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English Erfahrungsbericht Memoir

Anna Wiener – Uncanny Valley

CN dieses Buch: Sexismus
CN dieser Post: Erwähnung von Menstruation und Belästigung (keine grafischen Beschreibungen)


Die Autorin analysiert in diesem Buch ihre Erfahrungen als Frau in der Tech-Branche (in New York und später im Silicon Valley) und setzt sie in Bezug zur Entwicklung der Arbeitskultur in den letzten Jahrzehnten. Viele der angesprochenen Themenbereiche waren mir zumindest vage bekannt, ihr analytischer und auch selbstkritischer Blick wirft jedoch ein neues Licht auf eine Unternehmens- oder sogar Branchenkultur, die einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft prägt. Beispiele dafür, welche Auswirkungen es hat, wenn Technologie hauptsächlich von jungen, weißen, männlichen Personen entwickelt wird, gibt es inzwischen zuhauf (zB bei einer frühen Version der Apple Health App wurde schlicht darauf vergessen, Menstruationstracking einzubauen). Aber selbst dort, wo (zumindest an der Oberfläche) bewusst nach Diversität gestrebt wird, haben Personen unterschiedlichen Geschlechts nach wie vor mit verschiedenen Umständen zu kämpfen. Die Argumente gegen eine Veränderung dieser Arbeitskultur haben wir wohl alle schon in der einen oder anderen Form mal gehört: „Diversitätsinitiativen wirken diskriminierend gegenüber Männern, Männer sind eben einfach talentierter im Technikbereich, wir würden ja gerne mehr Frauen anstellen, aber es bewerben sich ja keine.“

Sexism, misogyny, and objectification did not define the workplace – but they were everywhere. Like wallwaper, like air.

Nahezu gespenstisch distanziert (passend zum Buchtitel) beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen als Mitarbeiterin verschiedener Technologieunternehmen. Es wirkt stellenweise fast so, als müsste sie sich selbst von außen betrachten, um überhaupt erklären zu können, warum sie sich so lange in dieser Lebens- und Arbeitskultur aufgehalten hat. Sie nennt bekannte Unternehmen in Form von kaum verhüllenden Decknamen: „the social network everyone hated, the search engine giant, the home-sharing platform“. Als Mitarbeiterin im Costumer Support eines Unternehmens im Bereich Business Analytics fühlt sie sich selbst manchmal als ein Stück Software:

Some days, helping men solve problems they had created for themselves, I felt like a piece of software myself, a bot: instead of being an artificial intelligence, I was an intelligent artifice, an empathetic text snippet or a warm voice, giving instructions, listening comfortingly. 

Mit entsprechenden Einblicken in die tatsächlichen Verhältnisse im Business Analytics Unternehmen verändert sich schließlich auch ihre Einstellung im Umgang mit den eigenen Daten.

But I found myself newly cautious, leery of giving away too much intimate data. God Mode had made me paranoid. It wasn’t the art of data collection itself, to which I was already resigned. What gave me pause was the people who might see it on the other end – people like me. I never knew with whom I was sharing my information.

Dabei ist anzumerken, dass auch die von Edward Snowden 2013 angestoßene „Globale Überwachungs- und Spionageaffäre“ angesprochen wird. Darauf folgte weltweit eine Auseinandersetzung mit den Folgen der anlasslosen Datensammlung und der Frage, wer eigentlich Zugriff auf welche Daten haben sollen darf.

It was revealed that lower-level employees at the NSA, including contractors, had access to the same databases and queries as their high-level superiors. Agents spied on their family members and love interests, nemeses and friends.

Inmitten dieser eher negativ beschriebenen Arbeitskultur finden sich dann kleine Lichtblicke des globalen Arbeitens mittels Videokonferenzen, die wir aufgrund der aktuellen Situation nun vermutlich auch alle kennen: „the surprise of seeing an animal emerging from under a desk“. Mit Referenzen auf populäre Debatten der Internetkultur (GamerGame), Verschwörungsmythologien (PizzaGate) und Fernsehserien (Game of Thrones-Referenz: „Is winter coming for the tech industry?“) kommt dann doch etwas Auflockerung in die insgesamt eher triste Analyse der Technologiewelt. Insgesamt ein spannender Einblick in eine Arbeitswelt, die über die Gestaltung von Technologie einen großen Einfluss auf uns alle ausübt.

