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Sachbuch

Felix Stalder – Kultur der Digitalisierung

In diesem Buch analysiert Felix Stalder, Professor für Digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste, gesellschafliche Veränderungen, die ihren Ursprung in einer Erweiterung des kulturellen Lebens auf der Basis technologischer Veränderungen haben. Eine Folge der Digitalisierung ist eine Vervielfältigung der kulturellen Möglichkeiten. Immer mehr Menschen haben nun die Möglichkeiten, sich an kulturellen Prozessen zu beteiligen; dadurch erweitert sich auch das Themenspektrum, das in kulturellen Auseinandersetzungen verhandelt wird.

Als Kultur werden im Folgenden all jene Prozesse bezeichnet, in denen soziale Bedeutung, also die normative Definition der Existenz, durch singuläre und kollektive Handlungen explizit oder implizit verhandelt und realisiert wird.

Kultur ist heterogen, hybrid und nicht statisch. Kultur ist kein symbolisches Beiwerk, sondern handlungsleitend und gesellschaftsformend. Sie gibt uns einen Referenzrahmen, an dem sich unser Handeln orientiert. Dieser Referenzrahmen ist einerseits historisch gewachsen und andererseits wandelbar. Veränderungen, die sich aufgrund wachsender technologischer Möglichkeiten in kulturellen Prozessen entwickeln, sind das Thema dieses Buchs. Als wesentliche Ausdrucksformen der Kultur der Digitalität nennt der Autor Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität.

Referentialität beschreibt die vielfältigen Verbindungen, die im digitalen Raum zwischen unterschiedlichen Inhalten gezogen werden. Digitale Güter können kopiert und verändert werden ohne das Original dadurch zu entwerten oder zu zerstören. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, kulturelle Güter zu erschaffen und zu verändern.

Bedeutung wie auch Handlungsfähigkeit können nur im Austausch mit anderen stehen, sich festigen und wandeln.

Unter dem Begriff Gemeinschaftlichkeit werden viele Formen der Kommunikation verstanden, die erst durch technologische Unterstützung möglich werden. Die Kultur der Digitalität manifestiert sich zu einem wesentlichen Teil in digitaler Kommunikation. Kommunikation ist ein konstitutives Element der sozialen Existenz. Bedeutung kann von einzelnen Personen zwar behauptet werden; damit sie aber Kultur werden kann, muss sie von anderen bestätigt werden. Als Paradebeispiel wird die Enzyklopädie Wikipedia genannt. Das gemeinschaftliche Arbeiten an einem Projekt dieser Größenordnung ist erst durch die weltweite Vernetzung mittels Internet möglich geworden. Der Autor sieht aber auch eine Gemeinsamkeit der Kultur der Digitalität mit der traditionellen Volkskultur:

Die aktive Teilnahme verlangt zwar eine gewisse Fertigkeit, ein gewisses Interesse und Engagement, meist aber kein außergewöhnliches Talent.

Algorithmizität beschreibt die Tatsache, dass viele dieser kulturellen Prozesse überhaupt nur möglich werden, weil Daten durch Algorithmen analysiert werden. Menschen sind dazu entweder nicht in der Lage oder es würde viel zu lange dauern, die wesentlichen Informationen aus den angehäuften Datenbergen zu extrahieren. Die Rolle der Algorithmen hat eine helle und eine dunkle Seite (und ein unendliches Spektrum an Grautönen dazwischen). Algorithmen helfen uns, wesentliche Informationen zu extrahieren und diese weiterzuverarbeiten; sie können aber auch zu Benachteiligungen führen, die kaum noch nachvollziehbar sind (Einen interessanten Talk dazu gab es bei der Privacyweek 2018: Bias in Algorithmen von pascoda).

Für jede Person wird eine andere Ordnung erstellt und nicht mehr nur ein Ausschnitt einer vorgängig bestehenden Ordnung angezeigt.

