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Fleur Jaeggy – Sweet Days of Discipline

CN: psychische Krankheit, Suizid, angedeuteter/möglicher Missbrauch von Schutzbefohlenen


Auf der Suche nach einer Geschichte, die mich nicht überfordern würde, scrollte ich wieder mal durch die Neuerwerbungen in der OverDrive eLibrary und wurde auf dieses Werk aufmerksam. Vor einiger Zeit waren dazu einige Artikel auf Lithub erschienen, unter anderem auch einer vom Designer des neuen Covers (das ich übrigens auch viel gelungener finde, als das, was mir mit dem eBook gezeigt wurde).

When you’re in boarding school you imagine how grand and fine the world is, and when you leave, you’d sometimes like to hear the sound of the school bell again.

Das Buch erzählt von einem Schweizer Mädcheninternat knapp nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Töchter aus wohlhabenden Familien werden hier geparkt, um eine angemessene Ausbildung zu erhalten. Die namenlose Ich-Erzählerin schwelgt in den Erinnerungen an ihre Jugend, mäandert zwischen der Langeweile, dem Wunsch nach Freiheit und der Sicherheit, die das Leben in einem Internat mit sich bringt.

I liked German expressionism and the thought of the life, the crimes I hadn’t yet experienced.

Erst jetzt habe ich zur Autorin Fleur Jaeggy recherchiert, sie ist Schweizerin, hat das Buch ursprünglich (vermutlich) auf italienisch geschrieben. Auf ihrer Wikipedia-Seite springt mir der deutsche Titel Die seligen Jahre der Züchtigung entgegen. Das gibt mir ein vollkommen anderes Gefühl als der englischsprachige Titel Sweet Days of Discipline. Teilweise liegt es sicher an der Vertrautheit mit der Sprache, aber schon allein das Wort selig fühlt sich für mich deutlich stärker an, es hat eine religiöse, entrückte Komponente. Gleichzeitig erscheint mir auch Züchtigung als deutlich intensiveres Wort, es hat gewaltvolle Anklänge, ich denke an einen strengen Lehrer, der seinen Schüler:innen mit dem Lineal auf die Finger klopft. Dann sind es Jahre im deutschen Titel, Tage hingegen im englischen Titel. Wie es zu dieser Übersetzungsentscheidung kam, würde mich wirklich interessieren.

Die allgemeine Begeisterung für das Buch kann ich nicht teilen, ich wurde mit der Erzählerin einfach nicht warm. Ich fühlte mich erinnert an Ottessa Moshfegh – My Year of Rest and Relaxation, wo es mir ebenfalls so ging, dass ich mit der Protagonistin nichts anfangen konnte und den Hype um das Buch nicht verstand.

Das Ende hat mich in zweierlei Hinsicht überrascht.

  • Erstens, weil es sehr unerwartet kam, wie so oft folgten nach dem Ende der eigentlichen Geschichte noch unzählige andere Informationen (zur Autorin, zum Copyright und ein Haufen Werbung), die ganze neun Prozent des gesamten Buchs ausmachten. Ich wünschte wirklich, ich könnte im eBook-Reader vorab sehen, wo die eigentliche Geschichte endet.
  • Zweitens, weil das Ende aus einer unerwarteten Einsicht besteht, die die glorifizierte Zeit der jugendlichen Disziplinierung in ein neues Licht rückt.
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Roman

Ela Angerer – Bis ich 21 war

Meine Eltern haben nie ein Boot besessen. Die Szene auf dem Foto sieht nach Glück aus. Nach dem Glück fremder Leute, bei denen wir zu Gast sind.

Über ein Interview im Wiener-Magazin war mir dieses Buch aufgefallen, natürlich habe ich wieder mal kein genaues Zitat parat, aber in meiner Erinnerung warf das Interview die Frage auf, was der Beweggrund der Autorin war, eine derartige Kindheit in einem autobiografischen Roman zu thematisieren. Über den Inhalt wurde nicht viel verraten, geheimnisvoll, perfekte Werbung irgendwie.

Die Ich-Erzählerin beschreibt ihre Kindheit mit einer desinteressierten Mutter, die einen reichen Cadillac-Fahrer heiratet und fortan nur noch an ihren Pelzmänteln und Bridge-Turnieren hängt. Die Erzählerin und ihre Schwester wachsen unter Hausangestellten, Dienstboten und Kindermädchen in einem Schloss auf. Da sie großteils sich selbst überlassen sind, suchen sie sich selbst eine Beschäftigung, die Erzählerin landet dabei bereits mit 12 Jahren in der Dorfdisco und perfektioniert Jahr für Jahr Lügen und Ausweichmanöver, um ihren steigenden Drogenkonsum zu verheimlichen.

Wenn man sich heimlich mit solchen Fragen herumschlägt, obwohl man doch eigentlich nur funktionieren will soll – zu Hause, in der Schule, beim Friseur, im Bus –, dann möchte man sein Gehirn ruhigstellen. In meinem Fall erwiesen sich die Drogen dabei als große Hilfe, wobei ich ja erst am Anfang einer langen Testphase mit den unterschiedlichsten Mitteln stand.

Als die Eltern schließlich mitbekommen, was mit der Tochter los ist, wird sie ins Internat in die Schweiz verfrachtet. Auch aus den dortigen strengen Regeln findet die Protagonistin zumindest für die Wochenenden gekonnt eine Ausflucht. Es scheint, dass einzig der fixe Rückkehrtermin jeden Sonntag Abend sie davon abhält, in eine intensive Drogensucht abzurutschen.

Nur Dinge aussprechen, für die man Worte findet. Nur Szenen festhalten, die sich ohne tieferen Sinn ereignen. So gesehen muss man alle Fotodokumente, die einem im Laufe der Zeit von Verwandten, Bekannten oder Wildfremden unterkommen, neu bewerten. Weil es immer nur um das geht, was darauf fehlt.

Was in den Rezensionen als schonungslos und offen beschrieben wird, hat mich beim Lesen eher irritiert. Die Geschichte gibt vor, die Welt aus dem Blickwinkel des Kindes zu betrachten und doch kann kein Kind dermaßen abgeklärt Risiken eingehen, ohne jemals an die Folgen zu denken.

Die Beschreibung auf Amazon enthält mehr Dramatik als das ganze Buch:

Die Eltern sind abwesend, das Personal hilflos. Mit dreizehn beginnt das Mädchen eine Affäre mit einer jungen Krankenschwester und nimmt Drogen. Das fällt sogar den Eltern auf – die Tochter kommt ins Internat und lernt dort, dass es das Böse wirklich gibt.

Dass es das Böse wirklich gibt … klingt nach Horrorschocker und verfolgt wohl auch dieses reißerische Ziel. Jedoch lenkt dies in meinen Augen eher vom wirklichen Thema des Buches ab: Allein gelassene Kinder können sich nicht entwickeln. Kinder brauchen Führung, um lernen zu können, mit den Freiheiten und Verführungen des Lebens umzugehen. Eine Anklage oder ein Aufruf?