Ich habe die Schwäche, Leute, die nicht gerade besonders unangenehm sind, gewöhnlich ganz gut leiden zu können. Ich sehe zuerst immer die guten Seiten meines Gegenübers, wenn solche da sind, und beurteile den Menschen danach. Weil die meisten dieser alten Zollbeamten gute Seiten hatten und weil die väterliche und beschützende Stellung, die ich ihnen gegenüber einnahm, freundschaftlichen Regungen zuträglich war, mochte ich sie bald alle gern.
Hier haben wir wieder mal einen Autor, der im Plauderton erst seine eigene berufliche Lage schildert, um schließlich mit einer Geschichte aufzuwarten, die von Schmerzen und Sünde nur so trieft. Jahrelanges Leiden und Büßen ereilt den Sünder, dessen Sünde offenbar wird. Vergebung war damals nicht so das Hauptthema.
Einmal trat dieser merkwürdige, unheimliche Ausdruck in Pearls Augen, als Hester gerade, wie es Mütter gern tun, ihr eigenes Spiegelbild darin suchte. Plötzlich war es ihr – denn einsame Frauen, die ein Kummer drückt, werden oft von unerklärlichen Wahnvorstellungen heimgesucht –, als sehe sie in dem kleinen schwarzen Spiegel nicht ihr eigenes verkleinertes Abbild, sondern ein fremdes Gesicht.
Kurzgefasst: Die Sünderin Hester Prynne wird an den Pranger gestellt, sie hat ein Kind geboren, will nicht sagen von wem, ihr Mann ist verschollen. Für ihr Leben wird sie mit dem scharlachroten A gekennzeichnet, dass sie fortan immer an ihrer Brust zu tragen hat. In einer einsamen Hütte zieht sie das Kind auf, ein Mädchen, das ihr Ein und Alles ist. Erst nach vielen Jahren enthüllt der Autor die Vaterschaft, gerade als sich für die an der Sünde Beteiligten ein Ausweg zu bieten scheint, greift das Schicksal ein und vereitelt die Pläne der Liebenden.
Es wäre der Betrachtung und Untersuchung wert, ob Haß und Liebe nicht im Grunde dasselbe sind. Beide können sich nur bei einem hohen Grad von Vertrautheit und Herzenskenntnis voll entfalten; im Haß und in der Liebe ist ein jeder in seinem triebhaften und geistigen Leben auf den anderen angewiesen, und der leidenschaftlich Liebende wie der nicht weniger leidenschaftlich Hassende bleiben verzweifelt und elend zurück, wenn ihnen ihr Gegenüber entzogen wird.
Wikipedia nennt das Buch „eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur“. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich kann mir diese Geschichte sehr gut dramatisiert vorstellen, als Film oder als Musical, da es soviel Interpretationsspielraum zulässt. Die Gefahr durch den Arzt Chillingworth erschien mir beim Lesen der Geschichte nicht so plastisch, eine Bedrohung nicht greifbar. Eine Musicalfassung gibt es laut Wikipedia nicht, das wäre doch vielleicht mal ein spannendes Projekt für Frank Wildhorn und seine großen Balladen? Dann würde vielleicht auch ich die tieferen Töne dieser Geschichte verstehen.