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English Memoir

Tara Westover – Educated

In retrospect, I see that this was my education, the one that would matter: the hours I spent sitting at a borrowed desk, struggling to parse narrow strands of Mormon doctrine in mimicry of a brother who’d deserted me. The skill I was learning was a crucial one, the patience to read things I could not yet understand.

Dieses Buch wurde von Parnassus und sicher auch auf Lithub viele Male empfohlen, ich hatte es auf meiner Leseliste in der Overdrive eLibrary App, lange war es nicht verfügbar. Inzwischen wusste ich absolut nicht mehr, was mich überhaupt erwartet und war dann doch eher erstaunt und getroffen von der schonungslosen Erzählung des Aufwachsens einer Mormonin, deren Mutter allein auf die Heilkraft von Kräutern vertraut und deren Vater sich auf den nahenden Weltuntergang vorbereitet.

What was important to me wasn’t love or friendship, but my ability to lie convincingly to myself: to believe I was strong.

Die Autorin berichtet von Manipulation und Gewalt durch einen ihrer Brüder, geduldet durch ihre Eltern und die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, um trotzdem zu überleben: sich selbst einzureden, dass nichts sie berühren kann.

I had come to belive that the ability to evaluate many ideas, many histories, many points of view, was at the heart of what it means to self-create.

Als sie schließlich gegen den Willen ihrer Eltern aufs College geht, wird ihr klar, wie klein ihre Welt bisher war und wie viel Wissen ihr vorenthalten wurde. Diese neue Weltsicht entfremdet sie endgültig von ihrer Familie. Sie scheitert an dem Versuch, zuhause eine andere zu sein als sie am College ist. Eine bedrückende und beeindruckende Entwicklungsgeschichte.

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Sachbuch

Douglas Thomas, John Seely Brown – A New Culture of Learning

Drei Anläufe hat es gebraucht, bis ich dieses Buch tatsächlich fertig gelesen habe. Das liegt nicht daran, dass es nicht interessant wäre oder schwer zu lesen, es ist mir einfach aus dem Blickfeld gerutscht. Entdeckt hatte ich es im Rahmen meines Bildungswissenschaftsstudiums vor zwei Semestern und das Konzept und der zukunftsweisende Titel haben mich überzeugt, dass ich es lesen sollte.

The key to questioning is not typical problem solving. It is innovation.

Die Autoren beschreiben anhand verschiedener Beispiele, warum traditionelle Lerntheorien in unser heutigen Wissensgesellschaft nicht mehr ausreichend funktionieren. Anhand des Beispiels einer World-of-WarcraftRaid-Gemeinschaft wird erklärt, wie Menschen heute komplexe Prozesse lernen und sich verändernden Umgebungsbedingungen anpassen.

In the new culture of learning, people learn through their interaction and participation with one another in fluid relationships that are the result of shared interests and opportunity.

Diese Form des Lernens erfordert keine Lehrperson, die einen Lehrstoff vermittelt. Lernende lernen voneinander, in dem sie zusehen, wie andere Menschen Probleme lösen, selbst Dinge tun und experimentieren, um herauszufinden, was am besten funktioniert. Jahrhundertelang funktionierte unser Bildungssystem derart, dass Schüler*innen Fragen gestellt bekommen, deren Antworten die Lehrenden bereits kennen. Auf die komplexen Fragen der heutigen Zeit (Klimawandel) gibt es jedoch keine einfachen Antworten.

The point is that no matter what direction he goes in or what he finds, more questions await. And the questions he asks are limited only by his imagination. We call this style of learning inquiry.

Beim Lesen habe ich mich immer wieder an den Lernstil von John Dewey erinnert. John Dewey schrieb der Erfahrung im Lernen den höchsten Wert zu. Kinder sollten gemeinsam in der Gruppe Dinge erschaffen und daran lernen. Sowohl der Gemeinschaftsaspekt als auch das Erfahrungslernen finden sich in der neuen Kultur des Lernens wieder. Es geht nicht darum, was wir bereits wissen, es geht darum, was wir noch lernen können und vor allem wie wir das lernen können (schreibt Siemens in seiner Konnektivismustheorie).

Die praktische Anwendung dieser Erkenntnisse steht jedoch weitgehend in den Sternen.

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Sachbuch

Dee Joy Coulter – Original Mind

Im Jänner hatte ich irgendwie zwei Tage so viel Luft, dass ich mich mit Feuereifer auf eine neue (Schnaps-)Idee stürzen und sofort zum Recherchieren in die Bücherei laufen musste. Dass ich in den darauf folgenden Wochen dann nicht mal Zeit hatte, die ausgeliehenen Bücher überhaupt zu lesen, geschweige denn anderweitig an der Schnapsidee zu arbeiten, ist schon wieder eine andere Geschichte …

Dieses Buch hatte ich mir geholt, weil es an das Entwicklungsthema anknüpft, das mich im Rahmen eines anderen Projekts beschäftigt hat. Viele Wissenschaftler haben versucht, Stufen zu definieren, in denen die Entwicklung des Menschen abläuft. Einer der bekanntesten ist wohl Jean Piaget. Er forschte unter anderem nach den Stufen des moralischen Urteils und stellte Theorien über die Stadien der kognitiven Entwicklung auf.

