. Es erlaubt so viele Zwischentöne, so viel Interpretation. Es erschafft eine eigene Welt, die nur diesem Paar gehört. Und doch sind sie kein Paar. Gehören aber vielleicht doch zusammen. Ohne es mit Sicherheit wissen zu können.

Also nicht mehr Gedanken als nötig. Was gut ist. Eins nach dem anderen, nur über das, was wir denken müssen. Nicht über alles. Alles wäre zuviel.

Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, dass je nach Lebenslage bestimmte Bücher „zu mir kommen“. Dass ich unwillkürlich zu einem Buch greife, das mir etwas sagt, das zur aktuellen Situation passt. Die kritische Stimme denkt natürlich anders: viel wahrscheinlicher ist es, dass man unbewusst diese Bücher auswählt oder dass man Inhalte anders interpretiert, so dass sie zur eigenen Lebenssituation passen. Im Prinzip könnte man auch das Horoskop lesen … das stellt sich jedoch selten so aufwühlend und am Ende überraschend heraus wie diese Geschichte.

Die lächerlichen, nackten, lächerlichen Dinge, die wir sagen.

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Roman Thriller

Daniel Glattauer – Ewig Dein

„Liebling, das wirst du mir nicht abgewöhnen können. Ich liebe es, dich zu überraschen. Das ist mein schönstes Hobby, das ist mittlerweile fast schon mein Lebenssinn.“ Dazu lachte er. Wenn er versuchte, selbstironisch zu werden, mochte sie ihn am meisten.

Man hat natürlich die Kritiken gelesen über Daniel Glattauers „Stalking-Roman“. Nach den E-Mail-Briefromanen Gut gegen Nordwind
und Alle sieben Wellen legt Daniel Glattauer eine düstere Geschichte nach. Die Hauptfigur Judith ist eine kühle Person, eigenständig, seltsam gefühllos wirkt sie von Anfang an. Umso erstaunlicher ist es dann, im ersten Teil des Buchs zu beobachten, wie sie alle Anzeichen klassischer weiblicher Manipulationsanfälligkeit zeigt. Doch das greift zu weit …

Judith lernt Hannes kennen. Sie hält ihn zuerst für uninteressant. Doch Hannes hängt sich so hartnäckig an Judith, dass diese sich schließlich an seine Nettigkeiten und Aufmerksamkeiten gewöhnt. Auch wenn er ihr stückweise zu sehr klammert, gefällt ihr natürlich seine Hingabe und Bewunderung. Doch natürlich wird es ihr zu eng und sie versucht, einen Schlussstrich zu ziehen. Womit das Psychospielchen erst beginnt …

Bei Daniel Glattauer habe ich erneut das Gefühl, er spielt nicht mit seinen Figuren, sondern mit der Psyche des Lesers. Zuerst wundert man sich, dass Judith diese enge Beziehung zum klammernden Hannes überhaupt zulässt. Wer würde sich drei Wochen lang täglich mit jemandem treffen, den man gerade erst kennengelernt hat? So nett kann er gar nicht sein. Als Hannes sich dann zum Schein zurückzieht, kann Judith nicht anders, als sich zu fragen, ob seine Gefühle nun erloschen sind, und geht ihm wiederum ein Stück entgegen.

Das Ende erinnert in seiner Überraschung an The Sixth Sense. Und lässt den Leser trotzdem oder gerade deshalb mit einem flauen Gefühl im Magen zurück.

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Roman

Barbara Frischmuth – Woher wir kommen

Die Realität ist immer das, was gerade ist. Realität kann nur der Augenblick, in dem du gerade lebst, sein.

In der Onlinebücherei der Büchereien Wien sind oft die aktuellen Bücher eher verfügbar als ältere Werke. Barbara Frischmuths Familienroman ist im vergangenen Sommer erschienen und nach wie vor nur als Hard Cover oder mit 17,99 € für Kindle schon eher teures eBook erhältlich.

Ich möchte behaupten, der Kauf würde sich auch zu diesem Preis lohnen. Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt die Autorin die Geschichte von drei Frauen einer Familie, die jede für sich mit dem Verlust eines Mannes klarkommen müssen. Die Künstlerin Ada hat ihren Partner und damit einen wichtigen Teil ihrer Inspiration verloren.

War es das? Dass sie sich noch immer nicht ganz sicher war, wofür sie stand, unverwechselbar stand? Warum sonst dieses spontane Interesse an den Kritzeleien?

Adas Vater und damit der Mann ihrer Mutter Martha ist vor vielen Jahren mit seinem Freund Vedat im Ararat-Gebirge verschwunden. Martha und Lalle können nicht loslassen, treffen sich jährlich, um die Geschichte neu zu erleben. Kein Grab, das sie besuchen können, die ewige Ungewissheit, was mit den geliebten Männern geschehen ist.

