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Lyrik Roman Science Fiction

Oliver K. Langmead – Calypso

CN: Gewalt, Tod


I can hear the Calypso‘s heart beating
loud beneath her bulkheads reverberating
a heartbeat like waves crashing, the waves of an ocean
her hallway windows alight so bright with the magnificent clouds
gushing clouds in which we tremble suspended afloat
and I know that I am enough, that this is enough
I don’t need extra senses strong bones
thoughts as quick as this
I am enough
to witness
this prayer

Die Wege der Bücher sind ja bekanntlich unergründlich, bei diesem weiß ich jedoch sehr konkret, wie es zu mir gekommen ist. Eine Einladung in einen sehr kleinen, sehr exklusiven Buchclub, der Bücher zum Thema haben soll, die für die diesjährigen Hugo Awards nominiert sind, konnte ich unmöglich ausschlagen. Mit diesem Buch haben wir begonnen, noch bevor die Nominierungen veröffentlicht wurden. G. hat gut recherchiert, nur ist dieses Buch in der Kategorie Best Poem nominiert, wir hatten uns eigentlich Novels vorgenommen. Wie schon das obige Zitat andeutet, handelt es sich hier um eine Novel in verse. Von dieser alten und gleichzeitig gerade wieder aktuellen Textgattung hatte ich hin und wieder Spuren auf Lithub gesehen, konnte mir jedoch nicht vorstellen, wie ich damit zurecht kommen würde. Lyrik ist ja nicht gerade meine Stärke (hier der bisher einzige Lyrik-Post auf diesem Blog), und dann auch noch in englischer Sprache, das erschien mir eine große Herausforderung, die ich jedoch des Buchclubs wegen annehmen wollte. Wir treffen uns demnächst, um über das Buch zu sprechen, möglicherweise schreibe ich dann noch eine Ergänzung, jetzt lest ihr hier erstmal meine eigene Meinung wie gewohnt.

Das Buch beinhaltet vier unterschiedliche erzählende Personen bzw. Perspektiven. Die Kapitel sind jeweils durch ein Symbol gekennzeichnet, das die Erzählperspektive visuell kommuniziert. Daneben haben die vier Erzählperspektiven auch noch verschiedene Satzeigenschaften: Rochelles Texte sind linksbündig im Flattersatz angeordnet, Sigmunds Texte rechtsbündig im Flattersatz. Catherines Texte sind zuerst mittig, aber scheinbar organisch fließend gesetzt, das verändert sich jedoch im Laufe der Geschichte. Der Text des Heralds schließlich ist in einer Spalte im Blocksatz gesetzt. An einigen Stellen wird diese Struktur aufgebrochen, es gibt beispielsweise Stellen, an denen der Text in zwei nebeneinander stehenden Säulen verläuft, weil hier Personen gleichzeitig bzw. durcheinander sprechen. Im Kapitel, in dem Catherines Transformation passiert, werden über mehrere Seiten die Wörter immer weniger und die Illustration einer Pflanze immer mehr. Es ist schwierig zu beschreiben, das müsst ihr vermutlich selbst gesehen haben.

Erzählt wird die Geschichte des Raumschiffs Calypso, das auf dem Weg ist, einen neuen Planeten zu kolonisieren. Dabei lebt auf der Calypso während ihrer langen Reise die Crew, deren Aufgabe es ist, für das Funktionieren des Raumschiffs und die Sicherheit der engineers zu sorgen. Die engineers, zu denen unsere Protagonist:innen Rochelle, Catherine und Sigmund gehören, verbringen die lange Reise im Cryoschlaf und sollen erst zum rechten Zeitpunkt erweckt werden.

Was ich jetzt hier relativ organisiert erzähle, wird aus dem Text erst sehr langsam klar. Mir ist es schwer gefallen, in die Geschichte hinein zu kommen, ich musste die ersten Kapitel auch zwei Mal lesen, weil sich eine Lesepause ergeben hatte und ich mich dann nicht mehr ausreichend erinnern konnte, um an der Stelle wieder in die Geschichte einzusteigen. Viele Fragen, viele angedeutete Ereignisse der Vergangenheit werden erst in dem Kapitel klarer, indem der Herald Rochelle erzählt, was während ihres Schlafs mit der Crew passiert ist.

Das Ende ist … unerwartet und wirft eigentlich neue Fragen auf anstatt die Geschichte sinnvoll abzuschließen. Ich bin schon sehr gespannt auf unser Buchclubgespräch, bei dem ich sicher noch Neues entdecken werde, das mir bisher entgangen ist. Als nächstes Buch haben wir Alien Clay von Adrian Tchaikovsky ausgewählt.

