Categories
Sachbuch

Klaus Raab – Wir sind online – wo seid ihr?

Tautropfen made with Olloclip and CAM+

Eines haben wir eben doch ganz unzweifelhaft gemeinsam, egal ob wir 16 oder 32 sind: dass wir zu Beginn des digitalen Zeitalters groß geworden sind und die neuen Möglichkeiten selbstverständlich zu nutzen verstehen, ohne zwangsläufig alle wahnsinnig technikaffin und immer nur erreichbar zu sein. Und dass die fortschreitende Digitalisierung für uns gleiche Bedingungen schafft, unter denen wir die Gesellschaft, in der wir leben wollen, organisieren.

Noch ein Manifest aus der und für die Netzgemeinde. Mit den aus Christian Stöckers Nerd Attack bekannten Elementen, die dann zumeist zu einer Rechtfertigung irgendeines Teils der so genannten Netzkultur führen:

– Verherrlichung der guten alten Zeit, als nicht jeder Trottel einen Computer hatte:

Man konnte Mixtapes lesen wir persönliche Briefe. Sie kündeten vom Suchen und Finden der Freundschaft und manchmal auch der Liebe. Wer Musik kopiert, hat demnach Freunde und geht früher oder später eine Bindung ein, aus der irgendwann einmal Kinder hervorgehen, die dann auch Musik kaufen

– Rechtfertigung oder zumindest Erklärungsversuch, warum die Netzgemeinde von Männern dominiert wird:

Ob Lillifee und Hartplastikmachos der Grund dafür sind, dass Frauen später geschlossen in der Küche stehen und Männer in den Krieg ziehen wollen – ich weiß nicht so recht. Vielleicht wird da der Einfluss des Rests der Gesellschaft etwas unterschätzt.

– Anglizismen und das Treiben von Schindluder mit der deutschen Sprache:

Es gibt allerdings Bedeutungsunterschiede zwischen den Anglizismen und den vermeintlichen restdeutschen Synonymen, weshalb man nun einmal sagen kann, dass „Fun“ und „Womanizer“ das deutsche nicht zurückdrängen, sondern reicher machen: Es bereitet Vergnügen, an einem lauen Sommerabend auf dem mit edlem Efeu gezierten Balkon zu sitzen, eine Schale schmackhafter gebratener Auberginen vor sich, und sich an Schopenhauers Wutreden zu laben. Fun ist es dagegen, RTL2 zu sehen. Und George Clooney ist ein Womanizer. Schürzenjäger treten bei Hansi Hinterster auf.

Offen bleibt die Frage, für wen diese Bücher eigentlich geschrieben werden. Braucht die Netzgemeinde diese Rückblicke und Analysen ihrer eigenen Geschichte und ihres eigenen Lebens. Will man den „Offline“ das Internet mittels eines Buches erklären? Das erinnert an „Internet for Dummies“ … Die heutige Jugend rebelliert nicht mehr? Kann man die Jugend nicht Jugend sein lassen … andererseits dürfte die Jugend sich für derartige Schreibwerke ohnehin nicht interessieren. Entbehrlich.

Categories
Sachbuch

Christian Stöcker – Nerd Attack

Senningbach im Winter

Endlich ein Buch für die Nerdgesellschaft. Wenn man selbst einigermaßen Zeit mit der Lektüre bzw. dem Hörgenuss von mehr oder weniger technikaffinen Blogs und Podcasts verbringt, lässt sich der Eindruck nicht ganz verdrängen, dass das Lesen von Büchern in dieser internetaffinen Gesellschaft zusehends zum Sonderfall wird. Ob man die Bücher nun auf einem eBook-Reader konsumiert macht in meinen Augen keinen Unterschied, ob man seine Informationen jedoch nur aus dem Internet bezieht, schon. Ich halte es für ähnlich ungesund, wie wenn jemand seine Information nur aus der Kronen Zeitung bezieht. Was könnte also wohl die selbst ernannte Nerdgesellschaft besser zum Lesen verführen als ein Buch über die Nerdgesellschaft selbst.

Die Konsumenten dagegen mussten mit einem zigarrenkistenkleinen Kasten mit ein paar Knöpfen vorliebnehmen, “nur Tasten für ja, nein und kaufen”, wie ein CCC-Mitglied das später spöttisch formulierte. Der neue Dienst war ein Konsumwerkzeug, ein System, dessen technische Struktur nicht vorsah, dass Normalbürger sich produktiv damit auseinandersetzten, ein Affront gegen die Hacker-Ethik.

