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Michel Houellebecq – Elementarteilchen

Fluss (c)Ronny Senst / PIXELIO

Seine Weltanschauung, die von den christlichen Kategorien der Erlösung und der Gnade weit entfernt war und nicht einmal den Begriff der Freiheit und der Vergebung kannte, bekam dadurch etwas Mechanisches, Unerbittliches. Wenn die Ausgangsbedingungen erst einmal gegeben sind, dachte er, und die Parameter für das Netz der ersten Interaktionen aufgestellt sind, entwickeln sich die Ereignisse in einem desillusionierten, leeren Raum; ihre Determinierung ist unabwendbar. Was geschehen war, musste geschehen, anders konnte es nicht sein; niemand konnte dafür verantwortlich gemacht werden. (Michel)

„Elementarteilchen“ erzählt die Geschichte der Brüder Bruno und Michel. Beginnend mit der Kindheit, die sie getrennt voneinander verleben, über die intensive Phase der Jugend bis zum Scheitern beider, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, zeichnet Houelebecq die Lebenswege der Brüder mit feiner Klinge und so vielen Hintergründen, das man sie oft gar nicht alle erfassen kann.

Bruno wächst vom gequälten Außenseiter zu einem Mann heran, der sich nach Liebe sehnt und doch nicht lieben kann. Dieses unerfüllte Bedürfnis versucht er mit sexuellen Eskapaden zu kompensieren, dadurch scheitert seine Ehe und auch die Beziehung zu seinem Sohn kann er nie auf eine familiäre Ebene heben.

Auch Michel wächst als Außenseiter auf, er vergräbt sich schon in jungen Jahren in das Lernen und die Wissenschaft und steht so stets neben der Gesellschaft, die er heimlich verachtet. Nach dem Verlust seiner Jugendliebe Annabelle bleibt er allein und findet sie erst nach Jahren der Trennung wieder.

Um die Reproduktion zu ermöglichen, trennen sich die beiden Stränge, aus denen das DNA-Molekül besteht, ehe jeder für sich komplementäre Nukleotide anzieht. Der Moment der Trennung ist ein heikler Augenblick, da unmittelbar danach unkontrollierbare, zumeist schädliche Mutationen entstehen können.

Ausflüge in die Welt der Wissenschaft, die Michel beschäftigt, erläutern zwischenmenschliche Beziehungen und bilden Metaphern für das Zusammenleben und die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Hier spielen sich die Zwischentöne ab, die den Roman wie die Grafik eines Aktienkurses im Zick-Zack durchziehen.

Sowohl Bruno als auch Michel scheitern an einer späten „Liebe“ – beide können nicht lieben, verlieren die Frauen jedoch durch Unfall bzw. Krankheit. Erst zu Ende ihrer Leben scheinen sich die Schicksale der Brüder zu vereinen, obwohl sie sich nach dem Tod ihrer Mutter nie mehr wiedersehen. Das Gesellschaftsbild, das Houellebecq zeichnet, zeigt einen ironischen Blickwinkel, der sich nicht vor Ecken und Kanten scheut und manchmal auch weh tut. Ein Roman, der definitiv über die reine Beziehungsebene hinausgeht und viel Stoff für Analysen und Diskussionen liefert.