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Jo Nesbo – Leopard

Eis am Senningbach

Volltreffer. Natürlich. So banal war der Mensch. Wir glauben, weil wir glauben wollen. An Götter, weil uns das die Angst vor dem Tod nimmt. An die Liebe, weil sie das Leben schöner macht. An das, was verheiratete Männer sagen, weil es das ist, was verheiratete Männer sagen.

Jo Nesbo wurde mir von den Krimispezialisten schon lange ans Herz gelegt, allerdings habe ich sowieso eine ziemlich hohe Krimi-Quote in meiner Buchzusammenstellung, daher wollte ich vorerst mal in eine andere Richtung gehen. Amazon machte dann mit seiner Gratis-Kindle-Buch-Aktion zu Weihnachten diesem Vorsatz ein Ende. Darunter war unter anderem „Leopard“ – wie ich erst nach der Lektüre mitbekam, bereits Harry Holes achter Fall und „der härteste Nesbo“. Eigentlich kein Einsteigermaterial.

Wie zu erwarten (wegen der Empfehlung der Krimispezialisten, die Donna Leon und ihren Brunetti wegen der Weichspülermentalität verachten) ist der Protagonist eine kaputte Existenz, geplagt von Süchten und Dämonen. Nur sein kranker Vater bewegt Harry dazu, aus seinem Exil zurückzukehren. Den Fall will er eigentlich gar nicht bearbeiten, erst verschiedenste Umstände reißen das Ruder mehrmals herum.

Der Leopoldsapfel, eine von Jo Nesbo selbst erfundene Folterwaffe, ist bei weitem nicht das Grausamste an diesem Roman. Harry Hole selbst fügt sich im Kampf um sein Leben unfassbare Schmerzen zu, die Beschreibung seiner Verletzungen jagt mehr als nur eine Gänsehaut über den Rücken. Dagegen ist der Wahn des Mörders eine Kleinigkeit. Um den Spaß nicht zu verderben, möchte ich über den Inhalt Schweigen walten lassen. Wer sich mit diesem düsteren Weltbild anfreunden kann, wo Polizisten wie Verbrecher gleichsam hauptsächlich schlechte Eigenschaften haben, der wird an Jo Nesbo sicher seine Freude haben. Es ist ein brillant geschriebener Krimi, packend erzählt, mir fällt nichts ein, was einen Vergleich rechtfertigen würde. Trotzdem brauche ich jetzt zum Ausgleich eine Runde Scheibenwelt.

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Roman

Erlend Loe – Die Tage müssen anders werden, die Nächte auch

Helsinki Lutheran Cathedral

Ich setze mich auf eine Bank und schaue mir die Liste genau an. Lange. Eine ehrliche Liste ist das. Ich bin zufrieden mit ihr. Vielleicht gibt es so ein Ding, vielleicht auch nicht. Nicht so wichtig. Wichtig ist die Liste. Die ist eine Entdeckung für mich. Sie ist wertvoll.

Dieses Buch wurde mir von einer nahestehenden Person als „absolutes Lieblingsbuch“ präsentiert, da gerät man natürlich in den Verdacht, eine positivere Wertung abzugeben. Allerdings wurde mir schnell klar, wieso die nahestehende Person sich in diesem Buch offenbar wiederfindet. Der Ich-Erzähler befindet sich in einer unzufriedenstellenden Situation, in der er sich nicht in der Lage sieht, weiterzuleben. Obwohl er keine gröberen Katastrophen erlebt hat, er hat Familie, Freunde, Studium und leidet keine Not, ist er mit seinem Leben unzufrieden und wünscht sich Veränderung. Und wer kann wohl von sich behaupten, dass er noch nie in dieser Situation war?

Auf einmal könnte ich die großen Zusammenhänge überblicken. Alles mögliche durchschauen. Schlüsse ziehen über die Welt und die Menschen. Ich wäre zu Selbstbeherrschung fähig und dazu, aus anderen das Beste herauszuholen, lauter so Zeug. Dann würde der Meister zu mir sagen, jetzt hätte er mir nichts mehr beizubringen, und dann würde er mir etwas schenken.

Er sucht nach dem Überblick, nach dem Wissen, wie das Leben funktioniert, nach einer Freundin. Zur Entspannung wirft er einen Ball gegen eine Wand oder hämmert auf einem Hämmerbrett. Was sich als entspannender erweist, als man sich vorstellen kann. Mich macht allein die Vorstellung von dem Hämmergeräusch irre. Von der Nutzlosigkeit dieser Tätigkeit ganz zu schweigen. Aber in manchen Situationen ist es wohl notwendig, sich mit Nutzlosem abzulenken, um sich nicht von der Größe des Universums erdrücken zu lassen.

Ein Brief an einen Autor, der sich mit dem Thema Zeit beschäftigt, bleibt unbeantwortet. Gerade berühmte Wissenschaftler haben keine Zeit (!), sich mit solchen Fragen zu beschäftigen geschweige denn Briefe zu beantworten. Anhand des Empire State Buildings, auf dessen Spitze die Zeit aufgrund der Erdrotation schneller (oder war es langsamer?) vergeht als unten, stellt der Protagonist schließlich fest, dass es eigentlich keine Zeit gibt. Aus irgendeinem Grund macht ihn diese Erkenntnis unheimlich glücklich und befreit ihn von allen Zwängen, denen er sich bisher ausgesetzt sah. Aber macht das überhaupt einen Unterschied?

Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit habe ich das Gefühl, dass alles passieren darf. Heute bin ich aufgewacht und habe gedacht, alles darf passieren, die Dinge kommen einfach auf mich zu, und sie sind gut.

Auch ein weiteres Prinzip im Sinne der Selbstfindung kommt hier zur Anwendung: Die gewohnte Umgebung verlassen. Die Reise zu seinem Bruder nach New York eröffnet dem Protagonisten so manche neue Erkenntnisse. Reisen bildet nicht nur, es lässt einen die Welt schlicht aus anderen Perspektiven sehen. Und so kommt man manchmal auch darauf, was im Leben eigentlich wirklich wichtig ist.

Komisch, dass ich erst nach Amerika reisen musste, um darauf zu kommen.