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Tomás Eloy Martínez – Santa Evita

In diesem Bezirk Mittelsex in New Jersey ist Evita eine vertraute Figur, aber die Geschichte, die man von ihr kennt, ist die des Musicals von Tim Rice. Vielleicht weiß niemand hier, wer sie wirklich war; die Mehrheit vermutet in Argentinien eine Vorstadt von Guatemala City. Aber bei mir zu Hause schwebt Evita, ihr Wind ist da; jeden Tag hinterlässt sie ihren Namen im Feuer.

Auch mir war Eva Duarte de Perón lange Zeit aus dem Musical von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice bekannt. Weil ich mehr Fakten erfahren wollte, habe ich mir dieses Buch aus einem Erbe behalten, dann stand es mehrere Jahre im Regal. Eigentlich hielt ich es für eine Biografie, das ist es jedoch nicht. Der Autor selbst bezeichnet es als einen Roman, beim Lesen wirkt es jedoch abwechselnd wie ein mysteriöser Krimi und eine Sammlung von Anekdoten.

Mit jugendlichem Fieber lernte ich das Schreiben, meinen Beruf, neu. Santa Evita sollte ein Roman werden? Ich wusste es nicht, und es war mir auch egal. Es entglitten mir das Konzept, die Sicherheit der Perspektiven, die Gesetze von Raum und Zeit.

Das Buch beginnt wie das Musical mit der sterbenden Evita. In den weiteren Kapiteln beschreibt der Autor dann hauptsächlich die Erlebnisse des Obersts, der Evitas Leiche begraben soll. Dass die Leiche einen langen Weg zu ihrem endgültigen Bestattungsort unternahm, ist eine wahre Geschichte und in Kurzform auch auf der Wikipedia nachzulesen:

So wurde Eva Peróns Leichnam heimlich 1956 nach Mailand ausgeflogen und unter dem Namen Maria Maggi de Magistris bestattet. Im September 1971 brachte man ihn nach Madrid. 1974 ließ ihn Isabel Perón, die dritte Frau des Staatspräsidenten, nach Argentinien zurückbringen, und im Jahre 1976, am 22. Oktober, erfolgte die Beisetzung im Familiengrab der Duartes auf dem Friedhof La Recoleta in Buenos Aires.

Die Wiener Zeitung widmete dem Thema im Sommer 2012 einen Artikel.

Der Autor macht aus diesem wahren Kern jedoch Stück für Stück einen Kriminalroman. Er beschreibt die Ungeheuerlichkeiten, die der Leiche unterwegs angetan werden (an diesen Stellen hofft man, dass alle Details erfunden sind) und den Fluch, den diese Frau (in späteren Kapiteln wird sie zumeist nur noch Person genannt) angeblich über alle mit ihr in Kontakt kommenden Menschen bringt.

Je länger ich gelesen habe, umso anstrengender fand ich diese Schreibweise, so zu tun, als beruhe ALLES auf wahren Begebenheiten, wo doch der Autor viele Details der Gefühlswelten der betroffenen Personen unzweifelhaft erfunden haben MUSS. Trotzdem sticht es aus der Reihe der Romane gerade durch diesen Punkt hervor und entfaltet auf diese Weise eine eigene mysteriöse Aura. Gerade dieser Konflikt, dass man als Leser nicht weiß, wo hört die Wirklichkeit auf, muss den Autor an der Geschichte gereizt haben. Eine Empfehlung kann ich nicht aussprechen, aber es ist auf jeden Fall eine Rarität in der diesjährigen von der Reading Challenge geprägten Buchauswahl.

So erlischt die Vergangenheit, sagte ich mir. Immer kommt und geht sie, ohne sich darum zu kümmern, was sie zurücklässt.

Reading Challenge: A book based on a true story

RANDNOTIZ: Das von mir eingereichte Problem ist #895 auf Problems of a Book Nerd!