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English Roman Science Fiction

Kaliane Bradley – The Ministry of Time

CN: Mord, Gewalt, Erwähnung 2. Weltkrieg und Holocaust, Gewalt gegen Tiere, thematisiert Rassismus, sexuelle Handlungen


Der nächste Eintrag zu unserem Mini-Buchclub zu den für die Hugo Awards nominierten Werken. Ich hatte auf Lithub (zB hier) Gutes darüber gelesen und wurde nicht enttäuscht. Das Thema Zeitreisen wird in der Literatur immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, viele davon fließen hier ein in Form des titelgebenden Ministeriums, das dafür sorgen soll, dass durch das erfundene Zeitreiseportal keine unerwünschten Effekte eintreten. Es sollen daher Menschen aus der Vergangenheit in die Jetzt-Zeit gerettet werden, die in ihrer Zeitebene ohnehin verstorben wären und ihre Abwesenheit daher dort keine Veränderungen bewirkt. Diese geretteten Menschen sollen sich in die Jetzt-Zeit eingewöhnen, dazu werden ihnen sogenannte menschliche „Bridges/Brücken“ an die Seite gestellt, die sie in die moderne Zeit begleiten sollen. Dieses wissenschaftliche Experiment wirkt zu Beginn recht positiv, die Proband:innen werden immerhin in ihrer Zeit vor dem Tod gerettet und erhalten die Chance auf ein neues Leben in der modernen Zeit. Dass sie dazu niemals ihre Zustimmung (oder Ablehnung) geben konnten, wird erst weit später in der Geschichte thematisiert.

Zu sehr steht zuerst im Vordergrund, wie sehr sich das Leben in den vergangenen Jahrhunderten verändert hat. Die ExPats müssen nicht nur mit der unbekannten Technologie, sondern auch mit der modernen Lebensart vertraut gemacht werden, was jede Menge Stoff für komische Situationen bietet. Erzählerin der Geschichte ist eine der als Brücken arbeitenden Personen, eine weibliche Stimme mit gemischt-rassigem Hintergrund, ihre Familie mütterlichseits stammt aus Kambodscha. Ihre Aufgabe ist es, den Expat „1847“, auch Commander Graham Gore genannt, zu betreuen und seine Eingewöhnung in die moderne Zeit zu unterstützen und zu überwachen. Graham Gore ist eine historische Persönlichkeit, er war Teil der Franklin-Expedition mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu durchsegeln und so einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden. Die Expeditionsschiffe Erebus und Terror wurden im Eis eingeschlossen, es gab keine Überlebenden.

Lange beschäftigt sich die Geschichte mit den zwischenmenschlichen Aspekten der unterschiedlich verlaufenden Eingewöhnung der ExPats. Zuneigungen und Abneigungen entwickeln sich; unerwartete Charakterzüge kommen zum Vorschein. Die Beziehungen zwischen den Brücken und den ExPats entwickeln sich auf unterschiedliche Arten. Erst gegen Ende des Buchs erhöht sich das Tempo; Fragen, die (vom Ministerium) bereits beantwortet schienen, werden neu aufgeworfen und wachsen zu unüberwindbaren Gräben heran. Selbst Entscheidungen, die nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden, können auf diese Art in ein neues Licht gerückt werden. Dabei wird auch thematisiert, wie unsere jeweilige Lebensgeschichte unsere Meinungen und Entscheidungen prägt.

Die Autorin pflegt einen extravaganten Schreibstil, der zum Hintergrund der Erzählerin als Übersetzerin im Verteidigungsministerium passt. Als Sprachenexpertin kann die Erzählerin Wörter verwenden, die sich meinem Englisch-Wortschatz entziehen, ohne dabei prätentiös zu wirken. Zu oft habe ich mir gewünscht, anstatt der Paperback-Ausgabe das eBook vor mir zu haben, in dem ich einzelne Worte einfach nachschlagen könnte. Gemischt wird diese Vielfalt mit den Sprechweisen und Dialekten der ExPats, die jeweils ihren eigenen Stil mitbringen. Graham Gores viktorianischer Ausdrucksweise wird dabei am meisten Platz eingeräumt, aber auch die anderen ExPats erhalten eigene Stilmerkmale.

Von mir eine herzliche Empfehlung dieses Buchs: Die Mischung aus dem Zeitreise-Thema mit der sich entwickelnden zeitüberspannenden Romanze, die sich innerhalb eines Behördenthrillers entspinnt, hat mich mitgerissen und persönlich berührt. Eine wilde Mischung, die unterhält und gleichzeitig nachdenklich stimmt.

But I wrote it down because I need you to bear witness to it. He was here, by and with me and in my body. He lives in me like trauma does. If you ever fall in love, you’ll be a person who was in love for the rest of your life.


Randnotiz: Einen Bericht mit vielen Fotos über unseren Hacktours-Besuch im Schildermalermuseum in Wien habe ich drüben auf der C3W-Webseite veröffentlicht.