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Henning Mankell – Die weiße Löwin

Löwin (c) Birthe Paprotka/pixelio.de

Wann lernte ich die Angst kennen, Songoma? Wann stand ich zum ersten Mal einsam und verlassen der Fratze des Schreckens gegenüber? Wann begriff ich, dass die Furcht in allen Menschen sitzt, unabhängig von Hautfarbe, Alter, Herkunft? Keiner entkommt der Angst, es gibt kein Leben ohne Furcht. Ich kann mich nicht erinnern, Songoma. Aber ich weiß jetzt, dass es so ist. Ich bin ein Gefangener dieses Landes, wo die Nächte so unbegreiflich kurz sind, wo mich die Dunkelheit nie ganz umschließen kann.

Im dritten Wallander-Krimi zieht Henning Mankell neue Seiten auf. Die Verschwörung und Dimension des Verbrechens, das Wallander und seine Kollegen aufzuklären versuchen, erreicht ungeahnte Höhen. Bis nach Südafrika (wo das Buch auch beginnt) reichen diesmal die Verbindungen. Daher auch die vielen Ortssprünge.

Einerseits zeigt Mankell viele Personen und ihre Beweggründe und intimsten Gedanken im Detail. Andererseits rückt Kommissar Wallander erstmals ziemlich in den Hintergrund, sein Leben scheint in diesem Roman nebensächlich zu werden. Dieses Gefühl bleibt erhalten, obwohl auch Wallanders Tochter in die Fänge des russischen Killers gerät, der die Ermittlungen beherrscht. Trotz dieser persönlichen Involvierung bleibt Wallander trotz der entscheidenden Ereignisse, die er auslöst, deutlich neben der Handlung stehen. Der Blick auf die vielen anderen Beteiligten zeigt jedoch neue Perspektiven, wie etwa die des schwarzen Berufskillers (siehe Ausschnitt oben), der nicht nur Wallander, sondern auch den Leser auf seine Seite zieht, obwohl er als gedungener Mörder kaum als Identifikationsfigur taugt. 

Eine würdige Fortsetzung der Wallander-Romane, im gewohnten Stil, aber mit neuen Elementen.

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Christoph Ransmayr – Die letzte Welt

Meer by Zopfliese/PIXELIO

Cotta spürte, wie die Wellen ihm den schwarzen, feinkörnigen Sand in die Schuhe schwemmten, wie Wasserzungen über seine Füße hinweg auf den Strand und wieder ins Meer zurückglitten und alle Spuren des hinter ihnen liegenden Weges verwischten. Dennoch rührte er sich nicht von der Stelle, war von Echos Hand wie gebannt, stand zu ihr hinabgebeugt und hörte von der Vernichtung der Welt.

Zwischen den Welten liegt eigentlich diese Welt, das Dorf Tomi, dessen Bewohner Ransmayr ausführlich beschreibt. Zwischen den Welten und auch zwischen den Zeiten, denn die Elemente der Antike werden mit deutlich neueren Elementen (wie dem fahrenden Lichtspieltheater) verknüpft, was beim Leser anfänglich Verwirrung auslöst. Wenn man sich jedoch davon gelöst hat, dass es eine fixe Zeit geben muss, kann man einfach eintauchen in die Geschichten der handelnden Personen, die jede für sich für ein eigenes Buch taugen könnten.

Die Einsamkeit der Überlebenden, schrie Echo, sei gewiß die schlimmste aller Strafen.

Geschichten in der Geschichte ergänzen das Buch um eine weitere Handlungsebene. Die intensivste davon ist sicher die von der großen Flut, die alle Menschen und Tiere ertränkt, bis auf ein einziges Paar, das sich auf einem Floß retten kann und nach dem Abflauen der Flut schließlich auf einem Berg von Leichen sitzt.

Und dann riss ihm der Krampf, der ihn schüttelte, den Mund auf: War es ein Gebrüll, ein Lachen, ein Schluchzen; er wusste es nicht. Er hörte seine Stimme aus einer großen Ferne, war außer sich, irgendwo hoch oben in den schimmernden Felsen und sah in der Verwüstung Trachilas einen Verrückten kauern; an einem kalten Herd dort in der Tiefe einen zerschundenen Mann. Ein flatterndes, blaues Tuch schlug ihm auf den Mund. Immer wieder. Bis er endlich aufhörte zu schluchzen, zu schreien, zu lachen. Und dann wurde es wunderbar still.

Die scheinbare Hauptperson Cotta ist auf der Suche nach dem Dichter Naso, der vom Kaiser in Rom aufgrund seiner aufrührerischen Rede nach Tomi verbannt wurde. Die Einwohner von Tomi wiederum vertreiben den eigenbrötlerischen Naso in die tote Felsstadt Trachila, begleitet wird er vom Griechen Pythagoras, der allgemein als verrückt gilt. Diese Erfahrung muss auch Cotta machen, der von seiner Suche nach Naso mehr und mehr aufgezehrt wird. Das verschwundene Buch Metamorphoses beherrscht alle seine Gedanken, die kleinen Katastrophen und Lebensumstände der ihn umgebenden Menschen nimmt er kaum war, dem Leser wird jedoch alles enthüllt.

Cotta hörte die Worte nicht, die man ihm zurief, und bemerkte auch keine Hand, die ihm winkte; hörte wohl das Gezeter der Lachmöwen, die Brandung, auch Vogelsang und das Rascheln von Palmfächern im Wind – aber keine menschliche Stimme mehr; hatte allein die Bilder vor Augen, die ihm die Inschriften auf seinen Lumpen verhießen; … hier war Naso gegangen, dies war Nasos Weg. Aus Rom verbannt, aus dem Reich der Notwendigkeit und Vernunft, hatte der Dichter die Metamorphoses am Schwarzen Meer zu Ende erzählt, hatte eine kahle Steilküste, an der er Heimweh litt und fror, zu seiner Küste gemacht und zu seinen Gestalten jene Barbaren, die ihn bedrängten und in die Verlassenheit von Trachila vertrieben.

Alle Personen hat Ransmayr aus Ovids Metamorphosen ausgeliehen, jedoch sind sie teilweise derart verfremdet, dass sie nur vom geübten Historiker erkannt werden können. Da hilft die Zusammenfassung der Unterschiede der Personen am Ende des Buches, wobei diese Informationen zum Verständnis der Geschichte nicht notwendig wären. Wie so oft muss man sich auf die Geschichte und die Personen einlassen, dann steht dem ungehinderten Genuss dieses speziellen Romans nichts mehr im Wege.