Als Beispiel dafür wird im Buch der Google-Suchalgorithmus und seine Veränderungen seit der Entwicklung besprochen. Der aktuelle Suchalgorithmus stützt sich auf die analysierten Präferenzen der Nutzer*innen, die aus vorherigen Suchanfragen abgespeichert wurden. Das „verbessert“ einerseits subjektiv gesehen die Ergebnisse, schließt aber andererseits Ergebnisse aus, die ebenfalls interessant sein könnten, aber nicht zu den bisher gesuchten Dingen passen. Daraus entsteht ein Tunnelblick, der die Nutzer*innen in ihrer eigenen Welt einsperrt und den Blick über den Tellerrand unmöglich macht. Für jede*n individuelle*n Nutzer*in wird eine eigene, singulare Welt erschaffen.

Die Welt wird nicht mehr repräsentiert; sie wird für jeden User eigens generiert und anschließend präsentiert.

Dieses Phänomen bezeichnet Stalder als „Daten-Behaviorismus“. Algorithmen erfassen Menschen rein aufgrund ihrer messbaren Reiz-Reaktions-Beziehungen (damit ist das Online-Verhalten gemeint). Der Mensch selbst ist dabei eine Black Box im Sinne des klassischen Behaviorismus. Bewusstsein, Wahrnehmung oder Intention spielen für Algorithmen keine Rolle. Diese Theorie lässt sich auch auf die gesamte Gesellschaft ausweiten, die somit zu einer „Black-Box-Gesellschaft“ wird:

Immer mehr soziale Prozesse werden mithilfe von Algorithmen gesteuert, deren Funktionsweise nicht nachvollziehbar ist, weil sie systematisch von der Außenwelt und damit von demokratischer Kontrolle abgeschirmt werden.

Einerseits können wir also zunehmend von den vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Kultur profitieren. Andererseits sollten wir uns aber nicht von der Netzwerkmacht dazu zwingen lassen, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen. Die Open-Source-Bewegungen gehen dabei seit Langem ihren eigenen Weg. Nur wenn Algorithmen öffentlich einsehbar sind, können sie auch einer demokratischen Kontrolle unterzogen werden. Einen wichtigen Beitrag leisten auch die Open-Access-Angebote. Nur, wenn wir auch Zugriff auf Daten und Informationen haben, können wir informierte Entscheidungen treffen und uns als mündige Menschen in der Kultur der Digitalität bewegen:

[…] der freie Zugang zu Daten ist eine notwendige Bedingung für autonomes Handeln in der Kultur der Digitalität.

Fun Fact: Ich hätte das aus meinem Erststudium wissen können, kann mich aber nicht erinnern, vorher jemals gehört oder gelesen zu haben, woher der Begriff „Algorithmus“ stammt:

Der Begriff »Algorithmus« geht auf den im heutigen Usbekistan geborenen Mathematiker, Astronomen und Geografen Muhammad Ibn-Mūsā al Ḥwārizmī zurück. Sein um 825 in Bagdad verfasstes Lehrbuch Über das Rechnen mit indischen Ziffern wurde in lateinischen Übersetzungen im Mittelalter breit rezipiert […]. Das Buch beginnt mit der Formel dixit algorizmi … (»Algorismi hat gesagt …«). Im Mittelalter wurde algorizmi oder algorithmi bald zu einem allgemeinen Begriff für avancierte Rechenoperationen.

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Essays Sachbuch

Jaron Lanier – Wenn Träume erwachsen werden

Jaron Lanier gilt laut Wikipedia als Vater des Begriffs Virtuelle Realität. Von 1984 bis 1990 betrieb er das Unternehmen VPL Research und beschäftigte sich intensiv mit den damaligen Möglichkeiten der Virtual Reality. In diesem Sammelband sind Texte und Interviews von damals bis zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Oktober 2014 an ihn vereint. Als Einleitung dient seine Dankesrede zu diesem Anlass, in der er unterschiedliche Punkte anspricht und auch versucht, eine Lanze für das Buch zu brechen (man muss sich nach seinem Publikum richten):

Im Internet gibt es ebenso viele Kommentare über das Internet wie Pornografie und Katzenfotos, aber in Wirklichkeit können nur Medien außerhalb des Internets – insbesondere Bücher – Perspektiven und Synthesen aufzeigen. Das ist einer der Gründe, warum das Internet nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden darf.

