Ich imitierte die Gesten der Gläubigen, so wie ich sie als Kind imitiert hatte, wenn ich mit den Adoptiveltern und Silvia am Sonntag den Gottesdienst besuchte. Vielleicht würde ich hier etwas fühlen.
Gekauft hatte ich mir dieses Buch ursprünglich, weil ich es als Teil des Literaturcaches AL024 – LF vermutete. Literatur und Geocaching, das hätte eigentlich die perfekte Kombination für mich sein müssen, dachte ich. Inzwischen habe ich die Literaturcaches aufgegeben, weil ich befürchte, dass die langwierige Recherche dazu führt, dass mir die Caches vor der Nase weg archiviert werden.
Diesen in Wien spielenden Roman kann ich dennoch empfehlen. Zu Beginn konnte ich nicht recht reinkommen, ich hatte das Buch sogar für Monate weg gelegt, weil mir die Hauptfigur Matthias Karner so unsympathisch war. Unsympathisch zu recht. Es stellt sich Stück für Stück heraus, dass dieser Matthias Karner nicht nur ein Taugenichts ist, er spielt mit allen Menschen in seiner Umgebung und nutzt sie aus, sobald er irgendeine Möglichkeit dafür sieht. Als Nebenfigur fungiert die Detektivin Emma. Matthias Mutter beauftragt sie, ihren Sohn, den sie als Baby zur Adoption freigeben musste, zu finden. Emma erfüllt ihren Auftrag und lebt ihre eigenen Probleme. Doch Matthias Konfrontation mit seiner leiblichen Mutter stürzt Matthias in eine Krise. Als er von seinem Zwillingsbruder erfährt, den seine Mutter behalten und aufgezogen hat, wirft ihn dies endgültig aus der Bahn. Er dringt in das Leben seines Bruders ein und wirft alle familiären Gefühle über Bord.
Immer wieder schön sind die Beschreibungen des Wiener Lebensgefühls, ein Kleinod, das man in modernen Roman selten so findet. Die Morbidität, die Verlorenheit der Figuren, die unausweichliche Katastrophe, gepaart mit vielen bekannten Wiener Locations wie etwa dem Heurigen Zawodsky – all das charakterisiert die Stadt und sorgt für ein grandioses Lesevergnügen – sobald man es über die ersten Kapitel geschafft hat.