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Sachbuch

Clay Shirky – Here Comes Everybody

… the point is that once a group has come together, those kinds of issues of community control aren’t simple.

Der Autor beschreibt in diesem Buch die neuen Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung, die sich über das Internet und die darauf basierende Software ergeben. Er untersucht dabei die Entstehung von weltweit erfolgreichen Projekten wie zum Beispiel der Wikipedia oder dem Betriebssystem Linux.

…groups are not just simple aggregations of individuals.

Ein langes Kapitel beschäftigt sich mit der Veränderung des Zeitungswesens aufgrund der „neuen Medien“. Der Autor vergleicht die Veränderungswirkung des Internets mit derjenigen, die sich durch die Veränderung des Buchdrucks ergeben hat. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Bücher nur in mühsamer Handarbeit kopiert werden. Die Kirche versuchte, die Verbreitung des Buchdrucks zu verhindern, weil sie um ihr Monopol fürchtete. Der Beruf des Schreibers starb zwar tatsächlich durch den Buchdruck langfristig aus, es wurden jedoch unzählige neue Tätigkeiten geschaffen und durch die wesentlich erweiterten Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen auf Papier erweiterte sich auch die Zielgruppe. Ängste vor dem Aussterben (der Zeitungen, des Journalismus, bestimmter Professionen) sind auch heute durch die Veränderungen auf Basis des Internets allgegenwärtig.

Communications tools don’t get socially interesting until they get technologically boring. The invention of a tool doesn’t create change; it has to have been around long enough that most of society is using it.

Das obige Zitat referenziert vage auf die Erfindung der Wiki-Software, die jedoch erst durch das Projekt freie Enzyklopädie globale Verbreitung erlangte. Der Autor legt dar, dass die Erfindung einer Software (einer Technologie, einer Kommunikationsmethode) allein noch keine Veränderung hervorruft. Es muss sich eine kritische Masse an NutzerInnen finden, die diese Technologie für ihre Zwecke nutzen und dadurch wiederum das Medium selbst verändern.

Increased options for communication in groups don’t just mean we will get more of the patterns we already recognize; they also mean we will also get more new kinds of patterns. More is different, even for people who understand that more is different, which explains in part our persistent difficulties in getting technology predictions right.

Mit Voraussagen hält sich der Autor weise zurück. Das Buch stammt aus dem Jahr 2008 und in den vergangenen 10 Jahren haben sich zweifellos noch viele weitere Veränderungen ergeben, die in einer aktualisierten Ausgabe Platz fänden. Ausgeklammert werden hier großteils die negativen Auswirkungen der vereinfachten Gruppenbildung im Internet wie zB Hatespeech und Cybermobbing. Das Buch zeichnet ein hoffnungsfrohes Bild unserer digitalisierten Gegenwart und Zukunft, ohne dabei auf die Ungleichheiten hinzuweisen, die selbstverständlich auch in diesem Bereich existieren. Ein etwas kritischerer Blick wäre mir persönlich lieber gewesen.

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Sachbuch

Erik Möller – Die heimliche Medienrevolution

Viel gibt es zu sagen zu diesem Werk, daher der Versuch einer übersichtlichen Struktur (ohne Anspruch auf Sinn und Vollständigkeit der Reihenfolge):

1. Im ersten Kapitel geht Möller auf die Geschichte der Medien von der Entwicklung der Schrift bis zum heutigen Status ein, allerdings nur oberflächlich. Wer sich bereits ein bißchen mit Medientheorie beschäftigt hat, wird hier nichts neues finden und kann dieses Kapitel auch überspringen.
Interessant wird es erst, wenn Möller sich mit den Vorläufern des WWW beschäftigt:
So erinnert Memex letztlich an modernen Hypertext, doch wer das System schlicht als einen Vorläufr des World Wide Web betrachtet, denkt nicht weit genug. Denn das Web wird von den meisten Nutzern nur passiv konsumiert. 