EDIT 4. Mai 2025 (nach dem Buchclub-Treffen): Bei der Besprechung dieses Buchs wurden viele Themen genannt, dir mir vorher gar nicht so bewusst gewesen waren. Wir haben uns mit Calypso aus der griechischen Mythologie beschäftigt und überlegt, warum Oliver K. Langmead sein Raumschiff so genannt hat. Wir haben die Schaffung des Wetters und der Jahreszeiten auf dem neuen Planeten mit der Schöpfungsgeschichte der Genesis verglichen. In meinem obigen Text hatte ich nicht mal erwähnt, dass mich Rochelles religiöse Anwandlungen so irritiert hatten, als sie zum Beispiel auf der Calypso einen Gebetsraum einrichtet. Dass ihr Vater Priester gewesen war, hatte ich nicht mehr im Kopf. G. erinnerte sich an sehr konkrete Stellen innerhalb der Geschichte; nach einigen gemeinsamen Überlegungen endeten wir damit, dass Rochelle den Humanismus symbolisiert, während Sigmund für den Transhumanismus steht. Für mich war es extrem spannend, andere Meinungen über die Geschichte zu hören und sich darüber auszutauschen und ich frage mich jetzt, warum ich bisher nie an einem Buchclub teilgenommen habe.

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English Roman

Dan Simmons – Phases of Gravity

CN: sexuelle Handlungen, Waffen, Tod einer Partnerperson, Begräbnis


Baedecker felt a brief lifting of spirit. Here in the high, thin air the demanding gravity of the massive planet seemed slightly – ever so slightly – lessened.

In letzter Zeit hatte ich ja bereits öfter darüber gejammert, dass mich meine Notizen so im Stich lassen. Bei diesem Buch fällt das noch mehr ins Gewicht, weil es mir nämlich nicht besonders gefallen hat und ich nun wirklich gerne wüsste, wo diese Empfehlung hergekommen ist. (Ich habe Lithub im Verdacht, habe aber nichts Konkretes finden können.)

Baedecker could remember the first real crash of lightning, which, in an uncanny instant of suspended time before everyone ran for shelter, froze people, cars, benches, grass, buildings, and Baedecker himself in a stroboscopic flash of light that briefly made all the world a single frozen frame in an unwatched film.

Weil ich Ablenkung brauchte, bin ich in das Buch einfach reingesprungen und war relativ schnell ziemlich genervt. Es wird immer wieder zwischen verschiedenen Zeiten und Orten gesprungen und nicht mal eine Leerzeile trennt diese Teile voneinander. Da verabredet sich der Protagonist in einem Satz mit seinem Sohn zum Essen und im nächsten Satz ist es eine Woche später und er sitzt im Flugzeug. Nicht nur, dass diese Sprünge nicht mal eine Leerzeile wert sind, es wird auch einfach viel weggelassen bzw. einfach nicht erzählt. Da springt der Protagonist in einem Paraglider von einer Klippe (was immerhin das Ende eines Kapitels ist) und im nächsten Kapitel hat er davon zwar eine Beinverletzung davon getragen, aber der Rest wird einfach übersprungen. Ob die fehlenden Leerzeilen bei Orts- und Zeitsprüngen eine künstlerische Entscheidung sind oder der späteren Erstellung des eBooks geschuldet, bleibt unklar, ich fand es jedenfalls extrem anstrengend.

Scott did not seem to be listening. He pushed the hair out of his eyes and frowned in concentration. “Sometimes I prayed that you wouldn’t go, and sometimes I prayed that you wouldn’t die up there …” Scott paused and looked right at his father. “But most of the time, you know what I prayed? I prayed that when you did die there, they’d bring you back and bury you in Houston or Washington, D.C., or somewhere so I wouldn’t have to look up at night and see your grave hanging up there for the rest of my life.”

Der Inhalt? Ein ehemaliger Astronaut hat eine schlechte Beziehung zu seinem Sohn. Er besucht ihn in Indien, um ihn aus den Fängen eines Gurus zu retten (was ihm erst später im Buch mit einem Hubschraubereinsatz gelingt). Der Sohn lässt den Vater abblitzen, stellt ihm aber noch seine Freundin vor. Mit der der ehemalige Astronaut dann auch eine Affäre beginnt (das war der Moment, wo ich mir sicher war, dass das Buch schon älter sein muss, sowas würde heute wohl kaum mehr geschrieben). Dass später herauskommt, dass der Sohn das wohl absichtlich eingefädelt hat, weil er dachte, die beiden würden gut zusammenpassen, macht das Ganze auch nicht mehr viel besser. Wir lesen also über die Midlife-Crisis eines weißen Mannes, der alle wichtigen Beziehungen in seinem Leben seiner Karriere geopfert hat und nun versucht, Gräben zuzuschütten.