In meinen Augen zeigt sich hier ein Widerspruch: warum sollte das Internet nicht geeignet sein, um Perspektiven und Synthesen aufzuzeigen? Wenn wir zurückgehen in die Zeit vor der weltweiten Verbreitung des Internets und denselben Schluss auf den Buchmarkt anwenden, kommen wir wohl kaum zum selben Ergebnis. Nur Medien außerhalb des Buchs können Perspektiven und Synthesen für das Buch aufzeigen? Wohl kaum. In der Hauptbücherei Wien habe ich zwei Regale gefunden, die nur mit Büchern über Bücher oder Büchern über das Lesen gefüllt sind. Seinem daraus gezogenen Schluss stimme ich wiederum zu: Das Internet sollte nicht die einzige Plattform der Kommunikation werden. Es zeigt sich bereits jetzt, dass Menschen, die nicht auf Facebook sind, den Anschluss an Freundeskreise verlieren, weil Einladungen nur mehr dort ausgesprochen werden und auf Abweichler einfach vergessen wird. Das ist nur ein Anfang der Auswirkungen dieser unberechenbaren gesellschaftlichen Entwicklungen.

Ich glaube, wir wissen heute einfach noch nicht genug, um Lösungen für das langfristige Puzzle Frieden zu finden. Das mag negativ klingen, aber eigentlich ist es eine ganz klar optimistische Aussage, denn ich glaube, dass wir immer mehr über den Frieden lernen.

In derselben Rede kommt Lanier über einige weit geschwungene rhetorische Bögen auch auf das Thema Frieden zu sprechen (Friedenspreis, siehe oben). Er kritisiert das Rudelgefühl, den Frieden unter Clans, da diese Rudel stets in Konkurrenz zueinander stehen und so niemals ein langfristiger Frieden für alle entstehen kann.

In einem Interview aus dem Jahr 1987 hat Lanier gewissermaßen Pokémon Go vorhergesagt, obwohl er sich als Kommunikationsgerät eine Art Sonnenbrille vorstellte. Das Konzept der Datenbrille konnte sich bekanntlich bisher nicht durchsetzen.

In den frühen Versionen wird man die virtuelle Realität nur sehen können, wenn man sich darin befindet. Später wird es raffiniertere Versionen geben, bei denen man virtuelle und reale Objekte miteinander verbinden kann. Man könnte dann eine Zeit lang in einer gemischten Realität leben und würde seine reale Umgebung wahrnehmen, als ob man eine Sonnenbrille tragen würde, hätte aber auch virtuelle Elemente, die in die reale Welt hineingemischt würden.

In einem der Essays macht sich der Autor Gedanken darüber, wie man als Besucher einer virtuellen Welt mit dieser interagieren kann. Er formuliert dabei sehr schön, warum Sprache dafür ungeeignet ist:

Sprache ist sehr beschränkt. Sprache ist ein sehr enger Strom durch die Ebene der Realität. Sie lässt vieles aus. Oder eigentlich lässt sie gar nichts aus, aber sie ist ein Strom aus kleinen, eigenständigen Symbolen, und die Welt besteht aus Kontinuität und Gesten. Sprache kann Dinge über die Welt andeuten, aber kein Gemälde ließe sich je nur mit Worten beschreiben, und so verhält es sich auch mit der Realität.