Das bedeutet, dass das Erlöschen der Erinnerung, das Verschwinden im Schacht der Zeit sich höchstens ein wenig verzögert.

Auch Tante Lilofee, noch eine Generation zuvor, hatte den Verlust eines Mannes zu akzeptieren. Sie versteckte einen Deserteur im Wald, wurde schließlich entdeckt und verraten. Auch sie kann nie sicher sein, was mit ihrem Geliebten geschehen ist. Das Verhältnis zum Vater wird nie wieder dasselbe sein.

Du sollst sehen, dass du Teil der Welt bist und dadurch Einfluss auf sie hast. Üb ihn aus. Zeig uns, was wir sehen sollen.

Wie die drei Frauen weiterleben, wird schnörkellos, aber mitfühlend erzählt. Adas erwachende Liebe zu Jugendfreund Jonas, gebremst durch dessen drei Kinder und die verstorbene Frau, dominiert und setzt schließlich den hoffnungsvollen Schlusspunkt.

Schon allein die Hoffnung würde sie wild im Herzen und klar im Kopf halten.

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Roman

Astrid Rosenfeld – Adams Erbe

„Adam, wie könnte mich das langweilen? Das sind die Momente, die zählen. Davon hat man immer nur eine Handvoll.“

Was wie eine scheinbar harmlose Familiengeschichte beginnt, entpuppt sich langsam als Blick auf die Schrecken der Nazizeit. Doch Hauptthema ist stets die Liebe. Wir lernen erst Edward Cohen kennen, seine Mutter, seine Großmutter Lara, die uns später in der Rückblende als resolute junge Frau begegnen wird. Ein faszinierender Kunstgriff, den Menschen, den man schon als Großmutter kennt, plötzlich als jungen Menschen beschrieben zu sehen. Diese Großmutter Lara erkennt in Edward stets die Ähnlichkeit zu seinem Großonkel Adam, dessen Schicksal Großvater Moses niemals verwinden konnte. Edward wächst im Schatten dieser Ähnlichkeit auf, doch niemand erzählt Edward die Geschichte dieses Adam. Nach dem Tod der Großmutter findet Edward ein Buch, das Licht auf Adams Geschichte wirft.

Hitler war die Sphinx unter unseren Nazis. Seine schwammigen Gesichtszüge schienen sich jeder Deutung zu entziehen. Wir hatten mittlerweile zumindest eine Theorie über den Führer aufgestellt. Wir waren uns sicher, dass er heimlich trank, obwohl immer behauptet wurde, dass er wie ein Asket lebte.

Auch Adam hat eine resolute Großmutter, Edda, die ihm nicht nur beibringt, in den Gesichtern der Leute zu lesen, um so festzustellen, ob man ihnen vertrauen kann. Nein, Edda ist Adams Hauptbezugsperson, denn seine Mutter weint stets um die toten Männer, erst Adams Vater, der gebrochen aus dem Krieg zurückgekehrt ist, dann den Doktor, der sie verlässt, bevor die Schrecken der Nazizeit tatsächlich beginnen. Edda ist es auch, die Adam schließlich die Flucht nach Polen ermöglicht. Denn Adam sucht Anna, in die er verliebt ist und die nach Polen deportiert wurde. Seine Familie hingegen plant die Emigration nach London.

Wie nimmt man Abschied von einer Dame mit Blau-schwarzen Haaren, die einen die Freiheit gelehrt hat? Wie sagt man adieu zu einer Frau in rotem Samt, die einen blutrünstigen Tyrannen in einen komischen Säufer verwandeln kann?

Adams Geschichte führt ihn nach Polen, wo er als Rosenzüchter seine jüdische Herkunft verbergen muss. Die Suche nach Anna bleibt vorerst erfolglos. Doch Adams gesamtes Leben ist nur von der Suche nach Anna beherrscht. Obwohl er sie schon so lange nicht mehr gesehen hat, bleibt Annas Leben sein einziges Ziel. Immer wieder muss er von seiner Liebe erzählen, den ein anderes Leben kennt er nicht. Zuletzt führt ihn die Suche nach Anna ins Warschauer Ghetto, ein Schicksal, dessen Ende man sich denken kann. Der Autorin gelingt es dabei, so eindrückliche Bilder zu schaffen. Das Findelkind Herakles hat noch nie in seinem Leben eine echte Blume gesehen und will Adam nicht glauben, dass Blumen nicht aus Papier sind. „Du bist verrückt.“ Er kennt nur die Realität des Ghettos und wird zeit seines Lebens die Wunder der Welt niemals sehen.

Auch wenn Adams Geschichte zu keinem Happy End führt, so führen doch die letzten leuchtenden Seiten die Liebesgeschichte zu einem versöhnlichen Ende. Denn Adam hat sein Leben der Liebe gewidmet. Und auch wenn er es nicht weiß, hat er auf seine Art alles richtig gemacht.