There’re places of power – yeah – no doubt about that. […] You have to help make them. You have to be in the right place at the right time and know it. […] Even places of power are useless unless you’re prepared to bring something to them.

Viele Worte, um auszudrücken, dass das Buch einfach nicht für mich war. Wenn ich doch nur noch wüsste, woher das auf meine Liste gekommen ist …


Ende November besuchte ich mit dem Fotografen die Werkschau zur Fotografin Mary Ellen Mark in der Galerie Westlicht. Mich hat wohl der Titel The Lives of Women angesprochen und den Fotografen muss ich zu Fotoausstellungen ja sowieso nicht überreden ;-)

[Anmerkung: Alle weiteren Zitate entstammen dem Ausstellungstext.]

Ausstellungsansicht, rechts im Vordergrund hängt an einer Wand ein Bild mit Batman und drei Kindern in Prinzessinnenkostümen, weiter hinten im Raum ein großes Bild, das eine Frau draußen zeigt

Mary Ellen Mark gilt „als eine der wichtigsten Vertreter:innen einer humanistisch geprägten Dokumentarfotografie“. In ihrer Arbeit hat sie sich auf marginalisierte Personengruppen konzentriert und ist dabei tief in deren prekäre Lebenswelten eingetaucht. Für ihr erstes umfangreiches Langzeitprojekt verbrachte sie gemeinsam mit der Autorin und Therapeutin Karen Folger Jacobs sechs Wochen in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung Ward 81 im Oregon State Hospital. Die beiden Frauen verbrachten den Alltag mit den Patientinnen und lernten diese in ihren vielen Facetten intensiv kennen.

Großes Interesse zeigt Mary Ellen Mark auch an der Welt des Zirkus und der Artist:innen. In Indien und Mexiko recherchierte sie tief ins Detail und „erhielt tiefe Einblicke in eine Welt, die von Mut, Gemeinschaft und Entbehrungen geprägt war“. Ein Bild aus dieser Serie hat mich besonders berührt. Es zeigt ein Mädchen im Volksschulalter, das auf dem Rüssel eines Elefanten sitzt. Sie trägt eine Art Bikini mit Metallverzierungen und Strümpfe, aber keine Schuhe. Mit dem linken Arm hält sie den Rüssel des Elefanten, sie lehnt auch ihren Kopf in diese Richtung. Die rechte Hand hält sie zur Faust geballt. Mit tief traurigem Gesichtsausdruck blickt sie in die Kamera, als würde sie innerlich anklagen, dass sie zwar fotografiert wird, aber dadurch ihr Leben nicht besser wird.

Ausstellungsansicht, an einer roten Wand hängen zwei Bilder, auf dem linken ist ein Kind zu sehen, das eine Blume an sein Gesicht hält, darunter ein Schaukasten mit dem Buch „Indian Circus“

Ein etwas weniger sozial brisantes Projekt sind Marks Fotografien von Zwillingspaaren. Dieses Projekt wurde von ihr vollständig selbst finanziert, um die größtmögliche Kontrolle zu bewahren.

Sie war fasziniert von dem Nebeneinander von Einzigartigkeit und Verbundenheit und dem Gedanken, dass sich trotz nahezu identischer Erbanlagen zwei eigenständige Leben und Persönlichkeiten entwickeln.

Einen großen Teil der Ausstellung bilden Portraits von Menschen aus vielen verschiedenen Regionen der USA. Sie fotografierte Menschen „bei Kinder-Schönheitswettbewerben und in Single-Bars“, schreckte aber auch vor Ku-Klux-Klan-Treffen nicht zurück. Mark selbst sagte, ihre Reisen durch Amerika hätten ihre Vision als Fotografin definiert. Gerade das konnte ich leider nicht nachvollziehen. Die Sammlung an Bildern aus mehr als drei Jahrzehnten, die keinem roten Faden oder auch nur einer Zeitlinie folgen, hat mich eher verwirrt zurück gelassen. Gleichzeitig hätte ich von den oben genannten thematischen Projekten wie Ward 81 und Indian Circus gerne mehr gesehen. Aber dazu müsste ich dann wohl die Bücher kaufen … Das habe ich soeben auf ihrer Webseite nachgeholt.

Die Ausstellung „The Lives of Women“ mit Werken der Fotografin Mary Ellen Mark in der Galerie Westlicht ist noch bis 16. Februar 2025 zu sehen.