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Roman

Molly McCloskey – Wie wir leben

Aber natürlich war genau das ihr Problem. Sie wusste nicht, wie sie sich fühlte. Sie wusste lediglich, dass sie nicht länger beurteilen konnte, wie glücklich oder unglücklich sie war, wie glücklich sie sein sollte oder wie glücklich alle anderen waren.

Alltag in allen seinen Facetten. Dieser Roman beleuchtet das Leben einer irischen Familie, Mutter Gillian, Vater Damien und Tochter Heather. Die Ehe von Gillian und Damien kriselt, Gillian hatte eine Affäre, Damien weiß davon, hat jedoch nichts unternommen. Heather hingegen erkundet mit ihren jugendlichen Bekanntschaften die erste Liebe und Sexualität.

Neben diesen banalen Liebesangelegenheiten werden aber auch schwierigere Lebensabschnitte thematisiert. Gillian hat nicht nur als Kind ihre Eltern bei einem tragischen Unfall verloren, ihre Tante Grace, bei der sie danach aufwuchs, erkrankt an Alzheimer und vergisst sich Stück für Stück selbst. Als sie stirbt, erkennt Gillian ihre eigene Angst vor dem Vergessen und sucht Zuflucht bei einem umstrittenen Medikament, das das Gedächtnis stärken soll.

Damien arbeitet an einem kritisierten Tourismusprojekt. Es beinhaltet die Erhaltung eines „authentischen“ irischen Dorfes durch Bewohnen desselben von Laiendarstellern, die sich teils selbst spielen, teils den „authentischen“ irischen Dorfbewohner darstellen sollen. Daraus ergibt sich für Damien schließlich selbst eine Identitätskrise.

Die drei Protagonisten suchen sich inmitten ihres Alltags selbst und wissen nicht, was sie glücklich macht und wie sie mit ihrem Leben weiter verfahren sollen. Immer wieder stellt sich ein warmes Gefühl des Verständnisses ein, denn wer zweifelt nicht hin und wieder an seinen eigenen Entscheidungen und Lebensrealitäten? Einerseits langweilig, weil man alles aus seinem eigenen Leben zu kennen meint. Aber dann auch wieder tröstlich, weil ein Solidaritätsgefühl in harten Zeiten wärmt. Und schließlich die Erkenntnis: Jeder gestaltet sein Leben selbst.

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Roman

Richard Powers – Das Echo der Erinnerung

Kanadakranich (c) Miroslaw/PIXELIO

Für Japaner erfüllt sich ein Wunsch, wenn sie tausend Papierkraniche falten. Sadako Sasaki, zwölf Jahre alt und ein Opfer der „Atombombenkrankheit“, schaffte 644. Kinder von überall auf der Welt schicken ihr Tausende, Jahr für Jahr. Kraniche tragen die Seele ins Paradies. Kranichbilder stehen in den Fenstern der Trauerhäuser, und Schmuckstücke in Kranichgestalt begleiten die Toten. Die Kraniche sind Seelen, die einst Menschen waren und vielleicht wieder Menschen werden, nach vielen Leben.

Richard Powers ist ein Geschichtenerzähler ersten Ranges. Bereits der Vorgänger „Der Klang der Zeit“ beeindruckte Kritiker und Leser. Mich jedoch hat „Das Echo der Erinnerung“ noch nachhaltiger berührt.

Karins Bruder Mark erleidet einen Unfall, sein Wagen kommt von der Straße ab, erst nach mehreren Stunden kann er von der Polizei befreit werden. Lange ist unsicher, ob er überleben wird. Als er schließlich zu sich kommt, hält er seine Schwester für eine Schauspielerin. Für Karin wird dadurch der Genesungsprozess zu einem Spießrutenlauf. Obwohl sich Marks Zustand zu bessern scheint, leidet Karin immer mehr darunter, dass er zwar andere Personen erkennt, jedoch auch sein Haus und seinen Hund für blasse Kopien hält. Schließlich wendet sich Karin an den berühmten Neurowissenschaftler Gerald Weber, der sich auch bereit erklärt, Mark zu besuchen. Jedoch verfolgt er dabei seine eigenen Motive. Sein drittes Buch bleibt hinter den Erfolgen der Vorgänger zurück. In der Beschreibung von Weber und seiner Frau Sylvie ist mir jedoch eine bestimmte Passage aufgefallen, die mich an eine Zeile aus dem Song „Both Ways“ von Quietdrive erinnert hat: „I think I’ve found the perfect way to grow old“. In weiterer Folge zeigt sich, dass auch Webers scheinbar perfekte Ehe ins Wanken gerät, aber diese Passage kann einen trotzdem glauben lassen, dass es möglich ist:

Wenn man einmal von der absurden Puderdose absah, die tat, als sei sie ein Telefon, hätten sie ebenso gut wieder im College sein können, wo sie bis spät in die Nacht über ihre Erfahrungen geredet hatten, lange nachdem die Sperrstunde jeden von ihnen in ihre getrennten Wohnheime gescheucht hatte. Er hatte sich am Telefon in Sylvie verliebt. Immer, wenn er auf Reisen war, erinnerte er sich daran. Sie verfielen in ihren Rhythmus, redeten, wie sie fast jeden Abend ihres Lebens geredet hatten, ein Dritteljahrhundert lang.

Weber kann Mark nicht helfen, er lässt Karin mit dem Rat zu einer Verhaltenstherapie zurück. Sein eigenes Leben gerät zusehends auseinander. Auch Karin wird zwischen ihrem ehemaligen Freund Karsh, Daniel, der früher Marks Freund war und nun mit Karin zusammen ist, und ihrem Bruder Mark aufgerieben. Als Nebenhandlung entsteht außerdem noch ein spannender Wirtschaftskrimi über die in der Gegend verbreiteten Kraniche, die einem Touristenzentrum weichen soll. Karsh kämpft dafür, Daniel dagegen. Karin vergräbt sich weiter in die Psyche ihres Bruders und ignoriert ihr eigenes Leben.

Das Bewusstsein erzählt eine Geschichte, und diese Geschichte ist in sich geschlossen, zusammenhängend und stabil. Wenn diese Geschichte abbricht, schreibt das Bewusstsein sie neu. Jede revidierte Fassung erhebt den Anspruch, das Original zu sein. Und so sind wir oft die Letzten, die es erfahren, wenn Krankheit oder Unfall uns zerstören.

Obwohl man das Buch nicht als Krimi bezeichnen kann, ist es dieser Spannungsfaden, der einen nicht mehr loslässt und schließlich beide Erzählebenen auflöst. Kein Happy End. Fragen bleiben offen. Ich könnte mir kein besseres Ende vorstellen.

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Roman

Jonathan Safran Foer – Alles ist erleuchtet

Jonathan Safran Foer ist ein grandioser Erzähler. Als Beispiel sei hier nur seine Geschichte vom “Sex-Leuchten” erwähnt:

Der bläuliche Marmor verschwindet, und an seiner Stelle erscheint ein Nachrichtensprecher, der die Brille abgesetzt hat und sich die Augen reibt. “Meine Damen und Herren, Amerika hat einen Menschen auf den Mond geschickt.” Meine Großmutter kommt mühsam auf die Beine – sie ist alt, selbst damals schon – und sagt mit vielen verschiedenen Tränen in den Augen: “Nischt zu gleuben!” Sie küsst meine Mutter, verbirgt die Hände im Haar ihrer Tochter und wiederholt: “Nischt zu gleuben!” Auch meine Mutter weint, und jede ihrer Tränen ist einzigartig. Sie weinen gemeinsam, Wange an Wange. Und keine von beiden hört das Flüstern des Astronauten: “Ich sehe da etwas”, während er über den Mondhorizont hinweg auf das winzige Dorf Trachimbrod blickt. “Ganz eindeutig – da unten ist irgendwas.”

Was er sieht, ist das Leuchten der Menschen, die im Stetl Trachimbrod in dieser Nacht Sex haben. Um diese Geschichte im Ganzen zu erfassen, muss man das Buch zumindest bis zur Seite 144 lesen.

Auf drei Erzählebenen läuft die Geschichte ab und die Verknüpfung der drei miteinander löst sich erst auf den letzten Seiten auf. Mehrere Familiengenerationen werden miteinander verknüpft und dies auf sympathische und spannend erzählte Weise.