Und damit ist Möller schon bei seinem zentralen Thema: Seine Leser für das “Mitmachweb” zu begeistern. Aber davon später mehr.

2. Im Abschnitt, der sich mit freier Software beschäftigt, erläutert Möller ausführlich die Entwicklungsgeschichte freier Software, speziell der Entwicklung unterschiedlicher Linuxdistributionen. Auch dabei geht er leider nur soweit ins Detail, dass interessierten Laien das Meiste bereits bekannt sein sollte.
Weiters verbreitet er sich über die Lizenzen, die freier Software zugrunde gelegt werden können und hält ein flammendes Plädoyer für freie Software und gegen den allgegenwärtigen Giganten Microsoft.
Was mich zu der Frage bringt, warum der Befürworter von freien Inhalten sein eigenes Buch NICHT unter einer Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Man lese dazu die äußerst detaillierten Copyright-Bestimmungen:
Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

3. Weiter geht es mit Blogs und Wikipedia. Es sei gesagt, dass es sich bei dem mir vorliegenden Werk um die 2. Auflage 2006 handelt, inwiefern Aktualisierungen zur ersten Auflage vorgenommen wurden, kann ich nicht beurteilen.
Jedoch folgender Texte dürfte wohl angesichts des Youtube-Erfolges (Youtube wird überhaupt nicht erwähnt) bereits 2006 nicht mehr aktuell gewesen sein:
Es bleibt abzuwarten, ob im schönen neuen Video-Web Inhalte von unten eine ähnlich große Rolle spielen werden wie in der Welt von Text, Audio und, gerne vernachlässigt, Fotos.

Auch das Audio-Podcasting wird in diesem Kapitel nur kurz angeschnitten, die Bedeutung dieser Technologien wird von Möller offensichtlich unterschätzt.

4. Für bedenklich halte ich Herrn Möllers Einstellung zum Thema Datenschutz. Zum Abschluss des Buches versucht er, einen Ausblick in die Zukunft zu formulieren:
Stellen Sie sich ein Gerät vor, das Ihnen Personen in Ihrer Nähe zeigt, die Sie kennen lernen sollten – und das diesen Personen das Gleiche signalisiert (natürlich nur, wenn beide Personen Interesse und Zeit haben). Die typischen Barrieren für den ersten Kontakt können so überwunden werden.

Es fällt mir schwer, tatsächlich alle beängstigenden Auswirkungen eines solchen Geräts auszumalen, jedoch zeigt dieses Statement deutlich auf, dass sich Möller offensichtlich keinerlei Gedanken über Privatsphäre macht, die uns das Web 2.0 ohnehin unauffällig stiehlt. Wollen wir wirklich eine Welt, in der man als Außenseiter gilt, wenn man nicht bei dieser oder jener Community dabei ist? (in Schulen ist das bereits heute Realität, wo ganze Klassen beispielsweise im studivz dabei sind).

5. Hierzu sei auch noch sein Appell auf der letzten Seite erwähnt:
Schaffen Sie ihren Fernseher ab und informieren Sie sich aus dem Internet.

<ironie>Denn alles, was im Internet steht ist wahr, genauso wie alles, was im Fernsehen kommt, unwahr ist.</ironie> Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen.

6. Weiters möchte ich anregen, dass ein umfangreicheres Glossar die Lesbarkeit erheblich erhöhen würde. Immer wieder werden im Text Technologien erklärt, die den meisten Lesern ohnehin bekannt sein dürften. Diese könnte man ohne Weiteres in einem umfangreichen Glossar zusammenfassen und müsste nicht ständig im Text Abkürzungen und Technologien erläutern.

Trotz allem lässt sich sagen, dass Möller das Web 2.0 aus einem interessanten Blickwinkel darstellt, man sollte seine Einstellung zu diesem Thema jedoch dringend kritisch hinterfragen und nicht unüberlegt in seine Hochrufe einstimmen.