„Bist du nervös?“ fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Sie fuhr in ihrem Summen fort und nickte. „Denk an die Schildkröte“, sagte ich. „Meinst du, sollen wir den anderen einen Zettel schreiben?“ Sie zuckte mit den Schultern. Üblicherweise schreibe ich keine Zettel, wenn ich weggehe, doch diesmal hatte ich die Neue dabei, und überhaupt hatte ich das Gefühl, dass das etwas anderes war als sonst.
Zu Beginn kriegt man schnell das Gefühl, man befände sich in einer österreichischen Parallelwelt zu Clockwork Orange. Bereits auf den ersten Seiten wird einem Schlafwagenschaffner die Nase gebrochen, der jugendliche Protagonist klaut anschließend einem Gangsterpärchen die Pistole und springt nach einer selbst ausgelösten Notbremsung aus dem Zug. Nach dem Rückweg (per geklautem Moped und LKW-Mitfahrgelegenheit) nach Wien stockt er seine Drogenvorräte auf und wird in seiner betreuten WG Zeuge, wie einem anderen Bewohner (s)ein Baseballschläger übergezogen wird.
Bei all dieser Brutalität bleiben die schlechten Verhältnisse, aus denen der Protagonist stammt (der Klappentext nennt ihn Dominik, ich kann mich nicht erinnern, dass der Name im Buch oft vorkam), nebenbei präsent. Toter Vater, überforderte Mutter, brutaler Stiefvater, und so weiter. Trotzdem kann man nicht recht Mitleid empfinden für Dominik, der sich in dieser Parallelwelt offenbar so problemlos zurechtfindet und durchs Leben schlägt.
Interessant wird die Situation, als einer von Dominiks „Bekannten“ an Krebs zu sterben droht und seine letzten zwei Wochen mit ausreichend Schmerzmitteln und Dominik auf Urlaub verbringen will. In der neuen Mitbewohnerin, die sich für wenig mehr als ihr Schildkrötenbuch und die darin abgebildete titelgebende Caretta Caretta interessiert, sieht Dominik eine Art Schwesterersatz, und nimmt sie mit auf diese skurrile Urlaubsreise. Dass sie die Schildkröte letztendlich nur tot finden (der Schildkrötenstrand ist wegen Vandalismus von Soldaten bewacht), schweißt die beiden einsamen Jugendlichen letztendlich trotzdem noch fester zusammen. Eine Erzählung vom Leben und Sterben in einer einsamen Welt.