Dies lässt sich in bemerkenswerter Weise darauf ummünzen, warum unsere heutigen Sprachassistenten wie Siri oder Cortana nur in sehr eingeschränktem Rahmen nützlich sind. Von den Datenschutz- und Überwachungsbedenken möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Diese Bedenken vertrat Lanier zwar auch schon im letzten Jahrtausend, allerdings zeigt er sich in vielen Texten davon überzeugt, dass Daten (zum Beispiel über Gewohnheiten von Personen, wie Facebook sie sammelt) zwar verfügbar sein sollten, aber die einzelnen Personen dafür einen Preis festlegen sollen können. Zum Thema Privatsphäre hält er in einem späteren Text fest:

Das Problem mit Gesetzen zum Schutz der Privatsphäre ist, dass sie höchstwahrscheinlich nicht befolgt werden. Die Statistik mit großen Datenmengen ist wie eine Sucht, und Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre sind so wirkungsvoll wie Alkohol- oder Drogenverbote.

Diese Behauptung hat sich leider in den vergangenen Jahren immer wieder bestätigt. Das Thema Privatsphäre wird in Wien übrigens im Rahmen der Privacy Week des Chaos Computer Club Wien vom 24. bis 30. Oktober 2016 in vielen Veranstaltungen an unterschiedlichen Standorten von allen Seiten beleuchtet.

Bereits 2003 spricht Lanier in einem Interview darüber, was die Entstehung eines Massenmediums mit der jüngeren Generation anstellt. Die Folgen daraus zeigten sich etwa im Arabischen Frühling 2011 in Ägypten sowie in der türkischen Revolution um den Gezi-Park und den Taksim-Platz 2013.

Wenn sich in einer Gesellschaft zum ersten Mal ein Massenmedium entwickelt, dreht die Propaganda durch. Europa, Japan und Amerika haben diese Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogen und dabei zwei Weltkriege ausgetragen. China machte diesen Prozess während der Kulturrevolution durch. Die muslimische und die afrikanische Welt sind gerade mittendrin. Sie erleben derzeit die volle Wucht moderner Propaganda. Die Leute drehen einfach durch, und es dauert eine Generation, bis sie sich daran gewöhnt haben, bis sie desensibilisiert sind. … Darauf kann man nur mit Technologie reagieren. Das ist die einzig erdenkliche Möglichkeit, mehrere Millionen Menschen rasch einzubeziehen und ihnen Bildung zu vermitteln.

Einen interessanten Beitrag zur chinesischen Kulturrevolution gab es kürzlich bei WRINT.

Wenn man Lanier Texte im Zeitverlauf liest, spürt man deutlich, wie auf die hoffnungsfrohen Jahre der Technologieüberzeugung im Ende des letzten Jahrhunderts eine Ernüchterung folgt. Einerseits konnten durch Computer auf einmal viele Menschen neue Dinge tun, allerdings fielen unzählige Arbeitsplätze weg. Speziell die Musikindustrie hat einen deutlichen Umbruch erlebt, die Buchindustrie befindet sich jetzt noch darin. Großkonzerne kontrollieren unsere Daten und generieren daraus Milliardengewinne. Und doch hat uns die künstliche Intelligenz noch lange nicht unterworfen und jeden Tag geht die Sonne auf. Das digitale Zeitalter wird uns auch weiterhin mit Veränderungen und Herausforderungen konfrontieren, die jede Entwicklung mit sich bringt.

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Sachbuch

David Skopec – Layout digital

Layout digital beschreibt grundlegende Layoutprinzipien speziell für den Bildschirm, also für Anwendungen bzw. Websites. Dabei beleuchtet er grundlegende Layoutprinzipien, die dem “experienced graphics designer” kaum etwas Neues erzählen.

Interessant ist jedoch – wie passend – das Layout des Buches selbst. Wenn auch teils etwas unübersichtlich, so sind doch die Designbeispiele inspirierend und können gerne als Inspirationsreferenz dienen. Allein zu diesem Zwecke werde ich in dieses Buch sicher noch öfter hineinschauen.