Dee Joy Coulter untersucht das Thema mit einem etwas populärwissenschaftlicheren Ansatz. Sie hat Erfahrungen in unterschiedlichsten pädagogischen Bereichen gesammelt und lässt diese Erkenntnisse überblickshaft in dieses Buch einfließen. In den ersten Kapiteln geht es vorrangig um die Entwicklung der Wahrnehmung bei Säuglingen. Die Autorin gibt auch immer wieder Tipps zu Übungen, die der Leser durchführen kann, um seine eigene Wahrnehmung zum kindlichen Geist zurückzuführen.

Speziell interessant fand ich das Kapitel über die Phase des Sprechenlernens. Es gibt zwei Sprachareale im Gehirn, die das Verstehen (Wernicke-Areal) und das Selbst-Ausdrücken (Broca-Areal) steuern. Die Fähigkeit des Verstehens entwickelt sich schneller als die eigene Sprachfähigkeit. Ein dritter Sprachbereich steuert das innere Sprechen, also das Nachdenken vor dem Sprechen. Kinder, die gerade sprechen lernen, müssen neue Worte erst innerlich verarbeiten.

Wenn ein Kind neue Begriffe lernt, bewegt es sich hin und her zwischen der äußeren Welt, in der es den neuen Worten begegnet, und der inneren Welt, wo es den Worten nachspürt und sie zuordnet.

Kinder, die schon sprechen können, können teilweise Regeln verstehen und auch wiederholen, sind aber nicht in der Lage, sie einzuhalten.

Es kann für die Bezugspersonen schwer zu begreifen sein, dass diese Kinder zwar Regeln wiederholen können, ihr Gehirn jedoch noch nicht fähig ist, diese einzuhalten. … Um sich entsprechend zu verhalten, muss die innere Sprachregion erst stärker sein als die ach so verlockenden motorischen Impulse. Dazu muss das Kind erst besser sprechen lernen, und das dauert seine Zeit. Bis dahin halten sich Kinder nur aus Angst vor dem Ärger der Erwachsenen an Regeln und nicht aus eigenem Antrieb.

In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit schriftunkundigen Kulturen und den kognitiven Veränderungen, die sich ergeben, wenn Menschen erst als Erwachsene mit dem Konzept Schrift in Berührung kommen.

Die Schriftkundigen lebten jetzt in zwei Welten: der Welt der erlebten Erfahrung, der primären Realität, die sie mit der schriftunkundigen Bevölkerung gemeinsam hatten, und in der sekundären Realität des geschriebenen Wissens, welches sie aus Büchern gewonnen hatten. Ihre Kenntnis geschriebener Geschichten verwandelte auch die innere Ordnung ihrer Erinnerungen und förderte ihre Fähigkeit zum zukunftsorientierten Planen.

Es folgt in diesem Kapitel ein übersichtlicher Abriss der Entwicklungen, die der Buchdruck auslöste. Zuerst wurde die Bibel gedruckt und verbreitet, auch in andere Sprachen übersetzt und damit auch für die Bevölkerung lesbar. Die Menschen beginnen, lesen zu lernen. Der nächste Schritt im kulturellen Wandel geht dann über zum lesen, um zu lernen. Es folgt das Zeitalter der Aufklärung (ab der Mitte des 17. Jahrhunderts). Die Menschen beginnen, das Gelesene in Frage zu stellen. Durch den Buchdruck konnten Wissenschaftler ihre Ergebnisse vervielfältigen und verteilen, umfangreichere Dokumentationen wissenschaftlicher Arbeit wurden möglich.

Die Denkmuster der neu schriftkundigen Bevölkerung wurden schnell abstrakter. Die Menschen begannen, alles, was sie lasen oder dachten, mit dem Verstand zu prüfen. Die Philosophen fingen an, die religiösen Überzeugungen zu hinterfragen.

Der entscheidende Punkt dieses Kapitels ist, wie sich der Übergang von einer oralen Kultur auf eine Schriftkultur auf die Gesellschaft und die einzelnen Menschen ausgewirkt hat. Alles, was man niederschreiben kann, muss man sich nicht mehr merken. Man hat also nicht mehr den Zwang, alles exakt wiedergeben zu müssen und hat daher mehr geistige Ressourcen, um neue Ideen zu generieren. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum es so hilfreich ist, sich einen Plan für die Woche zu machen. Alles, was dann aufgeschrieben ist, muss man sich nicht mehr merken und kann später nachschauen und dann ist der Kopf frei für andere Ideen.

Wer sich wirklich intensiv wissenschaftlich mit Entwicklungsfragen beschäftigen will, wird Coulters Ausführungen teilweise etwas esoterisch finden. Viele ihrer Anleitungen für die Erweiterung des Geistes haben auch mich kopfschüttelnd zurückgelassen. Es gelingt ihr jedoch, eine Brücke zu schlagen und die wissenschaftlichen Fakten übersichtlich zu präsentieren und mit der Lebensrealität des Lesers zu verknüpfen.