Der Autor Christian Stöcker zählt sich natürlich selbst zur Zielgruppe seines Buches. Anhang seiner eigenen Evolution im Umgang mit dem Computer beschreibt er die unterschiedlichsten Phänomene, die sich im und um dem Computer Stück für Stück entwickelt haben. Eines der bedeutendsten dieser Phänomene ist in meinen Augen, dass schon in frühester Zeit den Hackern ein Dorn im Auge war, wenn sie mit wenigen Kontrollmöglichkeiten wie zum Beispiel Knöpfen (im obigen Beispielzitat) abgespeist werden. Der Entdeckergeist, herauszufinden, was man mit der Maschine alles machen kann, prägt noch heute das Leben vieler Interessierter auf diesem Gebiet und unterscheidet sie von jenen, die hilflos vor dem Gerät sitzen, anstatt Google solange mit Suchbegriffen zu bewerfen, bis sich eine Lösung auftut.

Hätte die Musikbranche sich rechtzeitig und ohne fremde Hilfe geeinigt, sie könnte ohne Zwischenhändler ungleich höhere Gewinne aus dem Geschäft mit den Dateien einfahren.

Natürlich werden auch Themen wie das gerade wieder sehr präsente Urheberrecht nicht vergessen. Ich vermisse hier – wie auch bei den meisten anderen Diskussionen zu dem Thema unter den Betroffenen der Internetgesellschaft – eine kritische Auseinandersetzung in der Form „wie könnte man es besser machen?“. Das möchte ich jetzt weniger dem Autor zum Vorwurf machen, sondern allgemein zu Bedenken geben. Die Gegner von ACTA (Disclaimer: zu denen ich mich selbst zähle) vergessen leider zumeist, einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Die totale Freiheit zu fordern ist idealistisch, aber keine umsetzbare Alternative. Bei der „Löschen statt sperren“-Diskussion in den vergangenen Jahren war es klar: Löschen ist nicht nur die bessere, sondern die einzige Lösung. Ein so klares Statement können die ACTA-Gegner bis dato nicht nur nicht vorweisen, es wird auch das wichtige Interesse an einem zensurfreien Internet vermischt mit Themen wie Urheberrechtsverletzungen. Die Aussage, dass die „Content-Mafia“ das Problem selbst lösen könnte, wenn sie endlich brauchbare Angebote liefern würde, unterstütze ich zwar, jedoch löst das nicht alle Probleme.

Bedenklich ist außerdem (ich schweife nur noch kurz ab), dass die Verlagsbranche mit den kopiergeschützten eBooks genau denselben Fehler zu machen scheint wie es die Musikindustrie vor einem Jahrzehnt bereits vorgeführt hat. Die Konsumenten werden verwirrt mit unterschiedlichen DRM-Systemen, kein Gerät kann alle Formate anzeigen und bietet somit tatsächliche Wahlfreiheit beim Kauf der Inhalte (am ehesten geht das noch mit dem iPad, jedoch finde ich die Benutzung des Adobe-DRMs durch die meisten Anbieter wenn nicht bedenklich, dann doch zumindest fragwürdig). Durch die unterschiedlichen Formate und Inkompatibilitäten verärgert man potentielle Kunden (keine Annahme, ich habe es selbst in meiner Familie erlebt) und bremst die Entwicklung, anstatt sie zu fördern und den Kunden attraktive Angebote zu bieten. Wie ich inzwischen erfahren habe (Hörensagen), kann man auch eBooks inzwischen hervorragend raubkopieren. Wann bieten Verlage endlich Kombiangebote an? Wann senken Verlage endlich die Preise? Wenn ein eBook die Hälfte eines Paperbacks kosten würde (angesichts der offensichtlichen Ersparnisse in der Produktion im Vergleich mit dem Papierbuch wäre das noch immer teuer), würde möglicherweise der Komfortfaktor das Raubkopieren bereits unnötig machen. Aber vermutlich muss wieder erst Apple den Verlagen zeigen, wie es geht. Oder Amazon übernimmt endgültig die Herrschaft über die Buchwelt.

Zurück zu Nerd Attack! Den Titel finde ich etwas unglücklich gewählt, er erweckt den Eindruck, die Nerds würden sich bewaffnen, um die „normale“ Gesellschaft anzugreifen. Im Buch selbst wird dieser Eindruck nicht bestätigt, aber in meinen Augen könnte der Titel durchaus den einen oder anderen Nerd-Sympathisanten von der näheren Beschäftigung mit dem Thema abhalten.

Abschließend möchte ich betonen, dass sich die Lektüre definitiv lohnt. Der Hardcore-Nerd wird sich zweifellos wiederfinden und bei jeder Erwähnung bekannter Memes mitschmunzeln. Die Nerd-Sympathisanten und Nachwuchs-Nerds gewinnen möglicherweise einen besseren Einblick in die Entstehungsgeschichte so mancher heute bekannter Phänomene. Aber auch dem Milieu vollkommen Fernstehende gewinnen neue Einsichten, wie diese Internetmenschen ticken und wenn sie sich darauf einlassen vielleicht sogar darüber, warum sie ticken, wie sie ticken. Ob es sich als Manifest eignet, bleibt wohl der Netzgemeinde selbst überlassen.

Wer mehr zum Buch lesen will, klickt hier:

Bombasstard’s Ranting Zone

Und hier der Link zur Besprechung der Kaltmamsell: Vorspeisenplatte